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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Gott prüfet Herz und Nieren
Vor seinem Angesicht
Ist selbst der Menschen Bester
Frei von Gebrechen nicht.
Der einzig Sündenreine,
Der Andrer Schuld nur büßt,
Der ist der Sohn des Menschen,
Der Heiland Jesus Christ.

Nach Chatterton.

 

Sobald Alle angelangt waren, theilten sich die Pilger längs des Pfades, indem der eine vor dieser, der andere vor jener Kapelle niederkniete. Ulrika und Lottchen, denen sich die blasse Meta anschloß, beteten der Reihe nach lange vor jedem Stationshäuschen, und die übrigen Frauenspersonen ahmten ihr Beispiel nach, obschon an ihnen bei weitem nicht derselbe Eifer und Ernst zu bemerken war. Der Ritter von Rhodus und Monsieur Latouche beschränkten ihre Andacht auf einige Kniebeugungen und häufiges rasches Bekreuzen, da sie zu glauben schienen, ihr halb geistlicher Stand berge schon vornweg eine Kraft in sich, welche sie der Nothwendigkeit aller weiteren Frömmigkeitsäußerungen überhebe. Heinrich und der Schmied nahmen es genauer mit Bezeugung ihrer Achtung vor den vorgeschriebenen Formen, denn Letzterer, welcher für den Bußakt im Geheimen von seinen Mitbürgern bezahlt war, hielt sich schon Ehrenhalber für verpflichtet, für das bezogene Geld etwas zu leisten, während der Bürgermeister, abgesehen von den großen zeitlichen Vortheilen, die er sich von der ganzen Sache versprach, mit väterlicher Rücksicht auf sein Dürkheim Bedacht nahm. Ilse benahm sich am allerpünktlichsten und sorgte dafür, daß ihr Eifer gehörig in die Augen fiel.

»Hast Du auch daran gedacht, Dietrich, ein Extrawörtlein für's allgemeine Beste mit einfließen zu lassen?« fragte Heinrich, während er vor der letzten Station geduldig die Entfernung der Andern erwartete, um den Platz selbst einzunehmen.

»Nein, gestrenger Herr Bürgermeister – «

»Bruder Pilger, mein guter Schmied.«

»Nein, gestrenger Herr Bruder und guter Pilger, in der Uebereinkunft war von einem derartigen Dienste nicht die Rede.«

»Himmel, bist Du ein solcher Hund, Dietrich, daß man Dich bestechen muß, wenn Du für Dein eigenes Interesse beten sollst? Thue, was Du als Bußübung und um der Mönche willen versprochen hast, und dann denke als ein ehrbarer Handwerksmann auch an die Stadt, deren Bürger Du bist. Ich erhebe mich nie von meinen Knieen, ohne für unser Dürkheim und zu Nutz und Frommen der Familie Frey ein paar Paternoster-Perlen abzuzählen.«

»Ich bitte um Verzeihung, hochedler Bürgermeister und vortrefflicher Bruder Pilger; der Wunsch ist vernünftig und soll erfüllt werden.«

Der Schmied zählte sodann seinen Rosenkranz ab und machte, sobald er damit fertig war, dem Bürgermeister Platz. Mittlerweile hatte auch der Prior vor jeder Station mit großer Andacht und aufrichtiger Demuth gebetet.

Die Pilger stellten sich nun in zwei Reihen – eine Art, sich dem Kloster von Einsiedeln zu nähern, wie sie jährlich noch immer von Tausenden beobachtet wird. Die Männer reihten sich rechts auf dem Wege in einer einzelnen Zeile hinter einander auf und die Weiber befolgten links dieselbe Ordnung. Dann begann laut und in wechselnden Absätzen das Gebet des Rosenkranzes.

Wer immer in diesem merkwürdigen, wild romantischen Lande häufig gereist ist, muß oft Pilgerhäuflein bemerkt haben, die in der vorbeschriebenen Weise einherzogen, ihre Gebete in die reine Luft ergießend, während sie zum Altar »Unserer lieben Frau vom Schnee,« auf dem Rigi hinanstiegen, von demselben zurückkamen, oder auf Schwindel erregenden Felspfaden irgend ein anderes Heiligthum aufsuchten. Wir kennen keine Art menschlicher Gottesverehrung, die ergreifender oder nachdrücklicher wäre, als diese. Der Tempel ist der herrlichste, den die Erde bieten kann und die Luft so rein, wie sie durch die Bergströme und eine hohe Lage nur werden kann, während die Stimmen in der klarsten und bestimmtesten Betonung ans Ohr schlagen, vielleicht noch gehoben durch das Echo der fast unergründlichen Abstürze oder der überhängenden Felsmassen, die dem Himmel als Stütze zu dienen scheinen. Lange, ehe man die Procession sieht, kündigt sie sich schon dem Ohre durch die Musik des Gebetes an – denn Musik muß man es an einem solchen Platze nennen, da die Töne regelmäßig wechseln zwischen dem tiefen Baß der männlichen und der silbernen Weichheit der weiblichen Stimmen.

Eine ähnliche Wirkung übte nun auch das Vorwärtsschreiten unseres Pilgerzugs aus der Pfalz. Pater Arnolph gab den Ton an, und die gewaltigen Lungen des Bürgermeisters und des Schmiedes stießen die Worte, obschon sehr gedämpft, in tiefen, lauten, nachdrücklichen Tönen aus. Das Respondiren der Frauen war weich, sanft und tremulirend. So gingen sie etwa eine Viertelstunde weit, bis sie in die Straße des Dorfes gelangten.

Ein Eilbote hatte der Brüderschaft von Einsiedeln die Annäherung der deutschen Büßer gemeldet; denn in Folge einer seltsamen Verdrehung der Demuthslehren, welche der Stifter unserer Religion verkündigt hat, wurde den Büßungen und Opfern der Fürsten und hochgestellten Adeligen weit mehr Wichtigkeit beigelegt, als wenn diese frommen Uebungen aus Quellen kamen, die man für geringer erachtete. Schon aus diesem Grunde hatten sich alle Dorfbewohner und die meisten übrigen Personen, welche unter der Seelsorge des Klosters standen, herausgemacht, um die erwartete Procession mitanzusehen. Der Name Emich lief flüsternd von Ohr zu Ohr, und viele neugierige Augen suchten unter der Pilgertracht, welche dem ganzen Häuflein gemeinsam war, die Gestalt des mächtigen Grafen herauszufinden. Nach vielem Hin- und Herreden entschied sich die allgemeine Ansicht in Betreff dieser Frage für die Person des Schmiedes – eine Auszeichnung, welche Dietrich der Kraft seiner Lungen, seiner rüstigen Statur und namentlich dem Eifer verdankte, den er als Miethling in seinem Wesen zur Schau tragen zu müssen vermeinte.

Unter die übrigen Legenden, welche dazu dienen, das Heiligthum Unserer lieben Frau von Einsiedeln unter dem Volke berühmt zu machen, gehört die Behauptung, daß bei irgend einer Gelegenheit, deren Anführung hier unnöthig ist, der Sohn Gottes diesen Gnadenort in Menschengestalt besucht habe. Der Sage nach löschte er seinen Durst an der Quelle, die mit schweizerischer Klarheit und Fülle vor der Thüre des Gebäudes sprudelt, und da man das reine Element durch verschiedene Metallröhren rinnen läßt, so pflegen die Pilger bei ihrer Ankunft aus jeder derselben einen hastigen Zug zu thun, um sich die Kraft eines so gefeierten Vorganges zu eigen zu machen. Es war auch eine silberne Platte mit Eindrücken vorhanden, welche die Finger Christi zurückgelassen haben sollen, und es wurde Sitte, auf diese Merkmale die Hand zu legen. Der erstere Brauch ist noch jetzt allgemein üblich, während dagegen in neuerer Zeit der Tempel durch die Habsucht des werthvollen Metalles beraubt wurde, welches die Abzeichen eines so hohen Besuches an sich trug.

Arnolph machte an der Fontaine Halt und ging langsam um dieselbe herum, indem er zugleich aus jeder Röhre trank. Die Mitwaller folgten seinem Beispiele. An der Silberplatte ging er jedoch vorbei und näherte sich unter lautem Gebete dem Gebäude selbst, bis sein Fuß auf der Schwelle stand. Ohne Halt zu machen, trat er sodann vor und knieete auf die kalten Steine vor dem Heiligthum, seine Blicke auf das geschnitzte Marienbild heftend. Die Uebrigen nahmen sich seinen Vorgang zum Muster, und in einigen Minuten knieeten Alle vor der weit berühmten Kapelle der göttlichen Einweihung.

Die alte Kirche von Einsiedeln (denn an ihre Stelle ist seitdem eine andere umfangreichere von viel größerer Pracht gekommen), war um den Platz her aufgeführt worden, wo ursprünglich die Zelle des heiligen Menrad stand. Die Kapelle, die durch die Engel eingeweiht worden seyn soll, befand sich in dieser verehrten Zelle, und das Ganze stand im Mittelpunkte der neueren Gebäude. In Vergleichung mit der Masse, welche die äußere Hülle bildete, war sie nur klein, aber doch groß genug, um einem Priester das Opfer möglich zu machen und viele reiche Spenden der Andacht zu bergen. Das Ganze war mit Marmor eingeschlossen, der aber in Folge des Alters und der Lampenausdünstungen eine schwarze Farbe angenommen hatte, während die Fronte und ein Theil der Seiten durch Oeffnungen, die durch wunderliche, aber schön gearbeitete Gitterwerke geschützt waren, einen Blick ins Innere gestatteten. An dem hinteren dunkeln Ende dieser Kapelle befanden sich die Bildnisse der heiligen Mutter und des Kindes. Ihre Kleider waren, wie es gewöhnlich bei allen viel verehrten Heiligthümern der Fall ist, mit kostbaren Steinen und Goldflittern überladen. Die Gesichter hatten eine dunkle Broncefarbe, ähnlich der des fernen Ostens; wahrscheinlich ein Gedanke, welcher mit der Hindeutung auf einen übermenschlichen Ursprung und Zweck in Verbindung steht. Vergoldete Silberlampen verbreiteten ein lebhaftes Licht und übten auf das gläubige Gemüth einen seltsam geheimnißvollen Eindruck. So war das Heiligthum Unserer lieben Frau von Einsiedeln zu der Zeit unserer Erzählung, und so besteht es noch bis auf den heutigen Tag, nur mit einigen unwesentlichen Zugaben und Veränderungen, die mehr das Ergebniß der Zeit, als die eines Wechsels der Ansichten sind.

Wir haben diesen Zufluchtsort katholischer Andacht in seiner hohen frostigen Berggegend besucht – sind in abendlicher Stunde unter seinen zahlreichen, schön verzierten Kapellen umhergewandelt – sahen den Bauern des Schwarzwalds mit seinen bloßen Knieen, den bräunlichen Ungar, den Piemonteser mit dem funkelnden Auge, den blondhaarigen Deutschen, den Tyroler und den Schweizer, wie sie müde und mit wunden Füßen in ganzen Gruppen anlangten – beobachteten sie, wie sie mit heiliger Wonne aus den verschiedenen Röhren tranken – folgten ihnen vor den Altar, und wunderten uns über die statuenartige Unbeweglichkeit, mit welcher Alle auf ihren Knieen liegen blieben, ohne ihre Blicke von dem überirdisch aussehenden Bilde abzuwenden, das ihnen die ganze Seele zu erfüllen schien. Zwar führte uns nur die Neugierde nach diesem Platze; aber aus keiner Zeit unseres Wanderlebens in fremden Ländern, das sich nun auf Jahre erstreckt hat, erinnern wir uns, je eine so völlige Lostrennung von Allem, was wir gewöhnt waren, empfunden zu haben, wie in jener Stunde. Die Processionen langten zu Dutzenden an, und eilten, ohne sich auch nur mit einer Begrüßung, mit einem Gedanken an Wohnung oder Ruhe aufzuhalten, nach dem Heiligthume, wo sie sich mit dem Steinpflaster zu verkörpern schienen, auf dem sie, starren Blickes und Zerknirschung in ihren Mienen, die ersten Gebete der Sühne vor dem Bildniß der heiligen Jungfrau murmelten.

Kehren wir übrigens zu unserer Erzählung zurück.

Die erste Stunde nach der Ankunft der erwarteten Pilgrime von Dürkheim gab sich im Kloster nirgends ein Zeichen von Erkennung oder Begrüßung kund. Die Diener der Kirche gingen und kamen, als ob nur gewöhnliche Leute ihre Büßungen vornähmen, und das unbewegte Auge in dem schwärzlichen Gesicht des Bildnisses schien jeden stetigen Blick mit übernatürlicher Ruhe zu erwiedern. Endlich erhob sich Arnolph, und in demselben Augenblicke erklang, als ob seine Bewegung beobachtet worden wäre, in einem abgelegenen Gang eine Glocke. Eine Seitenthüre, welche die Verbindung mit den Klostergebäuden vermittelte, that sich auf und die ganze Brüderschaft trat durch sie in das Kirchenschiff. Arnolph knieete augenblicklich wieder nieder und bedeutete durch ein Zeichen seinen Begleitern, ihre Plätze beizubehalten. Die Männer gehorchten, obschon sie von dieser Stellung sehr ermüdet waren, während die Frauen ihrerseits sich noch nicht gerührt hatten.

Die Benedictiner von Einsiedeln traten in derselben Ordnung, welche wir bereits bei Gelegenheit der Limburger Processionen beschrieben haben, in die Kirche. Die jüngeren Mönche gingen voran, und die Würdenträger kamen zuletzt. In jener Periode war der Abt, gemeiniglich aus einem altadeligen, zuweilen sogar aus fürstlichem Hause; denn in Aufrechthaltung ihres Einflusses hat die Kirche selten versäumt, den Ansichten und Vorurtheilen, die allgemein unter den Menschen bestehen, Rechnung zu tragen. In jedem Falle aber besaß der Abt, welcher in diesem weit berühmten Kloster obenan stand, kraft seines Amtes die letzterwähnte weltliche Auszeichnung, indem er am Tage seiner Einweihung infulirter Abt ward und unter die Reichsfürsten eintrat.

Während die lange Reihe von Mönchen langsam vorwärts kam und sich dem Heiligthum näherte, ließ sich von der Emporkirche her Gesang vernehmen, und die tiefen Orgeltöne begleiteten die Worte in leisen Accorden. Sogar Albrecht und der Abbé fühlten sich ergriffen, während Emich im eigentlichsten Sinne zitterte, gleich einem Manne, der sich, ohne es zu wissen, den Händen seiner Feinde überantwortet hat.

Die Vorderglieder der Procession bogen jetzt um die kleine Kapelle und kamen mit abgemessenen Schritten vor den Wallfahrern vorbei. Der Prior und die Frauen beteten nur um so brünstiger, während dagegen der Graf und der Bürgermeister ihre unsteten Blicke nicht von den Bewegungen des Zuges abzuwenden vermochten. Dietrich, der in seinen Obliegenheiten nur schlecht unterrichtet war, stand sogar auf und machte der vorüberziehenden Brüderschaft ohne Unterlaß ehrerbietige Verbeugungen. Als die Procession sich ihrem Ende näherte, suchte Emich die Blicke des Abtes auf, in der Hoffnung, einige jener geheimen Zeichen von Höflichkeit austauschen zu können, mit welchen die Eingeweihten in jeder Lebensklasse einander ihre Theilnahme auszudrücken wissen; aber mit Verwirrung und nicht ohne Unruhe mußte er an der Seite des Würdenträgers, welcher die Brüderschaft von Einsiedeln anführte, die wohlbekannten Züge des Abtes von Limburg erkennen. Man kann sich denken, mit welchen Blicken sich diese alten und, allem Anschein nach, unversöhnlichen Nebenbuhler begrüßten. In den Zügen des Abtes Bonifacius drückte sich kirchlicher Stolz und eine Rachgier aus, die wenigstens eine augenblickliche Befriedigung gefunden hatte, obschon darin auch der peinliche Rückblick auf die erlittene Niederlage nicht zu verkennen war, während das Gesicht des Grafen Trotz, Kränkung und Unruhe, Alles zumal, wiederspiegelte.

Der Zug ging jedoch weiter, und bald darauf verkündigte die Musik, daß die Procession in den Chor eingetreten war. Dann stand Arnolph wieder auf und ging, von den Wallfahrern begleitet näher, um die Vesper anzuhören. Nach den Gebeten wurde die gewöhnliche Hymne gesungen.

»Himmel, Herr Bruder Pilgrim,« flüsterte der Schmied dem Bürgermeister zu, »ist dies nicht eine Stimme, die alle Dürkheimer kennen?«

»Hum,« – räusperte sich Heinrich, der das Auge des Grafen aufsuchte. »Die Benedictiner singen so ziemlich in gleichem Tone, Herr Emich, sey es in Limburg oder hier in der Kirche unserer lieben Frau von Einsiedeln.«

»Bei meinen Vätern, Du hast Recht, Bürgermeister. Offen gesprochen, dieser vertraute Verkehr zwischen den Aebten will mir nicht gefallen, am wenigsten aber, daß sich der entthronte hochmüthige Bonifacius hier in diesem fernen Lande fast ebenso benimmt, wie er es in unserem Thale gewohnt war. Ich fürchte, Bürgermeister, wir haben uns ohne gehörigen Vorbedacht zu diesem Bußgange verlocken lassen.«

»Wenn Ihr so sprechen könnt, hochgeborner Emich, was muß wohl ein Mann sagen, der bei der Sache außer seiner eigenen Person auch Weib und Kind aufs Spiel gesetzt hat? Wir hätten wohl klüger gethan, uns mit den Vortheilen, die wir hatten, zu begnügen und weniger vom Himmel zu begehren, da der geringste Antheil an ihm natürlich besser seyn muß, als das Beste, dessen wir auf Erden gewöhnt sind. Bemerkt Ihr, edler Graf, in welch' freundlicher Weise Bonifacius uns von Zeit zu Zeit betrachtet?«

»Seine Gunstbezeugungen entgehen mir nicht, Heinrich – doch gib Dich zufrieden; wir werden mehr erfahren, wenn die Vesper zu Ende ist.«

Jetzt übte wieder jene merkwürdige Stimme ihre besänftigende Gewalt. Der Sänger war von Bonifacius, dem er jetzt nutzlos war, dem Kloster Einsiedeln als eine Gabe zum Geschenk gemacht worden, die ihm große persönliche Gunst sichern sollte – ein Zweck, der damit auch erreicht ward; denn unter all den Brüderschaften, welche ihr Leben dem Dienst der Kirche weihten, traten gar oft die verschiedenen Grade der Vortrefflichkeit solcher Ausführungen oder die Schaustellung größeren äußeren Reichthums in Verzierung ihrer Heiligthümer an die Stelle eines edleren Wetteifers in Frömmigkeit und Selbstverläugnung. Sobald die Feierlichkeit vorüber war, näherte sich ein Bruder dem Pater Arnolph und flüsterte ihm einige Worte zu, worauf Letzterer, von den Wallfahrern begleitet, sich nach der Sakristei begab; denn es war Allen – sogar der zitternden Meta untersagt, Erfrischung oder Ruhe zu suchen, ehe sie eine andere wichtige Pflicht erfüllt hatten.

Die Sakristei war leer, und sie warteten geduldig, während die Musik der Orgel den Rückzug der Procession ankündigte. Nach einigem Zögern that sich eine Thüre auf. und der Abt von Einsiedeln trat mit Bonifacius ein. Sie hatten nur noch den Schatzmeister der Abtei bei sich, und da unmittelbar nach ihrem Erscheinen die Sakristei geschlossen wurde, so blieb die Scene, die nun folgte, nicht länger dem Auge der Unberufenen preisgegeben.

»Du bist Emich, Graf von Hartenburg-Leiningen,« sagte der Prälat, der den Adeligen trotz seines geringen Anzugs auf den ersten Blick eines Auges, das daran gewöhnt war, seines Gleichen zu erkennen, aufzufinden wußte – »und erscheinst vor unserem Heiligthum als Reuiger wegen des Unrechts, mit welchem Du die Kirche und Gott beschimpft hast?«

»Ich bin Emich von Leiningen, hochwürdiger Abt.«

»Wie, Du erkennst die Absicht Deines Hierseyns nicht an?«

»Und ein Reuiger –« mit Bitterkeit fügte er jedoch in geistigem Vorbehalt die Worte bei – »darüber, daß ich hier bin.«

Der Abt betrachtete ihn strenge, da ihm die widerspenstige Zunge des Büßers durchaus nicht gefallen wollte. Dann nahm er Bonifacius bei Seite, berieth sich einige Minuten mit ihm und kehrte endlich wieder zu den Pilgern zurück, in seiner Anrede fortfahrend:

»Du bist jetzt in einem Lande, das noch nicht auf die Stimme der Ketzerei gehört hat, Herr von Hartenburg, und würdest gut thun, Dich Deines Gelübdes und Deines Zweckes zu erinnern. Hast Du etwas zu sagen?«

Emich öffnete langsam seine Pilgertasche und suchte unter deren spärlichem Inhalt die Opfergabe.

»Dieses Crucifix erhielt ein Edler meines Hauses, als er an einem Kreuzzuge Theil nahm. Du siehst, hochwürdigster Abt, es ist von Jaspis und ermangelt auch nicht anderer werthvoller Angaben.«

Der Abt verbeugte sich in der Weise eines Mannes, der gleichgültig ist gegen den Werth eines Geschenkes, und winkte dem Schatzmeister, es in Empfang zu nehmen. Dann trat eine kurze Pause ein.

»Dieses Rauchfaß war die Gabe eines viel ärmeren Edelmanns als Du bist,« bemerkte der Schatzmeister mit einem Nachdrucke, der nicht leicht mißverstanden werden konnte.

»Dein Eifer ist schneller, als die Gliedmaßen eines müden Mannes, Bruder. – Hier ist ein Diamant, der seit einem Jahrhundert ein Erbstück meiner Familie war und aus den Händen eines Kaisers kömmt.«

»Er ist bei unserer lieben Frau von Einsiedeln wohl am Ort, obschon sie sich von Namen, die weit weniger bekannt sind, als der Deinige, viel reicherer Opfergaben berühmen kann.«

Emich zögerte jetzt, aber nur einen Augenblick, worauf er ein anderes Geschenk niederlegte.

»Dieses Gefäß paßt für eure kirchlichen Verrichtungen,« sagte er, »da es für den Dienst des Altars gearbeitet wurde.«

»Lege den Kelch bei Seite,« unterbrach ihn Bonifacius mit finsterer Strenge; »er kommt von Limburg.«

Emich erröthete, übrigens mehr aus Zorn als vor Scham, denn in jenem Zeitalter war Plünderung eines der schnellsten und gewöhnlichsten Mittel, sich Schätze zu erwerben. Er warf dem unbarmherzigen Abt einen trotzigen Blick zu, ohne ihn einer Erwiederung zu würdigen.

»Weiter habe ich nichts,« sagte er. »Die Kriege, – der Aufwand meines Hauses und das Gold, das ich den vertriebenen Mönchen zahlte, haben mich arm gemacht.«

Der Schatzmeister wandte sich nun mit beredtem Gesichtsausdrucke an Heinrich.

»Ihr werdet darauf Bedacht nehmen, Herr Schatzmeister, daß sich's jetzt nicht mehr um einen mächtigen Edlen handelt,« begann der Bürgermeister, »und daß das Wenige, welches ich zu geben habe, von einer armen, schwer belasteten Stadt kömmt. Zuerst opfern wir unsere Wünsche und unsere Gebete auf – zweitens bringen wir in aller Demuth und in der Hoffnung, die Gabe möchte angenehm seyn, diese Löffel, welche bei manchen von euren Feierlichkeiten Dienste leisten können – drittens diesen Leuchter, der zwar klein, aber von den Frankfurter Goldschmieden als reines Gold verbürgt ist – und letztens diesen Strick, mit welchem sich sieben unserer ersten Mitbürger grausamlich kasteit haben wegen des Unrechts, das euren Brüdern angethan wurde.«

Alle diese Opfer fanden gnädige Aufnahme, und der Mönch wandte sich sodann an die Uebrigen. Es ist unnöthig, die Gaben aufzuzählen, welche von den untergeordneteren Personen des Schlosses und der Stadt gebracht wurden. Die des Kuhhirten bestanden angeblich aus dem vermessenen Horne, das so unehrerbietig in der Nähe des Limburger Altars getönt hatte, und einem Goldstück. Letzteres war dasselbe, welches er vor dem Gespräche, das seiner Einsperrung voranging, von Bonifacius erhalten hatte, das andere aber ein zersprungenes Instrument, welches der schelmische Gottlob unter seinen heimathlichen Bergen oft ohne den mindesten Erfolg probirt hatte. In seinem späteren Leben, als der religiöse Partheigeist kühner wurde, rühmte er sich oft des Possens, welchen er den Benedictinern gespielt habe, indem er ihnen ein so unnützes Werkzeug opferte.

Ulrika brachte ihre Gabe mit aufrichtigem und demüthigem Sinn. Sie bestand aus einem Kleid für die Jungfrau Maria, das hauptsächlich ihre eigenen schönen Hände gearbeitet hatten, während die vereinten Beiträge ihrer Mitbürgerinnen die Verzierungen hauptsächlich in Edelsteinen von untergeordnetem Werthe bestehend, lieferten. Das Opfer fand gnädige Aufnahme, denn die Mönche wußten die Charactere der verschiedenen Bußgänger wohl zu unterscheiden.

»Hast auch Du etwas zu Ehren der Jungfrau gebracht?« fragte der Schatzmeister Lottchen.

Die kinderlose Wittwe versuchte zu sprechen, aber die Zunge versagte ihr den Dienst. Sie legte jedoch ein schön gebundenes und gemaltes Meßbuch, eine Mühe, die außer der Troddel von Gold und Grün keinen besonderen Werth zu haben schien, und ein Jagdhorn auf den Tisch: alles dies nebst vielen anderen der namhaft gemachten Artikel hatte einen Theil der Eselsladung ausgemacht.

»Dies sind sehr nutzlose Gaben für unser Heiligthum,« murmelte der Mönch.

»Hochwürdiger Benedictiner,« unterbrach ihn Ulrika beinahe athemlos, in dem edelmüthigen Verlangen ihrer Freundin einen Schmerz zu ersparen, – »sie sind der Geberin abgerungen, gleich Tropfen ihres Herzblutes. Dieß ist Lottchen Hintermayer, von der Ihr ohne Zweifel schon gehört habt.«

Der Name dieser Frau hatte nie das Ohr des Schatzmeisters erreicht, aber die süße, überredende Weise Ulrikas trug den Sieg davon. Der Mönch machte eine Verbeugung und schien sich zufrieden zu geben. Dann trat Meta vor. Die Benedictiner waren insgesammt betroffen ob der Blässe ihrer Wangen und dem stieren, hoffnungslosen Ausdrucke eines Auges, das kürzlich noch so frohsinnig geleuchtet hatte.

»Die Wallfahrt hat unserer Tochter schwer zugesetzt,« sagte der gefürstete Abt mit milder Theilnahme.

»Sie ist jung, hochwürdiger Vater,« antwortete Ulrika; »aber Gott sänftigt den Wind für das geschorene Lamm.«

In den Zügen des Abtes drückte sich Ueberraschung aus, denn die Töne der Mutter wirkten eben so ergreifend auf sein Ohr, als das bleiche, bekümmerte Antlitz des Mädchens auf das Auge.

»Ist sie Dein Kind, gute Pilgerin?«

»Ja, Vater – der Himmel erfülle mich mit Dank, denn sie ist eine gesegnete Gabe.«

Ein abermaliger Blick des Staunens von Seiten des Priesters, der sofort dem Schatzmeister Platz machte, welcher vortrat, um die Opfergabe in Empfang zu nehmen. Meta zitterte heftig und legte die Hand an ihr Herz; dann zog sie ein Papier hervor und legte es vor den Mönch hin, der es verwundert ansah.

»Was soll dies?« fragte er. »Es ist das Bild eines jungen Mannes in rohen Umrissen.«

»Es bedeutet, Vater,« entgegnete Ulrika mit halbem Flüstern, »daß das Herz, welches ihn liebte, jetzt Gott gehört!«

Der Abt verbeugte sich und winkte hastig seinen Untergebenen, die Gabe in Empfang zu nehmen; dann trat er bei Seite, um eine Thräne zu verbergen, die ihm in's Auge gedrungen war. Meta sank im gleichen Augenblicke an die Brust ihrer Mutter und wurde stumm aus der Sakristei fortgetragen.

Die Männer folgten nach, mit Ausnahme der zwei Aebte und des Schatzmeisters, welche zurückblieben.

»Bringst Du gleichfalls ein Opfer, gute Frau,« fragte Letzterer die Weibsperson, welche sich den Weggehenden nicht angeschlossen hatte.

»Ob ich ein Opfer bringe, Vater? Meint Ihr, ich werde so weit herkommen mit leeren Händen? Ich bin Ilse, Frau Frey's Dienerin, und Dürkheim hat mich auf diese Wallfahrt geschickt, die an sich selbst ein Opfer ist; denn so kann ich's wohl nennen bei meinen gebrechlichen Knochen und einem Alter von mehr als sechzig. Wir sind nur armes Stadtvolk aus der Pfalz, wissen aber doch, was im Nothfalle recht ist. Es sind viele Gründe vorhanden, warum ich kommen mußte, wie Ihr sogleich hören sollt. Erstlich war ich in der Limburger Kirche, als die That be – –«

»Wie, konnte eine Person von Deinen Jahren auch an einem solchen Zuge Theil nehmen?«

»Ja, und an vielen anderen Zügen. Erstlich begleitete ich den alten Bürgermeister, Frau Ulrikas Vater, als er Hülfstruppen nach Mannheim brachte; zweitens war ich von unseren Bergen aus Zeuge des Kampfes zwischen den Churfürstlichen und den Anhängern des – –«

»Dienst Du der Mutter jenes weinenden Mädchens?« fragte der Abt, die Geschichte von Ilsens Feldzügen kurz abschneidend.

»Und dem weinenden Mädchen selbst, hochwürdiger, heiliger und fürstlicher Abt – wenn Ihr so wollt, auch dem Bürgermeister, denn zeitenweise diene ich in der That der ganzen Familie.«

»Kannst Du uns die Geschichte ihres Grames mittheilen?«

»Nichts ist leichter, gnädiger Herr Abt. Erstlich ist sie jung und dies ist ein Alter, in welchem wir uns grämen oder freuen, ohne viel Grund für das eine oder für das andere zu haben; dann ist sie ein einziges Kind, und dieser Umstand ist wohl geeignet, den Geist durch Verzärtelung zu schwächen; ferner ist sie schön, und dies verlockt oft das Herz zu unterschiedlichen Eitelkeiten, darunter ohne Zweifel auch zum Kummer; außerdem hat sie wunde Füße – an sich schon ein bitterer Schmerz; und zuletzt bereut sie sehr jene arge Sünde, von der wir noch nicht gereinigt sind, und die, wenn sie nicht vergeben wird, vielleicht unter anderen Vermächtnissen ihres Vaters sich auch auf sie vererbt.«

»Schon gut, lege Deine Gabe nieder und beuge Dein Knie, damit ich Dich segne.«

Ilse that, wie ihr geheißen wurde, und entfernte sich sodann unter vielen Reverenzen. Nachdem sich hinter der Alten die Thüre geschlossen hatte, verließ Bonifacius mit seinem gefürsteten Collegen die Sakristei, dem Mönche die Obliegenheit anheim gebend, die reichen Gaben aufzubewahren, die den Schatz von Einsiedeln so freigebig vergrößert hatten.



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