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Zehntes Kapitel.

»Der Weg ist kurz nur – fort!«

Armado.

 

Obschon wir Alle uns der furchtbaren Gebrechen, mit denen die menschliche Natur behaftet ist, bewußt seyn müssen, so ist doch gleichwohl keiner so schlecht, um nicht zu wissen, daß sein Wesen die Keime jener göttlichen Wesenheit in sich trägt, welche ihn seinem himmlischen Schöpfer ähnlich machen. Der Tugend bleibt die Verehrung des Menschen gesichert, auf was immer für einer Stufe der Civilisation oder Geistesbildung er zufälligerweise stehen mag, und wer reine Sittlichkeit zur Richtschnur seines Lebens macht, darf stets auf die Achtung, wenn auch nicht immer auf den Schutz seiner Zeitgenossen zählen.

Als der Graf von Leiningen durch das weite, reiche Schiff der Abteikirche hinabging, schwankten seine Gedanken zwischen dem Eindrucke, welchen die Worte des Priors auf ihn geübt hatten, und jenen geheimen Absichten, welche in seiner Seele noch immer das Uebergewicht behaupteten. Man hätte ihn mit einem Menschen vergleichen können, der auf die Rathschläge eines guten und eines bösen Geistes hört, von denen der erstere ihn zu Milde und Schonung ermahnt, letzterer aber durch die gewöhnlichen Hebel der Schmeichelei und Erweckung von Hoffnungen ihn zu schlimmer Gewaltthat verlocken möchte. In finsterem Brüten machte er sich Gedanken über die Forderungen des Klosters, die, weil sie auf einer gesetzlichen Ueberlegenheit beruhten, nicht nur seine Macht beeinträchtigten, sondern auch seinen Stolz verletzten – ferner über die Art, wie dasselbe stets seine Absichten kreuzte, über den beharrlichen Widerspruch, der von Seite der Brüderschaft ohne Unterlaß gegen seine Oberherrlichkeit im Thale erhoben wurde, lauter Feindschafts-Motive, die durch das ausschweifende und dreiste Benehmen vieler der Ordensmitglieder nicht ganz ungegründeterweise erhöht wurden. Aber diesem Einflusse setzte sich in's Geheim das Bild des Vater Arnolph entgegen, das sich der bewegten Seele des wilden Mannes stets in dem sanften, edlen Glanze christlicher Tugend vergegenwärtigte. Emich war, ganz im Widerspruch mit seiner Neigung, außer Stande, den Eindruck der demüthigen Menschenfreundlichkeit und Selbstverläugnung, den eine lange Bekanntschaft mit dem Mönche auf ihn gemacht und welchen das kürzliche Gespräch nicht nur aufgefrischt, sondern noch tiefer in sein Inneres eingegraben hatte – aus seiner Seele zu verdrängen. Indeß bereitete sich in dem Klosterhofe ein Schauspiel vor, welches viel dazu beitrug, den günstigen Einfluß des Priors zu schwächen, indem es den Stolz des Grafen in einer Weise gegen dessen bessere Gefühle aufhetzte, wie es nur der bitterste Feind von Limburg wünschen konnte. Es ist bereits bemerkt worden, daß die äußere Mauer der Abtei den ganzen oberen Theil des Berges umgab, auf welchem das Kloster stand. Die Gebäude waren zwar geräumig und zahlreich; indeß bot doch der Umfang der kleinen Ebene auf dem Gipfel noch genügenden Raum für Bewegung in freier Luft. Außer den weiten Kreuzgängen, die natürlich den Charakter mönchischer Abgeschiedenheit zeigten, war hinter der Wohnung des Abtes noch ein Garten und unmittelbar vor der Kirche ein beträchtlich großer Hof vorhanden. In letzterem, in welchem mehrere Gruppen von Kirchgängern zögerten, war in militärischer Ordnung ein Soldatentrupp aufgestellt, welcher die Farben und Abzeichen des Churfürsten Friedrich trug. Das geheime Signal, welches Pater Bonifacius bei dem Eintritte des Grafen in den Chor gegeben, hatte dem Nachbar diesen unwillkommenen Anblick vorbereitet.

Während sich die Bewaffneten in ernster militärischer Haltung auf ihre Hackenbüchsen stützten, waren der Ritter von Rhodus und der Abbé beschäftigt, der schönen Gattin des Bürgermeisters von Dürkheim und ihrer kaum schöneren Tochter den Hof zu machen. Der junge Berchthold stand in der Ferne und sah der Unterhaltung mit Gefühlen zu, in denen sich Neid mit Eifersucht mischte.

»Ich wünsche Euch schönen guten Morgen und tröstliche Erbauung in der Messe, hochgeborner Emich!« rief der Gatte und Vater mit Herzlichkeit, indem er die Mütze abnahm, als der Graf sich der Stelle näherte, wo der Bürger stand und nur noch diese Begrüßung abwartete, ehe er seinen Fuß in den Bügel setzte. »Ich habe schon geglaubt, der Anblick Eures Familiengrabes könnte mich um diese Ehre betrügen und mich ohne ein Wort von Eurer freundlichen und hochgeschätzten Gnaden abziehen lassen.«

»Zwischen Dir und mir, Heinrich, kann eine solche Hintansetzung nicht vorfallen,« antwortete der Graf, indem er die Hand des Bürgermeisters mit der Herzlichkeit und Kraft eines Kriegsmannes drückte. »Wie geht's in dem guten Dürkheim, dieser Stadt meiner Neigung – um nicht zu sagen, meines Rechtes?«

»Wie Ihr wünschen könnt, edler Graf; sie ist dem Hause Leiningen wohl gewogen. In Allem, was sich auf die Liebe zu Eurem Namen und zu Eurem Geschlechte bezieht, lassen wir's an Nichts fehlen.«

»Das ist schön, ehrlicher Heinrich, und kann noch besser kommen. Du wirst mir noch an diesem Sommermorgen die Ehre anthun?«

»Die Ehre ist meinerseits; Eure Gnaden hat nur zu befehlen, um in einem Manne, wie ich bin, einen gehorsamen Diener zu finden.«

»Hast Du auch alle diese Spitzbuben des Churfürsten da betrachtet, Heinrich? Ha – sehen sie nicht ganz melancholisch und mißvergnügt aus, daß sie bei den Benedictinern eingestallt seyn sollen, während es richtige Zeiten in der Pfalz gibt und ihr Gebieter genug zu schaffen hat, um in Heidelberg seine Hofhaltung fortzuführen. Bemerkst Du nichts der Art?«

Emich hatte seine Stimme gedämpft, und der Bürgermeister war nicht der Mann dazu, um in einer Antwort mehr auszudrücken, als die Umstände erforderten. In den beredten Blicken jedoch, welche er mit dem Grafen wechselte, verrieth sich das Einvernehmen, in welchem das Schloß und die Stadt zu einander standen.

»Ihr gebietet über meine Pflicht, Herr Graf, und ich erlaube mir daher die Frage, in welcher Weise ich Euch dienstlich seyn kann.«

»Ich will Dir keine mühsame Buße auflegen, sondern blos von Dir haben, daß Du den Kopf Deines Pferdes der Hartenburg zuwendest, um daselbst ein Stündchen oder zwei mit einem Gericht Gerngesehen vorlieb zu nehmen.«

»Mit Freuden, mein Herr Graf, wenn es möglich wäre,« entgegnete Heinrich, indem er einen zweifelhaften Blick auf Meta und seine Gattin warf; »aber diese Sonntagsmessen sind Dinge, in welchen man die Weiber gewähren lassen muß: von dem ersten Ton der Morgenglocke an, bis Abends die Thore geschlossen werden, kann ich kaum einen Gedanken mein eigen nennen.«

»Bei der Jungfrau, es müßte in der That schlimm hergehen, wenn die Hartenburg nicht ein Dach hätte, um alle Deine lieben Angehörigen zu beherbergen.«

»Ihr habt bereits adelichen Besuch und ich möchte nicht gerne –«

»Sprich mir nicht davon. Der in dem hellen Wamms mit dem weißen Kreuze ist nur ein obdachloser Rhodiser Ritter, welcher wie die Taube aus der Arche umherzieht und nicht weiß, wo er seinen Fuß hinsetzen soll; der Andere im schwarzen Kleid aber ein müßiger französischer Abbé, der fast nichts thun mag, als mit den Weibern plaudern. Laß Deine Frauenzimmer in ihren Händen, denn sie sind an Galanterie gewöhnt.«

»Zum Henker, hochgeborene Excellenz, ich bezweifle nicht, daß sie in solch mäßigen Künsten wohl erfahren sind; aber meine Frau hat wenig Geschmack an derartigen eiteln Aufmerksamkeiten, und offen gesprochen, Herr Graf, auch ich finde keinen sonderlichen Gefallen daran, wenn man mit Weibern so viele Umstände macht. Wäre die hochgeborne Irmengard, Eure edle Hausfrau, im Schloß, so könnte sich's mein Frauenvolk zur Ehre schätzen, ihr die Aufwartung zu machen, aber in der Abwesenheit Eurer Gattin zweifle ich, ob sie nicht eher lästig als angenehm werden dürften.«

»Sprich nicht so, mein ehrenfester Heinrich, sondern überlaß die Sache mir. Was jene Müßiggänger betrifft, so will ich, sind wir einmal aus dem Sattel, schon Beschäftigung für sie finden; aber ich nehme auch von der Jüngsten deines Namens keine Ausrede an.«

Dem warmen, offenen Benehmen des Grafen war nicht zu widerstehen, obschon die Einladung dem Bürgermeister nicht sonderlich gelegen kam; in jener Periode trat jedoch die Gastlichkeit stets so unverhohlen auf, daß man ein Erbieten derselben nicht leicht ohne zureichende Entschuldigung ablehnte. Emich machte nun den Frauen sein Compliment. Nachdem er sich den Bart gestrichen, küßte er mit freimüthiger Wärme Frau Ulrika auf die Wangen und drückte dann, von dem Vorrecht seiner Jahre und seines Ranges Gebrauch machend, einen Kuß auf Metas rosige Lippen. Das Mädchen erröthete lachend und knixte in ihrer Verwirrung, als wolle sie sich für die hohe Gnade bedanken; der Bürgermeister aber sah nicht nur ohne Besorgniß, sondern sogar mit augenscheinlicher Zufriedenheit zu, obschon ihm die gefallsüchtigen Zierereien der beiden fremden Gäste so gar nicht zusagten.

»Schönen Dank für die Ehre, edler Emich, die Ihr meinem Frauenvolke erweist,« sagte er, indem er abermals seine Mütze lüpfte. »Meta ist an dergleichen Complimente nicht gewöhnt: sie weiß kaum recht, wie sie die hohe Gnade anerkennen soll, denn es kömmt in der That nicht oft vor, daß ihre Wange das Kitzeln eines Bartes fühlt. Ich selbst bin kein Freund von Küssen, und in Dürkheim ist Niemand, der sich deß unterfangen dürfte.«

»St. Denis behüte mich!« rief der Abbé, »welche schmähliche Vernachlässigung haben wir uns zu Schulden kommen lassen!« Und damit küßte er die milde Ulrika ohne Umstände, worauf er dieselbe Ceremonie so plötzlich bei der Tochter wiederholte, daß beide keine Zeit gewannen, sich von ihrer Ueberraschung zu erholen. »Herr Ritter von Rhodus, man wird in dieser Angelegenheit unserer Erziehung nicht viel zutrauen.«

»Halt da, Vetter von Viederbach,« sagte Emich lachend, indem er seinem Verwandten die Hand vorhielt. »Wir vergessen ganz und gar, daß wir im Limburger Klosterhofe stehen und daß dergleichen Begrüßungen zu sehr nach der Erde schmecken, um bei den heiligen Benedictinern nicht schlimmen Anstoß zu erregen. Wir wollen aufsitzen und unsere Galanterien auf eine gelegenere Zeit versparen.«

Mittlerweile schickte sich die ganze Gesellschaft zum Abzuge an. Obgleich der Johanniter daran verhindert worden war, das schöne Mädchen zu küssen, welche sich die gleiche Freiheit so geduldig von seinem Vetter und dem Abbé hatten gefallen lassen, säumte er doch nicht, ihr auf den Hintersitz von ihres Vaters Sattel zu helfen. Einen gleichen Dienst erwies Emich der Frau Bürgermeisterin, worauf er sein schwer gestiefeltes Bein über das große, starkgliederige Kriegsroß warf, welches auf dem Pflaster des Hofes stampfte. Die Uebrigen folgten sammt den vielen berittenen Dienern seinem Beispiele, und nachdem sie dem großen Crucifixe, das in der Nähe stand, ihre Ehrerbietung bezeugt hatten, trabte der ganze Zug aus dem Hofe hinaus.

Um das äußere Thor hatten sich viele neugierige Zuschauer gesammelt, darunter auch ein Bettlerhaufen und mehrere Grundholden des Grafen, welche für den Fall aufgeboten worden waren, daß der Besuch ihres Herrn in dem Kloster irgend eine Gewaltthat zur Folge haben sollte.

»Ein Almosen, großer Emich! – ein Almosen, würdiger und reicher Bürgermeister! Gottes Segen über euch beide und möge der heilige Benedict euer Fürsprecher seyn! Wir frieren und sind hungrig – laßt uns daher ein Almosen zukommen.«

»Gib den Spitzbuben einen Silberpfennig,« sagte der Graf zu seinem Seckelmeister, der in dem Zuge ritt, »denn sie haben wahrhaftig ein ganz verhungertes Aussehen. Die gottseligen Mönche haben in letzter Zeit so viel mit ihrer Garnison und mit ihren Messen zu thun gehabt, daß sie darüber vergaßen, ihre Armen zu speisen. – Komm näher, Freund; bist Du aus dem Jägerthale?«

»Nein, edler Graf; ich komme von einer Wallfahrt zu einem fernen Heiligthum, aber Mangel und Noth haben mich unterwegs befallen.«

»Hast Du die Mönche um ihre Mildthätigkeit angesprochen, oder fandest Du sie zu sehr in Andacht vertieft, als daß sie sich des menschlichen Elends hätten erinnern können?«

»Großer Graf, sie sind freigebig; aber wo so Viele zu füttern sind, bedarf es vielen Goldes. Ich sage nichts gegen das fromme Kloster von Limburg, das eben so gottselig ist in seinen milden Spenden, wie in seinen Gebeten.«

»Gib dem Kerl einen Kreuzer,« brummte Emich, indem er sein Roß in einer Weise spornte, daß unter dessen Ausschlagen der Kies in die Luft flog.

»He, Bursche,« bemerkte Heinrich Frey, »hast Du für Deine Wallfahrt und für Deinen Bettel auf offener Landstraße etwas Amtliches vorzuweisen?«

»Nichts, als dies, gestrenger Herr Bürgermeister,« – Heinrich Frey trug nämlich seine Amtskette – »den Befehl meines Beichtvaters und diesen Paß von unseren Hauptleuten.«

»Nennst Du dies nichts? Du sprichst von einem wichtigen amtlichen Dokument, als ob es nur ein Vöglein Schelmenlieder wäre! Halt – Du sollst nicht durch allzu großen Mangel in Versuchung geführt werden. Meta, Dirne, hast Du einen Kreuzer?«

»Da ist ein Silberpfennig – er dürfte dem Nothstande des Pilgers besser entsprechen, Vater.«

»Gott steh' mir bei, Kind – hoffst Du selbst dem Nothstande zu entrinnen, wenn Du so verschwenderisch bist? Doch warte – es sind ihrer Viele, und sie können sich gut in dieses Stück theilen. Kommt heran, ihr Leute. Hier ist ein Zwanziger – theilt ihn ehrlich in zwanzig Theile und gebt dem Fremden zwei davon, denn gegen ihn haben wir den göttlichen Geboten zufolge die größte Verpflichtung. Jeden von euch Thalbewohnern trifft dann ein Kreuzer, und vergeßt mir dabei die arme, alte Frau dort nicht, die ihr zurückgedrängt habt. Als Entgelt fordre ich von euch, daß ihr für den Churfürsten, für die Stadt Dürkheim und für die Familie Frey betet.«

Mit diesen Worten ritt der Bürgermeister weiter und befand sich bald am Fuße des Limburger Berges. Der Trupp von Grundholden, welcher zurückgeblieben war, um Zeuge von Heinrich Freys Mildthätigkeit zu seyn, und Emichs Gleichgültigkeit bei einem Mann, der durch die Vorsehung so weit über die gemeinen Bedürfnisse des Lebens erhoben worden war, nur für natürlich hielt – wollte eben nachfolgen, als ein Laienbruder des Klosters Einen aus dem Häuflein am Arm berührte und ihm durch ein Zeichen bedeutete, er möchte wieder in den Hof zurückkommen.

»Man braucht Dich noch ein wenig, Freund,« flüsterte der Laienbruder. »Unterhalte Dich mit den Kriegsleuten, bis sie abziehen, und komm sodann in den Kreuzgang.«

Ein leichtes Nicken reichte zu, um dem Laienbruder zu bedeuten, daß er verstanden worden war, weshalb dieser auch alsbald wieder verschwand. Der Diener des Grafen Emich folgte dem an ihn ergangenen Geheiße und schlenderte in dem Hofe umher, bis der Zweck des Abts (er wollte nämlich seinem gefährlichen Nachbar den Schutz des Churfürsten vor Augen führen) erfüllt war und die Arkebusiere in ihre Quartiere einrückten. Sobald der Weg frei geworden war, schickte sich der Dienstmann des Grafen an, seiner Weisung weiter nachzukommen.

In jedem Klostergebäude der alten Hemisphäre befindet sich ein innerer Hof, der mit niedrigen, zur Beschaulichkeit geeigneten Arkaden umgeben ist und Kreuzgang heißt. Wenn dieser Theil des Gebäudes, wie man es oft findet, mit den kunstreichen Ornamenten des gothischen Styls verziert ist, so läßt sich nicht leicht eine Umgebung denken, die glücklicher darauf berechnet wäre, um Nachdenken, Selbstprüfung und religiösen Frieden zu erwecken. Uns haben diese Kreuzgänge stets in hohem Grade die Poesie des Mönchslebens vergegenwärtigt, und obschon wir Protestanten sind, haben wir doch nie einen derartigen Platz betreten, ohne den Einfluß jener heiligen Allmacht zu fühlen, welcher in klösterlicher Abgeschiedenheit dem Herzen so nahe tritt. In Italien, diesem Lande des Gedankenschwungs und der herrlichen Wirklichkeit, sind die Pinsel der größten Meister aufgeboten worden, um diesen Kreuzgängen eine milde Anziehungskraft und jene inhaltsvolle Belehrung zu verleihen, welche mit ihrem Zwecke in so schönem Einklang stehen. Man findet an derartigen Orten einige der schönsten Gemälde Raphaels, Dominichinos und Andrea del Sarto's; wenn daher der Reisende die gefeiertsten Kunstüberreste aufsuchen will, so muß er die gewölbten Gallerien betreten, welche der Mönch so lange in gläubiger Hoffnung durchwandelte.

Es wurde dem Unterthanen des Grafen Emich nicht schwer, sich nach dem fraglichen Platze zu finden, da wie gewöhnlich zwischen dem Kreuzgang und der Kirche eine unmittelbare Verbindung stattfand. Er trat in die letztere, begab sich nach einer Seitenthüre, welche nach der Sakristei führte und gelangte von hier aus nach den Arkaden, deren eindrucksvolle Abgeschiedenheit wir eben geschildert haben. An den Wänden befanden sieh – zu Ehren der verschiedenen Brüder, welche sich durch Frömmigkeit und Kenntnisse ausgezeichnet hatten – Tafeln und lateinische Inschriften, und da oder dort stand in Elfenbein oder Stein das in katholischen Landen nie fehlende Erinnerungszeichen, das Crucifix.

Der Fremde blieb stehen, denn ein einzelner Mönch wandelte mit einer Miene, die nicht sonderlich einladen konnte, wenn man in Betreff der Aufnahme noch zweifelhaft war – unter den Arkaden hin. Wenigstens war der Unterthan des Grafen dieser Ansicht, und man konnte es ihm nicht verargen, wenn er den trüben Ausdruck in Vater Arnolphs Gesichte, das eben jetzt von Sorgen umwölkt war, für Strenge nahm.

»Was willst Du?« fragte der Prior, als er sich bei einer Wendung Angesicht in Angesicht mit dem Eindringling sah.

»Hochwürdiger Vater, Euern heiligen Segen.«

»Knie nieder und nimm ihn hin, mein Sohn. Du bist doppelt gesegnet, weil Du Trost bei der Kirche suchst und die verderblichen Ketzereien der Zeit meidest.«

Der Prior sprach, das Zeichen des Kreuzes über ihn machend, die Benediction und winkte ihm aufzustehen.

»Hast Du noch einen andern Wunsch?« fragte er, als er bemerkte, daß der Bauer sich nicht entfernte, wie doch diejenigen zu thun pflegten, welche eine derartige Gunst empfangen hatten.

»Nein – es müßte denn seyn, daß mir jener Bruder etwas mitzutheilen hätte.«

Das Gesicht Siegfrieds sah zu einer Thüre heraus, welche nach den Zellen führte.

Die Züge des Priors wandelten sich um, wie die eines Mannes, der alles Vertrauen zu den Absichten seines Gefährten verloren hat, und er ging unter den Arkaden seines Weges weiter. Der Bauer glitt an ihm vorbei und verschwand durch die Thüre, nach welcher ihn ein heimlicher Wink eingeladen hatte.

Es ist bereits bemerkt worden, daß die Benedictiner in hohem Grade gastfreundlich sind. Eines von den Hauptgebäuden auf dem Berge war vornehmlich der Bequemlichkeit des Abts und der Reisenden gewidmet, deren Bewirthung stets eine Pflicht, für den Vater Bonifacius, aber meist eine sehr angenehme Pflicht war. Man sah hier einige Merkmale von dem großen Reichthum des Klosters, obschon diese Schaustellung durch die Ordensregel sowohl als durch die öffentliche Meinung sehr in Schranken gehalten wurde; indeß fand man hier doch wenig mehr von der Selbstverläugnung und Entsagung, die man stets mit dem Gedanken an ein Kloster in Verbindung zu bringen pflegt. Die Gemächer waren mit dunkelm Eichenholze getäfelt; allenthalben wimmelte es von Sinnbildern des religiösen Glaubens, aus kostbaren Materialien gearbeitet, und auch an Sammt und anderen Stoffen von ungemeinem Werthe, obschon in bescheidenen Farben gehalten, war kein Mangel vorhanden. Pater Siegfried führte den Mann nach einem der wohnlichsten dieser Gemächer – nämlich nach dem Cabinete des Abtes, der die Amtskleidung, in welcher er kürzlich im Chore erschienen war, jetzt abgelegt und sich allen kirchlichen Pompes entschlagen hatte, um mit der Trägheit eines Studenten und einigermaßen mit der Nachlässigkeit eines Schlemmers der Ruhe zu pflegen.

»Hier ist der junge Mann, von dem ich Dir gesprochen habe, hochwürdiger Abt,« begann Pater Siegfried, indem er seinem Begleiter vorzutreten winkte.

Bonifacius legte ein erst kürzlich aus der Presse hervorgegangenes Buch, das in Pergament gebunden und mit kolorirten Initialen versehen war, auf den Tisch nieder, und rieb sich die Augen wie ein Mann, der plötzlich aus einer träumerischen Zerstreutheit geweckt wird.

»Wahrhaftig, Bruder Siegfried, diese Leipziger Spitzbuben leisten Wunder in ihrer Kunst. Da ist kein Wort am unrechten Platze und kein Gedanke dunkel. Gott weiß, wohin dieses Uebermaß von Wissen, welches so lange nur das Eigenthum des Gelehrten war, mit der Zeit führen wird. Das Amt eines Bücherabschreibers wird nicht lange mehr hübschen Vortheil bringen oder überhaupt in Achtung stehen.«

»Haben wir nicht die Beweise solch übler Einwirkung in der Zunahme des Unglaubens und in dem Geist des Ungehorsams, der sich überall unverhohlen ausspricht?«

»Die Menschen würden viel besser für ihr Seelenheil und für ihre zeitliche Ruhe sorgen, wenn sie sich in dieser mühevollen Welt weniger mit Denken befaßten. Dein Name ist Johann, mein Sohn?«

»Gottlob, hochwürdigster Abt, mit Eurer und der heiligen Kirche Erlaubniß.«

»Ein frommer Name; ich hoffe, Du vergissest nicht der Pflicht nachzukommen, an welche er Dich stündlich erinnern sollte.«

»Was dies betrifft, so kann ich wohl sagen, Vater, daß ich Gott für alle Wohlthaten lobe, die mir zu Theil werden; und wenn ihrer auch doppelt so viel wären, so sagt mir Etwas in meinem Innern, ich könnte in alle Ewigkeit fort für Gnadengaben danken.«

Gottlobs Antwort bewog den Abt, den Kopf umzuwenden. Nachdem er den gesetzten Ausdruck in dem Gesichte des jungen Menschen aufmerksam geprüft hatte, fuhr er fort:

»Schon gut. Du bist ein Jäger, im Dienste des Grafen Emich?«

»Sein Kuhhirt, hochwürdiger Abt, und ein Jäger obendrein, denn eine unstetere, nachlässigere und belästigendere Familie als die meinige ist in der ganzen Pfalz nicht wieder zu finden.«

»Richtig, ich erinnere mich – also ein Kuhhirt; Du hast Dich aber ziemlich dreist gegen den Herrn Pater da benommen, indem Du ihn glauben machtest, Du seyest von Dürkheim und nicht von dem Schlosse.«

»Um vor Eurer Hochwürden ohne Rückhalt zu sprechen – es gab ein Bischen zwischen uns zu verhandeln. Ihr müßt nämlich wissen, heiliger Abt, daß ein Kuhhirt für alle Sprünge seiner Thiere herhalten soll, und so zog ich es vor, einfach für meine eigenen Verirrungen Buße zu thun, ohne obendrein die Gewissen aller Stücke Vieh, welche dem Grafen Emich gehören, weiß waschen zu wollen.«

Der Abt wandte sich wieder um, und betrachtete den Kuhhirten noch länger und forschender, als zuvor.

»Hast Du von Luther gehört?«

»Meint Euer Hochwürden den Trunkenbold, den Schuhflicker von Dürkheim?«

»Ich meine den Mönch von Wittenberg, Schurke, obschon Du – beim heiligen Benedict! – den Rebellen nicht unpassend benamst hast; denn seine Versuche, die Einrichtung und Zucht in der heiligen Kirche zu verbessern, sind in der That nur armselige Flickarbeit. Ich frage Dich übrigens, hast Du nicht Deinen Verstand besudelt und Deinen Glauben geschwächt, indem Du jener verdammlichen Ketzerei, die gegenwärtig in unsrem Deutschland umgeht, Gehör schenktest?«

»Der heilige Benedict und die hochgebenedeite Jungfrau Maria mögen Euer Hochwürden nach Euren Verdiensten im Andenken erhalten! Was hat ein armer Kuhhirte mit den Fragen zu thun, um welche sich die Gelehrten streiten und die sogar den Friedliebenden zänkisch und händelsüchtig machen?«

»Du bist über Deinen Stand unterrichtet. Stammst Du aus dem Jägerthal?«

»Bin darin geboren und erzogen, hochwürdiger Abt. Mein Urgroßvater schon hat im Thale gewohnt, und wenige Familien stehen wegen ihrer Geschicklichkeit im Aufziehen des Rindviehs und in Behandlung einer Heerde so sehr im Ruf, wie Diejenige, welcher ich angehöre, so arm und gering ich auch Euer Hochwürden erscheinen mag.«

»Ich weiß nicht, ob in der bescheidenen Ansicht, die Du von Dir selbst hast, nicht mehr Schein als Wirklichkeit liegt. Doch Du hast Dich mit Bruder Siegfried benommen, und wir zählen auf Deine Dienstleistungen. Du kennst die Macht der Kirche, mein Sohn, und mußt wissen, wie geneigt sie ist, denen Barmherzigkeit zu erweisen, welche ihr Huldigung bringen, während sie es auch an Aeußerungen ihres Mißfallens nicht fehlen läßt, sobald ihr Anlaß zu gerechtem Zorne gegeben wird. Auch wollen wir uns denen ganz besonders gewogen erweisen, die in einem Augenblicke, wie der gegenwärtige, in welchem die Teufel los sind, um die Unwissenden und Schwachen zu zerstreuen, nicht von ihrer Hürde abgehen.«

»Trotz alle dem, was Ihr in Betreff des Wenigen gesagt habt, was mir auf dem Wege der Erziehung in den Wurf kam, hochwürdigster Abt, bin ich doch viel zu schlecht unterrichtet, um etwas Anderes, als eine einfache Rede zu verstehen. Wenn sich's um einen Vertrag handelt, so ist es gut, die Bedingungen klar namhaft zu machen, damit ein armer, aber wohlmeinender Mensch nicht in die Hölle komme, blos weil er wenig vom Latein weiß und nicht deutlich verstehen kann, was nicht deutlich gesagt worden ist.«

»Ich habe nichts Anderes gemeint, als daß Dein frommes Benehmen vor dem Altare und dem Beichtstuhle nicht vergessen bleiben wird; Du sollst auf Ablaß und sonstige milde Behandlung zu zählen haben.«

»Das ist ganz vortrefflich für Diejenigen, welche davon Nutzen ziehen können, hochwürdiger Abt; aber – der heilige Benedict steh' uns bei! – was könnte mir davon zu Gute kommen, wenn Herr Emich seine Leute mit Kerker und Hieben bedrohte, im Falle sie sich unterstünden, die Altare von Limburg zu besuchen oder in sonstiger Weise mit der hochwürdigen Brüderschaft zu verkehren?«

»Glaubst Du, unser Ansehen und unsre Gebete seyen nicht im Stande, durch die Mauern der Hartenburg zu dringen?«

»Hievon will ich nichts sagen, höchst gewaltiger Bonifacius, da ich von der Art, wie Ihr's meint, noch niemals Nutzen gezogen habe. Der Kerker von Hartenburg ist mir nicht fremd, und soll ich meine tief innersten Gedanken aussprechen, so muß ich sagen, daß es der heilige Benedict selbst nicht leicht finden würde, die Thüren desselben zu öffnen oder das Pflaster weicher zu machen, so lange die zornige Stimmung des Grafen anhält. Der Tausend, heiliger Abt, Ihr habt gut von Miraceln und Ablaß sprechen; aber es soll nur einmal einer, wenn er meint, derartige Dinge könnten das feuchte, herztödtende Loch warm und angenehm machen – eine Novembernacht in seinen vier Wänden zubringen, so wird er schon auf andere Gedanken kommen. Mag er beim Eintreten ein noch so großes Vertrauen in die Klostergebete sehen, so müßte er nicht Fleisch und Blut, sondern ein brennender Ofen in der Gestalt eines sterblichen Leibes seyn, wenn er nicht mit der größten Furcht vor Herrn Emichs Zorne wieder herauskäme.«

Vater Bonifacius sah, daß es vergeblich war, auf den Geist des Kuhhirten in der gewöhnlichen Weise Einfluß üben zu wollen, und mußte deshalb zu sichreren Mitteln greifen. Er winkte seinem Begleiter, ihm ein kleines Kästchen herüber zu geben, das äußerlich mit vielen sichtbaren Zeichen des christlichen Glaubens verziert war, und nahm einen großen, schweren Beutel heraus. Gottlobs Augen glänzten – hätten die Mönche nicht zuviel mit dem Zählen des Geldes zu schaffen gehabt, so dürfte ihnen wohl die Aeußerung seiner Freude ein wenig erkünstelt vorgekommen seyn – und er bezeugte große Lust, den Inhalt einer Börse kennen zu lernen, die so werthvoll aussah.

»Dieß wird Frieden und Vertrauen zwischen uns stiften,« sagte der Abt, indem er Gottlob eine Geldmünze einhändigte. »Du hast hier etwas, was dem blödesten Verstande begreiflich ist, und ein Mensch mit deinem schnellfertigen Witze wird ohne Zweifel einsehen, was für ihn Gutes daraus erwachsen kann.«

»Euer Hochwürden schlagen meine Mittel nicht zu hoch an,« antwortete der Kuhhirt, indem er ohne weitere Umstände das Gold in die Tasche steckte. »Wollte unsre gute Mutter, die Kirche, diese Methode in Anwendung bringen, um sich Freunde zu sichern, so könnte sie über alle Luther zwischen dem Constanzer See und dem Meere lachen, den von Wittenberg mit eingerechnet; in Folge eines seltsamen Versehens aber hat sie sich in letzter Zeit mehr damit befaßt, den Leuten ihr Gold zu nehmen, als ihnen zu geben. Es freut mich, zu finden, daß man diesen Irrthum endlich entdeckt hat, und namentlich bin ich froh, daß ein so unwürdiger, armer Mensch wie ich bin, unter die Ersten gehört, welche die Kirche zu einem Werkzeuge ihrer neuen Absichten machen will.«

Der Abt wußte sich augenscheinlich in den Charakter seines Agenten nicht recht zu finden; da er aber selbst ein Mann von weltlicher Gesinnung war, so rechnete er mit ziemlicher Zuversicht auf den Einfluß eines Vermittlers, dessen Macht stillschweigend von allen feilen Seelen anerkannt wird. Er nahm daher gleich einem Manne, der keine weitere Heimlichthuerei für nöthig hielt, seinen Sitz wieder ein und ging unverhohlen auf den wahren Zweck der gegenwärtigen Zusammenkunft über.

»Du hast uns von dem Schlosse Hartenburg etwas mitzutheilen, guter Gottlob.«

»Wenn es Euer Hochwürden genehm ist, mich anzuhören.«

»Fahre fort – kannst Du uns etwas über die Streitmacht sagen, die Emich in der Veste versammelt hat?«

»Mein Herr Abt, es ist nicht leicht, einen Haufen Spitzbuben zu zählen, die von dem Augenblicke an, wann die Sonne die Thürme Eurer Abtei berührt, bis zu dem, da sie hinter dem Teufelsstein untergeht, umherstolpern.«

»Bist Du nicht verständig genug, sie in Abtheilungen zu trennen und letztere dann gesondert zu zählen?«

»Hochwürdiger Abt, dieser Versuch hat fehlgeschlagen. Ich theilte sie in Betrunkene und Nüchterne; aber so wahr ich lebe, sie wollten mir nicht beiderseits so lange in dem gleichen Zustande verharren, bis ich die in den Dachstübchen und den Soutterains ausgejagt hatte. Während der Eine seinen Rausch ausschlief, goß der andere Becher um Becher hinunter, so daß sich die Betrunkenen so schnell wieder rekrutirten als ihre Zahl sich minderte. Es wäre weit leichter, die Politik des Kaisers zu erforschen, als Graf Emichs Reisige zu zählen.«

»So sind's ihrer also sehr viele?«

»Ja und nein, je nachdem man einen Soldatenhaufen abschätzen mag. Bei dem Anzapfen eines Fasses würde Churfürst Friedrich einen gewaltigen Haufen in ihnen finden, selbst wenn es einen Angriff gegen sein Heidelberger Faß gälte; indeß zweifle ich doch, ob er sie in dem Kriege, von dem er bedrängt wird, sonderlich in Rechnung nehmen könnte.«

»Fahre fort – Du bist für den Dienst, welchen Du übernommen hast, zu unbestimmt in Deinem Berichte. Oder gib das Gold wieder zurück, wenn Du nicht antworten magst.«

»Hochwürdiger Abt, vergeßt doch nicht die Gefahr, der ich mich in diesem verzweifelten Unternehmen bereits unterzogen habe, und bedenkt, daß die Kleinigkeit, welche Ihr mir so freigebig bescheertet, bereits mehr als verdient ist durch die Gefährdung meiner Ohren – des großen Verlusts an Reputation und der Gewissensbisse gar nicht zu gedenken.«

»Der Kerl hat Dich zum Besten gehabt, Vater Siegfried,« bemerkte der Abt im Tone des Vorwurfs gegen den Mönch. »Er wagt es sogar, sich über unsre Person und unser Amt lustig zu machen.«

»Wir sind im Besitze der Mittel, ihm Achtung einzuflößen, und können ihm ebenso gut die eingegangene Verbindlichkeit wieder in's Gedächtniß rufen.«

»Du hast Recht, wir wollen Gebrauch davon machen doch halt!«

Während dieser kurzen Zwiesprache zwischen den Benedictinern hatte Pater Siegfried eine Schnur berührt und ein Laienbruder von gewaltigem Körperbau zeigte sich in der Thüre. Auf ein Zeichen, das ihm der Mönch ertheilte, packte der Mann den nicht widerstehenden Gottlob am Arme und wollte ihn eben aus dem Zimmer führen, als ihm die letzten Worte des Abts und ein abermaliges Zeichen von Seiten des Pater Siegfried Halt geboten.

Bonifacius unterstützte seinen Kopf mit der Hand und dachte lange über die Räthlichkeit des Schrittes nach, den er zu thun im Begriffe war. Die Beziehungen zwischen der Abtei und dem Schlosse hatten sich in einer Weise gestaltet, die es fast eben so gefährlich machte, zurückzutreten, als fortzuschreiten. Die Einkerkerung eines gräflichen Vasallen konnte den offenen Bruch schnell herbeiführen, und doch beraubte sich das Kloster, wenn man Gottlob abziehen ließ, aller Mittel, um die wichtige Auskunft zu erhalten, um deren willen sich der Abt in einem Augenblicke, in welchem so wenig wahre Freundschaft unter den Zechgenossen herrschte, zu der bereits geschilderten Schlemmerei hatte verleiten lassen. Emichs Vorsicht hatte jedoch diesen wohl angelegten Plan vereitelt, und das Resultat des Versuches war zu kostspielig gewesen, um zu einer Wiederholung desselben zu reizen. Auch war es gewagt, Gottlob nach der Hartenburg zurückkehren zu lassen, denn die feindselige Gesinnung und die Erwartungen der Abtei waren vor dem Kuhhirten so unverhohlen enthüllt worden, daß man mit Sicherheit darauf zählen konnte, er werde das Vorgefallene berichten. Es war außerdem wünschenswerth, einen Anschein von Vertraulichkeit beizubehalten, wie wenig man sie auch fühlen mochte, da der Mönch wohl wußte, nach der eigentlichen Freundschaft sey zunächst wenigstens die Maske derselben von großer Wichtigkeit, um den gewöhnlichen Auskunftsmitteln einer offenen Feindseligkeit vorzubeugen. In Heidelberg waren Agenten thätig, um den Churfürsten für einen Punkt zu gewinnen, der für das Wohl des Klosters hohe Bedeutung hatte, und man mußte Allem aufbieten, Emich von einem offenen Akte der Gewaltthat abzuhalten, bis das Ergebniß dieser Sendung bekannt war. Mit einem Worte, die beiden kleinen Mächte befanden sich genau in derselben Lage, in welche sich schon größere politische Gemeinschaften verstrickt sahen: sie erfaßten instinctartig den widerstreitenden Charakter ihrer beiderseitigen Interessen, und suchten dennoch die Lösung des Knotens hinauszuschieben, weil noch keine Partie darauf vorbereitet war, sich voll über Alles auszusprechen, was sie wünschte, beabsichtigte und zu erringen hoffte. Mittlerweile bargen die beiden gerüsteten Mächte, wenn nicht gelegentlich ein Ausbruch der natürlichen Gefühle stattfand, ihre Pläne unter der Maske jener Höflichkeit, welche in der Politik von der Welt Bonhommie genannt wird, vielleicht aber besser die freimüthigere Bezeichnung ›Arglist‹ verdiente.

Der Abt war an dergleichen politische Betrachtungen gewohnt, so daß die berührten Rücksichten in kürzerer Zeit an seinem Geiste vorüberzogen, als wir zu Aufzählung derselben gebraucht haben. Indeß war die Pause dennoch ersprießlich gewesen, denn als er das Gespräch wieder aufnahm, redete er wie ein Mann, dessen Entscheidung die Frucht des Nachdenkens ist.

»Um Deines Seelenheils willen wirst Du noch ein wenig bei uns verweilen, Gottlob,« sagte er mit einer Geberde, welche von seinen Untergebenen wohl verstanden wurde.

»Tausend Dank, menschenfreundlicher und gottseliger Abt. Nächst dem zeitlichen Wohle meines Leibes liegt mir nichts so sehr am Herzen, als der künftige Zustand meiner armen Seele, und Eure gnadenreichen Worte gereichen mir daher zu großem Troste. Freilich ist's nur die Seele eines armen Tropfs, aber da ich nur diese eine habe, so muß ich gebührende Sorge für sie tragen.«

»Eine heilsame Zucht wird Dir wohl zu Statten kommen. Brüder, führt diesen Büßer nach der Zelle.«

Die auffallende Gleichgiltigkeit, mit welcher Gottlob sein Urtheil anhörte, wäre wohl geeignet gewesen, dem Abt Anlaß zur Betrachtung zu geben, wenn ihn nicht andere Gedanken zu sehr in Anspruch genommen hätten. So aber folgte der Bauer dem Laienbruder, ohne Widerspruch zu erheben, da er im Gegentheil die Miene eines Mannes annahm, welcher sich durch die besondere Aufmerksamkeit geehrt fühlte, die ihm von Seiten des Klosters zu Theil wurde. – Sein Aeußeres erschien überhaupt, als sie die Richtung nach dem düsteren Gange einschlugen, so natürlich und ruhig, daß Pater Siegfried zu glauben begann, er habe sich in Gottlob an einen Menschen gewendet, der zwar mitunter Augenblicke eigenthümlicher Verschmitztheit habe, in Wirklichkeit aber oft mehr als gewöhnlicher Geistssarmuth unterworfen sey. Der Mönch führte den Kuhhirten in eine Zelle, deutete auf ein Crucifix, in welchem das einzige Möbelwerk bestand, und entfernte sich, ohne daß er es für nöthig hielt, auch nur die Thüre abzuschließen.



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