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Achtzehntes Kapitel.

»Mein theures Gift, so nenne deinen Grund!«

Dreikönigsnacht.

 

Es ist kaum nöthig, zu erklären, daß der Mann, welcher Ulrika und Ilse nach dem Thore von Dürkheim begleitet hatte, Heinrich Frey gewesen war. Kaum hatte er seine Gattin aus dem Gesichte verloren und die kurze Besprechung mit der Wachmannschaft abgethan, als er nach jenem Stadttheile eilte, welcher dem Eingang in's Jägerthal am nächsten lag. Hier fand er eine Rotte von hundert Mann versammelt, die wegen ihres Muthes und ihrer körperlichen Stärke aus der Bürgerschaft ausgelesen worden waren. Ihre Ausrüstung bestand nach der Sitte der Zeit aus Angriffswaffen, wie sie der Gewohnheit und Erfahrung der Einzelnen zusagten, und wir können noch beifügen, daß jeder gute Ehemann, bevor er bei dem gegenwärtigen Anlasse auszog, für passend gehalten hatte, sein Herzgespann zu Rath zu ziehen, weßhalb denn auch außergewöhnlich viele Sturmhauben, Brustharnische und Rückenstücke sichtbar waren.

Nachdem sich der Bürgermeister, dem es keineswegs an Muth gebrach, von der Bereitwilligkeit und Stärke seines Gefolges überzeugt hatte, ertheilte er Befehl, das Ausfallthörchen zu öffnen und trat, selbst der Erste, ins Feld hinaus. Die Städtler folgten unter tiefem Schweigen in der ihnen zugewiesenen Ordnung. Statt aber die Richtung unmittelbar nach dem Thale einzuschlagen, überschritt Heinrich Frey vermittelst einer kleinen Brücke den Bach und ging auf einem Fußpfade weiter, der ihn an die Steige des am weitsten auf dieser Seite des Thales vorspringenden Berges führte. Der Leser begreift wohl, daß diese Bewegung die Rotte an den Berg brachte, welcher demjenigen, auf welchem die Heidenmauer stand, gegenüber lag. Zu der Zeit, von welcher unsre Erzählung spricht, wuchsen auf den beiden Anhöhen Zedern, und die Städter gewannen dadurch natürlich den Vortheil, gegen jede Beobachtung gedeckt zu seyn. Um dieses Manöver mit gehöriger Behutsamkeit und in aller Stille auszuführen, war etwa eine halbe Stunde erforderlich; sobald sie aber diese Stellung gewonnen hatten, glaubte augenscheinlich die ganze Rotte gegen jede Gefahr einer Entdeckung gesichert zu seyn. Die Bewaffneten setzten ihren Marsch ordnungsloser und geräuschvoller fort, während sogar ihre Führer sich in Gespräche einzulassen begannen. Die Unterhaltung blieb jedoch immerhin behutsam, als seyen sie sich bewußt, daß sie sich mit einem gefahrvollen Unternehmen trügen.

»Man sagt, Nachbar Dietrich,« begann der Bürgermeister gegen einem stämmigen Schmied, der bei gegenwärtigem Anlasse als Lieutenant des Oberbefehlshabers mitzog, eine Ehre, die er hauptsächlich der Kraft seines Armes verdankte und die ihm zugleich die Dreistigkeit einflößte, ganz nahe an Heinrich Freys Seite zu rücken – »man sagt, Nachbar Dietrich, diese Benedictiner seyen wie die Bienen, welche nur zur Zeit des Ueberflusses ausziehen und selten ohne reiche Ausbeute nach ihrem Stocke zurückkehren. Du bist ein denkender und ehrsamer Bürger, der sich nicht durch die oberflächlichen Meinungen müßiger Leute anfechten läßt, – ein Mann, der seine Rechte oder – was das Gleiche ist – seine Interessen kennt und daher wohl einsieht, wie nothwendig es ist, alle unsre ehrwürdigen Gesetze und Bräuche zu erhalten – wenigstens wenn sich's um Dinge handelt, welche auf die bleibende Wohlfahrt derer Bezug haben, die ein Recht daran haben, daß es ihnen wohl ergehe. Ich meine hier nicht jene Halunken, die so zu sagen weder dem Himmel noch der Erde angehören, weil sie von Beiden zu dem Elend obdachloser und nichtsnutziger Spitzbuben verdammt sind, sondern wohlhabende Männer, die, gleich Dir und Deinem Gewerke, Alles bei Heller und Pfennig bezahlen, Bett und Tisch haben und sich auch anderweitig durch ihre Brauchbarkeit und ihre natürlichen Berechtigungen auszeichnen. – Und dies bringt mich eben zu einem Punkte: ich will nämlich nicht mehr und nicht weniger sagen, als daß Gott alle Menschen gleich geschaffen hat und wir daher eben so sehr berechtigt als verpflichtet sind, dafür zu sorgen, daß unserer guten Stadt kein Unrecht geschieht, namentlich nicht in jenen Theilen ihrer Interessen, die vorzugsweise auf die wohlhabenden Einwohner Bezug haben. Habe ich da ein vernünftiges Wort gesprochen oder täusche ich mich und Dich, Freund Schmied?«

Heinrich Frey stand, namentlich unter seiner eigenen Parthei um seiner Beredtsamkeit und guten Logik willen im besten Geruch, und seine Berufung erging in dem gegenwärtigen Falle an einen Mann, der nicht gemeint war, ihm irgend eine Ehre zu verweigern. Dietrich war einer jener materiellen Philosophen, die vorzugsweise von der Natur ausgestattet zu seyn scheinen, um einem Parlamentsredner Vorschub zu leisten, denn er besaß ein sehr kräftiges Organ und nicht sonderlich viel Einsicht, um etwa die Thätigkeit desselben in Verwirrung zu bringen. Sein Kopf besaß genau jene Hohlheit, welche erforderlich ist, um ein gutes politisches oder moralisches Echo hervorzubringen, besonders wenn sich's um einen unwahren Satz handelt; denn die geringste Erweiterung seiner Fähigkeiten hätte auf seine Antworten dieselbe Wirkung üben müssen, die bekanntlich das Schallbrett hervorbringt, indem es die Wiederholungen der Stimme unmöglich macht.

»Beim heiligen Benedict, Meister Heinrich,« entgegnete er – »denn es ist wohl erlaubt, den heiligen anzurufen, obschon wir nicht viel auf seine Mönche halten – es wäre gut, wenn Churfürst Friedrich weniger Wein in seinen Fässern zu Heidelberg und mehr von Eurer Weisheit in seinem Rathe hätte! Was Ihr eben ausgesprochen habt, ist nichts Anderes, als was ich schon seit vielen Jahren immer selbst gedacht habe, obschon ich nie im Stande bin, einen Gedanken zu einer so polirten und schneidenden Rede zu hämmern, wie die von Euer Gestrengen! Sie sollen mir's abläugnen, was ich sage, und zu ihrer Wehr greifen, – ich will mich dann auf meinen Schmiedehammer berufen, als auf ein Beweisstück, dem nichts entgegenzusetzen ist. Wie Ihr sagt, wir müssen dafür sorgen, daß gemeiner Stadt Recht widerfährt, und mehr ist nicht vonnöthen, sintemal zwischen allen Menschen diese Gleichheit stattfindet, wie Ihr eben so richtig bemerkt habt.«

»Ja, siehst Du, guter Dietrich, dieses Stück von der Gleichheit wird zwar viel besprochen, aber nur wenig verstanden; leihe mir daher für einige Minuten Dein Ohr, und Du sollst Einsicht kriegen in das, was hier Rechtens ist. Wir in den kleinen Städten sind mit all den Eigenthümlichkeiten und Bedürfnissen derer geboren, die in Hauptstädten wohnen, und sollen wir nicht unsre Privilegien brauchen? Sind wir nicht Menschen, denen die Lust zum Athmen unentbehrlich ist? Ich glaube, Du kannst diesen Wahrheiten nichts entgegenhalten.«

»Wer dieß thun wollte, müßte nur wenig besser als ein Esel seyn.«

»Die Sache steht also fest, und es bleibt nichts übrig, als die daraus entspringenden Folgerungen aufzuzeigen. Uns, die wir dieselben Rechte haben, wie die größten Städte im Reich, muß auch gestattet seyn, von denselben Gebrauch zu machen, denn sonst ist die Sprache wenig besser, als ein Sohn, und ein städtisches Vorrecht nicht mehr werth, als der Eid eines Leibeigenen.«

»Dieß ist so einleuchtend, daß ich mich wunderte, wenn es einer in Abrede ziehen wollte. Und wie steht's mit den Dorfschaften, Herr Bürgermeister? Glaubt Ihr, sie werden uns in dieser heiligen Sache Beistand leisten?«

»Ich will nichts von den Dorfschaften wissen, guter Schmied, denn sie haben weder Bürgermeister, noch Bürger, und von welchem Belang ist auch ein Widerstand, wo so wenig vorhanden ist, um sich einer Sache anzunehmen? Ich habe hauptsächlich uns selbst und die bemittelten Städte im Auge, und der Fall ist so klar, daß es handgreifliche Dummheit wäre, ihn mit einem andern zu verwechseln. Wer das Recht auf seiner Seite hat, wäre ein Narr, wenn er einen Bund einginge mit Genossenschaften, deren Freibriefe von bedenklicher Natur stud. Freilich haben Alle ihre natürlichen heiligen Rechte, aber doch sind diejenigen die besten, die durch den Besitz von Reichthum und Macht am klarsten in die Augen springen.«

»Wenn Ihr mich auch nur so viel liebt, wie ein Haar, gestrenger Heinrich, so thut mir den Gefallen, mir eine einzige Gunst zu erweisen.«

»Sprich Deinen Wunsch aus, Schmied.«

»Erlaubt mir, hievon mit den Bürgern zu reden – eine solche Weisheit und so einleuchtende Schlüsse sollten nicht im Wind verfliegen.«

»Du weißt, daß es mir nicht um eiteln Beifall zu thun ist –«

»Bei den Gebeinen meines Vaters, ich will dabei mit aller Rücksicht zu Werk gehen, hochedler Bürgermeister, und die Sache nicht wie eine eitle Rede tractiren. Euer Gestrengen weiß ja, welcher Unterschied stattfindet zwischen einem bloßen Straßenplauderer und einem ordentlichen Gewerbsmann.«

»Halte es, wie Du willst; aber bemerken muß ich Dir, daß ich mir das Verdienst der Originalität nicht anmaße. Es gibt viele gute bemittelte Bürger und auch einige Staatsmänner, die in derselben Weise denken.«

»Es ist ein Glück, daß Gott nicht Einen begabt hat wie den Andern, sonst hätten wir eine gar weit greifende, unvernünftige Gleichheit, und Mancher würde zu Ehrenstellen gelangen, die er nicht zu tragen im Stande ist. Aber da Euer Gestrengen die so gar vortrefflichen Beweggründe so klar auseinandergesetzt hat, so werdet Ihr Euch vielleicht herablassen, den Marsch durch Anwendung ihrer Wahrheit auf die Unternehmung, zu der wir ausziehen, zu erleichtern?«

»Von Herzen gerne, denn kein Thurm in der Pfalz fällt mehr in die Augen. Hier ist Limburg und dort Dürkheim – zwei Gemeinschaften, die in Interessen und Hoffnungen so zu sagen Nebenbuhler sind und deßhalb nothwendigermaßen kein Verlangen tragen, sich gegenseitig einen Gefallen zu erweisen. Die Natur, diese große Lehrmeisterin in allen Fragen des Rechtes und des Unrechtes sagt, Dürkheim solle Limburg nicht schädigen, und Limburg solle Dürkheim nichts zu Leide thun. – Ist Dir dies klar?«

»Himmel! so klar wie die Funken einer Esse, hochedler Bürgermeister.«

»Da nun feststeht, Keines solle sich in die Angelegenheiten des Andern mengen, so folgen wir der Nothwendigkeit und ziehen bewaffnet aus, um Limburg zu hindern, daß es sich nicht gegen einen Grundsatz vergehe, den alle billig denkenden Menschen für unverletzlich anerkennen müssen. Du bemerkst die Feinheit des Punktes: wir geben zu, das, was wir thun, sei schwach in seiner Begründung, aber um so stärker muß es in der Ausführung seyn. Wir sind keine Narren, uns wegen Erreichung unsrer Zwecke einen Grundsatz umzustoßen; indeß müssen doch Alle auf ihre Interessen Acht haben, und wir führen unser Handeln mit stetem Vorbehalt der Lehre aus.«

»Dieß nimmt mir einen Berg von der Seele!« rief der Schmied, welcher mit der Angelegentlichkeit einer ehrlichen Absicht zugehört hatte. »Nichts kann gerechter seyn, und wehe dem, der widerspricht, so lange mein Rücken einen Panzer trägt!«

So erleichterten sich Heinrich und sein Lieutenant den Weg mit spitzfindigen Reden und Beweisführungen, die uns, wir wissen es wohl, den Vorwurf eines Plagiats zuziehen könnten, wenn wir nicht im Stande wären, ihre Aechtheit mit der Autorität des so oft genannten Christian Kinzel zu verbürgen.

Der hohen und uneigennützigen Einsicht, welche sich in Ordnung weltlicher Interessen thätig erweist, ist schon so oft an anderen Orten und bei verschiedenen Anlässen Erwähnung gethan worden, daß es völlig nutzlos seyn dürfte, sich hier weiter darüber zu verbreiten. Wir haben bereits gesagt, daß Heinrich Frey ein standhafter Freund des conservativen Princips war, das, wenn es zur praktischen Anwendung kommt, nicht viel mehr ausdrücken will, als –

»Wer Macht hat, der gewinne –
Behalte, wer da kann.«

Die Gerechtigkeit hat, wie die Freisinnigkeit, ihre großen Vorbehalte, und vielleicht gibt es bei der gegenwärtigen Ausbildung der menschlichen Species nur wenige Länder, in denen nicht täglich irgend ein Stückchen von Heinrichs verwickelter Philosophie in derselben nachdrücklichen, klaren und unwiderstehlichen Begründung zur Verwirklichung käme.

Die Richtung, in welcher sich die Dürkheimer Rotte fortbewegte, führte – zwar auf gewundenem Wege, aber doch sicher – nach der Seite des Thals, auf welcher das Schloß Hartenburg stand. Heinrich ließ jedoch sein Gefolge Halt machen, lange ehe sie den Umweg zurückgelegt hatten, der sie nach Graf Emichs Veste geführt haben würde. Der Platz, den er zur Musterung seiner Leute wählte, lag ungefähr halbwegs zwischen Dürkheim und dem Schlosse auf einer Linie, die sich den Einbuchtungen und Abwechslungen des Gebirges anschmiegte. Die Mannschaft war durch die Schatten der Bäume eines hier sich öffnenden Wäldchens wirksam verborgen. Sie nahmen hier Erfrischungen ein, denn die guten Städter waren Uebungen von so tröstlicher Natur in hohem Grade zugethan, und der Anlaß hätte doppelt so dringlich seyn müssen, um ihnen den Appetit zu benehmen.

»Siehst Du nichts von unseren Verbündeten, ehrlicher Schmied?« fragte Heinrich Frey seinen Lieutenant, der eine kurze Strecke vorausgeschickt worden war, um an dem Abhange des Bergs zu recognosciren. »Es wäre ungebührlich von Leuten, die so gut einexercirt sind wie unsre Freunde, wenn sie im Falle der Noth nicht zur Hand wären.«

»Zweifelt nicht an ihnen, Meister Heinrich. Ich kenne die Spitzbuben wohl; sie zögern nur, um ihre Tornister in derselben Weise, wie wir, zu erleichtern. Seht Ihr, wie ruhig die Benedictiner thun, gestrenger Bürgermeister?«

»Das gehört zu ihrer gewöhnlichen geistlichen Heuchelei, wackerer Dietrich, aber wir wollen ihnen schon die Wämser ausziehen. Aus unserer Unternehmung kann nur Gutes hervorgehen, denn wahrlich, bei einem solchen Geiste auf unserer Seite, der für ewige Zeiten beweisen soll, wie nothwendig es ist, sich nicht in die Angelegenheiten eines Nachbars einzumengen – werden alle Ungewißheiten zwischen uns ins Gleiche kommen. Bei den heiligen drei Königen von Köln, sollen wir's uns gefallen lassen, daß diese Kuttenträger einem ehrsamen Bürgervolk bis zum Tage des Gerichts die Augen verkleben? – Ist dort nicht Licht in der Abteikirche?«

»Die hochwürdigen Väter ziehen mit Gebet gegen ihre Feinde zu Feld. Glaubt Ihr, gestrenger Herr Bürgermeister, die Geschichte von der Art, wie jene schweren Steine den Limburger Berg heraufgeschleppt worden, habe durch's oftmalige Erzählen nicht kleine Zusätze erlitten?«

»Kann wohl seyn, Dietrich; denn nichts, es müßte denn feuchter Schnee seyn, nimmt durch wiederholtes Rollen mehr zu, als eine derartige Geschichte.«

»Und das Gold,« entgegnete der Schmied in einer Weise kichernd, welche seinem Oberen nicht mißfallen konnte, denn seine Bemerkung zielte augenfällig auf die gute Meinung ab, die er von dem Erfolge des Bürgermeisters in Anhäufung von Geld unterhielt – ein Bild, stets gar angenehm für diejenigen, welche in einem derartigen Auskommen den Hauptzweck des Lebens sehen. »Gold, das man gut umherrollen läßt, vermehrt sich wunderbar! Ich bin ganz Eurer Meinung, Meister Heinrich, denn offen gesprochen, es scheint mir zweifelhaft, ob der böse Geist sich mit einer so leichten Sache befaßt haben würde, wie das Hinauftragen des kleineren Materials zu Fuße gewesen wäre. Was die schweren Säulen, die behauenen Ecksteine und andere schwere Lasten betrifft, so kann man hier an eine Wahrscheinlichkeit glauben, weil es nicht so gar unter seiner Würde gewesen wäre. Diesem Theil der Sage habe ich nie widersprochen, weil ihr doch die Möglichkeit zur Seite steht, aber – – ah! da kommt der Succurs.«

Die Annäherung eines Soldatenhaufens, der aus der Richtung der Hartenburg kam und sich stets in dem Schatten des Gebirgs hielt, nahm nun alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Dieser zweite Trupp war dreimal so stark, als die Städter, in gleicher Weise bewaffnet und zeigte, wie die letzteren, alle Merkmale kriegerischer Vorbereitungen. Er machte in einiger Entfernung von Heinrichs Rotte Halt, als erscheine es nicht räthlich, die beiden Haufen zu einem einzigen zu vereinigen, und dann näherte sich ein Kriegsmann der Stelle, wo der Bürgermeister seinen Posten genommen hatte. Der Ankömmling war nur leicht bewaffnet; er trug eine Pickelhaube, einen Harnisch und sein Schwerdt in der Scheide.

»Wer führt die Dürkheimer?« fragte er, als er nahe genug war, um seiner Stimme vertrauen zu können.

»Ihr armer Bürgermeister in Person; ich wünschte, daß ein Besserer an seiner Stelle stände.«

»Willkommen, gestrenger Herr,« versetzte der Andere, sich mit mehr als gewöhnlicher Achtung verbeugend. »Ich meinerseits stehe an der Spitze von Graf Emichs Leuten.«

»Wie ist Dein Name, wackerer Hauptmann?«

»Er ist nur wenig würdig, mit dem Eurigen in eine Classe gesetzt zu werden, Herr Frey; aber wie es einmal steht, mag ich ihn nicht verläugnen. Ich bin Berchthold Hintermayer.«

»Hum – ein junger Anführer in einer so wichtigen Unternehmung! – Ich hatte gehofft, Dein Gebieter werde mir die Ehre seiner Gesellschaft erweisen.«

»Ich bin beauftragt, Euer Gestrengen die Sache auseinanderzusetzen.«

Berchthold ging sodann mit dem Bürgermeister bei Seite, während Dietrich vorschritt, um die verbündete Streitmacht näher zu mustern.

Den meisten unserer Leser ist wohl bekannt, daß zu der Zeit, von welcher wir schreiben, jeder Ritter von Bedeutung mehr oder weniger Untergebene hatte, welche, da sie auf die näher verpflichteten Lehensleute früherer Jahrhunderte folgten, eine Art Mittelstellung zwischen Dienern und Soldaten einnahmen. Eine Tagreise von Paris steht am Rande eines königlichen Forsts, der in einigen seiner Züge einem amerikanischen Wald weit ähnlicher ist, als irgend etwas, was ich auf der anderen Hemisphäre gesehen habe – die edle Ruine Pierrefont, bekannt als der frühere Sitz eines jener kriegerischen Edlen, welche sogar in einer viel späteren Periode, als die unserer Geschichte ist, den Vasallen des Königs vielen und namhaften Schaden zufügten. Mit einem Wort, die europäische Gesellschaft war eben damals in einem Zustande des Uebergangs begriffen, indem sie die Bande des Feudalismus abzuschütteln oder doch wenigstens den Kampf zu eröffnen begann, um ihnen eine neue und weniger lästige Gestalt zu geben. Die Grafen von Leiningen waren übrigens durch ihre politische Bedeutsamkeit in vollem Maaße berechtigt, ein Gefolge zu führen, das weniger angesehene Ritter eben aufzugeben begannen, und die Folge davon war, daß alle ihre Schlösser viel von dem losen Anhange zählten, der inzwischen durch die regelmäßigen, gut exercirten Truppen unserer Zeit verdrängt worden ist.

Der Schmied fand in dem Haufen, den Berchthold herbeigeführt hatte, viel zu loben und auch manches zu tadeln. So weit rücksichtslose Verwegenheit und Mißachtung aller moralischen Schranken in Frage kam, konnte man sich nicht wohl ein besseres Kriegsvolk wünschen: denn mehr als die Hälfte des Haufens lebte von Vergehungen gegen die Gesellschaft und behauptete auf der Stufenleiter der Gesittung genau dieselbe Stelle, welche die Schwämme im Pflanzenreich oder die Finnen in der physischen Organisation des Menschen einnehmen. Was jedoch Muskel- und Sehnenkraft betraf – ein besonders wichtiger Punkt, nach welchem der Schmied den Werth eines jeden Kriegsmannes anschlug – so standen die Gräflichen im Allgemeinen den Städtern weit nach, da bei letzteren eine geordnete Lebensweise und einträglicher, regelmäßiger Gewerbsfleiß die Materie zur vollen Entwickelung gebracht hatte. Allerdings befand sich unter den Hartenburger Reisigen auch ein Häuflein Bauern aus dem Gebirg, oder Einwohner des Dörfleins unter dem Schlosse, und von diesen, obgleich ihre Haltung weniger drohend und ihre Rede nicht so dreist war, hegte Dietrich die Ansicht, daß ihnen nur die Dürkheimer Kriegszucht abgehe, um sie zu eigentlichen Helden zu bilden.

Als Heinrich und Berchthold nach ihrem Privatgespräche zu ihren Rotten zurückkehrten, war jede Spur von Unzufriedenheit aus der Stirne des Ersteren entschwunden, und beide schickten sich an, die nöthigen Verfügungen zu Sicherung des Erfolges ihrer gemeinschaftlichen Unternehmung zu treffen. Das Gehölz, in welchem sie Halt gemacht hatten, lag dem inneren Ausläufer des Abteiberges, von dem sie nur durch eine breite, vollkommen ebene Wiese getrennt waren, gerade gegenüber, und obgleich die Entfernung nur gering war, so erschien es doch als möglich, daß die Annäherung der gewappneten Haufen von den Schildwachen entdeckt werden könnte, die ohne Zweifel das Kriegsvolk, welches den Mönchen von dem Churfürsten geborgt worden war, schon nur seiner eigenen Sicherheit willen ausgestellt hatte. Limburg war kein befestigter Platz und verdankte seine Unangefochtenheit nur der moralischen Gewalt, welche die Kirche, der es angehörte, noch immer übte, obschon sie in diesem Theile Deutschlands bereits sehr Noth gelitten hatte; aber die Mauern waren hoch und stark, die Thürme zahlreich, die Gebäude massiv und Alles so eingerichtet, daß ein Soldatenhaufen, der im Innern zu tapferem Widerstand entschlossen war, recht wohl eine Streitmacht bestehen konnte, wie die war, welche jetzt heranzog.

Alles dies entging Heinrich Frey nicht, denn er hatte bereits den Mittag des Lebens überschritten und sich in den Stürmen und Zwistigkeiten seines wild bewegten Zeitalters, in denen er sich stets als Mann von Muth zeigte – reichliche Erfahrungen über die zweckmäßige Vertheidigung eines Platzes gewonnen. Er ließ daher seine Blicke mit größerer Angelegentlichkeit umherschweifen, um sich zu überzeugen, auf wen er bauen könne, und die edle, ruhige Haltung Berchthold Hintermayers gab ihm jene Art von Befriedigung, welche der Tapfere stets fühlt, wenn er im Augenblicke der Gefahr verwandte Geister in seiner Nähe weiß. Sobald die nöthigen Verfügungen getroffen waren, rückten die Streiter in bedächtiger Ordnung vor, denn sie wußten wohl, daß es Athem kosten werde, die steile Höhe hinanzusteigen.

Vielleicht ist der Scharfsinn des Menschen nie thätiger als in Augenblicken, in welchem ihm sein Gewissen ein schweres Unrecht vorwirft und er sich deßhalb mit dem fieberischen Verlangen trägt, seine Worte oder Handlungen sowohl vor sich selbst, als vor Andern zu rechtfertigen. Eine tiefe Ueberzeugung von der Wahrheit und das unverfängliche Bewußtseyn, im Rechte zu stehen, umgibt den Geist mit einer hohen moralischen Würde, die es verschmäht, sich zu einer Rechtfertigung herabzulassen, während derjenige, welcher von einem Streite, in dem ihn sein Inneres gegen die eigenen Beweisgründe mißtrauisch macht, zu übereilten und allgemeinen Betheurungen übergeht – eher Gewissensbisse, als Muth an den Tag legt und ebendadurch der Sache Abtrag thut, die er stützen möchte. Eine dünkelhafte Anmaßung von Kenntnissen, besonders in Dingen, die uns Gewohnheit und Erziehung eher nicht zu begreifen, als zu begreifen lehrten, kann nur zu Widerspruch und Entlarvung führen, und obgleich Umstände dazu helfen mögen, einen Irrthum für den Augenblick zu unterstützen, so bleibt doch der Sieg der Wahrheit ebenso wenig aus, als die nothwendig darauf folgende, bittere Zurechtweisung. Zum Glücke leben wir in einem Zeitalter, in welchem keine Sophistik lange unenthüllt, keine Sünde an der natürlichen Gerechtigkeit unbestraft bleiben kann. Es liegt wenig daran, wo das Unrecht gegen die Wahrheit begangen worden seyn mag – auf dem Throne oder im Kabinet, im Senat oder vermittelst der Presse – jedenfalls wird die Gesellschaft Rache nehmen für die Bethörung, der man sie unterworfen hat, und ihr Endurtheil stützt sich dann auf die öffentliche Meinung, welche nachhaltig bleibt, wenn die scheinbaren Triumphe des Truges längst vergessen sind. Es wäre gut, wenn Alle diejenigen, welche unter rücksichtsloser Mißachtung der Folgen ihre Stellung mißbrauchen, um einen augenblicklichen Zweck zu erreichen, sich öfters dieser Thatsache erinnerten, denn sie würden sich dadurch manche Kränkung und in einigen Fällen die Schande ersparen, welche unabweislich den treffen muß, der im Ringen nach einem Ziele von dem Rechte abgeht.

Heinrich Frey setzte ein großes Mißtrauen in die Gesetzlichkeit der Unternehmung, bei welcher er sich betheiligt hatte, denn die Verantwortlichkeit des Rathes sowohl als der Ausführung traf ihn, nicht seine Begleiter. Er haschte daher in seinem Innern nach Gründen zur Rechtfertigung dessen, was er that, und während er mit Berchthold und dem Schmied langsam über die Wiesen hinging, ließ er seine Gedanken folgendermaßen laut werden:

»Es kann keinerlei Zweifel unterworfen seyn, Meister Hintermayer, daß wir in unserm dermaligen Schritte gegen Limburg nur nach Recht und Nothwendigkeit handeln,« sagte er: denn in allen zweifelhaften Fällen steigert sich die äußere Zuversichtlichkeit genau in dem Verhältnisse des Mißtrauens, das man in die Rechtmäßigkeit einer Sache setzt – »warum wären wir sonst hier? Soll Limburg immer und ewig das Thal und die Ebene mit seinen verwünschten, habgierigen Erpressungen belästigen – sind wir Sklaven, die sich von glatzköpfigen Mönchen mit Füßen treten lassen müssen?«

»Es gibt in der That genügende Gründe für Das, was wir thun, Herr Bürgermeister,« antwortete Berchthold, dessen Geist sich stark dem neuen Wechsel in den religiösen Meinungen zuneigte, welcher in jener Zeit mehr und mehr um sich griff. »Wo so gute Motive vorhanden sind, brauchen wir uns nicht nach weiteren umzusehen.«

»Nicht doch, junger Mann; ich bin überzeugt, der ehrliche Schmied hier wird sagen, kein Nagel, den er in einen Huf schlägt, könne allzu gut vernietet seyn.«

»Dieß unterliegt gar keiner Frage, Meister Berchthold,« ließ sich Dietrich vernehmen; »folglich muß Seine Gestrengen in der ganzen Begründung Recht haben.«

»Meinetwegen; ich werde gewiß nicht widersprechen, wenn von der Nothwendigkeit die Rede ist, ein Nest voll Drohnen aufzuheben.«

»Ich nenne sie nicht Drohnen, junger Berchthold, und komme auch nicht, um sie aufzuheben; denn meine Absicht geht einfach dahin, der Welt zu zeigen, daß Derjenige, welcher sich in Dürkheims Angelegenheiten mischen will, einen Merks nöthig hat, der ihn lehre, seinen Fuß von den Gründen eines Nachbars fern zu halten.«

»Dieß ist heilsam und wird unsere Stadt sehr zu Ehren bringen!« entgegnete der Schmied. »Nur Schade, daß wir nicht die gleiche Sache auch dem Churfürsten zu kosten geben können, der in letzter Zeit neue Ansprüche an den gewerbsamen Bürger erhoben hat.«

»Mit dem Churfürsten ist nicht viel anzufangen, denn sein Eingreifen ist zu gewaltig, als daß unsere Mannhaftigkeit ausreichen könnte, um das Recht der Nichteinmengung zu behaupten. Dergleichen kitzliche Rechtsfragen lassen sich nicht an der Esse erfassen und bedürfen eines gar feinen Verstandes, um klar gemacht zu werden; aber klar sind sie – für Alle, welche das Vermögen haben, sie zu begreifen. Freilich ist es mehr als wahrscheinlich, Dietrich, daß sie Dir nicht so ganz einleuchten; aber säßest Du einmal im Magistrat, so würdest Du die Sache bald mit ganz andern Augen ansehen.«

»Ich setze keinen Zweifel darein, Herr Bürgermeister, nicht den geringsten Zweifel. Ah! wenn einmal eine solche Ehre auf einen Mann meines Namens und meiner Erziehung herniederstiege – Himmel! der wohlweise Magistrat sollte in mir einen Mann finden, der vollkommen bereit wäre, an jede derartige Spitzfindigkeit – überhaupt an Spitzfindigkeiten aller Art zu glauben.«

»Ha – ich sehe Licht an jenem Spalte dort!« rief Berchthold, »eine gute Vorbedeutung.«

»Hast Du einen Freund im Kloster?«

»Bst, Herr Bürgermeister – es handelt sich dabei um Excommunikation. Jedenfalls bin ich sehr froh, das Licht an jenem Spalt zu sehen.«

»Alles soll sich mäuschenstille verhalten,« flüsterte Heinrich seinen Hintermännern zu, die den Befehl weiter gehen ließen. »Wir kommen näher.«

Der Trupp war nun am Fuße des Klosterbergs angelangt, und nirgends ließ sich ein Zeichen blicken, daß ihre Annäherung bemerkt worden wäre, wenn man nicht etwa eine einzelne Kerze, die vor einem Kerkerloch brannte, dafür nehmen wollte. Im Gegentheil herrschte durch das ganze Kloster dieselbe Stille, welche wir bereits bei Ulrikas Ankunft geschildert haben. Aber weder dem Bürgermeister noch seinem Gefährten wollte dieses unheimliche Schweigen gefallen, da es, wenn es zur Sache kam, auf eine weit ernstlichere Gegenwehr hindeuten konnte. Ein offener Widerstand wäre ihnen weit lieber gewesen, und nichts würde die Gemüther der beiden Führer mehr erleichtert haben, als wenn sie unter einer scharfen Salve von Seiten der churfürstlichen Arkebusiere hätten zum Sturm kommandiren können. Dieser Trost blieb ihnen übrigens versagt und der ganze Haufen gelangte nach einem Punkte des Berges unter einem vorspringenden Thurme, wo jedes weitere Versteckthalten aufgegeben und eine rasche Schwenkung nach dem Wege hin gemacht werden mußte. Das Geräusch dieses Manövers hatte zu der ersten Störung in der Kapelle Anlaß gegeben; die zweite Unterbrechung aber rührte von den rauheren Tönen des Angriffs selbst her, welcher unmittelbar nachher gegen das äußere Thor geübt wurde.



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