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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

      – »O Israel, sind diese Männer
Die mächt'gen Herzen, deren Du erwähntest?«

Byron.

 

Der Character der beiden Prälaten hatte außer den Eigenschaften, welche die nothwendige Folge ihres gemeinsamen Amtes waren, nur wenig Aehnlichkeit. Wenn Bonifacius gelehrter und geisteskräftiger war, so besaß dagegen der gefürstete Abt von Einsiedeln mehr von jenen sanften gewinnenden Begabungen, welche einem christlichen Leben zur schönsten Zierde gereichen. Vielleicht war bei keinem von Beiden tiefe, demüthige Frömmigkeit zu finden, da eine solche Stimmung nicht leicht Wurzel fassen konnte bei Männern, die von so vielen Lockungen umgeben waren, welche angeborenen Schwächen schmeichelten; aber Beide achteten aus Gewohnheit die äußeren Gebräuche ihrer Kirche und glaubten im Verhältniß der Schärfe und des Umfangs ihrer Erkenntnis an die Kraft ihres geistlichen Amtes.

Nachdem sie die Sakristei verlassen hatten, begaben sie sich durch den Kreuzgang nach der Wohnung des Abtes, wo sie sich einschloßen, um ihre weiteren Schritte zu berathen.

»Dein Sitz war also in der Nachbarschaft dieses kühnen Edlen, Bruder Bonifacius?« begann der Vorstand des Klosters unserer lieben Frau von Einsiedeln.

»Du kannst Dir dies nach den letzten Ereignissen vorstellen. Sein Schloß und unsere unglücklichen Mauern lagen nur einige Pfeilschüsse von einander.«

»Seyd ihr früher gut mit einander ausgekommen, oder ist der kürzliche Vorgang eine Folge lange bestandener Zwistigkeiten?«

»Du kannst von Glück sagen, frommer Rüdiger, daß Du unter Eis und Bergen eingeschlossen und so ganz außerdem Bereiche adeliger Hände sowohl, als adeligen Ehrgeizes bist. Limburg und die habgierigen Grafen haben seit der Gründung unserer Abtei kaum je den Frieden gekannt. Die unruhigen Ritter spielen unseren religiösen Gemeinschaften gegenüber dieselbe Rolle, welche der unruhige Geist des Vaters der Sünde in der sittlichen Welt vertritt.«

»Und doch ist es mir zweifelhaft, ob nicht der schwerste Schlag, der uns bevorsteht, von einem aus unserer Mitte herrühren wird. Wenn Alles, was wir durch das Gerücht und aus den Hirtenbriefen der Bischöfe entnehmen können, wahr ist, so stellt diese lutherische Spaltung einen bleibenden Nachtheil in Aussicht.«

Bonifacius, dessen Geist weit tiefer in die Zukunft eindrang, als der der meisten seiner Collegen, hörte diese Bemerkung mit düsterer Miene an und brütete über den Bildern, die ihm seine lebhafte Einbildungskraft vergegenwärtigte, während der Abt von Einsiedeln das Spiel seiner derben Züge mit spähender Theilnahme beobachtete.

»Du hast Recht, durchlauchtiger Abt,« entgegnete endlich der Erstere. »Die Zukunft sowohl, als die Vergangenheit bieten uns ernstliche Lehren, wenn es nur möglich wäre, sie in augenblicklichen Vortheil umzuwandeln. Alles, was wir auf Erden sehen, zeigt uns, daß jedes Geschöpf in seine Urstoffe zerfällt, wenn der Zweck seines Daseyns erfüllt ist. Der Baum hilft die Erde vermehren, die einst seiner Wurzel Nahrung bot; der Fels wird wieder zu dem Sande, aus dem er entstand, und selbst der Mensch kehrt zum Staube zurück, welcher beseelt wurde, damit er lebe. Können wir daher erwarten, daß unsere Abteien oder die Kirche selbst in ihren dermaligen zeitlichen Organisationen für immer bestehen werden?«

»Du hast wohl gethan, Deinen Worten durch den Zusatz »zeitlich« die geeignete Bedeutung zu geben, guter Bonifacius, denn wenn auch der Körper zerfällt, so bleibt doch die Seele übrig, und das Wesen unseres Kirchenverbands besteht in seinem geistigen Charakter.«

»Höre mich an, hochwürdiger und durchlauchtiger Rüdiger. Geh' hin und befrage Luther über die Spitzfindigkeiten seines Glaubensbekenntnisses in Betreff dieses Punktes, so wird er Dir sagen, daß er an die Wanderung der Seelen glaube – daß er diesen geistigen Charakter nur in einem neuen Gewande festhalte – und daß der unvergängliche Theil des Menschen sich nur einer Last entäußere, die ihm zu schwer geworden sey, wenn der alte Leib dem Grabe überantwortet werde.«

»Aber dies ist freche Empörung gegen alles kirchliche Ansehen, und dreiste Verläugnung der Lehre.«

»Das Erstere kann allerdings nicht in Frage gestellt werden; aber doch scheint man in unserm Deutschland Lust zu haben, es darauf ankommen lassen zu wollen. Was indeß die Lehre betrifft, gelehrter Rüdiger, so bringst Du hier einen Satz zur Sprache, der Aehnlichkeit hat mit den Glocken eurer Klosterthürme – es giebt darin endlose Abwechslungen vom einfachen Mettenglöcklein an bis zu den vollen Akkorden des ganzen Geläutes.«

»Ei, hochwürdiger Bonifacius, Du behandelst einen ernsten Gegenstand mit sehr unehrerbietiger Leichtigkeit. Wenn wir derartige Neuerungen dulden sollten, so wäre es bald mit aller Zucht zu Ende, und es wundert mich, daß ein hochgestellter Priester sie also beurtheilen kann.«

»Du thust mir Unrecht, Bruder, denn was ich sagen will, ist in vollem Ernste gesprochen. Der Geist des Menschen ist so fein und sein Zweifel, wenn er einmal begonnen hat, so rastlos, daß ich mir keinen Schluß denken kann, für den ein gewisser Kopf nicht Gründe aufzufinden im Stande wäre, sobald einmal die Schranke kirchlicher Zucht fällt. Ist es Dir nie aufgefallen, hochwürdiger Rüdiger, daß man von Anbeginn einen großen Irrthum beging, als man alle unsere Verordnungen zu Leitung der menschlichen Gesellschaft gründete, mochten sie nun auf religiöse oder blos zeitliche Dinge Bezug haben?«

»Du stellst diese Frage an einen Mann, der daran gewöhnt ist, an seine Oberen mit Achtung zu denken.«

»Ich spreche nicht von unseren Oberen oder ihren persönlichen Eigenschaften, sondern will nur sagen, daß unsere Theorieen sich zu oft mangelhaft erweisen, indem man sie früheren Gebräuchen anpaßte, während meiner Ansicht nach in einer wohlgeordneten Welt die Theorie vorangehen und die Praxis sich nach ihr gestalten sollte.«

»Dies hätte für den angehen können, welcher den Garten Eden inne hatte, es ist aber für diejenigen unmöglich, welche nachher kamen und die Dinge nehmen mußten, wie sie waren, indem es ihnen nur belassen blieb, sie so vortheilhaft als möglich zu benützen.«

»Bruder und fürstlicher Abt, Du hast Dich in dem Dilemma selbst gefangen. Könnten wir in den Besitz dieses schönen Erbes gesetzt werden, um ungebunden von früheren theuren Interessen sogleich nur die Wahrheit zu sehen, so wäre nichts leichter, als die Praxis mit der Theorie in Einklang zu bringen; da wir aber aus Priestern und Adel, Heiligen und Sündern, Philosophen und Weltleuten bestehen, so siehst Du wohl, daß die Theorie gezwungen ist, sich dem Zwange der Praxis anzupassen. Das Dogma kann also im besten Falle nur eine wandelbare Autorität bilden. Als Benedictiner und Anhänger Roms möchte ich wünschen, Luther hätte sich mit bloßen Veränderungen in den Gebräuchen begnügt, denn diese lassen sich nach Himmelsstrichen und Vorurtheilen einrichten; aber wenn die Schleusen der Erörterung einmal aufgethan sind, kann Niemand sagen, in welcher Ausdehnung oder nach welcher Richtung der Strom sich ergießen wird.«

»Du setzest, wie es scheint, wenig Vertrauen in die Kraft der Vernunft.«

Bonifacius betrachtete seinen Gefährten einen Augenblick mit übel verhehltem Spotte.

»In der That, heiliger Rüdiger,« entgegnete er mit Ernst, »Du hast wohl Deine Leute nicht gar lange geleitet, um mir diese Frage vorlegen zu können, denn wenn Du statt der Vernunft die Leidenschaft genannt hättest, so könnten wir am schnellsten zu einem Einvernehmen kommen. Die Folgesätze – soweit unsere thierische Natur in Frage kommt – stießen vernunftgemäß genug aus dem Vordersatze; aber wenn wir von den sichtbaren Scheidelinien unseres Wesens abgehen, um uns dem Meere der Spekulation hinzugeben, so überlassen wir uns, gleich dem Seemann, der seinem Magnet vertraut, einer unbekannten Ursache. Der Hungrige will essen, und wer Schmerz empfindet, schreit. Wer Geld nöthig hat, raubt in einer oder der andern Gestalt, und der Freund der Gemächlichkeit zieht Ruhe dem Getümmel vor. Alles dies nebst vielen anderen Folgerungen läßt sich berechnen; aber wenn Du mir sagen kannst, welche Richtung der Lämmergeier einschlagen wird, wenn er seinen Flug über dem Alpengebirg hinaus nimmt, so will ich auch Dir den Weg namhaft machen, den der menschliche Geist verfolgen dürfte, sobald er einmal auf dem Ocean der Spekulation und der Beweisjagd schwimmt.«

»Desto nothwendiger ist es, ihn in den heilsamen Schranken der Zucht und des Dogma's zu erhalten.«

»Wäre die Zucht gleich unsern Klostermauern, so würde wohl Alles recht seyn; so aber werden die Menschen eben das, was sie sind.«

»Wie – hältst Du den Glauben für nichts? Wie ich höre, hat Limburg sehr fromme Brüder besessen. Pater Johann, der in Vertheidigung Deiner Altäre umkam, kann noch heilig gesprochen werden – des vortrefflichen Priors gar nicht zu gedenken, der mit den Wallfahrern hier angelangt ist.«

»Ich lege dem Glauben hohen Werth bei, vortrefflicher Bruder, und glücklich ist derjenige, welcher seine unruhigen Zweifel durch ein so angenehmes Auskunftsmittel zu bannen vermag. Ich bin selbst auch der Ansicht, Bruder Johann wird canonisirt werden, wenn es unser heiliger Vater in Rom seiner Zeit für passend hält, und das gefallene Limburg hat Ursache, auf sein Mitglied stolz zu seyn. Dennoch begreife ich nicht, wie der unglückliche Johann einen Beweis gegen die wahre Natur des Dogmas liefern soll; denn wäre er mit weniger Hartnäckigkeit auf gewissen Ansichten beharrt, so hätte er dem Schicksal, das ihn betraf, entgehen können.«

»Ist die Märtyrerkrone ein Geschick, das einem Christen mißfallen kann? denke an die Väter und an ihr Ende!«

»Hätte sich Johann ihres Geschicks besser erinnert, so dürfte das seinige anders ausgefallen sein. Hochwürdiger Abt, Johann hat längst aufgehört, mir ein Räthsel zu seyn, obschon ich nicht in Abrede ziehen will, daß er unter den Bauern und Eiferern nützlich war. Dagegen habe ich den, welchen Du zuletzt nanntest, –« Bonifacius lehnte jetzt die Wange auf eine Hand und sprach wie ein Mann, der nicht mit sich ins Reine zu kommen im Stande ist, – »den aufrichtigen, weisen und einfachen Arnolph in Wahrheit nie begreifen können. Er ist augenscheinlich eben so gerne in seiner Zelle, wie in seinem Kirchenstuhle, geehrt in seinem Amte, wie auf dieser mühsamen Wallfahrt, und mag er sich im Glück oder im Unglück befinden, so lebt er stets in Frieden mit sich und mit Andern. Er ist in der That ein Mann, den ich durch meinen Verstand nicht zu ergründen vermag, und er hat bewiesen, wie wenig Ehrgeiz ihm inne wohnt, weil er schon dreimal die Insul ausschlug. Er trägt sich nicht mit wirren Gesichten oder trüglichen Fantasieen, wie jener unglückliche Johann, und obschon er nicht gleichgültig ist gegen die strengeren Uebungen seines Berufs, so begeht er sie doch stets mit Ruhe und Zufriedenheit. Trotz seiner Gelehrsamkeit hält er sich doch gerne fern von wissenschaftlichen Streiten; er ist demüthig, aber zugleich so fest, daß er sich vor dem Marterpfahle nicht scheuen würde, und übt so viel Nachsicht gegen Andere, daß man ihn für gleichgiltig halten könnte, wenn er nicht zugleich eine Beharrlichkeit zeigte, die durch keinen Einfluß der Witterung, der Ereignisse oder der Hoffnungen gestört werden kann. In der That an diesem Manne wird alle meine Menschenkenntniß zu Schanden!«

Trotz seiner Gelehrsamkeit, seines männlichen Verstandes und seiner Menschenkenntniß, merkte Bonifacius doch nicht, wie viel er gegen sich selbst einräumte, indem er zugestand, wie unfähig er war, die Beweggründe des Priors zu erfassen. Auch seinem Gefährten schien das Räthsel nicht vollkommen begreiflich zu seyn, denn er hörte der Schilderung, welche der Abt von Limburg von dem Prior gab, aufmerksam und in einer Weise zu, wie wir etwa einem Berichte über unerklärliche oder übernatürliche Ereignisse unser Ohr leihen.

»Ich habe viel von Arnolph gehört,« bemerkte der Letztere, »aber noch nie so gar seltsame Dinge. Dennoch scheinen die Meisten ihn zu lieben.«

»Darin eben liegt seine Macht. Obgleich er mir oft sehr entgegentrat, kann ich doch nicht sagen, daß ich gleichgiltig gegen den Mann bin – ja bei unserem Schutzheiligen, ich möchte bisweilen sogar glauben, daß ich ihn liebe. Er war unter den Letzten, die unsere Altäre verließen, als wir von dem habsüchtigen Grafen und seinen leichtgläubigen, einfältigen Bürgern vertrieben wurden; und doch sprach er zuerst das Wort der Versöhnung, nachdem die Unbill begangen war. Ohne ihn und seinen hohen Einfluß bei den Bischöfen hätten leicht die Schläge mit Schlägen vergolten werden können, obschon diese Spaltung in Deutschland uns gar viele Unterstützung entzogen hat.«

»Da Du eben von der Kirchenspaltung sprichst, in welcher Weise erklärst Du eine so kecke Neuerung in einem Lande, das gewöhnlich für so vernünftig gilt: das kirchliche Ansehen muß wohl untergraben worden seyn, denn nichts ist so geeignet, Ketzereien oder Irrthümer in der Lehre zu verhindern, als eine gut geordnete Kirche, welcher eine gebührende Autorität zur Seite steht.«

Bonifacius lächelte: denn schon in jener frühen Periode erkannte sein durchdringender Geist den Trugschluß wohl, welcher den Andern verblendete.

»Dies ist ganz wahr, wenn sich's um das Rechte handelt; aber wenn Irrthum waltet, Bruder, so dient dieses feste Ansehen nur dazu, auch ihm eine Stütze zu geben. Die Vorsorge, welche hier in Deiner gemächlichen Wohnung getroffen ist, die Kälte auszuschließen, ist in gleicher Weise geeignet, einer verdorbenen Luft den Abzug zu wehren.«

»Wo man so raisonnirt, kann die Wahrheit keinen Bestand haben. Du fürchtest wohl die Kirchenlehre und willst nichts von ihrer Zucht wissen.«

»Nicht doch, Du verkennst mich sehr, frommer Rüdiger, wenn Du dies glaubst; die Kirchenzucht sollte so viel wie möglich erhalten bleiben, obschon ich in Abrede ziehe, daß sie eine Bürgschaft der Wahrheit ist. Wir beruhigen uns so gerne mit dem Gedanken, daß eine gut geordnete Kirche von festem Bestand eine Schutzmauer der Wahrheit sey, während doch die Erfahrung deutlich lehrt, daß sie derselben mehr Abtrag thut, als sie ihr je dienen kann – und dies aus dem einfachen Grunde, weil es nur Eine Wahrheit, dagegen aber viele Arten von Disciplin gibt. Viele Einrichtungen dienen daher vielen Irrthümern zur Stütze, wenn anders die Wahrheit im Einklange mit sich selbst steht.«

»Du setzest mich in Erstaunen! Was immer aus diesen Ketzereien folgen mag, so kenne ich bis jetzt doch nur einen einzigen Angriff auf unsere Oberherrlichkeit, und dieser kömmt aus dem Irrthume, wie wir aus der Wahrheit stammen.«

»Das ist wohl auf das Christenthum anwendbar, aber welchen Werth hat es für den Moslem – für den Feueranbeter – für den Hindu – für die Heiden und alle Uebrigen, die insgesammt so bereit sind, durch eine äußere Ordnung den vermeintlichen Irrthum fern zu halten, wie wir Anhänger der römischen Kirche? Bis jetzt ist allerdings unter den Christen dieses Uebel nicht oft vorgekommen, obschon es nie ohne Zwistigkeiten ablief; aber wenn wir auf die Fortschritte der Buchdruckerkunst und die verschiedenen Ansichten, die daraus hervorgehen, blicken, so läßt sich voraussehen, daß sich viele widersprechende Hülfsmittel geltend machen werden, die gleich gut erwogen und verdaut werden müssen, wenn man die Wahrheit festhalten und den Irrthum ausschließen will. Die Anmaßung einer hohen Autorität und nachdrücklicher Forderungen zu Aufrechthaltung der Lehre und dessen, was wir für Wahrheit halten, sind wohl gut quoad hoc, wie die Juristen zu sagen pflegen; aber was die allgemeine Frage betrifft, so sehe ich ihren Werth nicht ein. Die Menschen führen diese geistigen Kämpfe mit Leidenschaft, und es stehen uns daher unterschiedliche Formen der Kirche in Aussicht, die insgesammt mehr oder weniger von menschlichen Hülfsmitteln verschanzt sein werden, welche die sogenannte Wahrheit schützen sollen; wenn übrigens einmal die Zeit kommt, in welcher Länder und Gemeinschaften sich über dergleichen Spitzfindigkeiten entzweien, so, seht Ihr wohl ein, mein vortrefflicher Rüdiger, werden unsere Gesetze und Verordnungen eben so viel Irrthümer einschließen, als eigentlich fern gehalten werden sollten. Ich fürchte, der Himmel ist ein Ziel, das durch eine allgemeine Vermittelung erlangt werden muß, während es einem Jeden belassen bliebe, den untergeordneten Punkten der Lehre je nach seinen Gewohnheiten und Befähigungen Glauben zu schenken.«

»Dies schmeckt mehr nach dem obdachlosen Abte, als nach dem, unter dessen Stabe kürzlich noch eine wohlhabende und gehorsame Brüderschaft stand,« entgegnete Rüdiger etwas beißend.

Bonifacius ließ sich durch diesen Stich nicht anfechten, sondern betrachtete nur seinen Gefährten ruhig, und in der Weise eines Mannes, der seine eigene Ueberlegenheit zu gut kennt, um sich leicht aufbringen zu lassen. Seine Antwort würde übrigens wahrscheinlich trotz dieser anscheinenden Mäßigung scharf genug ausgefallen seyn, wäre nicht in demselben Augenblicke die Thüre aufgegangen und Arnolph ruhig in das Zimmer getreten.

Die Aufnahme, welche dem Prior von den beiden insulirten Prälaten zu Theil wurde, bekundete die tiefe Achtung, welche er sich so allgemein durch seine Selbstverläugnung gewonnen hatte. In dem großen Kampfe des Egoismus, welcher meist den Handlungen dieses unruhigen Erdenlebens zu Grunde liegt, darf Niemand so sicher auf allgemeine Achtung zählen, als derjenige, welcher bereitwillig die Bürde des Lebens zu tragen scheint und sich mit so wenig sie möglich vor seinen sichtbaren Vortheilen begnügt, indem er sich von dem Schauplatze des Streites gänzlich zurückzieht. In der großen Masse erzeugt vielleicht ein gelegentliches Abtreten von der Bühne, weil es an den Mitteln zum Erfolge fehlte, nur wenig Theilnahme; wer aber, obschon er unläugbare Ansprüche besitzt, dennoch eine derartige Enthaltsamkeit an den Tag legt, darf mit Zuversicht darauf rechnen, daß er für alle seine guten Eigenschaften vielleicht mehr als gebührende Anerkennung findet, obschon sie ihm mit aller Wuth des Parteigeistes abgesprochen worden wären, hätte er seinen Nebenbuhlern gegenüber eine andere Stellung angenommen. So war gewissermaßen auch die Lage des Pater Arnolph, und selbst Bonifacius kämpfte nie gegen die natürlichen Gefühle an, die ihm der fromme Mönch einflößte, weil er die geheime Ueberzeugung in sich trug, daß dessen Tugenden, wie sehr sie auch von der Oeffentlichkeit gewürdigt wurden, wahrscheinlicherweise mit seinen eigenen Interessen niemals in Widerstreit kommen konnten.

»Du bist wohl sehr müde, frommer Prior,« sagte der Abt von Einsiedeln, indem er mit zuvorkommender, schmeichelnder Aufmerksamkeit seinem Gaste einen Sitz anbot.

»Dies kömmt bei mir nicht in Anschlag, durchlauchtiger Rüdiger, denn ich habe mir den Weg mit vielen guten Reden und manchen Gebeten erleichtert. Meine Pilger sind zwar erschöpft, aber doch glücklich angekommen, und haben sich jetzt der Gastfreundlichkeit des Klosters zu getrösten.«

»In Deinem Gefolge befand sich ein Edler, der sich in Deutschland einer hohen Achtung erfreut, hochwürdiger Arnolph?«

»Er stammt aus einer alten Familie und steht bei der Welt in großem Ansehen,« entgegnete der Prior mit Zurückhaltung.

»Was meinst Du, Bruder Bonifacius – allerdings dürfte es nicht räthlich seyn, öffentlich einen Unterschied zwischen denen zu machen, welche unser Heiligthum besuchen; aber fordert nicht Gastfreundlichkeit und feinere Bildung eine Privatbegrüßung? Seid Ihr mit meiner Ansicht einverstanden, würdiger Arnolph?«

»Gott erkennt kein Ansehen der Person, durchlauchtiger Abt von Einsiedeln.«

»Kann dies Jemand besser wissen, als wir? – Aber wir machen keinen Anspruch auf Vollkommenheit und können über den beziehungsweisen Werth der Menschen nicht weiter urtheilen, als dieß unserem Amte zukömmt. Unser Orden hat sich stets die Gastfreundschaft zur Pflicht gemacht, und wir haben das Vorrecht, uns Achtung zu erwerben; es scheint mir daher nicht nur gebührend, sondern auch klug, einem Edlen von so hohem Rufe, namentlich in einem Augenblicke, in welchem die Ketzerei wie toll um sich greift, zu zeigen, daß wir die Natur seiner Opfer nicht verkennen. Du sprichst nicht, Bruder Abt?«

Der Abt von Limburg hörte mit geheimer Befriedigung zu, da seine eigenen Ansichten dem Vorschlage günstig waren. Er war eben im Begriffe, eine bereitwillige Zustimmung zu geben, als ihn Arnolph unterbrach.

»Ich habe Edle unter meiner Begleitung, hochwürdiger Abt,« sprach der Letztere mit Ernst; »aber auch solche, die mehr Rücksicht verdienen, als der Adel, wenn anders tiefe christliche Demuth auf Achtung Anspruch machen kann. Ich bin nicht gekommen, um von Emich von Hartenburg, sondern von Gemüthern zu sprechen, die schmerzlich gebeugt sind, erlaube mir daher, für sie die Wohlthat einer kirchlichen Tröstung zu erbitten.«

»Nenne Dein Begehr, Vater, und sei einer günstigen Aufnahme versichert. Doch es ist schon spät, und die kirchlichen Verrichtungen von morgen brauchen unserer wohlgemeinten Gastfreundlichkeit keinen Abbruch zu thun.«

»Diejenigen, für welche ich Fürsprache einlegte,« sagte Arnolph, augenscheinlich verletzt, »sind bereits außen und können, wenn sie eintreten dürfen, ihre Wünsche am besten selbst vortragen.«

Der Abt deutete durch ein Zeichen seine Bereitwilligkeit an, die Gäste zu empfangen, und der Prior eilte hinaus, um sie einzuführen, weil er sich von der Unterredung eine heilsame Wirkung auf die Gemüther seiner Oberen versprach. Als er wieder erschien, brachte er Ulrika, Lottchen und Meta mit sich, welche ihm in der angedeuteten Ordnung folgten. Beide Aebte waren überrascht, denn es überstieg ihr Selbstvertrauen, Gäste dieses Geschlechts zu einer so zweideutigen Stunde in den abgelegeneren Theilen der Klostergebäude zu empfangen, um so mehr, da sie wenig auf die Kühnheit der Unschuld zählten.

»Dies ist gegen allen Brauch,« rief der Abt von Einsiedeln. »Allerdings haben wir unsere Vorrechte, frommer Arnolph, aber wir dürfen uns ihrer nur mit großer Vorsicht bedienen.«

»Fürchte nichts, heiliger Abt,« antwortete Arnolph mit Ruhe. »Dieser Besuch ist jedenfalls eben so harmlos, als der von denen, welche Du eben vorhin genannt hast. Sprich, tugendsame Ulrika, und laß Deine Wünsche laut werden.«

Ulrika bekreuzte sich, und warf einen thränenvollen Blick auf die bleichen, gramvollen Gesichter ihrer Tochter und ihrer Freundin.

»Hochfürstlicher und ehrwürdiger Abt,« begann sie langsam und in der Weise einer Person, die sich vor den Wirkungen ihrer eigenen Worte fürchtet, »wir sind zu Eurem hochbegnadigten Heiligthum gekommen als reuige Pilger und Bußgänger, um Sühne zu leisten für ein großes Unrecht, und die Verzeihung des Himmels anzustehen. Die Erfüllung unserer Wünsche ist uns durch die Kirche und durch Einen versprochen worden, der größer als die Kirche ist, wenn wir ihm unsere zerknirschten Herzen zum Opfer bringen. In dieser Hinsicht also haben wir nur wenig anzubringen, da unser frommer Führer, der theure und gelehrte Arnolph, uns unterrichtete, so daß wir keinen der Gebräuche versäumten, wie er denn auch nicht unterließ, uns über die Gemüthsstimmung zu belehren, die am besten für unser gegenwärtiges Unternehmen paßt. Aber hochwürdigster Abt – –«

»Fahre fort, meine Tochter; Du wirst uns Alle hier bereit finden, Dich anzuhören,« sagte Rüdiger wohlwollend, denn er bemerkte ihre Befangenheit, und daß sie fortfuhr, unruhige Blicke auf Lottchen und Meta zu werfen. Mit gedämpfter Stimme, aber noch angelegentlicherem Tone nahm nun die Sprecherin ihre Rede wieder folgendermaßen auf:

»Von des Himmels Gnade geleitet will ich es thun, heiliger Benedictiner. In Allem, was unsre Wallfahrt und die damit verbundenen Obliegenheiten betrifft, vertrauten wir uns ganz dem frommen Rathe des gelehrten und gottseligen Arnolph; er wird Euch sagen, daß von uns nichts Wesentliches verabsäumt wurde. Mit demüthiger Einfalt und zerknirschtem Herzen haben wir gebetet, gebeichtet, gefastet und die erforderlichen Sühnopfer gebracht. Wir kommen daher, um dieses hochbegnadigte Kloster um einen Dienst zu bitten, der, wie wir hoffen, einem Christen nicht verweigert werden wird.«

Der Abt blickte überrascht auf, ließ aber der Sprecherin Zeit, fortzufahren.

»Es hat dem Himmel gefallen, ohne vorherige Warnung einen Menschen abzurufen, der uns theuer war,« nahm Ulrika mit einem abermaligen furchtsamen Blick auf ihre Begleiterinnen wieder auf, »und wir möchten die Gemeinschaft unserer lieben Frau von Einsiedeln um ihr kräftiges Gebet für seine Seele bitten.«

»Von welchem Alter war der Hingeschiedene?«

»Gott hat ihn abgerufen in früher Jugend, hochwürdiger Abt.«

»In welcher Weise ist er zu seinem Ende gekommen?«

»Durch eine plötzliche Kundgebung der Gewalt des Himmels.«

»Starb er im Frieden mit Gott und der Kirche?«

»Vater, sein Ende war plötzlich und verhängnißvoll. Niemand kann wissen, in welcher Gemüthsstimmung er sich befand, als ihn der schreckliche Augenblick ereilte.«

»Aber lebte er nach den Vorschriften unsres Glaubens? Du kommst aus einer Gegend, wo viel Ketzerei herrscht, und es ist eine Stunde, in welcher der Hirte seine Herde nicht verlassen kann.«

Ulrika hielt inne, denn der Athem ihrer Freundin wurde schwer und laut.

»Hochfürstlicher Abt, er war ein Christ, und ich habe ihn selbst über die Taufe gehalten. Diese demüthige Bußgängerin hier gab ihm das Leben, und von dem hochwürdigen Prior hat er oft das Sakrament der Beichte empfangen.«

Dem Abte wollten diese Antworten nicht sehr gefallen. Seine Brauen verdüsterten sich, und er ließ scheele Blicke von Arnolph nach den Frauen gleiten.

»Kannst Du für Dein Beichtkind Bürgschaft leisten?« fragte er plötzlich den Prior.

»Seine Seele hat Messen nöthig.«

»War er von der Ketzerei der Zeiten angesteckt?«

Arnolph schwieg und sein Inneres kämpfte einen schweren Kampf; denn obschon er Berchtholds Ansichten nicht ganz traute, war ihm doch nichts bekannt, was ein gewissenhafter Beurtheiler als ein unzweideutiges Merkmal seines Abfalls von der Kirche deuten konnte.

»Du antwortest nicht, Prior?«

»Gott hat mir nicht die Gabe verliehen, im innersten Herzen zu lesen.«

»Ha, dies wird schon klarer. Hochwürdiger Bonifacius, weißt Du vielleicht etwas darüber zu sagen?«

Der vertriebene Abt von Limburg hatte dem Gespräche anfangs mit Gleichgiltigkeit zugehört, und bei dem Beginne von Ulrika's Rede hatte sogar ein spöttisches Lächeln über seine Lippen gezuckt; es verschwand übrigens, als Arnolph in's Verhör genommen wurde, und gab dem Ausdrucke eines neugierigen Verlangens Raum, denn Bonifacius war begierig zu erfahren, wie sich ein so gewissenhafter Mann aus der Klemme heraushelfen würde. Die unmittelbare Frage übrigens nöthigte ihn, sich bei der Verhandlung zu betheiligen.

»Ich weiß wohl, hochwürdiger und durchlauchtiger Rüdiger, daß in unsrer irre geleiteten Pfalz die Ketzerei frech um sich greift,« entgegnete er, »da sonst der Abt von Limburg kein obdachloser Gast in Einsiedeln seyn könnte.«

»Du hörst, meine Tochter – es ist Verdacht vorhanden, daß der junge Mensch als ein Feind der Kirche gestorben sey.«

»Wenn dies so wäre, so forderte der schwere Irrthum nur um so mehr das Opfer des Gebetes für seine Seele.«

»Dadurch würden wir aber in Wahrheit nur dem Teufel in seinen Plänen, unsere Altäre umzustürzen, an die Hand gehen, und dies wäre eine Schwäche, der wir uns nicht hingeben dürfen. Es thut mir leid, gegen eine Person von Deinem anscheinend so frommen Eifer ein solches Bedenken erheben zu müssen, aber unsere Altäre dürfen nicht befleckt werden durch Opfer für diejenigen, welche sie verachtet haben. War der junge Mensch bei dem Falle von Limburg betheiligt?«

»Vater, er starb unter dem Einsturze seiner Dächer,« entgegnete Ulrika in fast unvernehmlichen Lauten, »und wir halten die Art seines Todes für einen weiteren Grund, warum für ihn außerordentliche Messen gelesen werden sollten.«

»Du forderst eine Unmöglichkeit. Wollten wir in Fällen so verzweifelter Ketzerei unser Mitleid walten lassen, so würden wir die Gläubigen entmuthigen und diejenigen noch dreister machen, die schon jetzt zu unabhängig auftreten.«

»Vater!« ließ sich eine gedämpfte, zitternde, aber hastige Stimme vernehmen.

»Was verlangst Du, Tochter?« fragte der Abt, sich an Lottchen wendend.

»Schenke dem Flehen einer Mutter Gehör. Der Knabe wurde im Schooß der Kirche geboren und erzogen, und aus Gründen, über die ich nicht murren will, hat der Himmel schon früh seinen Vater und mich mit seinem Zorne heimgesucht. Wir waren reich und wurden arm; wir waren geschätzt unter den Menschen und mußten erfahren, wie weit besser es ist, auf Gott zu bauen. Wir unterwarfen uns in Geduld, und wenn wir diejenigen sahen, die vordem mit Achtung an uns hinaufgeblickt hatten und uns jetzt Geringschätzung erwiesen, küßten wir das Kind, waren dankbar und murrten nicht. Aber auch diese Heimsuchung war noch nicht genug – der Vater wurde seinen Leiden und seinem Jammer durch den Tod entrissen, während mein Sohn die Livree eines Adeligen anlegte. Ich will nicht sagen – kann nicht sagen, daß ich aus eigener Kraft alle dem gewachsen gewesen wäre. Ein Engel, in der Gestalt dieser treuen und vortrefflichen Frau, wurde mir zur Stütze gesendet. Wir hatten noch Stunden der Hoffnung und des Glücks, bis dieses Unrecht an Limburg geschah – aber dies vereitelte Alles. Mein Sohn ist gefallen unter dem gerechten Zorn Gottes, und ich bin noch vorhanden, um für ihn den Himmel anzustehen. Wollt Ihr den Beistand der Kirche einer kinderlosen Mutter verweigern, die, wenn ihr diese Gunst willfahrt wird, bereit seyn wird, ihren Herrn zu segnen, und zu sterben?«

»Du machst mich unruhig, Tochter, und ich muß Dich bitten, zu bedenken, daß mir ein hohes, ein heiliges Amt anvertraut ist.«

»Vater!« erscholl ein zweiter und noch ergreifenderer Ruf.

»Auch Du, Kind? Was begehrst Du von einem Manne, der nur zu bereitwillig wäre, euch den Willen zu thun, wenn es seine Pflicht nicht verböte?«

Meta war niedergekniet, und da bei dieser Bewegung die Kapuze ihres Pilgermantels zurückfiel, enthüllte sich dem Abte ihr blutleeres Antlitz. Das Mädchen schien in herbem Kampfe mit sich selbst zu ringen und konnte erst fortfahren, als sie in dem Auge ihrer Mutter Ermuthigung las.

»Ich weiß, heiliger und hochwürdiger Abt,« begann sie augenscheinlich mit der geregelten Satzbildung einer Person, welche über die Art, wie sie ihren Vortrag einbringen soll, unterrichtet wurde, »daß die Kirche der Zucht sehr benöthigt ist, weil sie sonst weder bestehen noch in Ordnung erhalten werden könnte. Dies hat mich meine Mutter gelehrt; wir beide erkennen es an und wissen diese Wahrheit zu schätzen. Aus diesem Grunde haben wir uns allen ihren Verordnungen unterworfen – haben nie versäumt im Beichtstuhl und beim Gottesdienst zu erscheinen oder die Feier- und Festtage zu halten. Sogar der hochwürdige Abt Bonifacius hier wird keiner von uns beiden dieses Zeugniß versagen – –«

Meta zögerte, als wolle sie den Abt auffordern, ihren Worten zu widersprechen, wenn er könne; aber Bonifacius blieb stumm.

»Was den unglücklichen Todten betrifft,« nahm Meta mit einer Stimme wieder auf, die wie eine wehmüthige Musik tönte, »so will ich die Wahrheit sagen. Er wurde als Christ geboren und hat in meiner Gegenwart nie etwas gegen die Kirche geredet. Ihr werdet doch nicht glauben, Vater, daß ein Jüngling, der sich um meine Gunst bewarb, durch Mittel danach trachten konnte, die kein christlich gesinntes Mädchen achten kann? Ich weiß, daß er sich oft in den Beichtstühlen der Abtei einfand und wenn Ihr diesen frommen Prior fragen wollt, so werdet Ihr hören, wie sehr er bei ihm in Gunst stand. Wenn er gegen Limburg zog, gehorchte er nur seinem Herrn, wie Andere so oft vor ihm gethan haben, und gewiß können nicht Alle, die in der Schlacht fallen, hoffnungslos verdammt seyn. Wenn es in Deutschland Ketzerei gibt, ist es nicht genug, schon im Leben einer so großen Gefahr ausgesetzt zu seyn – muß auch der Todte noch seinen vergangenen Handlungen überlassen bleiben ohne Beistand von der Kirche, oder ohne daß die hinterbliebenen Freunde seiner gedenken? O Ihr werdet Euch eines Bessern bedenken, heiliger, aber grausamer Rüdiger – Ihr werdet Eure voreilige Entscheidung zurücknehmen. Gebt uns Messen für den armen Berchthold! Ich weiß nicht, was Bonifacius Euch zum Voraus über den Jüngling mitgetheilt hat; aber im Angesicht der versammelten ganzen Erde müßte ich ihm das rühmliche Zeugniß geben: – einen pflichtmäßigeren Sohn, einen treueren Diener, einen Mann, tapferer in der Noth und sanfter im Umgang, ein edleres und liebevolleres Herz als das seinige gibt es in der ganzen Pfalz nicht wieder! Ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht in meinen Worten die Grenzen jungfräulicher Sittigkeit überschreite,« fuhr das Mädchen mit Feuer fort, und durch ihre Thränen erglühete auf jeder ihrer Wangen ein rother Fleck; »aber die Todten sind stumm, und wenn diejenigen, welche sie liebten, kalt sind für ihre Bedürfnisse, wie sollte der Himmel ihre grausame Noth erfahren?«

»Meine gute Tochter,« unterbrach sie der Abt, der schmerzlich ergriffen zu werden begann, »wir wollen die Sache bedenken. Begib Dich zur Ruhe – und möge Gott Dich segnen!«

»Nein, ich kann nicht schlafen, so lange ich Berchthold's Seele in dieser Gefahr weiß! Vielleicht fordert die Kirche neue Büßungen für ihn. Meine Mutter, Lottchen, ist nicht mehr jung und kräftig wie früher; aber Ihr seht, Vater, was ich bin! Sprecht Eure Forderung aus – Wallfahrten, Fasten, Geißelungen, Gebete oder Nachtwachen – Alles ist mir recht. Nein, glaubt nicht, daß mir etwas zu schwer werden wird, und Ihr könnt mir kein größeres Glück bereiten, als wenn Ihr mir Büßungen für den armen Berchthold auferlegt. Oh, wenn Ihr ihn gekannt hättet, heiliger Abt, wenn Ihr wüßtet, wie liebevoll er war gegen die Schwachen, wie sanft gegen uns Jungfrauen und wie wahr in seinem Herzen – Ihr würdet – nein Ihr könntet Euch nicht weiter bitten lassen, ihm die Messen zu gewähren!«

»Bonifacius, gibt es keinen Ausweg, um das Zugeständniß zu rechtfertigen?«

»Ich möchte mit Dir darüber Rücksprache nehmen, Bruder,« antwortete der Abt von Limburg, der mit gedankenvoller Miene den Prälaten ein wenig bei Seite nahm.

Die Besprechung der beiden Würdenträger war kurz, aber entscheidend.

»Nimm das Kind fort,« sagte der Abt Rüdiger zu Ulrika. »Man muß sich der Last des himmlischen Zorns unterwerfen.«

Der Prior seufzte schwer auf, winkte übrigens den Frauenzimmern, zu gehorchen, weil er einsah, daß weitere Bitten vergeblich waren. Er verließ das Gemach des Abts zuerst, und seine Begleiterinnen folgten in geduldiger Unterwerfung und ohne einen Laut der Klage. Erst als Ulrika und Lottchen in's Freie gekommen waren, fanden sie, daß das aller Hoffnungen beraubte Mädchen, welches sie mit ihren Armen unterstützten, ohnmächtig geworden war. Derartige Anfälle waren jedoch in letzter Zeit so häufig gewesen, daß sich die Mutter nicht sehr darüber beunruhigte, und bald nachher suchten die Pilgrime auf ihren Pfühlen die Ruhe, deren sie so sehr bedurften.



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