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Achtes Kapitel.

»Und Psalmgesänge drangen durch das Gitter
Der Gallerie, höchst heilig, engelgleich,
Die Verse wechselnd in andächt'gem Chore.«

Rogers.

 

Der folgende Tag war ein Sonntag, und der Morgen wurde dem Landvolke im Jägerthal durch den gewöhnlichen Ruf zur Andacht angekündigt. Die Aveglocke erscholl von dem Thurme der Abteikirche, noch ehe das Licht den Grund des tiefen Thales erreichte, und wo die Töne an die Ohren der frommen Gläubigen schlugen, knieten sie nieder in gemeinsamen Lob- und Dankgebeten. Doch mit dem Vorrücken des Morgens wurde in dem Hochamte eine erhebendere Schaustellung des römischen Cultus vorbereitet – eine Ceremonie, die eben so sehr auf das Gefühl, als auf die Sinne berechnet ist.

Die Sonne hatte sich über die Berge erhoben, und die Jahreszeit war verführerisch mild. Das Zugvieh, welches an diesem Tage seiner Wochenmühe entbunden war, sonnte sich an den Bergabhängen, in zufriedenem Wiederkäuen des Futters sich der ruhigen Behaglichkeit seines Instinktes hingebend. Kinder spielten vor den Thüren der Bauernhütten; der Landmann schlenderte in der Tracht, welche schon seit vielen Generationen in den Hardt-Gegenden üblich war, auf dem Felde umher, um den Wuchs seiner Erndten zu betrachten, und die Bäuerinnen eilten in der Aufregung ihrer einfachen, häuslichen Freude geschäftig von einem Platze zum andern. Der Monat war der lieblichste unter den zwölfen und reich an frohen Hoffnungen. Das Gras hatte seine Höhe erreicht und breitete sich üppig aus, die Aehren füllten sich und die Rebstöcke entwickelten ihre Blüthentrauben.

Mitten in dieser Scene ländlicher Ruhe rief vom Kloster aus tiefes Glockengetön die gläubige Heerde nach der gewohnten Hürde. Lange Uebung hatte die Mönche von Limburg wohl eingeweiht in alle die Obliegenheiten, welche für die irdische Verwaltung ihres Amts erforderlich waren. Selbst das Geläute war gut und regelmäßig gestimmt. Melancholisch folgten sich die Akkorde, und auf Stunden hin war nirgends ein stilles Thal zu finden, in das nicht der feierliche Ruf gedrungen wäre. Auch von Dürkheim her und von der weiten, jenseits gelegenen Ebene ließ sich der Ton der Glocken vernehmen; aber keine von den metallenen Stimmen hob sich voller in die Luft, oder schlug so süß und wehmüthig ans Ohr, als diejenigen, welche von den Thürmen der Abtei herunter sprachen.

Dem Aufgebote gehorsam strömten sämmtliche Thalbewohner dem Kloster zu. Ein Häuflein tauchte auch in der Richtung der Schlucht auf, denn Aberglaube, Andacht oder Neugierde versäumten bei solchen Gelegenheiten nie, große Massen anzulocken, welche in der berühmten Klosterkapelle der Messe anwohnen wollten. Man fand darunter den Zweifler, wie den Gläubigen, den Jüngling, wie den Greis, das Mädchen wie die Matrone, die ihr alterndes Gesicht mit dem Schleier zu beschatten für räthlich gehalten hatte, den Müßiggänger, den halbbekehrten Jünger Luthers und den Musikfreund. Gewöhnlich pflegte nach Abhaltung des Hochamts einer der Mönche zu predigen, und Limburg besaß viele Redner, die sich gut auf die Spitzfindigkeiten jener Periode verstanden und theilweise auch im verdienten Rufe der Beredsamkeit standen.

Mit einer Gewandtheit und Koketterie, die sich in die meisten, auf unser Gefühl berechneten menschlichen Anschläge mischen, namentlich wenn man es nicht für räthlich hält, sich allzusehr der nackten Vernunft zu vertrauen, wurde das Glockengeläute sehr lange fortgesetzt, um desto größere Wirkung zu üben. Gruppe um Gruppe langte an und der Hof der Abtei füllte sich langsam, bis eine hinreichend zahlreiche Gemeinde versammelt war, um sogar in unseren Tagen die Eigenliebe eines Kirchengestirns zu befriedigen. Unter den verschiedenen Würdenträgern, welche sich eingefunden hatten, fanden viele ernste Begrüßungen Statt, denn von allen, welche mit Höflichkeit ihre Mütze abnehmen, ist vielleicht der Deutsche der pünktlichste und achtungsvollste. Da auch die Frommen und Neugierigen der Nachbarstadt in dieser Versammlung zureichend vertreten waren, so fehlte es nicht an einer belehrenden Schaustellung der Ehrenbezeugungen, welche man dem Rang und der Würde schuldig ist. Wäre ein Herold zugegen gewesen, um die verschiedenen Huldigungsabstufungen zu beobachten, welche man den löblichen Obrigkeiten, vom Bürgermeister bis zum Büttel herunter, zollte, so hätte er aus der sich vor ihm entfaltenden Scene manche nützlichen Winke entnehmen können. Unter den verschiedenen müßigen und übel verdauten Bemerkungen, welche man an das amerikanische Volk und seine Institutionen verschwendet, ergeht man sich namentlich gerne in dem Scherz, über den Werth, den wir auf amtliche Würden legten, zu spotten; wer sich aber in seiner Heimath sowohl, als in der Fremde mit beobachtendem Geiste umgesehen hat, wird wohl unzähligemal zu bemerken Gelegenheit gehabt haben, daß die meisten sogenannten Charakterschilderungen der Art ihren Ursprung blos auf seichte Anschuldigungen gründen und die Frucht einer engherzigen Beurtheilung sind. Des Beamte, der im buchstäblichen Sinne nur ein Diener des Volks ist, kann sich doch nie, wie auch sein Charakter beschaffen seyn mag, über seine Gebieter erheben, und obschon man das Verlangen nach Auszeichnung als einen ehrenhaften und löblichen Ehrgeiz bezeichnen muß, so brauchen wir doch blos einen Blick auf die Institutionen selbst zu werfen, um uns zu überzeugen, daß hierin, wie in den meisten anderweitigen Verhältnissen keine sonderliche Aehnlichkeit zwischen uns und den europäischen Nationen stattfindet. Die Bemerkung entsprang wahrscheinlich aus dem einfachen Grunde, daß man unter uns Achtung vor obrigkeitlichem Ansehen fand und nicht auf die Anarchie traf, die man erwartete oder möglicher Weise auch wünschte.

Bei dem Hochamte zu Limburg bot man mehr Umstände auf, um dem Vorstand des nächsten Dorfs seinen Plan in der Kirche anzuweisen, als bei uns, wenn das Haupt der amerikanischen Republik in sein Amt eingesetzt wird; auch trug ein Angehöriger des Klosters gebührend Sorge dafür, daß sich Niemand dem Altare des Herrn der Welt näherte, ohne daß demselben die Achtung bezeugt wurde, die er kraft seines zeitlichen Ranges anzusprechen hatte. Hier, wo alle in dem Tempel erscheinen, wie sie es einst in den Gräbern müssen – gleich abhängig von dem göttlichen Beistande, wie gleich an Gebrechlichkeit, läßt sich am wenigsten die kühne Sophistik begreifen, welche Reue und Demuth mit der Zunge lehrt, in der Wirklichkeit aber dem Stolze und der Anmaßung Vorschub leistet – eine Sophistik, die, wenn man ihr Gründe für ein solches Benehmen abfordert, die Beschuldigung der Inconsequenz mit dem Gegenvorwurfe des Neides erwiedert!

Schon bei dem Erscheinen einiger Dürkheimer Rathsherrn fand eine gebührende Schaustellung von Förmlichkeiten Statt; die auszeichnendsten Achtungsbeweise blieben jedoch einem Bürger vorbehalten, der nicht eher durch das Portal eintrat, als bis sich das Volk bereits im Innern der Kirche gesammelt hatte. Dieser, ein Mann, dessen Haare zu ergrauen begannen, und dessen kräftige Gestalt auf gute Gesundheit und ein gemächliches Leben hindeuteten, war zu Pferde angelangt, denn zu der Zeit, von welcher wir schreiben, führte ein Zügelpfad bis an das Portal von Limburg. Seine Begleitung bestand aus einer Frauensperson, die seine Gattin zu seyn schien und auf einem zierlichen Zelter ritt. Auf der Kruppe des letzteren saß eine Alte, die sich mit der nachlässigen Vertraulichkeit eines Lieblingsdienstboten, aber doch wie eine Person, die an einen derartigen Sitz nicht gewöhnt ist, an ihrer Gebieterin festhielt, während ein blondhaariges rosiges Mädchen das Sattelkissen des Vaters einnahm und ein Diener in einer Art amtlicher Livree die Cavalkade schloß.

Mehrere von den wohlhabenderen Bürgern Dürkheims eilten herzu, um die kleine Gesellschaft zu empfangen, denn die Personen, die sich so unerwartet bei dem Hochamt in Limburg eingestellt hatten, waren der Bürgermeister Heinrich Frey, seine Tochter Meta, ihre Mutter und die alte Ilse. Der vornehme Bürger wurde nach jenem Theile der Kirche oder Kapelle geführt, wo besondere Stühle für die gelegentlichen Besuche benachbarter Würdenträger oder Adeliger, welche der Zufall oder ihre Andacht nach den Altären der Abtei führen mochte – angebracht waren.

Heinrich Frey war ein stämmiger, gesunder, starrköpfiger, derber Bürger, in welchem das Wohlwollen durch den Reichthum ein wenig abgekühlt worden war, obschon er, wenn er den Verlockungen seines Amtes und dem steten Rückblick auf seine glänzende Laufbahn hätte entgehen können, wahrscheinlich als ein bescheidener, menschenfreundlicher Mann durch's Leben gewandelt wäre. Mit einem Worte, er war in verjüngtem Maßstabe eines von den Pröbchen des Uebertrittes aus den Reihen der Menschheit zu dem auserlesenen Corps der Glücklichen, dergleichen wir so häufig unter der Klasse der Begüterten treffen. Als Jüngling war er nicht ohne Mitgefühl für die Leiden und Bedrängnisse der Unglücklichen gewesen; aber die Verheirathung mit einer kleinen Erbin und sein späteres Aufkommen im Leben hatten allmählig eine Gesinnung in ihm erzeugt, die mehr im Einklange mit seinem persönlichen Interesse, als mit einer philosophischen oder christlichen Weltanschauung stand. Er glaubte steif und fest an den Grundsatz, daß nur der Reiche zureichenden Antheil an dem Wohl der Gesellschaft nehme, um mit der Leitung derselben betraut werden zu können, obschon ihm sein eigenes Gefühl die Sophistik dieses Satzes hätte enthüllen können, sintemal er selbst täglich zwischen den entgegengesetztesten Principien hin und her schwankte, je nachdem sie gerade seine eigenen Angelegenheiten berührten oder nicht. Heinrich Frey war gegen den Bettler ebenso freigebig, wie gegen den Fleißigen; wenn sich's aber darum handelte, in dem Loose des einen oder des andern eine ernstliche Verbesserung einzuführen, so schüttelte er in der geheimnißvollen Weise eines gründlichen Politikers den Kopf und ließ wohlweise Bemerkungen über die Grundlagen der Gesellschaft, die nur im System der Erhaltung des Bestehenden zu finden seyen, laut werden. Kurz, er lebte in einer Periode, in welcher Deutschland, überhaupt die ganze Christenheit, zu sehr durch eine Frage in Anspruch genommen wurde, die nicht nur seine bedeutende Umwandlung in den bisherigen Religionsformen, sondern auch den Umsturz verschiedener anderer hergebrachter Interessen in Aussicht stellte, und man konnte ihn, so weit sein Wirkungskreis reichte, das Haupt der conservativen Partei nennen. Diese Eigenschaften, in Vereinigung mit seinem bekannten Reichthum, der Ruf hoher Rechtschaffenheit, welcher sich auf den Glauben gründete, daß er im Stande sey, ein allenfallsiges pekuniäres Unrecht wieder gut zu machen, ein starrsinniges Festhalten an seinen Ansichten, welches von der großen Masse als die Beharrlichkeit eines biedern Charakters betrachtet wurde, und eine entschiedene Furchtlosigkeit in seinen Entscheidungen allen denen gegenüber, welche nicht die Mittel besaßen, seine Beschlüsse anzufechten – hatten ihn zu dem Ehrenposten eines ersten Bürgermeisters von Dürkheim erhoben.

Wäre das Gesicht ein sicherer Spiegel der geistigen Eigenschaften, so hätte der Physiognom wohl in Verlegenheit kommen können, sich die Beweggründe zu enträthseln, welche Ulrika Hailtzinger – nicht blos das schönste, sondern auch das reichste Mädchen der Stadt veranlassen mochten, sich mit dem eben geschilderten Mann ehelich zu verbinden. Ein sanftes, melancholisches, blaues Auge, welches trotz des zurückgelegten vierzigsten Lebensjahres seinen Glanz behauptete, ein edleres Profil, als in ihrer Heimath gewöhnlich zu finden war, und ein Ebenmaß des Armes und des Oberleibes, das andrerseits bei den eingeborenen Deutschen häufig genug vorkömmt – alles dies legte noch zureichendes Zeugniß ab von der Schönheit, durch welche sie sich in ihrem früheren Leben ausgezeichnet haben mußte. Zu diesen augenfälligen und gewöhnlicheren Anziehungspunkten kam noch ein Ausdruck weiblichen Zartgefühls und Verstandes, einer edlen Sinnesart und sogar eines mysteriösen inneren Lebens, wodurch Heinrich Freys Ehegemahl für den aufmerksamen Naturbeobachter zu einer lieblichen Studie wurde, mit der man sich nur beschäftigen konnte, um den Gegenstand selbst zu lieben.

Was das Aeußere betraf, so war Meta ein treues Ebenbild ihrer Mutter, obschon auch die kräftigere Gesundheit und der weniger in sich gekehrte Sinn ihres Vaters auf sie übergegangen waren. Ihr Charakter wird sich im Laufe unserer Erzählung noch weiter enthüllen. Die alte Ilse müssen wir übrigens der Einbildungskraft des Lesers anheim geben, der sich wahrscheinlich den Schlag von Dienstboten, den sie repräsentirt, leicht wird vergegenwärtigen können.

Als Herr Heinrich Frey von seinem gewohnten Platze in der Nähe des Hochaltars Besitz nahm, lief es nicht ohne einige, bei dem Erscheinen von Leuten seines Standes übliche Aufregung unter den einfachen Bewohnern des Jägerthals und den anwesenden müßigen Dürkheimern ab. Aber sogar die Stadtwichtigkeit kann nicht immer in dem Hause Gottes die Oberhand behaupten, und als das Geräusch sich allmählig legte, trat die Erwartung an die Stelle des bürgerlichen Respektes. Die Abtei Limburg nahm unter den Klöstern am Rhein sowohl um ihrer inneren Ausstattung willen, als wegen ihres Reichthums und ihrer Gastlichkeit einen hohen Rang ein. Die Kapelle wurde mit Recht als ein seltenes Muster mönchischen Geschmacks betrachtet und ermangelte nicht jenes Zierraths, welcher die schöneren katholischen Kirchen so eindrucksvoll für die Sinne und so angenehm für die Bewunderer eines feierlichen Effekts macht. Das Gebäude war groß und hatte den düstern Charakter, der zu jener Zeit und in jener Gegend so allgemein beliebt wurde. Im Innern befanden sich viele, reich mit Marmor und Gemälden dekorirte Altäre, deren jeder durch die ganze Pfalz wegen der gnadenbringenden Fürbitte des besonderen heiligen, welchem er geweiht war, im Rufe stand und eine Menge von Votiv-Tafeln, die von den Hülfesuchenden oder den dankbaren Gehörten hier aufgehangen wurden, zur Schau trug. Die Wände und die Kuppel waren al fresco gemalt – allerdings nicht von Raphaels oder Buonarottis Pinsel, aber doch recht ordentlich und in einer Weise, daß die Schönheit des Platzes dadurch erhöht wurde. Der Chor bestand aus haut relief-Schnitzwerk, in dem Charakter ausgeführt, der in den mittleren Staaten Europa's sowohl, als in Italien sehr beliebt war und die kunstreichste Pflege fand; auch sah man auf ihren Fittigen ganze Schaaren von Cherubim an der Orgel, den Altären, und den Grabmälern ruhen. Letztere waren besonders zahlreich und bekundeten durch ihre Pracht, daß eben die Leichen derer, welche im Glücke der Welt geschwelgt hatten, jetzt innerhalb der heiligen Mauern schlummerten.

Endlich ging eine Thüre, die mit den Kreuzgängen in Verbindung stand, auf und die Mönche kamen in Prozession herein. An ihrer Spitze befand sich der Abt, der die Inful trug und mit den prachtvollen Gewändern seines kirchlichen Amtes geschmückt war. Zwei Priester im Meßornate folgten ihm, und dann kamen paarweise die Conventualen und Fratres. Die ganze Prozession bewegte sich in feierlichem Schweigen durch die Gänge und trat, nachdem sie fast die ganze Kirche durchwandelt und an mehreren der gefeiertsten Altären Gebete dargebracht hatte, in den Chor. Vater Bonifacius nahm auf seinem Thronsessel Platz, und die übrigen Mönche ließen sich in den glänzenden Stühlen nieder, welche für derartige Gelegenheiten bestimmt waren. Während des Umgangs der Ordensmänner spielte die Orgel eine sanfte Begleitung, deren letzte Akkorde an dem gewölbten Dache verhallten, sobald die Procession zu Ende war. In diesem Augenblicke ließ sich der Hufschlag von Pferden vernehmen – ein Getöse, welches die erschrockenen und unruhigen Priester bewog, ihren gottesdienstlichen Verrichtungen Einhalt zu thun. Zunächst folgte Stahl-Geklirr und dann der schwere Tritt bewaffneter Fersen, die auf das Pflaster der Kirche stampften.

Emich von Hartenburg kam mit der festen Stirne eines Mannes, der auf seine Macht vertraut und Ehrfurcht zu fordern berechtigt ist, den Hauptgang herauf. Er war von seinen Gästen, dem Rhodiser Ritter und Monsieur Latouche begleitet, während sich der junge Berchthold Hintermayer gleich einem Manne, der an nahen Dienst gewöhnt ist, an seine Seite hielt. Ein kleines Häuflein unbewaffneter Reisiger bildete den Nachtrab. Im Chore selbst und in der Nähe des Hochaltars befand sich ein Ehrenstuhl zum Gebrauche von Fürsten und Adeligen hohen Rangs. Der Graf ging durch das Gedränge, welches sich vor dem Chorgitter gesammelt hatte, bog nach einem der Seitengänge und befand sich bald Angesicht in Angesicht dem Abte gegenüber. Dieser erhob sich und machte eine leichte Verbeugung gegen seinen Gast, während die übrige Brüderschaft das Beispiel ihres Oberhaupts, obschon mit größerer Achtung nachahmte; denn wie bereits bemerkt wurde, war es üblich, sogar im Tempel weltlichem Range Huldigung zu zollen. Emich setzte sich mit finsterer Miene nieder, und seine beiden adeligen Begleiter fanden in der Nähe Ehrenplätze, während Berchthold in kurzer Entfernung von seinem Herrn stehen blieb.

Auch der geübteste Blick hätte in Wilhelm von Venloos Aeußerem keine Spur der kürzlich erlittenen Niederlage entdecken können. Seine Muskeln hatten bereits wieder den gewohnten Ton angenommen, und sein ganzes Gesicht verrieth nur die ernste Würde des Kirchenfürsten, eine Eigenschaft, die sich deutlicher an ihm aussprach, als die Merkmale eines entsagenden, beschaulichen Lebens. Er warf dem Sieger einen Blick zu und benahm sich sodann durch ein geheimes Zeichen mit einem Laienbruder. In diesem Augenblicke begann die Messe.

Von allen Nationen der Christenheit steht die der amerikanischen Union, sofern die Anzahl in Frage kommt, mit der römischen Kirche am allerwenigsten in Verbindung. Der eigenthümlich religiöse Ursprung des Volkes, der Umstand, daß es an Prüfung und an geistige Unabhängigkeit gewöhnt ist, desgleichen seine Vorurtheile (denn der Protestant ist von diesen Gebrechen ebenso wenig frei als der Katholik) werden es auch wahrscheinlich noch lange fern von jeder kirchlichen oder staatlichen Politik halten, welche Glauben ohne Forschung, oder Gehorsam ohne das Recht der Gegenrede fordert. Die Hinsicht ist zwar auf der andern Hemisphäre emsig ausgestreut worden, als werde in dieser Beziehung von thätigen Agenten auf eine rasche Umwandlung hingearbeitet, und eine mächtige Partei verspricht sich große kirchliche und politische Umwandelungen aus der Rückkehr der amerikanischen Nation zu den Ansichten ihrer Vorfahren im Mittelalter. Wäre dies übrigens auch der Fall, so würden wir uns darum wenig Sorge machen, weil wir das Heil nicht für das ausschließliche Eigenthum irgend einer Sekte halten, und wenn wir Befürchtungen über die Folgen einer derartigen Umwandlung hegten, so entsprängen sie gewiß nicht aus der zufälligen Anhäufung von Einwanderern in größeren Städten oder bei den öffentlichen Arbeiten, mit denen Amerika so thatkräftig beschäftigt ist. Jedenfalls aber glauben wir mit Zuversichtlichkeit behaupten zu dürfen, daß auf einen einzigen geborenen Protestanten, der in Amerika katholisch wird, zehn katholische Einwanderer kommen, welche ruhig in die Reihen der vorherrschenden Sekten treten. Ohne uns indeß mit der Frage aufzuhalten, wer bei einem solchen Wechsel gewinnen oder verlieren dürfte, wollen wir einfach in unserer Schilderung der Meßceremonien fortfahren, da vielleicht neun und neunzig unter Hunderten unserer amerikanischen Leser nie Gelegenheit gehabt haben und auch nie haben werden, einer derartigen Feierlichkeit anzuwohnen.

Wohl noch über keine zu dem Gefühl des Menschen sprechende Erscheinung sind sich die Ansichten so entschieden gegenüber getreten, als bei der Beurtheilung des katholischen Rituals. Der einen Klasse von Christen kömmt der Ceremoniendienst als eitle Mummerei vor, die nur blenden soll und auf nicht zu rechtfertigende Zwecke hinarbeitet, während er in den Augen Anderer das Erhabendste und Ansprechendste, was die menschliche Gottesverehrung bieten kann, umfaßt. Wie es gewöhnlich in den meisten Fällen vollkommener Meinungsverschiedenheit zu gehen pflegt, so dürfte die Wahrheit wohl auch hier in der Mitte liegen. Der eifrige Katholik ist im Irrthum befangen, wenn er sämmtliche Diener des Altars für untrüglich erklärt, oder die nachlässige, unehrerbietige Weise übersieht, in welcher so oft die heiligsten Verrichtungen geübt werden, während dagegen der Protestant, welcher einen Tempel des katholischen Cultus verläßt, ohne die tiefe und erhebende Andacht des Ritus zu bemerken, nothwendig seine Gefühle gegen Alles gestählt haben muß, was zu Gunsten einer Kirche spricht, die er gerne ächten möchte. Wir gehören weder zu der einen, noch zu der andern dieser beiden Klassen, und wollen daher versuchen, die Dinge zu schildern, wie wir sie gesehen haben, ohne auch nur eine einzige Regung darum zu bemänteln oder zu erkünsteln, weil unsere Väter zufälligerweise nach dieser westlichen Welt ihre Zuflucht genommen haben, um Altäre von einer andern Glaubensschattirung zu errichten.

Das Innere der Abteikirche von Limburg war, wie bereits angegeben wurde, um seiner Pracht willen durch ganz Deutschland berühmt. Das gewölbte Dach wurde von vielen Säulen getragen und war von den besten Malern des Landes mit Darstellungen biblischer Scenen decorirt worden. Der Hochaltar bestand aus reich mit Achat ausgelegtem Marmor und hatte als Gemälde ein schönes Bild der gebenedeiten Jungfrau und ihres göttlichen Kindes. Ein reich vergoldetes und kunstreich gearbeitetes Gitter schloß den Ungeweihten von dieser heiligen Stätte ab, die, außer ihrem gewöhnlichen Zugehör, jetzt mit Gefässen von Gold und kostbaren Steinen für die beginnende Feier der Messe verziert war. Die Opferpriester trugen steife Gewänder mit Goldbrokat, während die untergeordneteren Gehülfen wie gewöhnlich weiß gekleidet waren und purpurne Schärpen überhängen hatten.

Während dieser Scene des ausgesuchtesten und prachtvollsten Glanzes, in welchem die edle Architektur sich mit den kleineren Vorbereitungen zum Gottesdienste verband, um den Geist zu heiligender Betrachtung zu erheben, sprachen die Accorde der Orgel und der Gesang der Mönche tief und ergreifend an die Seele. Durch die Uebung eines ganzen Lebens hatten es die Ordensleute zu so hoher Virtuosität gebracht, daß kaum eine Note unter den Gewölben laut wurde, welche nicht die gewünschte Wirkung übte. Posaunen, Fagotte und Violinen halfen mit, um die feierliche Melodie der kräftigen Männerstimmen zu heben, welche sich so innig mit den Orgeltönen mengten, daß sie nur wie eine tiefe, großartige, feierliche Lobhymne klangen. Graf Emich drehte sich auf seinem Sitze und umfaßte mit der Hand den Griff seines Schwerdtes, als klänge der Schall der kriegerischen Trompete in seinen Ohren; dann begegnete sein unruhiger Blick dem des Abtes, und er ließ das Kinn auf die Hand niedersinken. Im Verlaufe des Gottesdienstes schien sich der Eifer der Mönche zu erhöhen, und man sprach noch lange davon, daß keine Messe in Limburg so einen so gewaltigen und aufregenden Einfluß geübt habe, als die bei der genannten Gelegenheit, obschon die Musik des Klosters stets in gutem Rufe stand. Eine Stimme übertönte die andere in einer Weise, die man mitanhören mußte, um sie zu verstehen, und es gab Augenblicke, in welchen die volle, vereinigte Musik der Instrumente in dem Zusammenwirken von hundert menschlichen Kehlen erstickt zu werden schien. Einer der tiefsten dieser feierlichen Accorde ging mit einemmale in eine Weise über, bei deren erstem Tone alle übrige Musik verstummte. Es war eine einzelne Stimme von einer Verschmelzung männlicher und weiblicher Töne, die fast übernatürlich zu seyn schien – ein Contra-Alt von großem Umfang und der lieblichsten Rundung. Graf Emich war betroffen, denn die Himmelsklänge, welche so plötzlich an sein Ohr schlugen, schienen in dem Gewölbe über dem Chor zu schwimmen – eine Täuschung, der er sich während des ganzen Solos nicht entschlagen konnte, da der Sänger verborgen stand. Er ließ seinen Schwerdtgriff los und blickte, zum erstenmale diesen Morgen, mit einem Ausdrucke menschlichen Wohlwollens umher. Die Lippen des jungen Berchtholds öffneten sich voll Bewunderung, und da er zu gleicher Zeit dem blauen Auge Metas begegnete, lauschte das Pärchen gegenseitig in stillen, heimlichen Blicken die süßesten Gefühle des Innern aus. Mittlerweile nahm der Gesang seinen Fortgang. Die einzelne überirdische Stimme, welche die Gemüther der Zuhörer so sehr aufgeregt hatte, verstummte, und ein voller Männerchor schloß die Hymne.

Der Graf von Leiningen athmete so tief auf, daß Bonifacius es hörte. Die Züge des Letztern milderten sich ein wenig, und wie bei jenem jugendlichen Paare, schien der Geist der Eintracht die Gemüther der beiden trotzigen Nebenbuhler zu sänftigen. Jetzt begann das Hochamt; die rasche Aussprache des Opferpriesters jedoch, Bewegungen, die durch ihre Unbestimmtheit an Bedeutung verloren, und Gebete in einer Sprache, die ihres Zweckes verfehlte, weil sie den Gedanken unverständlich machte, statt ihn edel und klar zu entwickeln – alles dieß vereinigte sich, um die Wirkung der Musik zu schwächen. Die Gottesverehrung verliert ihren erhebenden Charakter, wenn man sie zu einer Sache des Geschäfts macht, die weder die Einbildungskraft anzieht, noch auf die Gefühle Einfluß übt, während sie zugleich die Vernunft nicht gehörig überzeugt; indem man daher alle die Mittel aufgab, welche auf das Gemüth einwirken sollten, überließ man zuviel dem nackten Dogma eines abgegrenzten Glaubens.

Emich von Hartenburg nahm allmählig seine abstoßende Miene wieder an, und die Wirkung alles dessen, was er eben erst empfunden, verlor sich in kalter Gleichgültigkeit gegen das ihm unverständliche Latein. Sogar der junge Berchthold suchte Metas Auge weniger sehnsüchtig, und die beiden Begleiter des Grafen, der Johanniter und Monsieur Latouche blickten theilnahmlos nach dem Gedränge hinter dem Chorgitter. In dieser Weise begann und endigte das Hochamt. Es wurde nun abermals ein Hymnus gesungen, aber die Musik übte nicht mehr den ergreifenden Eindruck einer ersten Ueberraschung.

An einer Säule, nahezu im Mittelpunkt der Kirche, war die Kanzel angebracht. Nach dem Schlusse der Messe erhob sich ein Mönch aus seinem Stuhle, ging durch das Gedränge und stieg die Kanzeltreppen hinan. Der Prediger war Pater Johann, ein Bruder, der wegen seines Glaubenseifers und seiner strengen Ansichten im Rufe stand. Die niedrige, zurücktretende Stirne, die ruhigen, gläsernen Augen und die Starrheit seiner untern Gesichtszüge würden einen Physiognomen schnell überzeugt haben, daß er hier einen beschränkten Schwärmer vor sich sehe. Die Sprache und die Ansichten des Predigers traten nicht in Widerspruch mit den Erwartungen, welche seine Außenseite weckte. Er schilderte in starker, unheilverkündender Rede die Gefahren des Sünders, schmälerte die Hürde der Begnadigten mit zweifelhaften metaphysischen Begränzungen, und suchte häufig auf die Furcht oder andere, weniger edle Leidenschaften seiner Zuhörer einzuwirken. Während die größere Anzahl der Kirchenbesucher sich fern hielt und nur gleichgültig zuhörte, oder die Grabmähler und die übrigen reichen Verzierungen betrachtete, schaarte sich ein Häuflein verwandter Geister um die Säule, welche der Kanzel als Stützpunkt diente, und legte seine Theilnahme an den Schilderungen von Noth und Verlassenheit, die der Prediger vortrug, an den Tag.

Die scharfe, zürnende und Verdammniß ankündigende Rede des Pater Johann war bald zu Ende, und sobald er wieder in den Chor eingetreten war, stand der Abt auf, um sich in Begleitung der meisten Ordensmitglieder nach den Kreuzgängen zurückzuziehen. Aber weder der Graf von Hartenburg noch jemand aus seinem Gefolge schien die Kirche schon so bald verlassen zu wollen, und ein Ausdruck der Erwartung hielt auch die Meisten von denen, die sich im Kirchenschiffe befanden, zurück. Ein Mönch, auf den sich viele verlangende Augen hefteten, gab dem allgemeinen rührenden Ausruf Folge, verließ seinen Stuhl, der einen Ehrenposten bezeichnete, und nahm auf der Kanzel die Stelle des abgetretenen Pater Johann ein.

Kaum war dies geschehen, als ein Gemurmel unter dem Volke den Namen des Pater Arnolph, des Priors oder des unmittelbaren geistlichen Vorstandes der Gemeinde, durch die Kirche trug. Emich stand auf und trat, von seinen Freunden begleitet, in die Nähe der Kanzel, während die dichte Masse erhobener aufmerksamer Gesichter, welche den mittleren Gang füllten, die gespannte Aufmerksamkeit der Versammlung bekundete. In dem Antlitze des Pater Arnolph lag ein Ausdruck, welcher diese einfache Aeußerung von Theilnahme wohl zu rechtfertigen im Stande war. Sein Auge strahlte Milde und Wohlwollen, seine Stirne war weit, ruhig und eben, und in seinem ganzen Gesichte spiegelte sich herzengewinnende Menschenliebe. Der Eindruck, den diese ansprechende Erscheinung übte, wurde noch erhöht durch das unverkennbare Gepräge strenger Zucht eines denkenden Geistes und demüthiger Hoffnung.

Die geistliche Seite eines solchen Mannes konnte das Aeußere desselben nicht wohl Lügen strafen. Seine Lehre war wie die des göttlichen Wesens, welchem er diente, voll Erbarmen und Liebe. Er sprach zwar auch von den Schrecken des Gerichts, aber nicht in drohender Weise, sondern vielmehr im Gefühle des Schmerzes, und wenn er von den überzeugenden und anziehenden Eigenschaften des Glaubens sprach, entwickelte sich seine Beredsamkeit am feurigsten. Abermals fühlte Emich seine geheimen Absichten erschüttert, und das Düster seiner Stirne ging in den milden Strahl des Wohlwollens und der Theilnahme über. Das Auge des Predigers begegnete dem des finstern Grafen, und nun fuhr der Mönch, ohne in seinem Benehmen einen beunruhigenden Wechsel eintreten zu lassen, gleichsam wie in einem natürlichen Gange der Gedanken fort: – »So ist die Kirche in ihrer Reinheit, meine Zuhörer, wie ganz anders sie sich auch in Folge menschlicher Irrthümer, Leidenschaften oder böslicher Absichten dem oberflächlicheren Blicke darstellen mag. Der Glaube, den ich euch lehre, geht von Gott aus und trägt die heiligen Eigenschaften seines göttlichen Wesens in sich. Wer die Sünden einer mißverstandenen Ausübung desselben etwas Anderem beimißt, als den irrenden Geschöpfen, verfolgt mit seinem Hasse das, was zu seinem eigenen Besten gestiftet wurde, und wer Gewalt üben will an den Altären des Höchsten, erhebt seine Hand gegen ein Werk der Allmacht!«

Diese Worte klangen noch in den Ohren Emichs von Hartenburg, als er sich abwandte und gedankenvoll durch die Kirche hinausging.



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