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Neunzehntes Kapitel.

        »Nie werd' ich
Ein solcher Gänsrich seyn, um dem Instinkt
Zu folgen; nein, ich werde steh'n, als sey
Des Mannes eigenes Geschöpf der Mann
Und kenne keine and're Abkunft.«

Coriolan.

 

Wie wir bereits gesehen haben, standen die Angreifenden unter der Führung des Bürgermeisters und seiner zwei Lieutenante, Berchthold Hintermayers und des Schmieds. Letzterem dicht an der Ferse folgten drei seiner Gesellen, jeder, wie sein Meister, mit einem tüchtigen Schmiedehammer bewaffnet. Kaum war der Trupp an dem Thore angelangt, als diese Handwerker hurtig und mit großer Gewandtheit den Dienst der Pioniere begannen. Mit dem dritten Schlage von Dietrichs muskeligem Arme flog das Thor auf und die Vordern stürzten in den Hof.

»Wer bist Du?« rief Berchthold, einen Mann ergreifend, der, mitten in seinem Wege, auf der Brust eines Andern kniete. »Sprich, denn dieß ist kein Augenblick zum Spielen.«

»Meister Förster, sei nicht so hitzig und vergiß Deine Freunde nicht. Du könntest doch sehen, daß es Gottlob ist, der den Klosterpförtner festhält, damit er nicht von dem Querbalken Gebrauch machen kann. Es sind Fremde drinnen, und um seiner Gemächlichkeit zu pflegen, hat der unzuverlässige Halunke die Riegel nicht gehörig befestigt; andernfalls hättest Du hämmern können, bis die Churfürstlichen über Dich gekommen wären.«

»Recht so, Milchbruder! Dein Signal wurde bemerkt, und wir zählten auch darauf; aber da Du die Wege so gut kennst, so führe uns ohne Weiteres zu dem Kriegsvolk.«

»Himmel, die Spitzbuben haben stachlichte Bärte, in die der Krieg sein Grau gemischt hat, und es wird ihnen wahrscheinlich nicht gefallen, wenn ihr Schlaf so plötzlich unterbrochen wird; aber der Dienst muß geschehen. Wähle die Frömmsten aus Deinem Gefolge, hochedler Bürgermeister, damit sie gegen die Mönche ziehen, die im Chor verschanzt und mit Gebeten wohl bewaffnet sind, während ich die fleischlicher Gesinnten zu einem kleinen Tanze mit den Churfürstlichen führe.«

Während dieses kurze Gespräch stattgefunden hatte, war die ganze Masse der Angreifer durch das Thor hereingeströmt, und ihre Offiziere gaben sich Mühe, unter dem schlecht exercirten Haufen eine Art von Ordnung zu erhalten. Alles fühlte die gebieterische Nothwendigkeit, zuerst mit den Truppen ins Reine zu kommen, denn von den Mönchen war für den Augenblick gewiß nichts zu besorgen. Einige blieben daher zur Bewachung des Thores zurück, während Heinrich unter der Leitung des Kuhhirten sein bewaffnetes Volk nach den Gebäuden führte, wo bekanntlich die Churfürstlichen ihr Quartier hatten.

Wenn wir sagen wollten, die Angreifer seien sorglos vorgerückt, so würden wir ihre Tapferkeit überschätzen und dem Ruf der churfürstlichen Soldaten Unrecht thun. Nach den herrschenden Ansichten der Zeit galt der Einfall in ein Kloster für Kirchenschändung, den obschon der Protestantismus bereits große Fortschritte gemacht hatte, wurde es doch sogar den Anhängern der Reform nicht leicht, die Bande der Gewohnheit und lange bestandener Vorurtheile zu zerreißen. Zu diesem unheimlichen Gefühle kam noch die unerklärliche Stille, welche noch immer unter den Kriegsleuten herrschte, die, wie Gottlob gesagt hatte, als treffliche Soldaten, wo es galt, bekannt waren. Sie lagen hinter der Wohnung des Abts und waren zureichend hinter Mauern und unter Gärten verschanzt, um einen tüchtigen Widerstand leisten zu können.

Aber alle diese Rücksichten bildeten keinen Gegenstand reifer Erwägung, sondern zuckten nur vorübergehend im Geiste der Führer auf; denn im Augenblick eines Angriffs pflegt sich nur wenig Zeit zum Nachdenken zu finden, namentlich wenn die Angelegenheiten schon so weit gediehen sind, wie in dem gegenwärtigen Falle. Die Kriegsleute stürzten daher gegen den Angriffspunkt los, ohne eine klare Vorstellung von der Gefahr zu haben, obschon sie sich einigen Bangens vor derselben nicht erwehren konnten.

Gottlob hatte augenscheinlich seinen Aufenthalt in der Abtei aufs Beste benützt, um die verwickelten Windungen der verschiedenen Gänge kennen zu lernen; er stand bald vor der Thüre der Abts-Wohnung, die durch einen einzigen Schlag von Dietrichs Schmiedehammer niedergeschmettert wurde, und unmittelbar darauf strömte eine Fluth wilder und, wir dürfen wohl beifügen – gesetzloser Soldaten durch die leeren Gemächer. Einen Augenblick später befand sich die Gesammtmasse der Angreifenden in den Gärten, welche hinter diesem Theile der Wohngebäude lagen.

Wie nichts das Ungestüm mit mehr Erfolg zurückzuweisen vermag, als eine ruhige Festigkeit, so gibt es ebenfalls nichts, was einen Angriff nachdrücklicher zurückzuschrecken im Stande wäre, als eine Ruhe, die ihm Trotz zu bieten scheint. In einem solchen Augenblicke wirkt die Einbildungskraft weit furchtbarer, als alle feindliche Gegenwehr, da sie sich mit Schreckbildern von Gefahren trägt, die, wären sie sichtbar und nach dem gewöhnlichen Gange des Kriegslebens, leicht nach ihrem Werthe geschätzt werden konnten. Es ist manniglich bekannt, daß der Augenblick, welcher dem Losbrechen einer Schlacht vorangeht, auf die Festigkeit des Mannes den erschütterndsten Eindruck übt; das Zurückhalten mit den Widerstandsmitteln aber verlängert diesen Moment und erhöht demgemäß die Kraft seines Einflusses.

Der ganze feindliche Haufen – wir wollen selbst die Führer nicht ausnehmen – fühlte die Einwirkung dieser geheimnißvollen Ruhe unter den Truppen des Churfürsten, die in der That so peinlich wurde, daß Alle in einer einzigen Gruppe – in einer Stellung also Halt machten, die sie am allerehesten einer Niederlage aussetzen konnte; denn durch die ganze Schaar lief ein dumpfes Gemurmel von Minen und Hinterhalten.

Berchthold bemerkte, daß der Augenblick entscheidend war und die Gefahr einer plötzlichen Niederlage zu besorgen stand.

»Folgt mir!« rief er, indem er sein Schwerdt schwenkte und auf das steinerne Gebäude zusprang, in welchem bekanntlich die churfürstlichen Soldaten ihr Quartier hatten.

Ihm folgte muthig der Bürgermeister und der Schmied, worauf der ganze übrige Haufen sich ermannte und stürmisch gegen die Thüren und Fenster anrückte. Dem dröhnenden Schlage der Schmiedehämmer folgte ein Knacken der Riegel und Bolzen und unmittelbar darauf drangen die Angreifer in's Innere; aber ihr Geschrei hallte nur von leeren Gewölben wieder. Die Streu, Ueberreste von Lebensmitteln, die schnöden Ausdünstungen begangener Schlemmereien und alle die gewöhnlichen ekelhaften Merkmale einer schlechtgeordneten Kaserne – denn damals stieg Reinlichkeit und Ordnung nicht weit unter den Stand der Wohlhabenden herunter – waren zwar noch vorhanden; aber kein Laut beantwortete das Geschrei, und kein Schwerdt, keine Arkebuse wurde erhoben, um dem Schlage des Eindringlings zu begegnen. Der erste Eindruck, den diese wichtige Thatsache übte, war ein Gefühl der Betäubung; dann aber ertheilten Heinrich Frey und Berchthold Befehl, den gefangenen Pförtner, der sich im Centrum der Angreifenden befand, herbeizubringen.

»Was soll dieß heißen?« rief der Bürgermeister gebieterisch. »Sprich, was ist aus den Churfürstlichen geworden?«

»Sie zogen mit Einbruch der Nacht ab, hochedler Herr,« lautete die Antwort, »um Limburg der Obhut seines Schutzheiligen zu überlassen.«

»Wie, also fort? Wohin und in welcher Weise – wenn Du mich hintergehst, Schurke, so soll Dein heiliger Benedict selbst nicht im Stande seyn, Dir das Fell über den Ohren zu erhalten!«

»Ereifert Euch nicht, gestrenger Herr Bürgermeister, denn ich rede nichts als die Wahrheit. Mit Sonnenuntergang lief von Seiten des Churfürsten ein Befehl ein, welcher sie sammt und sonders bis auf den letzten Mann zurückrief. Man sagt, Friedrich sey schwer in der Klemme und deßhalb eines Succurses dringend bedürftig.«

Diese Aufklärung hatte eine stumme Pause, dann aber ein Jubelgeschrei zur Folge, und Einzelne fingen an, sich hastig von der Hauptmasse fortzustehlen, um sich nach Beute umzusehen.

»Welchen Weg haben die Leute des Churfürsten eingeschlagen?«

»Gestrenger Herr Bürgermeister, sie zogen in aller Stille und großer Ordnung den Pferdepfad hinunter und nach dem Berge dort drüben, damit sie nicht nöthig hatten, zu so später Stunde die Dürkheimer mit Oeffnung ihrer Thore zu bemühen. Sie gedachten, durch das Cederngehölz der Heidenmauer zu gehen, auf der andern Seite des Lagers hinabzusteigen und so die Ebene hinter Dürkheim zu gewinnen.«

Es unterlag also nicht länger einem Zweifel, daß die Eroberung gewonnen war, und der ganze Haufen löste sich in Gruppen auf, theils um Befehle auszuführen, theils aber, um gleich den Andern, welche sich vorläufig bei Seite gemacht hatten, für den eigenen Vortheil zu sorgen.

Bis auf diesen Augenblick hatte sich auch nicht ein Einziger der Kapelle genähert. Da es nicht in dem Wunsche derer lag, welche den Plan zum Angriff entworfen hatten, den Mönchen persönliches Leid zuzufügen, so war Befehl ertheilt worden, diesen Theil der Abtei eine Weile unbesucht zu lassen, weil man hoffte, die Brüder würden diese Versäumniß benützen, um durch einige der vielen Pförtchen, welche mit den Kreuzgängen in Verbindung standen, zu entkommen; nun aber nicht länger ein bewaffneter Feind zu bändigen war, wurde es nöthig, an die eigentlichen Herren des Klosters zu denken. Der Proceß, ihre Zellen kahl zu machen, war bereits weit fortgeschritten, und das Jubelgeschrei, welches von den Gebäuden her erscholl, verkündete, daß die reiche und gemächlich eingerichtete Wohnung des Abts eben einem ähnlichen summarischen Verfahren unterlag.

»Himmel!« murmelte Gottlob, der von dem Augenblicke seiner Befreiung an seinen Milchbruder nicht verlassen hatte – »unsere Schloßspitzbuben gucken tief in die Bücher des hochwürdigen Bonifacius, Meister Berchthold. Es wäre gut, wenn man sie wenigstens auf die lateinischen aufmerksam machte, damit sie ihre Schultern nicht mit einer Gelehrsamkeit belasten, die ihnen doch nichts nütze ist.«

»Mögen die Kerle immer d'rauf losplündern,« entgegnete der Bürgermeister mürrisch. »Aus diesem Büchervorrath ist eben so viel Uebles als Gutes erwachsen, und Dürkheim wird nur um so besser fahren, wenn die verwünschte Munition der Benedictiner ein wenig zusammengeht. In den Ebenen meinen sogar Einige, daß in manchem Bande, der den Namen eines Heiligen auf dem Rücken trägt, schlimmes Zauberwerk enthalten sey.«

Berchthold würde vielleicht Widerspruch eingelegt haben, wenn ihm nicht eine innere Stimme gesagt hätte, daß jede Vorstellung über einen derartigen Gegenstand im Augenblicke des Tumults und der Verwirrung sich schlimmer als nutzlos erweisen dürfte, und die Folge davon war, daß viele schätzenswerthe Werke und zahlreiche Manuscripte, welche eine gelehrte Muße im Laufe von Jahrhunderten gesammelt hatte, der Laune von Leuten überlassen blieben, die unfähig waren, ihren Werth zu würdigen oder ihren Inhalt zu begreifen.

»Wir wollen jetzt zu den Mönchen,« sagte Heinrich, indem er – zum erstenmale, seit sie das Gehölz verlassen hatten – seine schwere Klinge in die Scheide steckte. »Freund Schmied, Du wirst Deinen Obliegenheiten hier nachkommen und Sorge tragen, daß Alles, was geschieht, auch recht geschehe. Vergiß nicht, daß Dein Eisen glüht und schon auf dem Amboß liegt, um sich bearbeiten zu lassen; es muß flach geschlagen werden, damit es nicht eines Tages zu einer Waffe umgeformt werde, die uns schädigen kann. Geh' an's Wert, Dietrich; Du weißt, was wir aus der Stadt haben wollen und was wir von Deiner Geschicklichkeit erwarten.«

Damit nahm der Bürgermeister Berchthold am Arme, und ging nach jenem weit berühmten Gebäude, der Klosterkirche; auf die beiden Führer aber folgte ein Häuflein von etlich und zwanzig auserlesenen Handwerkern, welche sich während jener ganzen ereignißvollen Nacht gleich Männern, die ausdrücklich zu diesem Dienste erkiesen worden waren, dicht an die beiden Befehlshaber gehalten hatten.

Um die Kapelle herrschte dasselbe düstere Schweigen, welches das Vorrücken gegen die Quartiere der Soldaten so unheimlich gemacht hatte: nur galt es hier einem ganz anderen Feinde. Für die meisten hatte damals die geheimnisvolle Gewalt der Kirche noch immer ein tiefes und ehrfurchtgebietendes Interesse; denn obschon einige kühne Sprecher aufgetreten waren und der Strom der öffentlichen Meinung sich in dieser ganzen Gegend stark gegen die römische Kirche gerichtet hatte, so war es doch nicht leicht, durch die bloßen Hebel der Vernunft die tiefgehenden Wurzeln auszuroden, welche auf dem Boden der Gewohnheit und des Gemüths erstarkt waren. Bis auf diese Stunde noch sehen wir, wie fast die ganze civilisirte Welt grobe, augenfällige Handlungen des Unrechts begeht und sie mit Vorwänden bemäntelt, die für den kritischen Blick keine bessere Unterlage aufweisen können, als einen krankhaften Geschmack, welcher eben aus Gewohnheiten erwuchs, die sich selbst nicht auf irgend eine annehmbare Weise begründen lassen. Sogar die nachtheiligen Folgen des nächsten besten Systems werden als Beweismittel zu Gunsten seines Fortbestandes gedeutet, weil man den Wechsel – vielleicht auch oft mit Recht – für ein größeres Uebel hält, als das bestehende Unrecht, und auf Millionen lastet der Fluch, bloß deshalb ein herabgewürdigtes, unwissendes Thierleben fortschleppen zu müssen, weil ein verderbter Sinn sein Mitgefühl allen denen versagt, welchen das hoffnungslose Schicksal zu Theil geworden ist, durch zufällige Momente des Lebens in den Bann der Gesellschaft zu gerathen. So erzeugt Irrthum den Irrthum, bis sogar die Philosophie und die Gerechtigkeit sich für befugt halten, mit unzureichenden Palliativ-Mitteln gegen eine Krankheit zu Felde zu ziehen, die nur in einer kühneren und besseren Behandlung gründliche Abhülfe finden könnte. Niemand wird sich daher wundern, wenn wir sagen, daß sowohl Heinrich als Berchthold nicht ohne große Beklommenheit gegen die Kirche heranzogen, da sie doch nicht völlig überzeugt waren, ob sie wirklich ein verdienstliches Werk übten. Vielleicht ist nie ein Mann seinem Zeitalter weit vorangeschritten, ohne zuweilen Mißtrauen in seine eigenen Grundsätze zu setzen, und es ist gewiß, daß Luther selbst oft mit peinlichen Zweifeln kämpfen mußte. Berchthold ließ sich übrigens die Sache weniger anfechten, als seine Begleiter, denn er handelte nach den Befehlen eines Vorgesetzten und war nicht allein jünger, sondern auch besser unterrichtet, als der Bürgermeister. Die erstere dieser Thatsachen war allein schon hinreichend, ihn aller Verantwortlichkeit zu entbinden, während die letzteren Momente nicht nur den Einfluß früherer Meinungen schwächten, sondern auch den der neu angenommenen bekräftigten. Mit einem Worte, es bestand zwischen Heinrich Frey und Berchthold eine Verschiedenheit, wie wir sie Alle in unsrem fortgeschrittenen Zeitalter an Dem bemerkt haben müssen, der seine Ansichten entschwundenen Generationen verdankt, im Gegensätze zu einem Andern, der sie von seinen Zeitgenossen aufnimmt. Der lange Förster war mit dem ersten Rufe des Reformators, der durch ganz Deutschland wiederhallte, in das Alter der reiferen Erwägung getreten, und da er zufälligerweise unter Personen lebte, welche den neuen Lehren Gehör schenkten, so hatte er die meisten ihrer Widerspruchs-Motive eingesogen, ohne je viel von dem gegenwirkenden Einfluß einer andern Ueberzeugung befahren zu müssen. In dieser allmähligen Weise werden fast alle heilsamen moralischen Wechsel bewirkt, denn diejenigen, welche die ersten Impulse dazu in sich tragen, können unter ihren Zeitgenossen selten mehr thun, als dem Weiterumsichgreifen nachtheiliger Angewöhnungen steuern, während es einem späteren Geschlechte belassen bleibt, den Strom rückwärts zu lenken und ihm eine neue Richtung zu geben.

Wenn die Urheber des geschilderten Sturmes auf das Kloster glaubten, Wilhelm von Venloo werde der Erste seyn, der in diesem Augenblick der Gewalt und des Tumultes von seinem Posten weiche, so thaten sie ihm Unrecht; denn so wenig er auch Lust haben mochte, sich Gefahren auszusetzen oder nach der Märtyrerkrone zu ringen, so fühlte sich doch der männliche Sinn des Abts hoch über den Einfluß jeder niedrigen Gesinnung erhaben, und obschon er nicht Selbstbeherrschung genug besaß, um seine Liebhabereien zu zügeln, so war ihm doch eine gewisse geistige Würde nicht abzusprechen, die selten den Mann in schwierigen Lagen verläßt. Als daher Heinrich Frey und Berchthold in die Kirche traten, fanden sie die ganze Brüderschaft im Chor versammelt und gleich römischen Senatoren gewärtig, den Schlag mit der ganzen Würde ihres amtlichen Charakters entgegen zu nehmen. Es lag vielleicht eben so viel List als Hochherzigkeit in dem Entschlusse, welcher den Abt zu einem derartigen Verhalten bewog, denn diejenigen, welche von einem Schauplatz roher Gewaltthat her in das Gotteshaus stürmten, mußten nothwendig durch die feierliche Ruhe betroffen werden, die ihnen hier entgegentrat.

Die Kerzen brannten noch immer vor dem Altare und die Lampen warfen ihr flimmerndes Licht auf die malerische Architektur und die prachtvollen Ornamente der Kapelle, während die bleichen Gesichter unter den geschorenen Köpfen wie heilige Wächter erschienen, die aufgestellt waren, um den Tabernackel vor Befleckung zu schützen. Sämmtliche Mönche befanden sich in ihren Ständen, den Prior und den Pater Johann ausgenommen, welche an den Stufen des Altares knieten – ersterer als der Priester, welcher eben erst das heilige Meßopfer begangen hatte, letzterer aber unter dem überwältigenden Antriebe einer natürlichen Ueberspanntheit, welche ihn veranlaßte, seine Person als einen Schild vor das Gefäß zu werfen, das die Hostie enthielt. Der Abt saß regungslos, stolz und unbeugsam auf seinem Thronsessel, obschon seine Züge die tiefe, verhaltene Leidenschaft seines Innern bekundeten.

Der Bürgermeister und Berchthold traten mit einander in den Chor, während ihr Gefolge auf einen Wink des ersteren in dem Kirchenschiffe zurückblieb. Beide waren baarhäuptig, und während sie langsam den Chor hinausgingen, rührte sich kaum ein einziger Kopf, denn jedes Auge schien, wie in Folge eines gemeinsamen Zaubers, auf dem mit kostbaren Edelsteinen besetzten Elfenbein-Crucifix zu haften, das auf dem Altare stand. Ob dieser feierlichen Ruhe rieselte dem Bürgermeister das Blut mit unheimlicher Kälte durch die Adern, und mit bedeutend geschwächter Entschlossenheit erreichte er endlich die Stufen, wo er dem Abt und dem Prior Angesichts gegenüber stand; denn in den Zügen des ersteren sprach sich eben so sehr Haß, wie Furcht aus, während in der Miene des Priors der Ausdruck ungeheuchelter Liebesfülle und ehrfurchtsvoller Gottergebenheit nicht zu verkennen war.

»Wer bist Du?« fragte Bonifacius in einem Tone, der mit bewundernswürdiger Klugheit auf die Unschlüssigkeit und den scheuen Blick des Angeredeten berechnet zu seyn schien.

»Beim heiligen Benedict, mein Gesicht ist nicht so fremd in Limburg, daß Du zu einer derartigen Frage Anlaß nehmen könntest, hochwürdiger Abt,« antwortete Heinrich, indem er, um die Fassung des Anderen nachzuahmen, eine Kraftanstrengung aufbot, deren er sich selbst nur zu gut bewußt war, obschon er sie vor Anderen lieber verborgen hätte. »Obgleich ich nicht geschoren und geweiht bin, wie ein Mönch, so kennen mich doch die meisten, die in Dürkheim oder in dessen Nähe wohnen, gut genug.«

»Ich hätte lieber fragen sollen: was bist Du? – Dein Name und Dein Amt, beides ist mir wohl bekannt, Heinrich Frey; aber in welcher Eigenschaft erdreistest Du Dich jetzt, die Kirche von Limburg zu betreten und unsern Altären einen solchen Mangel an Achtung zu beweisen?«

»Ehrlich gesprochen, hochwürdiger Bonifacius, ich erscheine in der Eigenschaft des Oberhauptes unserer viel gekränkten und lange mißbrauchten guten Stadt, welche den Stolz und die Erpressungen der Mönche satt hat und sich deßhalb endlich die Freiheit nimmt, sich selbst Recht zu verschaffen. Wir sind heute Nacht nicht als friedliche Bürger, denen es um Gebet und Psalmsingen zu thun ist, sondern wie Du siehst, bewaffnet und in der mannhaften Absicht hier, für immer ein Aergerniß aus unserer Gegend zu verbannen.«

»Deine Worte sind so wenig freundlich, als Dein Anzug, und was Du hier sagst, harmonirt nur zu gut mit dem, was Dein rohes Gefolge außerhalb der Mauern dieses heiligen Ortes verübt. Hast Du den dreisten Schritt Deiner Stadt auch wohl erwogen, Herr Heinrich?«

»Wenn eine oftmalige Erwägung eine gute Erwägung ist, so ist dieß im Laufe dieses Jahres bei unterschiedlichen Anlassen und verschiedenen Versammlungen geschehen, Bonifacius.«

»Und Du fürchtest Dich nicht vor Rom?«

»Dieß ist eine Autorität, welche in unserer Gegend mit jedem Tag mehr und mehr in Abnahme kommt, heiliger Benedictiner, und ich will Dir offen gestehen, daß uns der Zorn des Churfürsten weit mehr Bedenken gemacht hat, als der Unwille Seiner Heiligkeit; indeß ist diese Furcht sehr gemindert worden durch die Ueberzeugung, daß er in gegenwärtiger Zeit selbst zu viel Werg an der Kunkel hat, um seine Gedanken den Angelegenheiten Anderer zuwenden zu können. Wir wußten allerdings nicht, daß er seine Soldaten abgerufen hat, sondern rechneten auf eine scharfe Verhandlung mit diesem hartnäckigen Kriegsvolk; Du wirst übrigens leicht begreifen, daß seine Entfernung unserem Vertrauen zu der eigenen guten Sache keinen Abtrag thut.«

»Der Churfürst kann seine Gewalt wieder gewinnen und dann wird der Tag der Rechenschaft kommen für diejenigen, welche sich vermessen haben, von seinem augenblicklichen Mißgeschicke Vortheil zu ziehen.«

»Wir sind Handels- und Gewerbsleute, guter Bonifacius, und haben unsere Schätzung nicht ohne einigen Vorbedacht gemacht. Wenn die Abtei bezahlt werden muß, – ein Fall, der noch keineswegs gewiß ist – so wird der Handel noch immer einträglich bleiben, so lange sie nicht wieder gebaut werden kann. Wir sind der Meinung, Bruder Luther lege nunmehr einen Eckstein, der dem Teufel jeden Versuch verleiden wird, das wieder aufzurichten, was wir jetzt niederzureißen gedenken.«

»Ist dieß Deine letzte Antwort, Bürgermeister?«

»Nein, dieß will ich eben nicht sagen, Abt. Schicke morgen Deine Bedingungen an den Magistrat, und wenn wir damit einverstanden seyn können, so dürfte sich's wohl finden, daß eine dermalige Ausgleichung allen künftigen Ansprüchen ein Ziel setzt. Aber was hier so glücklich begonnen wurde, muß eben so glücklich zu Ende gebracht werden.«

»So höre mich an, ehe ich diese heiligen Mauern verlasse – vernimm meinen Fluch,« erwiederte Bonifacius, indem er sich mit der gewohnten priesterlichen Würde erhob – »meinen Fluch über Dich und über Deine Stadt – über Alle, die in Dir ihre Obrigkeit sehen – über Väter, Mütter – –«

»Halt ein mit Deinen schrecklichen Worten!« rief eine schrille Frauenstimme hinter den Säulen des Chors hervor. »Hochwürdiger, heiliger Abt, habe Erbarmen!« fügte Ulrika blaß, zitternd und vom Schrecken auf's Tiefste erschüttert bei, obgleich ihr Auge von der wilden Glut eines Irrsinns leuchtete, wie wenn sie durch eine mehr als menschliche Gewalt gehoben würde. »Heiliger Priester, laß Nachsicht walten, denn er weiß nicht, was er thut. Wahnsinn hat ihn ergriffen – sie sind nur das Werkzeug in den Händen eines Mannes, der mächtiger ist, als sie.«

Bei Ulrika's Erscheinen nahm der Abt seinen Sitz wieder ein, als wolle er die Wirkung ihres Aufrufs abwarten.

»Du hier?« sagte der Bürgermeister, seine Gattin mit einem Blicke der Ueberraschung ansehend, in den sich jedoch weder Zorn noch Argwohn mischte.

»Ja, zum Glücke, um dieses schreckliche Verbrechen von Dir und von Deinem Hause abzuwenden.«

»Ich meinte, Du betest mit dem armen Herrn von Ritterstein in seiner trostlosen Einsiedelei auf der Heidenmauer!«

»Und kannst Du der That gedenken, welche den Herrn Odo zu solcher Buße und zu solchem Leiden führte, während Du als ein verzweifelter Bewaffneter hier stehst? Du siehst, daß Jahre nicht zureichen, um einem Herzen Erleichterung zu verschaffen, auf welchem die Last der Kirchenschändung ruht. Oh, wärest Du bei mir gewesen, um ein Zeuge des herben Schmerzes zu seyn, der den armen Odo durchwühlte, als er auf jener Stufe kniete und der Messe anwohnte, welche in dieser Nacht für ihn gelesen wurde – gewiß, Du würdest besser erkennen, wie tief in die Seele eine Wunde bohrt, die Gott in seinem Zorne geschlagen hat.«

»Das ist höchst seltsam,« versetzte der erstaunte Bürgermeister. »Gerade diejenigen, die ich so gut und in einer Art beseitigt zu haben glaubte, daß ich mich keines Argwohns oder irgend einer Störung meines Unternehmens von ihnen versah, müssen mir in einem Augenblicke entgegentreten, in welchem Alles der Vollendung bereits so nahe ist. Sapperment, junger Berchthold, Du siehst, welch ein Hemmblock der Ehestand auch für den Mannhaftesten ist, trotz des Schwerdtes, das ihn umgürtet.«

»Und Du, Berchthold Hintermayer, Sohn meiner theuersten Freundin – Kind meiner süßesten Hoffnung – auch Du kommst in so unheiliger Absicht, wie ein mitternächtlicher Räuber, der verstohlen unbewaffnete Priester überfällt!«

»Niemand liebt oder verehrt Euch mehr, als ich, Frau Ulrika,« antwortete der Jüngling, sich mit aufrichtiger Hochachtung verbeugend, »aber wenn Ihr Eure Anrede an Herrn Heinrich richtet, so trifft sie unmittelbar Den, welcher unsere Bewegungen leitet.«

»Dann wird Dich, o Bürgermeister, der Du in dieser Frevelthat den Anführer machst, der Groll des Himmels am schwersten treffen. Was liegt daran, daß die Benedictiner habgierig, dünkelhaft, hochmüthig, oder in Beziehung auf ihre Gelübde pflichtvergessen sind? Ist nicht dieser Tempel Gott geweiht und stehen nicht hier Seine Altäre, vor denen Du mit feindseligem Herzen und böslicher Gesinnung zu erscheinen wagst?«

»Geh, gute Ulrika,« entgegnete Heinrich, indem er die kalte, aber noch immer schöne Wange seiner Gattin küßte, welche ihr Haupt auf seine Schulter legte, um sich zu sammeln, während sie zugleich seine Hand fest mit ihrer eignen umschlossen hielt, als wolle sie seinen Handlungen Einhalt thun. »Geh, Du bist ein vortreffliches Weib in Deiner Art, aber was versteht Dein Geschlecht von Politik? Diese Sache ist schon in vielen Rathsversammlungen verhandelt worden, und bei meinem Barte, die Zunge eines Weibes soll die Beschlüsse von Dürkheim nicht erschüttern. Entferne Dich mit Deiner Dienerin und laß uns nach unserem Gutbefinden handeln.«

»Kannst Du es für gut finden, Heinrich, dem Herrn Trotz zu bieten? Weißt Du nicht, daß die Sünden der Väter heimgesucht werden am Kinde, – daß das heute begangene Unrecht, wie sehr wir auch in augenblicklichem Erfolge triumphiren mögen, uns zuverlässig durch die Schreckgestalt der Strafe ereilen wird? Und gäbe es auch keine andere Macht, als die des Gewissens, so hoffte man doch vergebens auf Straflosigkeit, so lange hienieden diese furchtbare Geißel waltet. Hast Du denn keine andern Verpflichtungen, als diejenigen gegen den Dürkheimer Magistrat und seine eigennützige Politik? Gedenkst Du nicht mehr der Stunde, in welcher Dir meine frommen Eltern meine Hand gaben, und der Art und Weise, in welcher Du damals gelobtest, mich und die Meinigen zu beschützen, mir meine Verwandten zu ersetzen, und für die, welche Du an Deinen Busen nahmst, Vater, Mutter und Gatte zu seyn? Gilt Dir Meta, die Frucht unserer wechselseitigen Liebe, für nichts, daß Du mit ihrem Frieden und mit ihren Hoffnungen Dein Spiel treibst? So steh' denn ab von Deinem übereilten Vornehmen und denke an Dein eigenes Heimwesen. Nimm Rücksicht auf diejenigen, welche durch Natur und Gesetz verurtheilt sind, für Deine Vergehungen zu büßen – denn haben nicht beide weit eher ein Recht darauf, sich Deiner Milde und Deines erbarmenden Sinnes zu erfreuen?«

»Hat es je ein Weib mehr darauf angelegt, den edlen Pflichten des Mannes in den Weg zu treten!« entgegnete der Bürgermeister, auf den trotz seines Dagegenkämpfens dieses umfassende Bild seiner häuslichen Pflichten einen so ergreifenden Eindruck geübt hatte, daß er nicht wußte, wie er sich aus seiner Lage herauswinden sollte. – »Du bist in Deinem Kämmerlein weit besser an Deinem Platze, gute Ulrika, denn Meta könnte von dem Unternehmen dieser Nacht Kunde erhalten und in Angst gerathen. So geh denn und beschwichtige das Kind; Du sollst ein Geleite haben, wie es meinem Stande und Deinen Verdiensten gebührt.«

»Berchthold, ich berufe mich zum letztenmale auf Dich. Dieser grausame Vater, dieser gleichgiltige Gatte ist zu wahnsinnig auf die Beschlüsse seines Magistrats und auf die aberwitzige Politik der Stadt erpicht, um Gottes eingedenk seyn zu können; aber Du trägst Dich noch mit den Hoffnungen der Jugend und birgst Gesinnungen, wie sie für Deine Jahre und für ein biederes Herz passen. Glaubst Du, unbesonnener Jüngling, ein Wesen wie Meta werde es wagen, ihr ganzes Erdenglück dem Helfershelfer an diesem Verbrechen zu vertrauen, wenn das Erbe der Schuld von ihrem eigenen Vater auf sie übergehen muß?«

Ein Geräusch unter den Mönchen, die bisher mit einer Aufmerksamkeit zugehört hatten, welche zwischen Hoffnung und Furcht mitten inne schwebte, kam einer weitern Antwort von Seiten des zaudernden Bürgermeisters und seines jungen Gefährten zuvor. Die Bewegung hatte ihren Grund in dem Vortreten einer Gruppe, welche bis jetzt fern in der Dunkelheit des Hauptganges gestanden hatte, aber nun den Moment des Zauderns benützte, um inmitten des Chores zu erscheinen. Sie theilte sich, und ein dicht verhüllter Mann trat hervor, welcher alsbald den Mantel zurückwarf, so daß man in seiner Person Emichs von Leiningen bewaffnete Gestalt erkennen konnte. Sobald Ulrika den finsteren Blick des Grafen bemerkte, verbarg sie das Antlitz mit ihren Händen und verließ die Kirche. Sie that dies übrigens nicht unbegleitet, denn sowohl ihr Gatte, als Berchthold folgte ihr voll Besorgtheit, und keiner von Beiden kehrte zu dem nächtlichen Werke zurück, bis die trostlose Gattin und Mutter dem Schutze eines auserlesenen Bürgerhäufleins übergeben war.



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