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Viertes Kapitel.

»Und keine Alte, die am Rocken saß,
Bracht's über's Herz, die Mähre zu verschweigen.«

Rogers.

Die in ihren Mantel gehüllte Frauengestalt hatte Gottlob Frincke's zeitige Einmengung so gut benützt, daß sie aus der Klausnerhütte gelangte, ohne durch ihre Entfernung die Aufmerksamkeit des Benedictiners auf sich zu ziehen. Dagegen war die Wachsamkeit des jungen Berchthold nicht so leicht zu täuschen. Er trat, als sie durch die Thüre glitt, bei Seite, blieb noch eine kleine Weile stehen, um dem Kuhhirten seine Absicht durch einen Blick kund zu thun, und eilte sodann der Verschwundenen nach. Hätte der Förster über die Identität der Person, welcher er folgte, noch einen Zweifel unterhalten, so würde ihn ihre leichte, rasche Bewegung überzeugt haben, daß wenigstens das Alter sie nicht bewogen hatte, ihr Gesicht zu verhüllen. Kein Reh hätte mit mehr Behendigkeit dahin eilen können, als die Flüchtige, sobald sie die Hütte des Klausners verlassen hatte; auch ermäßigte sie ihre Hast nicht wesentlich, bis sie über den größten Theil des trübseligen Lagers weggekommen und an eine Stelle gelangt war, wo der blaue, sternbesäte Himmelsraum ihr zeigte, daß sie das Ende des Waldes und fast auch den Rand des Berggipfels erreicht hatte. Hier hielt sie inne, und lehnte sich erschöpft an eine Ceder.

Berchthold war ihr hurtig nachgefolgt, ohne übrigens jenes Gepräge von Ruhe und überlegener Körperkraft aufzugeben, welches den Schritten eines jungen Mannes den schüchternen, aber anziehenderen Bewegungen des schwächeren Geschlechtes gegenüber Würde verleiht. Augenscheinlich war er sich seiner Ueberlegenheit bewußt und wollte eine Flucht, die ohnehin schon schneller war, als es die Umstände erforderten, nicht noch mehr beschleunigen; denn sie hatte, wie er wohl wußte, ihren Grund mehr in einer unbestimmten, instinctartigen Angst, als in einem wirklichen Anlasse zu Besorgnissen. Sobald das Frauenzimmer von seiner Eile abließ, ermäßigte auch er seine Hast und näherte sich der Stelle, wo sie nach Luft haschend stand, wie ein vorsichtiger Knabe, der den eben niedergeflogenen Vogel nicht auf's. Neue einschüchtern will.

»Sehe ich denn so fürchterlich aus, Meta, daß Du vor mir fliehest, als sey ich der Geist eines der Heiden, welche der Sage nach vor Zeiten dieses Lager bewohnten? Sonst pflegtest Du Dich doch nicht vor dem Jünglinge zu scheuen, den Du, wie ich mir wohl nachrühmen darf, von Kindheit an als treu und ehrlich kennst.«

»Es ziemt sich nicht für ein Mädchen von meinem Alter – es war thöricht, wo nicht ungehorsam von mir, daß ich mich zu solcher Stunde hier einfand,« entgegnete das Mädchen. »Es wäre mir lieb, wenn ich meinem Wunsche, noch mehr von der Weisheit des heiligen Eremiten zu hören, nicht nachgegeben hätte.«

»Du bist nicht allein, Meta?«

»Das wäre in der That sehr unschicklich für das Kind meines Vaters,« erwiederte das junge Frauenzimmer mit stolzer Miene, während sie einen Blick nach dem verfallenen Gemäuer warf, auf dessen Gestein Berchthold die wohlbekannte Gestalt einer weiblichen Dienerin aus dem Hause seiner Gefährtin entdeckte. »Wenn mich meine Unbesonnenheit soweit getrieben hätte, Meister Berchthold, so würde ich Dir in Wahrheit Grund zu der Annahme geben, ich sey die Tochter irgend eines Bauern, welche Dir der Zufall in den Weg führte.«

»Ein solcher Irrthum steht nicht zu besorgen,« antwortete Berchthold hastig; »ich kenne Dich wohl, Du bist Meta, das einzige Kind des Dürkheimer Bürgermeisters Heinrich Frey. Niemand kennt Deinen Stand und Deine Aussichten besser, als ich, denn ich habe oft genug davon hören müssen.«

Die Jungfrau senkte, in einer Anwandelung von natürlichem Bedauern und plötzlicher Reue, den Kopf. Ihr blaues Auge, das sanft von den Strahlen des Mondes beleuchtet wurde, begegnete dem Blicke des Försters, und dieser sah jetzt, daß bessere Gefühle in ihr die Oberhand gewonnen hatten. »Ich hatte nicht die Absicht, das Amt meines Vaters oder irgend einen zufälligen Vortheil meiner Stellung hervorzuheben, am allerwenigsten gegen Dich,« erwiederte das Mädchen schnell. »Es würde mir nur leid gethan haben, wenn Du hättest denken können, ich habe die Sittsamkeit meines Geschlechtes und Standes vergessen. Auch fürchtete ich, Du möchtest – – Dein Benehmen hat sich in letzter Zeit sehr geändert, Berchthold.«

»Dann geschah es ohne mein Wissen und Wollen. Vergessen wir übrigens die Vergangenheit – sage mir lieber, welch' ein Wunder Dich zu einer so ungewöhnlichen Stunde nach diesem anrüchigen und gefürchteten Platze geführt hat.«

Meta lächelte und der Ausdruck ihres Gesichtes bewies, daß die Augenblicke liebloser Schwäche, wenn dergleichen bei ihr vorkamen, mehr in den Vorurtheilen der Welt, als in ihrem freien und edlen Wesen begründet waren.

»Ich könnte Dir die Frage zurückgeben, Berchthold, und die weibliche Neugierde als Grund vorschützen, warum ich auf schleunige Antwort zähle. Sprich, warum findet man Dich zu einer Stunde hier, in welcher sich die meisten jungen Jäger dem Schlaf hingeben?«

»Ich bin Graf Emichs Förster, Du aber bist, wie ich noch eben hören mußte, die Tochter des Bürgermeisters von Dürkheim.«

»Ich erlasse Dir alle weiteren Erörterungen dieses Unterschieds. Wüßte meine Mutter, daß ich mich eben jetzt anschicke, für mein Benehmen einen Grund anzugeben, so würde sie sagen: ›Bewahre Deine Erklärungen für Diejenigen, welche ein Recht haben, sie zu verlangen.‹«

»Und Heinrich Frey?«

»Wahrscheinlich würde er den Besuch ebenso wenig billigen, als den Grund desselben.«

»Dein Vater liebt mich nicht, Meta.«

»Gegen Deine Person hat er nicht so viel einzuwenden, Meister Berchthold, wohl aber gegen den Umstand, daß Du nur Herrn Emichs Förster bist. Wärest Du, was Dein Vater war, ein ehrenhafter Bürger unserer Stadt, so würde er Dich hochschätzen. Indeß stehst Du doch bei meiner lieben Mutter sehr in Gunst.«

»Gott lohne ihr's, daß sie in ihrem eigenen Wohlstande Derjenigen nicht vergessen hat, welche durch Unglück heruntergekommen sind. Ich glaube, Du gleichst sowohl Deinem Herzen, als Deinem Aussehen nach, mehr Deiner Mutter, als Deinem Vater, Meta.«

»Das wäre mir wohl recht. Wenn ich Dir sage, daß ich Heinrich Frey's Kind sey, so geschieht es, glaube mir, nicht mit Beziehung auf irgend einen Abstand zwischen uns, sondern nur in der Absicht zu erweisen, daß ich meinen Stand nicht so sehr außer Augen setze, um ihm Unehre zu machen. Ich bin gewiß nicht der Meinung, daß der Posten eines Försters ein unehrenhaftes Amt sey, denn Diejenigen, welche dem Churfürsten in dieser Eigenschaft dienen, sind Edelleute.«

»Und Diejenigen, welche dem Adel dienen, sind Tröpfe. Ich bin nur ein Dienstmann, Meta, aber doch immerhin in einer Weise, die für meinen Stolz nicht viel Verletzendes hat.«

»Was ist Graf Emich anders, als ein Vasall des Churfürsten, der seinerseits ein Unterthan des Kaisers ist? Du solltest Dich nicht selbst so sehr herabwürdigen, Berchthold, und Niemand braucht etwas zu Deiner Rechtfertigung zu sagen.«

»Ich danke Dir, theuerste Meta. Du bist das Kind der ältesten und treuesten Freundin meiner Mutter, und was auch die Welt über den Unterschied sagen mag, der jetzt zwischen uns stattfindet, so flüstert Dir doch Dein treffliches Herz das Gegentheil zu. Du bist nicht nur das schönste, sondern in Wahrheit auch das wohlwollendste und edelste Mädchen in Deiner Vaterstadt.«

Die Tochter, das einzige Kind und folglich auch die Erbin des reichsten Bürgers von Dürkheim hörte diese Ansicht aus dem Munde von Herrn Emichs schönem Förster nicht ohne große innere Selbstbefriedigung mit an.

»Und nun sollst Du den Grund dieses ungewöhnlichen Besuches erfahren,« sagte Meta, sobald sich das stumme Wohlbehagen, welches die letzten Worte des jungen Berchthold hervorgerufen, ein wenig gelegt hatte; »denn ich habe dir's gewissermaßen versprochen, und es würde mich in Deiner guten Meinung nicht sonderlich heben, wenn ich einer Zusage vergäße. Du kennst den frommen Einsiedler und die Art seines plötzlichen Erscheinens in der Heidenmauer.«

»Die letztere ist männiglich bekannt, und Du hast bereits gesehen, daß ich ihn in seiner Hütte besuche.«

»Ich maße mir nicht an, den Grund namhaft machen oder erforschen zu wollen, – soviel aber ist gewiß, daß er sich noch keine Woche am alten Römerplatze aufgehalten hatte, als er schon Gelegenheit suchte, mir vor allen andern Jungfrauen Dürkheims eine Aufmerksamkeit zu erweisen, auf die ich durch meine Verdienste keineswegs Anspruch machen kann.«

»Ha, so ist am Ende die Frömmigkeit nur eine Maske für den Schurken!«

»Du wirst doch auf einen Mann von seinen Jahren nicht eifersüchtig werden wollen, um so weniger, da seine Lebenslage reich an Kränkungen und Leiden gewesen seyn müssen, wenn man anders aus seinem hageren Gesichte und seinen hohlen Augen einen Schluß ziehen darf. Freilich ist er gerade der Mann, der einem Jüngling von Deinem Alter, Deiner edlen Haltung, Deinem hübschen Aeußeren und Deiner rührigen Gestalt Unruhe machen kann! – Doch ich sehe, das Blut steigt Dir nach den Wangen, Meister Berchthold, und ich will Dir nicht länger mit Vergleichungen Anstoß geben, die so sehr zu Deinem Nachtheile ausfallen. Mögen die Beweggründe des heiligen Einsiedlers seyn, welche sie wollen – bei Gelegenheit seines zweimaligen Erscheinens in der Stadt und der Besuche, welche wir Mädchen oft in seiner Zelle machten, hat er viel freundliche Theilnahme für mein Wohl und meine künftigen Hoffnungen an den Tag gelegt, dabei ebenso sehr meine irdische Laufbahn, in's Auge fassend, als das jenseitige Leben, dem wir Alle entgegeneilen, obschon wir die Schritte mit unsern Ohren nicht vernehmen können.«

»Es nimmt mich nicht Wunder, Meta, daß Alle, welche Dich sehen und kennen, so handeln. Und doch finde ich es sehr sonderbar.«

»Wahrhaftig,« entgegnete das Mädchen in neckischem Tone, »jetzt rechtfertigst Du die Worte der alten Ilse, welche so oft zu mir gesagt hat: ›nimm dich in Acht, Meta, und schenke den Worten der jungen Städter nicht allzu leicht Glauben; denn wenn Du den Sinn derselben genauer erwägst, so wirst Du sehen, daß sie sich widersprechen. Die Jugend ist so sehr darauf erpicht, ihr Ziel zu erreichen, daß sie sich nicht lange damit aushält, das Wahre von dem Scheinbaren zu trennen.‹ Das sind ihre eigenen Worte, die sie mir oft wiederholte und die ich eben durch Dich rechtfertigen hörte. Ich glaube wahrhaftig, die Alte ist ganz behaglich auf jenem Steinhaufen eingeschlafen.«

»Störe sie nicht, denn in ihren Jahren ist man der Ruhe sehr bedürftig, und es wäre in der That unbedacht, ihr dieses kleine Vergnügen zu rauben.«

Meta hatte bereits einen Schritt vorwärts gethan, augenscheinlich in der Absicht, ihre Begleiterin zu wecken, als die hastigen Worte und eine rasche Geberde des Jünglings sie inne zu halten veranlaßten. Sie trat unter den Schatten der Ceder zurück, nahm ihre frühere Haltung wieder an und fuhr mit mehr Rücksicht fort:

»Es würde in der That undankbar seyn, die Arme aufzuwecken, nachdem sie sich zu so später Stunde mit mir diesen mühseligen Berg herangeschleppt hat.«

»Und noch dazu bei ihrem Alter, Meta.«

»Ich sollte freilich wieder nach dem Hause meines Vaters zurück; aber meine gute Mutter wird die Zögerung übersehen, denn sie liebt die treue Pflegerin meiner Jugend nicht viel weniger, als ihr eigen Fleisch und Blut.«

»So ist also Deine Mutter von diesem Besuche in der Hütte des Einsiedlers unterrichtet?«

»Glaubst Du, Meister Berchthold, das einzige Kind eines Bürgermeisters von Dürkheim ziehe zu einer solchen Stunde aus, ohne Erlaubniß dazu erhalten zu haben? Ein so heimlicher Besuch wäre höchst unschicklich und ein Leichtsinn, den man nur den Dirnen in Graf Emichs Dorfe nachsehen könnte. Es heißt ohnehin in unserer Stadt, daß die Schloßjungfern es in ihrem Betragen nicht eben sonderlich genau nehmen.«

»Die in den Städten drunten lügen gewaltig über uns auf den Bergen. Ich schwöre Dir, daß man in eurem Dürkheimer Palast nicht mehr Zucht finden kann, als unter unsern Frauenspersonen, mögen sie nun in dem Dorfe oder auf dem Schlosse wohnen.«

»Das mag in der Hauptsache wahr seyn, und zur Ehre meines Geschlechtes will ich es auch hoffen; dennoch wirst Du kaum so viel Dreistigkeit aufbieten können, Berchthold, etwas um zu Gunsten jener Gisela, der Tochter des Burgwärtels zu sagen. Ja meinem Leben habe ich nie eine eitlere Weibsperson gesehen.«

»In Hartenburg hält man sie für schön.«

»Gerade diese Meinung hat das Geschöpf ganz und gar verderbt. Du bist viel in ihrer Gesellschaft, Meister Berchthold, und ich bezweifle nicht, daß die Gewohnheit Dich manche Eigenschaften übersehen ließ, welche Fremden nicht entgehen können. ›Sieh nur jenen flunkernden Vogel aus dem Passe des Jägerthals an,‹ sagte die vortreffliche alte Ilse eines Morgens bei Gelegenheit eines Festes in unserer ehrwürdigen Kirche, zu welchem sich die ganze Umgegend in ihrem besten Putze einfand – ›sollte man nicht aus seinem Flattern und aus dem Schwenken seiner Federn glauben, er bilde sich ein, das Auge eines jeden jungen Jägers hafte auf seinem Gefieder und fürchte unversehens den Pfeil des Schützen. Und doch habe ich Thiere von derselben Zucht gekannt, die, wenn man die Wahrheit sagen darf, sich nicht so gewaltig vor der Hand des Vogelstellers scheuten.‹«

»Du beurtheilst Gisela hart, denn obschon sie ein wenig unbesonnen in ihren Reden ist und sich vielleicht ein Bischen allzuviel auf ihre Schönheit zu Gute thut, so muß man ihr doch nachsagen, daß man sich recht gut und angenehm mit ihr unterhalten kann.«

»Ich habe ja nur Ilses Worte wiederholt, Meister Berchthold.«

»Deine Ilse ist alt und geschwätzig, weßhalb man sich über eine thörichte Rede aus ihrem Munde nicht wundern darf.«

»Mag seyn; aber nenne es so thöricht, als Du willst, die Thorheit meiner Pflegerin ist auch die meinige. Ich habe aus ihrem Umgang so viel gewonnen, daß ich fürchte, ein Verbessernwollen kommt jetzt zu spät. Offen gesprochen, sie hat über des Burgvogts Tochter keine Sylbe laut werden lassen, der ich nicht von ganzem Herzen Glauben schenke.«

Berchthold verstand sich nur wenig auf die Winkelzüge des menschlichen Herzens. Frei in der Aeußerung seiner eigenen Empfindungen, wie die Luft seiner heimathlichen Berge, und ohne einen Gedanken an Arg in Beziehung auf die Gefühle, die ihn an Meta fesselten, hatte er sich nie in die Geheimnisse jener Leidenschaft vertieft, welcher er sich so völlig hingab, ohne auch nur die Ausdehnung seiner eigenen Knechtschaft zu kennen. Er betrachtete daher diese kleine Aufwallung der Eifersucht von dem Standpunkte aus, von dem jedes edle Wesen irgend eine Ungerechtigkeit beurtheilt, und ging daher nur mit um so größerer Wärme auf die Vertheidigung der Gekränkten ein. Eines von jenen siebähnlichen Herzen in einer großen Stadt, die schon zu hundertmalen rechts und links von den Pfeilen aus Amors Köcher durchbohrt worden, wurde wahrscheinlich zu demselben Hülfsmittel seine Zuflucht genommen haben, blos um zu beobachten, bis zu welcher Ausdehnung es mit den Gefühlen eines Wesens spielen könne, das es zu lieben vorgab.

Der Europäer späht so gerne in dem Auge seines transatlantischen Vetters nach dem Splitter und sagt, die Hauptleidenschaft des Lebens sey in dem Herzen des Amerikaners nur eine träge Regung. Allerdings liegt es ganz in der Ordnung der Dinge, daß Leute, welche sich hauptsächlich mit den Angelegenheiten dieser Welt beschäftigen, zufrieden sind mit dem natürlichen Gange der Neigungen, wie sie sich aus den ehrenhaften Beziehungen des häuslichen Kreises ergeben; aber eben so wahr ist auch, daß Diejenigen, welche ihre Leidenschaften mit Eitelkeit und Abwechselung nähren, sehr im Irrthume befangen sind, wenn sie glauben, gelegentliche und wankelmüthige Regungen gehören zu dem Wesen jenes hehren und läuternden Gefühles, welches zu dem Streben führt, sich aller der Huldigung, welche wir unwillkürlich der Tugend zollen, würdig zu machen, indem es den angebeteten Gegenstand mit allen schätzbaren Eigenschaften bekleidet. In Berchthold und Meta darf der Leser nichts von jener Glut suchen, welche bisweilen eine augenblickliche Wallung an die Stelle tieferen Gefühls setzt, oder von jener künstlichen Entwickelung einer Theorie der Liebe, die so oft den Neuling zu dem Irrthume verleitet, seine Träume für den natürlicheren Zug der Sympathie und der Vernunft zu halten. Für das erstere lebten sie zu weit nördlich, und für das letztere konnte man vielleicht sagen, das Geschick habe ihr Loos etwas zu weit südlich geworfen. Jene feine und fast unbestimmbare Sympathie zwischen den Geschlechtern, die wir Liebe nennen, und der wir Alle unterworfen sind, weil ihr Princip in der Natur selbst begründet ist – findet sich vielleicht in ihrer reinsten und am wenigsten conventionellen Gestalt gerade in dem Herzen derjenigen, welchen die Vorsehung eine Mittelstufe zwischen Ueberbildung und Unwissenheit, zwischen der ekeln, krankhaften Verkehrtheit allzugroßer Hingebung und jener Selbstsucht, welche die Frucht eines beharrlichen Aufgebots zu Kraftanstrengungen ist – kurz, die Lage der beiden jungen Personen angewiesen hat, die wir in diesem Kapitel unsern Lesern vorführten. Es ist bereits zur Genüge gezeigt worden, daß Berchthold, trotz seines dienstlichen Verhältnisses, Ansichten eingesogen hatte, die ihn über seine Stellung erhoben – ein Umstand, der sich hinreichend aus seinen Anspielungen auf die herabgekommenen Glücksverhältnisse seiner Eltern erklärt. Er drückte sich daher, während er so edelmüthig die Tochter des Mannes vertheidigte, der mit der Bewachung der Zugange zu Graf Emichs Schlosse beauftragt war, vielleicht weit besser aus, als sich von einem bloßen Forstmann erwarten ließ. »Es ist nicht meines Amtes, die Fehler unserer Schloßschönheit zu enthüllen, wenn sie deren wirklich besitzt,« sprach er; »aber so viel kann ich ohne Furcht, die Wahrheit zu übertreiben, zu ihrer Vertheidigung sagen: ihr Vater ist in der Livree von Leiningen grau geworden, und es gibt wohl in der ganzen Welt kein Kind, welches seinem Erzeuger mehr Achtung und Liebe erwiese, als eben dieser Dein Vogel mit seinem flunkernden Gefieder und der Koketterie gegen den Pfeil des Schützen.«

»Man sagt, eine pflichtgetreue Tochter gebe stets eine vortreffliche und gehorsame Ehefrau.«

»Desto besser für den, welcher einmal das Kind des alten Friedrich heimführt. Ich habe selbst mit angesehen, wie sie, wenn die Edelleute länger als gewöhnlich im Walde verweilten, bis tief in die Nacht hinein die Thore bewachte, damit ihrem Vater seine Ruhe nicht verkümmert werde; ja, und es waren schleppende Stunden – die meisten ihres Alters und Geschlechts würden alle erdenklichen Entschuldigungen aufgeboten haben, um in ihren Kissen bleiben zu können. Ich bin oft hievon Zeuge gewesen, da ich vermöge meines Amtes den Grafen meist auf seinen Jagden zu begleiten habe. Daß Gisela schön ist, wird ihr Niemand absprechen wollen, und es mag wohl unter ihre übrigen Eigenschaften auch die gehören, daß sie darum weiß.«

»Sie scheint nicht die Einzige auf Deiner Hartenburg zu seyn, welche dieser Thatsache sich bewußt ist, Meister Berchthold.«

»Meinst Du vielleicht den schlemmerischen Pariser Abbé oder den geschworenen Krieger-Mönch von Rhodus, die sich jetzt in dem Schlosse aufhalten?« fragte der junge Förster mit einer Einfalt, die durch ihre offene Natürlichkeit das Herz der größten Kokette beruhigt haben wurde. »Da Du hierauf anspielst, so will ich zugeben – freilich ziemt sich's nicht für mein Amt, daß ich mich allzu vorschnell über Diejenigen äußere, welche mein Gebieter liebt; aber ich kenne Deine Klugheit, Meta, und will daher aussprechen, daß ich halb und halb vermuthe, diese beiden übelgewählten Diener der Kirche denken mehr an das arme Mädchen, als gebührlich ist.«

»Deine arme Gisela hat allen Grund, sich selbst aufzuhängen! In der That, wenn jene lockeren Bursche mich nur mit Einem freien Blicke betrachten wollten, so sollte der Bürgermeister von Dürkheim von ihrer Dreistigkeit Kunde erhalten.«

»Meta, sie würden es nicht wagen. Die arme Gisela ist nicht das Kind eines ehrenfesten Bürgers, sondern des Schloßwärters von Hartenburg, und es mag auch in eurem beiderseitigen Wesen ein Unterschied stattfinden – ja ich bin sogar überzeugt, daß dies der Fall ist; denn Du bist nicht von der Art, daß Du die Bewunderung eines jeden vorübergehenden Ritters suchst, sondern eine Jungfrau, welche ihren Werth und die ihr gebührende Achtung kennt. Allerdings muß ich sagen, daß Du unserer Burgschönheit gewissermaßen Unrecht gethan hast; aber dennoch möchte ich Dich nie mit ihr vergleichen, mag es sich nun um die Vorzüge des Körpers oder des Geistes handeln. Wenn sie schön ist, so bist Du noch viel schöner, und hat sie Verstand, so kann man Dich weise nennen.«

»Berchthold, Du mußt mich nicht mißverstehen, indem Du glaubst, ich habe der Tochter des Burgwärters etwas Ungebührliches zur Last legen wollen. Ich weiß, daß das Mädchen verständig ist, und will noch außerdem gerne zugeben, daß eine Person, welcher das Geschick die herbe Lage der Dienstbarkeit angewiesen hat, es nicht leicht finden wird, stets das zu seyn, was man von ihrem Geschlecht und ihren Jahren wünschen könnte. Ich glaube sogar, Gisela würde, wenn das Glück und die Gelegenheit es gestatteten, ihrer Erziehung und ihrem Aeußeren keine Unehre machen, denn man kann wohl sagen, daß Beides sie einigermaßen über ihren Stand erhebt.«

»Und Du sagtest, Deine Mutter wisse von diesem Besuche bei dem Einsiedler?«

»Allerdings. Meine Mutter hat nie etwas dagegen einzuwenden, wenn ihre Tochter der Kirche oder den Dienern derselben Ehrfurcht zollt.«

»Davon bin ich überzeugt. Du gehörst unter die eifrigsten Kirchengängerinnen der Abtei, Meta.«

»Bin ich nicht eine Christin, und möchtest Du wohl haben, daß eine Jungfrau ihre religiösen Pflichten verabsäumte?«

»Nein, gewiß nicht; aber unsere Jäger erzählen sich, daß in letzter Zeit der Prior vorzugsweise seinem jungen Neffen, dem Bruder Hugo die Obliegenheit übertrage, die Gewissen der Reuigen zu beruhigen. Es wäre besser, wenn ein Pater mit einem grauen Tonsurringe in den Beichtstuhl einer Kirche träte, die so häufig von den jungen Schönheiten Dürkheims besucht wird.«

»Du würdest gut thun, dies mit Deiner schulgerechten Hand dem Bischof von Worms oder unsrem frommen Abte zu schreiben, Meister Berchthold, denn Du hast geistliche Begabungen und könntest sie vielleicht überreden.«

»Wollte Gott, das Wenige, was ich in dieser Weise gethan habe, hätte nicht so ganz seinen Zweck verfehlt. Du hast häufige Proben von der Aufrichtigkeit, wenn auch nicht von der Geschicklichkeit dieser Hand, Meta.«

»Nun, laß das; es führt zu nichts, und läßt mich nur den Einsiedler vergessen. Meine Mutter – ich weiß nicht, wie es kommt – und da Du mich darauf aufmerksam machst, so finde ich selbst auch, daß es von ihrer gewöhnlichen Regel abweicht; aber soviel ist gewiß, daß sie meine Besuche in der Heidenmauer durchaus nicht entmuthigt. Wir sind noch sehr jung, Berchthold, und begreifen vielleicht deßhalb noch nicht Alles, was in älteren und weiseren Köpfen vorgeht.«

»Es ist seltsam, daß der fromme Mann eben uns aufsuchen mußte. Wenn er unter den Stadtmädchen vorzugsweise Dich auszeichnet, so schenkt er unter den Jünglingen im Jägerthal hauptsächlich mir seine Aufmerksamkeit.«

In diesem Gedanken lag ein Reiz, der die beiden jungen, arglosen Herzen viele flüchtige Minuten in süßen Banden hielt. Sie sprachen lange und mit ungemindertem Interesse über die unerklärliche Sympathie zwischen dem Gottesmann und ihnen selbst, denn es kam ihnen vor, daß darin eine Kette liege, welche sie noch enger an einander feßle. Was auch Philosophie und Erfahrung in derartigen Dingen behaupten mögen, so ist doch unbestreitbar, daß sich der Mensch in Beziehung auf die geheimen Einflüsse, welche auf der dunkeln Erdenpilgerschaft die Leiter seines Glückes seyn sollen, gerne abergläubischen Vorstellungen hingibt. Liegt nun der Grund in dem Dunkel einer unerschaubaren Zukunft oder in dem Bewußtseyn, daß selbst bei dem gepriesensten Erfolge so viel das Ergebniß von Umständen ist, die der Mensch nicht zu leiten im Stande war, möglich auch, daß selbst in hehren heiliger Absicht dieses Princip der Menschenbrust eingepflanzt hat, um uns stets unsere Abhängigkeit von einer höhern Gewalt vor Augen zu halten: soviel bleibt jedenfalls gewiß, daß nur Wenige im Gebiete rationeller Spekulation sich hoch genug erheben, um nicht einen Theil ihrer Zukunft den Wechselfällen des Glückes, oder der Vorsehung, zuzuschreiben: denn so nennen wir die leitenden Gewalten, je nachdem der Geist in der Führung auch der untergeordneten Angelegenheiten des Lebens ein unmittelbares Wirken der Gottheit anerkennt oder verwirft. In der Zeit, von welcher wir schreiben, hatte die Aufklärung noch nicht hinreichende Fortschritte gemacht, um den gewöhnlichen Menschen über den Glauben an die Künste der Zauberei zu erheben. Man zog allerdings nicht länger öffentlich die Eingeweide von Thieren zu Rathe, um den Willen des Schicksals zu erforschen, gab sich aber doch kaum weniger unverständigen Ansichten hin, und nur Wenige waren im Stande, wahre Frömmigkeit von Aberglauben oder die erhabenen Schickungen der Vorsehung von den geringfügigen Interessen der Selbstsucht zu scheiden. Es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn Berchthold und Meta einen besonderen Werth auf die auffallende Theilnahme legten, welche der Einsiedler für sie kund gab, und eine günstige Vorbedeutung für ihre gemeinschaftlichen Hoffnungen darin sahen: wir sagen gemeinschaftlich, denn obgleich die Jungfrau die Zurückhaltung, welche sie als ein so wesentliches Erforderniß ihres Geschlechtes betrachtete, nicht bis zu einem vollen Zugeständnisse aller ihrer Gefühle aufgegeben hatte, so erhob doch der scharfsinnige Instinkt der Jugend und Unschuld den wahren Zustand ihrer beiderseitigen Neigungen über allen Zweifel.

Die alte Ilse hatte daher hinreichend Zeit, ihren Körper nachdem beschwerlichen Gange von der Stadt nach dem Lager ausruhen zu lassen. Als Meta sich ihr endlich näherte, um sie zu wecken, brach die geschwätzige Alte in einen Ruf der Ueberraschung über die Kürze des Besuchs bei dem Einsiedler aus, denn in ihrem tiefen Schlummer hatte sie durchaus nichts von Berchtholds Anwesenheit und Verschwinden wahrgenommen.

»Es ist ja kaum ein Augenblick, liebe Meta,« sagte sie, »seit wir den Berg herausgekommen, und ich fürchte, Du hast auf die weisen Worte des heiligen Mannes nicht gehörig geachtet. Wir dürfen eine heilsame Arznei nicht zurückweisen, weil sie bitter schmeckt, mein Kind, sondern müssen sie bis auf den letzten Tropfen nehmen, wenn wir anders glauben, daß Heilkraft in der Schale wohnt. Hast Du dem Einsiedler Dein ganzes Herz ausgeleert und ehrlich von Deiner sündigen Natur mit ihm gesprochen?«

»Du vergiß'st, Ilse, daß der Eremit nicht einmal die Tonsur hat und weder Beicht hören noch Sünde vergeben kann.«

»Ei, das weiß ich doch nicht. Ein Einsiedler ist ein Mann Gottes, und ein Mann Gottes ist heilig. Jeder Christ aber kann und soll sogar vergeben, und was das Beichthören betrifft, so ist mir ein Klausner, der in Gebet und Selbstverläugnung Leib und Seele kasteit, weit lieber, als alle Mönche von Limburg. Der Segen eines solchen Mannes hat viel mehr Kraft, als ein ganzes Dutzend von der Hand eines schweigenden Abtes – ja, ich weiß nicht, ob ich nicht eher ein halb Hundert sagen sollte.«

»Er hat mich gesegnet, Ilse.«

»Gut, das ist ein Trost, und wir haben uns dann doch nicht umsonst abgemüht. Aber Du hättest ihm doch sagen sollen, daß Du bei der letzten Messe das Spitzenleibchen zu tragen wünschtest, um Deine Gespielinnen neidisch zu machen über Deine Schönheit. Es wäre jedenfalls heilsam gewesen, wenn Du wenigstens diese Sünde eingestanden hättest.«

»Aber er fragte mich nicht nach meinen Sünden. Sein ganzes Gespräch betraf das Haus meines Vaters, meine gute Mutter und – noch andere Dinge.«

»Unter den andern Dingen hättest Du doch das Leibchen anbringen sollen. Habe ich Dich nicht stets vor der Gefahr des Stolzes gewarnt, Meta, und Dir gesagt, wie sündig es sey, in dem Herzen einer Freundin Neid wecken zu wollen? Ich weiß aus eigner Erfahrung, daß es nichts Widerlicheres gibt, als den Neid. Oh! ich bin nicht mehr jung, und Du brauchst nur zu mir zu kommen, wenn Du wissen willst, was der Neid oder sonst ein anderes gefährliches Laster ist; ich stehe dafür, Du sollst gute Aufklärung darüber erhalten. Ja, ja, es war sehr Unrecht von Dir, daß Du nicht von dem Leibchen sprachst.«

»Hätte ich es für passend gefunden, ein Sündenbekenntniß abzulegen, so würde sich's bei meiner Beichte wohl um ernstlichere Sünden gehandelt haben, als um diejenigen, die auf meinen Anzug Beziehung haben.«

»Das weiß ich doch nicht. Der Anzug ist ein großer Verführer für junge Herzen und schöne Gesichter. Hast Du Schönheit in Deinem Hause, so zerbrich Deine Spiegel, damit es die Jugend nicht erfahre – dies habe ich tausendmal sagen hören, und da Du zugleich jung und schön bist, so will ich es wiederholen, was auch ganz Dürkheim dagegen sage: – Du bist in Gefahr, wenn Du darum weißt. Wenn Du nur mit dem Klausner von dem Leibchen gesprochen hättest, so wäre Dir wahrscheinlich viel Gutes daraus erwachsen. Was liegt bei einem solchen Manne daran, ob er die Tonsur hat oder nicht? Er fastet, betet, hält seine Mitternachtsbetrachtungen und kasteit seinen Leib – ist das nicht mehr werth, als alle Haare, die je den Mönchen in der Pfalz ausgefallen sind? Ich wollte, mein Kind, Du hättest mit ihm von dem Leibchen gesprochen.«

»Da Du es durchaus wünschest, so will ich beim nächsten Besuche darauf Bedacht nehmen, liebe Ilse; Du magst Dich daher immerhin zufrieden geben.«

»Das wird Deiner Mutter große Freude machen; denn warum sollte sie sonst ihrer Tochter zu so später Stunde den Besuch eines heidnischen Lagers erlauben. Ich stehe Dir dafür, daß sie an das Leibchen dachte.«

»Höre doch einmal auf, von dem Leibchen zu sprechen, Ilse; meine Gedanken sind mit etwas ganz Anderem beschäftigt.«

»Na, wenn das ist, so ist's verlorne Mühe, vorderhand mehr davon zu sagen, obschon der Himmel weiß, daß Du große Ursache hast, Dir jenen eitlen Meßbesuch in's Gedächtniß zurückzurufen. Warum hat denn Dein Besuch bei dem Eremiten heute so plötzlich abgebrochen, Meta?«

»Wir sind in der That nicht lange auf dem Berge gewesen, Ilse; aber wir müssen uns beeilen, damit die Mutter nicht unruhig werde.«

»Und warum sollte sie auch? Bin nicht ich bei Dir? Gilt denn Erfahrung für nichts – und Klugheit und ein alter Kopf, ja, und was dies betrifft, ein alter Leib obendrein, und ein gutes Gedächtniß, und Augen, wie sie in Dürkheim keine andere Person von meinen Jahren hat – ich sage von meinen Jahren, denn Du hast bessere und die Deiner lieben Mutter sind nur wenig schlechter, als die Deinigen – aber in meinem Alter trifft man nur wenige meines Gleichen. In Deinen Jahren, Mädchen, war ich nicht die alte Ilse, sondern die lebhafte, die rührige und (Gott verzeih mir, wenn Eitelkeit in dem Gedanken liegt, aber der Wahrheit muß man stets das Wort reden) die schöne Ilse, und dies noch obendrein ohne Beihülfe von einem solchen Leibchen, wie das Deinige.«

»Kannst Du denn das Leibchen nie vergessen? Komm her und stütze Dich auf mich, damit Dein Fuß auf dem steilen Pfade nicht ausgleite.«

Beide begannen nun bergab zu steigen, und da sie jetzt eine Stelle des Wegs erreicht hatten, wo besondere Vorsicht nöthig war, so hörte die Unterhaltung so ziemlich auf.

Wer heutzutage Dürkheim besucht, wird noch hinreichende Merkmale finden, welche den Beweis liefern, daß sich die Stadt früher weiter gegen den Fuß des Gebirges hin erstreckte, als aus ihrer gegenwärtigen Lage zu entnehmen ist. Man trifft in den unteren Weinbergen noch Ueberreste von Mauern und Thürmen; auch spricht die Sage von Festungswerken, die seitdem längst verschwunden sind, weil sie durch dieselben Verbesserungen in der Kriegskunst, welche manchem andern festen Platze seine Bedeutsamkeit raubten, nutzlos wurden. Jede höher liegende Häusergruppe war damals mehr oder weniger ein Vertheidigungswerk; aber die Einführung des Schießpulvers und des schweren Geschützes hat schon seit Jahrhunderten dergleichen Schutzmittel dem Verfalle preisgegeben, und wer jetzt eine Citadelle der alten Zeit suchen wollte, dürfte darauf zählen, sie in irgend einer Ebene oder in einem Moraste begraben zu finden. Jetzt sieht die Welt einer neuen Crisis von Verbesserungen entgegen, denn die Einführung des Dampfes wird wahrscheinlich das ganze Wehrsystem zu Wasser wie zu Land ändern. Doch wie sich auch die Zukunft gestalten mag, so war doch die Geschicklichkeit des Baumeisters in der Periode unserer Erzählung noch nicht so weit fortgeschritten, um Meta und ihre Begleiterin von dem Eintritte in den Kreis alterthümlicher Mauern abzuhalten, welche in ihrer Plumpheit eben den Anforderungen entsprachen, die man bei dem unvollkommenen Zustande der damaligen Kunst machen konnte. Da es noch sehr früh war, so wurde es ihnen nicht schwer, das Haus des Bürgermeisters zu erreichen, ohne daß sie überhaupt eines Menschen Aufmerksamkeit auf sich zogen.



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