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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

»Pfui, Onkel Beaufort – spricht nicht Deine Predigt,
Der Haß sey eine große, schwere Sünde?«

König Heinrich VI.

 

Der Gastfreundschaft, welche in den Benedictinerklöstern herrschte, ist bereits in einem früheren Kapitel Erwähnung gethan worden, und Einsiedeln bildete, obschon es ein sehr besuchter Wallfahrtsort war, von der allgemeinen Regel keine Ausnahme. Namentlich machte die Anzahl hochstehender Pilger, die sein Heiligthum besuchten, mehr als gewöhnlichen Aufwand nöthig, obschon die Befriedigung der Ansprüche stets in den Schranken blieb, die der Brüderschaft durch ihre Regel angewiesen war. Loretto hat sogar einen Palast zu Beherbergung derjenigen Fürsten, die von ihren Thronen herabsteigen können, um in der Santa Casa zu knieen; denn schon die Politik, edlerer Motive gar nicht zu erwähnen, fordert eine Ebnung des Pfades für diejenigen Andächtigen, welche nicht an die Bestehung von Schwierigkeiten gewöhnt sind. Trotz der abgeschiedenen und wilden Gegend also, die wir bereits beschrieben haben, hatte im Einklang mit der Ordensregel die Brüderschaft unsrer lieben Frau von Einsiedeln eine eigene Abtswohnung, Fremdenquartiere, und eben so gut volle Keller und Speisekammern, als Zellen und Gottesdienst.

Ungefähr drei Stunden nach dem im letzten Kapitel beschriebenen Gespräche – eine Zeit, die uns dem Einbruche der Nacht nähert – müssen wir den Faden unserer Erzählung wieder aufnehmen. Der Schauplatz ist ein Banketsaal, oder, um uns eines abgemesseneren Ausdrucks zu bedienen, ein Privat-Refektorium, in welchem der Fürstabt diejenigen zu bewirthen pflegte, denen er aus einem oder dem andern Grunde mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit und Gunst erweisen wollte. In den Verzierungen des Platzes war nicht eben viel Prunk zur Schau gestellt, denn eine nutzlose Entfaltung von Wohlstand gehörte nicht zu dem System einer Gemeinschaft, die ihren Bestand hauptsächlich frommer Freigebigkeit verdankte. Dennoch war der Saal so gut eingerichtet, als dies nur immer mit den derben Gewohnheiten der Zeit und der abgeschiedenen Gegend verträglich war – Gewohnheiten, die lieber auf den substanziellen Theil menschlicher Genüsse, als auf die ausgesuchten, verweichlichenden Erfindungen Rücksicht nahmen, welche in unseren Tagen fast unerläßlich geworden sind. Der Boden war mit nicht sehr glatten Dielen versehen, und die Wände hatten ein Getäfel von dunkelm Eichenholz, während an der Decke ein roher Versuch, die Hochzeit von Canaan und das Wunder der Weinverwandlung darzustellen, angebracht war. Obschon es hoch im Sommer war, flackerte doch ein helles Feuer in einem Kamine von ungeheurem Umfang – ein Behelf, der durch die Größe des Zimmers und die scharfe Bergluft nicht nur angenehm, sondern auch nothwendig wurde. Die Tafel war geräumig und gut besetzt, indem sie namentlich in üppiger Fülle jenen gesunden, erwärmenden Saft bot, welcher den Rhein schon seit so langer Zeit bei allen Reisenden von Geschmack so hoch in Ehren bringt.

An der Tafel saßen der Abt und sein obdachloser College Bonifacius, ein paar Begünstigte aus der Brüderschaft von Einsiedeln, Emich, der Ritter von Rhodus, der Abbé, Heinrich Frey und der Schmied. Erstere waren in ihre gewöhnliche Ordenstracht gekleidet, während letztere insgesammt ihre Pilgermäntel trugen also, was den Anzug betraf, nicht von einander zu unterscheiden waren. Dietrich verdankte seine dermalige Auszeichnung blos dem glücklichen Umstande, daß er sich in so guter Gesellschaft befand, die sich vor der Hand der gewöhnlichen Merkmale ihres Ranges entschlagen hatte; und wenn je auch Bonifacius seine Stellung kannte, so enthielt er sich doch aus Gleichgiltigkeit oder Politik einer Bloßstellung.

Wäre Jemand plötzlich in den Kreis dieser mitternächtlichen Scene getreten, so würde er wohl schwerlich in der fröhlichen Zechgenossenschaft der Stunde die müden Wallfahrer und die strengen Ordensmänner erkannt haben. Der Appetit war bereits mehr als befriedigt und schon manches Glas zu Ehren der Wirthe und der Gäste hinuntergeflossen, ehe wir die Handlung unserer Geschichte ihren Fortgang nehmen lassen.

Der gefürstete Prälat nahm, wie es seinem hohen Range gebührte, den Ehrenplatz ein, während Bonifacius rechts und der Graf von Hartenburg links neben ihm saß. Die große Rücksicht, welche der Erstere mit Recht ansprechen konnte, wie auch sein persönlicher Charakter und seine milden Manieren hatten dazu gedient, allen äußeren Schein von Freundschaft und höflichem Verkehr zwischen seinen Nachbarn aufrecht zu erhalten, so daß bis jetzt keiner von beiden auch nur die mindeste Hindeutung auf ihre frühere Bekanntschaft hatte fallen lassen. Diese feine Heuchelei, die, wie wir Grund zu glauben haben, schon sehr alten Ursprungs ist, und in welcher Albrecht von Viederbach sammt Monsieur Latouche mit seltenem Glücke mitwirkten, trug dazu bei, auch die Gefühle der Geringern zu zügeln, da andernfalls diese, als weniger an die Gebührlichkeit solcher Täuschung gewöhnt, wahrscheinlich einigen ihrer körperlichen Leiden durch Anspielungen von aufregender und bedenklicher Beschaffenheit Luft gemacht haben würden.

»Du findest unsere Weine schmackhaft?« bemerkte höflich der Abt – wie wir nun vorzugshalber stets den von Einsiedeln bezeichnen wollen. »Den in dem silbernen Becher verdanken wir der Freigebigkeit Deines verstorbenen Churfürsten, der ihn ex voto wegen der Krankheit eines Gliedes seiner Familie als Opfergabe nach Einsiedeln schickte und dabei die Gnade hatte, das Schreiben an die Klosterschatzkammer mit diesem Zeichen seiner besondern Geneigtheit zu begleiten. Der aber, welcher Dir am besten zu munden scheint, ist ein nachbarliches Geschenk von unserem Bruder in St. Gallen – eines so edelmüthigen Dieners der Kirche, wie nie einer die Kutte getragen hat. Dir ist wohl bekannt, mein Sohn, daß jene blühende Brüderschaft längst der Veredelung des Weins ihre besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat?«

»Du überschätzest meine geschichtlichen Kenntnisse, durchlauchtigster Abt,« entgegnete Emich, indem er das Glas niedersetzte, aber in einer Weise, aus welcher sich ersehen ließ, daß er ein gutes Getränk wohl zu beurtheilen verstand. »Wir weiter unten verschwenden unsere Zeit nicht an dergleichen Studien und verlassen uns in Betreff der Wahrheit dessen, was wir hören, hauptsächlich auf die Angaben derjenigen, welche Universitäten besucht haben. Wenn der Abt von St. Gallen mit diesem edlen Safte freigebig ist, so wäre es nicht übel, unsere geistlichen Berather schickten uns gelegentlich auf Wallfahrten in diese Gegend, die nicht weit von hier abgelegen seyn kann, wenn mich anders mein geographisches Wissen nicht ganz trügt.«

»Du hättest nicht besser rathen können, und wenn Du ein Doktor von Wittenberg oder von Rom selbst wärest. In Anbetracht unserer gebirgigen Pfade, des Mangels an Brücken und anderer Bequemlichkeiten dürften etwa zwei Tage nöthig seyn, um ein Roß von unserem Klosterthore nach dem von St. Gallen zu bringen, obschon es uns in Nothfällen durch Vermittlung treuer Boten schon gelungen ist, innerhalb vierundzwanzig Stunden Nachricht zu erhalten. St. Gallen ist eine reiche, wohlbegabte Abtei von großem Alterthum und steht in hohem Rufe als Hafen der Wissenschaft während der dunkelsten Periode unserer neueren Zeiten, gelehrter Bonifacius, obschon die Vergrößerung der Stadt und die sich steigernden Unruhen auch sie mit den Gefahren bedrängen, denen jetzt Alle ausgesetzt sind, welche es mit Rom halten.«

Dies war die erste Hindeutung auf die Ereignisse, welche in so seltsamer Weise die gegenwärtige Gesellschaft zusammengeführt hatten, und ohne die Gewandtheit und Fassung des obdachlosen Abtes hätte sie leicht zu einer nichts weniger als angenehmen Verhandlung führen können.

»St. Gallen und seine Verdienste sind Niemand unbekannt, der das Kleid des heiligen Benedict trägt,« versetzte er mit bewundernswürdiger Ruhe. »Du hast Recht, wenn Du sagst, seine Mauern seien durch viele Jahrhunderte die einzigen Beschützer der Gelehrsamkeit in Europa gewesen; denn ohne den Fleiß und die Treue seiner Aebte und Conventualen wäre für uns und die Nachwelt unwiederbringlich verloren gegangen, was jetzt erhalten geblieben ist und hoch geschätzt wird.«

»Ich bezweifle nicht, hochwürdiger Benedictiner,« bemerkte Emich, seine Rede höflich an den Abt sowohl, als an Bonifacius richtend, wie etwa ein Mann von Bildung bei Tafel sich mit Nachbarn zu unterhalten pflegt, die ihm sonst fremd sind – »daß die feine Weinzunge, von welcher eben die Rede war, eine Frucht der ausgezeichneten Kenntnisse ist, die Ihr so sehr erhebt.«

»Dies ist ein Punkt, den ich nicht vorschnell entscheiden möchte,« entgegnete Bonifacius lächelnd. »Möglich ist's wohl; denn wir besitzen Berichte von bitteren Zwisten zwischen St. Gallen und Anderen, die sogar gleichfalls der Kirche angehören, über die guten Eigenschaften ihrer Weine.«

»Ja, und zwar treue Berichte,« fügte der Abt bei. »Wir wissen von einem Streit zwischen dem Fürstbischof zu Basel und unsern Brüdern zu St. Gallen, der zu schlimmen Entzweiungen und schweren Verlusten führte.«

»Wie, wollte unser rheinischer Prälat auch Theil daran haben und bewog ihn das Verlangen nach diesem Safte, auf eine so weite Strecke hin zu abenteuern?«

»Du bist über die Beschaffenheit der Keller von St. Gallen im Irrthume, Sohn Pilgrim. Wir haben zwar auch Weinberge, wie z. B. die am Ufer des Zürcher Sees und andere, die ich aufführen könnte, beweisen; aber unsere Landweine wärmen nur das Blut des Bauern. Wer schon Besseres gekostet hat, füllt seinen Becher selten mit einem Safte, der aus den Gegenden diesseits der Schwabengrenze kömmt – namentlich, wenn man die Weine des Rheingaus noch im Gedächtniß hat. Dagegen liegt das Gebiet von St. Gallen noch weiter von diesen gesegneten Gegenden ab, als wir.«

»Ich bedarf einer weiteren Aufklärung, durchlauchtigster Abt; denn es ist bekannt, daß der Basler zu uns kommt, wenn er guten Stoff haben will, während die von Euch namhaft gemachte Fehde ihn nur weiter vom Ziele abführen konnte.«

»Du bist wohl nicht hieher gekommen, mein Sohn, ohne auf den Lauf des Rheines geachtet zu haben, an dessen Ufern Du so lange reistest. Dieser große Strom ist zwar wild und gefährlich unter den Bergen, er dient aber doch dazu, unsere Vorräthe beizuschaffen. Vermittelst des Constanzer Sees und des Niederrheins gelangen schwere Frachten bis zu dem Gebiet unserer Schwesterabtei, und der Streit, von welchem wir gesprochen haben, rührte von dem Umstande her, daß der hochwürdige Bischof von Basel gerne von den Ankäufen der Abtei Zoll erhoben hätte. Du wirst Dich erinnern, Bruder,« er blickte dabei nach Bonifacius hin, »daß der gute Bischof, nachdem beide der Schläge satt waren, die Frage stellen ließ, was die heilige Jungfrau gethan habe, daß die Mönche oben das Blut ihrer Leute vergößern? – und die lustige Antwort darauf lautete: ›was hat der heilige Gallus gethan, daß Du ihm seinen Wein vorenthältst?‹«

Die Zuhörer lachten zimpferlich vor sich hin, als fänden sie diese charakteristische Erzählung belustigend; denn dergleichen Vorfälle waren noch zu neu, um selbst unter den Dienern der Kirche viel anderes Nachdenken zu erregen, als eben auf die gemeinen, zeitlichen Interessen des Augenblicks Beziehung hatte.

»Bei den heiligen drei Königen, hochwürdiger und durchlauchtiger Abt, Deine Erzählung gibt dem Safte eine zugäbliche Blume,« versetzte Emich, dem der Streit zwischen den Kirchenfürsten viel Spaß machte; »auch dient sie außerdem dazu, die Gedanken an die schmerzenden Knochen und müden Füße zu vertreiben.«

»Deine Wallfahrt, mein Sohn, wird eben so sicher ihren Lohn mit sich führen, als sie beschwerlich war. Sollte sie ein Mittel werden, Dich vorderhand von den Ketzereien Deutschlands ferne zu halten, Dich und die Deinigen in ein freundlicheres Einvernehmen mit der Kirche zu versetzen, so wird die Mühe nicht verloren gewesen seyn.«

»Von diesem Gesichtspunkte aus betrachte ich den Dienst,« entgegnete Emich, sein Glas leerend, nachdem er den Inhalt einen Augenblick bei dem Lichte des Feuers betrachtet hatte. »St. Gallus hat Recht, und wer für eine solche Sache nicht zu den Waffen greift, verdient nicht, sie zu tragen. He, Herr Frey, warum so stumm?«

»Nicht mehr, hoffe ich, hochgeborner Emich, als einem Wallfahrer und einem Manne geziemt, der sich seiner Pflichten zu erinnern hat, damit seine Stadt nicht Anlaß finde, ihm Nachlässigkeit zum Vorwurf zu machen.«

»Bei Gott, Herr Bürgermeister, wenn Jemand Grund hat, an die Dürkheimer zu denken, so ist es der souveraine Herr dieser Stadt. Sei also wohlgemuth und laß uns die Last, die wir tragen, möglichst leicht machen – natürlich stets unter dem Wohlnehmen dieses gastfreundlichen und reich begabten Klosters, dem wir dafür dankbar sind.«

»Du bist ein Diener des Kreuzes?« fragte der Abt den Ritter von Rhodus, indem er ihn heranwinkte.

»Nur ein unbedeutender, durchlauchtiger und hochwürdiger Rüdiger, und noch obendrein kann ich beifügen, einer, der den Verlockungen der Geselligkeit und der guten Kameradschaft erlegen ist – der Macht der Blutsverwandtschaft nicht zu gedenken. Wenn dies nicht der Fall wäre, würde mir wohl dieser Bußgang erspart geblieben seyn.«

»Nicht doch, ich frage nicht nach Deinem Berufe in der Absicht, Dir einen Vorwurf zu machen,« unterbrach ihn der höfliche Prälat; »denn eine solche Freiheit würde sich mit der Gastfreundschaft nicht vertragen. Wir machen innerhalb dieser Mauern einen Unterschied zwischen dem Beichtstuhl und der Tafel.«

»Dies ist nicht mehr wie billig und verspricht, trotz aller Ketzereien, unsrem Glauben Dauer und fortwährende Achtung. Der Fels, an welchem dieser Bruder Luther und sein Anhang scheitern müssen, heiliger Abt – wenigstens erscheint dies meinem unstudirten Kopfe so – ist das Verlangen, den Menschen so zu verfeinern, daß er's nicht mehr aushalten kann. Die Religion ist, wie das Ritterthum, in ihrer Weise gut; aber man kann weder dem Priester noch dem Ritter zumuthen, daß sie zu allen Zeiten ihre Rüstung tragen. Dieser Ketzer will den Laien zu einem Mönch umwandeln, während doch die Schönheit der Schöpfung in ihrer Ordnung liegt; und wer mit der Seelsorge beauftragt ist, hat genug zu thun, ohne daß er diese beständige Last auf die Schulter Solcher legt, die ohnedem schon mehr weltliche Sorgen haben, als sie tragen können.«

»Wären alle Uebrigen mehr von Deiner Gesinnung, mein Sohn, so hätten wir weniger Mühe und eine bessere Zucht. Unsere Altäre sind nicht unnütz, und wenn diejenigen, welche sie besuchen, sich mit dem Gedanken begnügen könnten, daß sie völlig hinlänglich sind für ihr Bedürfniß, so würde der Welt viel Zwist und vielleicht auch manches Blutergießen erspart bleiben. Aber, Herr Ritter und Pilgrim,« fuhr der Abt fort, indem er seine Stimme zu einem vertraulicheren Tone dämpfte, »es wird mir wohl gestattet seyn, meine Ueberraschung darüber auszudrücken, daß ich einen Mann von so gesunden und achtbaren Ansichten als Theilnehmer an dem Bußgange sehen muß, welcher wegen Gewaltthat an einem Kloster auferlegt wurde.«

Albrecht von Viederbach zuckte die Achseln und entsandte einen vielsagenden Blick nach seinem Vetter.

»Was willst Du, durchlauchtiger und hochgeehrter Prälat – wir Alle sind nur Geschöpfe des Zufalls. Gastfreundlichkeit und Kameradschaft wollen ihre Rechte haben, der Ansprüche des Bluts und der Verwandtschaft gar nicht zu gedenken. Der schlimme Ausgang des Rhodischen Krieges, die Sehnsucht nach den deutschen Gefilden (denn das Vaterland zieht uns im Unglück besonders stark an) und die Gewohnheit einer unsteten Lebensweise führten mich nach dem Schlosse Hartenburg; und wenn man einmal irgendwo ist, so kann es wohl Niemand wundernehmen, wenn der Gast keinen Anstand nimmt, dem Wirthe für einen kurzen Zug sein Schwerdt zu leihen. Du weißt wohl, durchlauchtiger Rüdiger, daß dergleichen Sprünge nicht so selten sind, um für ein Mirakel gehalten werden zu können.«

»Was Du sagst, ist wahr,« entgegnete der Abt, der stets mit dem Ritter so zu sagen bei Seits sprach und kein großes Erstaunen über dieses Zugeständniß von Grundsätzen an den Tag legte, die in jener Zeit gewöhnlich genug waren und, nur in anderer Form, sich auch bis auf die unsrige verpflanzt haben; denn wir sehen täglich, wie Männer in den wichtigsten Angelegenheiten der Völker lieber ihre Moralität zu Verfügung einer Partei stellen, als daß sie den übeln Geruch auf sich lüden, es fehle ihnen an dieser Art kameradschaftlicher Zuverlässigkeit. »Was Du sagst, ist sehr wahr und kann Dir wohl bei dem Großmeister als Entschuldigung dienen. Auch Du wirst in vielem Betrachte diese Wallfahrt heilsam finden.«

»Ohne Zweifel, hochwürdiger Abt. Wir hatten während der Belagerung wenig Zeit, gottesdienstlichen Verrichtungen die gebührende Aufmerksamkeit zu weihen, und die unstete Lebensweise, welche wir seit unserer Vertreibung von der Insel führen müssen, hat viele Rückstände aufwachsen lassen – eine Thatsache, deren ich mich jetzt zu erinnern bemüht bin.«

»Und Dein Kamerad – der dort mit der sanften Miene; steht er nicht gleichfalls in Beziehung zu der Kirche?«

Albrecht antwortete flüsternd:

»Es ist nur Einer, der ihr Kleid trägt, frommer Benedictiner – ein Jüngling, der sich von Graf Emich bethören ließ; denn offen gesprochen, meinem Vetter fehlt es nicht an Politik, wie sie für seinen Stand und für die Praktiken einer weisen Regierung nöthig ist.«

Der Abt lächelte in einer Weise, als wolle er dadurch ein gutes Einvernehmen zwischen ihm und seinem Gefährten kundgeben. Dann unterhielten sie sich eine Weile angelegentlich bei Seite und winkten endlich Monsieur Latouche heran, nachdem sie zuvor unterschiedliche Blicke nach ihm hin entsandt hatten. Mittlerweile nahm das Gespräch unter den übrigen Gästen einen mehr allgemeinen Fortgang.

»Es thut mir sehr leid, hören zu müssen, hochwürdiger Benedictiner,« bemerkte der Graf gegen einen der Mönche von Einsiedeln, indem er absichtlich die Blicke des Limburger Abtes vermied, »daß Dein Kloster uns Messen verweigert hat für die Seele eines Menschen, der in dem unglücklichen Hader fiel, welcher uns das Vergnügen verschafft hat, in so gute Gesellschaft zu gelangen. Ich liebte den Jüngling und würde gerne freigebig gegen diejenigen seyn, welche auf seinen gegenwärtigen Nothstand Bedacht nähmen.«

»Ist die Sache ordnungsmäßig denen vorgelegt worden, welchen das Recht der Entscheidung zusteht?« fragte der Mönch, durch die Richtung seines Blickes andeutend, daß er seinen Vorgesetzten meinte.

»Wie ich höre, ist dies geschehen, und zwar in der rührendsten Weise – aber ohne Erfolg. Ich hoffe, es hat in dieser Angelegenheit keine feindselige Einmengung stattgefunden; denn da sich's um nicht weniger, als um eine Seele handelt, so sollte man doch mit Scheu zu Werke gehen.«

»Ich kenne nur eine feindselige Einmengung, und die geht von dem Vater des Uebels selbst aus, der ein Feind der Seelen ist,« antwortete der Mönch in ehrlicher Ueberraschung. »Was uns betrifft, so macht es uns Freude. bei allen derartigen Anlässen nützlich zu werden, namentlich wenn das Gesuch von Freunden des Hingeschiedenen vorgebracht wird, die einer noch viel höheren Gunst würdig sind.«

»Hältst Du diejenigen der kirchlichen Gnade für würdig,« sagte Bonifacius finster und mit fester Stimme, »welche die Altäre umstürzen, den Tempel mit bewaffneter Hand heimsuchen und der Kirche Trotz bieten?«

»Hochwürdiger Abt! –«

»Nein, er soll immerhin seinem Grolle Luft machen,« fiel Emich mit Stolz ein. »Die kalte Luft und ein obdachloses Haupt sind wohl geeignet, die Galle rege zu machen. Ich wäre gerne in Freundschaft mit Dir zusammengetroffen, Bonifacius, und nach unserem feierlichen Vertrage, wie auch nach den geleisteten Vergütungen hätte ich auch ein Recht gehabt, dies zu erwarten; aber es scheint, Deine Herrschsucht verläßt Dich nicht, selbst in der Verbannung.«

»Du bist im Irrthum, wenn Du meinst, ich könne meiner selbst oder meines Amtes vergessen, roher Emich. Die Frage wurde an den Benedictiner gestellt, nicht an Dich.«

»So soll der Benedictiner antworten. Ich frage Dich, Vater, ist es gebührend oder gerecht, daß der Seele eines Jünglings von gutem Ruf, sittlichem Wandel und schönen irdischen Hoffnungen Hülfe verweigert werde, um des bloßen Neides einer alten Feindschaft willen, oder weil seinen Tod einige Züge begleiteten, die freilich besser unterblieben wären.«

»Die Kirche muß hierin für sich selbst urtheilen, edler Pilger, und die Entscheidung fällen nach den Regeln, die ihr vorgeschrieben sind.«

»Bei den heiligen eilftausend Jungfrauen, Du vergissest, daß alle Gebräuche beobachtet worden sind, und daß die Messen nicht wie ein Bettleralmosen begehrt wurden, sondern ehrlich in Gold bezahlt werden sollten, das man zum Besten des Jünglings angeboten hat. Wenn in dieser Weise nicht genug geschehen ist, so schwöre ich Dir, Bonifacius – denn Dein Einfluß scheint hier stark zu seyn – daß nach meiner Rückkehr um seinetwillen weitere Opfer gebracht werden sollen. Berchthold war mir sehr theuer, und ich möchte nicht, daß all sein Andenken unter der Asche von Limburg verloren gegangen wäre.«

Obschon beide in ihrer verschiedenen Weise reizbar, heftig und jedes Zügels ungewohnt waren, so fehlte es doch weder Emich, noch Bonifacius an dem Grade von Selbstbeherrschung, welcher für Männer, die mit der Sorge für wichtige Interessen betraut sind, so nothwendig ist. Sie hatten früh gelernt, ihre Gefühle mehr oder weniger der Klugheit zu unterwerfen, und obgleich sie nicht völlig im Stande waren, eine kalte Gleichgültigkeit über Gegenstände zur Schau zu stellen, die mit ihren Ansichten in so schroffem Widerstreit standen, so war doch ein gewisses Zusammentreffen von aufregenden Momenten nöthig, um einen oder den andern zu vermögen, daß er seine wahren Empfindungen unnöthigerweise kundgab. Ihr persönlicher Verkehr war in Folge dieser erkünstelten Mäßigung weniger ungestüm und streitsüchtig geworden, als wohl unter anderen Verhältnissen der Fall gewesen wäre, denn es kam nicht oft vor, daß beide sich genau in demselben Augenblicke bis zur Höhe des Losbrechens steigerten; wer dann noch am meisten Ruhe bewahrte, befand sich eben in der Lage, der Leidenschaftlichkeit dessen Einhalt zu thun, der für den Augenblick den äußeren Anstand vergessen hatte. Ohne diesen Umstand aber hätte die unzeitige und übel gesetzte Frage des Grafen leicht einen augenblicklichen Bruch herbeiführen können – zum Nachtheil für die Interessen der Wallfahrer und zu nicht geringem Aergerniß der Brüderschaft von Einsiedeln. Bonifacius hörte daher mit äußerer Höflichkeit zu und antwortete in der Weise eines Mannes, der sich mehr seines priesterlichen Amtes, als der Verunglimpfung, die er erlitten, erinnerte.

»Wäre ich so glücklich gewesen, Herr Pilger,« sagte er mit Ruhe, »in der Obhut der Altäre zu bleiben, die wahrlich in hinlänglicher Achtung standen, um für einen derartigen Zweck aufgesucht zu werden, so dürfte Deine Verwendung zu Gunsten des Jünglings geneigte Aufmerksamkeit gefunden haben; aber Du wendest Dich jetzt an einen Kirchenvorstand, der, gleich Dir, der Gastfreundschaft dieser hochwürdigen Brüderschaft für das Dach, das sein Haupt bedeckt, zu Dank verpflichtet ist.«

»Ich weiß wahrhaftig nicht,« fügte der Graf bei, etwas verblüfft über diese plötzliche Demuth, »ob ich nicht, ehe ich die Seele des jungen Menschen – eines Dieners, den ich so sehr liebte – in einem solchen Nothstand aufgäbe, sogar jetzt noch eine Kapelle bauen würde, von einer Größe und Ausstattung, wie sie seiner Stellung im Leben angemessen wäre.«

»Auf dem Limburger Berge, Herr Emich?«

»Nicht doch, vortrefflicher Bonifacius, Du vergißst unsern freundschaftlichen Vertrag, diese Wallfahrt, und andere Bedingungen, die redlich erfüllt wurden. Altäre dürfen sich nie wieder auf dem Limburger Berg erheben, denn wir brächen dadurch unsre Eide und Versprechungen, und das wäre eine himmelschreiende Sünde. Indeß können Altäre und Kapellen auch anders wo bestehen. Gib uns jene Vergünstigung und erwarte von unsrem Dank und unsrer Gerechtigkeit die Belohnung.«

Bonifacius lächelte, denn er fühlte seine Macht und freute sich derselben wie ein Mann, der sich bewußt war, kürzlich noch in den Händen desselben Machthabers gewesen zu seyn, der jetzt so dringlich um seine Gunst bat. Wer in unsren späteren Tagen erzogen wurde, wird den auffallenden Widerspruch wohl nicht leicht begreifen, welcher Emich von Hartenburg, den Zerstörer von Limburg, bewog, einen Mönch also anzustehen; wer übrigens einen Charakter zu beurtheilen weiß, wird sich erinnern, wie nachtheilig die Eindrücke der Jugend sind, welche geheimnißvolle Furcht sich an die unbekannte Zukunft knüpft, und namentlich, zu welch grellem Widerstreit der Kampf zwischen Grundsätzen und Interessen – zwischen der Macht der Vernunft und den Triebfedern der Selbstsucht führt.

»Du machst mir einen sehr ungerechten Vorwurf, frommer Pilger, wenn Du sagst, ich hätte unserer Eide oder unsres freundschaftlichen Vertrags vergessen,« entgegnete der Benedictiner; »denn ich achte sie und erinnere mich ihrer wohl, wie Du zuletzt erkennen wirst. Bei Deinem Gesuche muß aber ein Punkt zur Sprache kommen, der augenscheinlich einem Mann von Deinem bekannten Rechtssinn und Deiner Unpartheilichkeit unwillkührlich außer Acht gekommen ist. Es ist eine wohlbekannte Thatsache, daß der Förster sehr angesteckt war von den Ketzereien, die in Deutschland um sich greifen –«

»Hier muß ein Irrthum obwalten,« unterbrach ihn der Graf. »Hast Du nicht unter den Theilnehmern an unserer Wallfahrt seine eigene Mutter gesehen, und glaubst Du, eine Anhängerin Luthers werde sich's so sauer machen, um Rom zufrieden zu stellen?«

»Wir sprechen von dem Kinde, nicht von der Mutter, Herr Pilger. Hätten alle, die in besseren Grundsätzen erzogen wurden, den Ansichten ihrer Väter Treue bewahrt, so wäre unsrem Zeitalter diese Ketzerei erspart geblieben. Die Abtrünnigkeit des jungen Menschen kann nur wenigem Zweifel unterliegen, sintemal ich Aeußerungen desselben mit eigenen Ohren gehört habe.«

»Wie, hast Du den Jüngling je beichten gehört, hochwürdiger Abt?« fragte Emich überrascht. »Ich hätte Dich nicht für so herablassend gehalten gegen einen Menschen von seiner niedrigen Stellung – noch, bei der Messe! ihn für so schwach, daß er im Beichtstuhl streitige Punkte berührte.«

»Es gibt auch noch andere Zugeständnisse, Herr Pilger, als diejenigen, welche in der Kirche oder unter dem Siegel ihrer Geheimnisse gehört werden. Es wurde früher eine Frage zwischen uns ganz freundschaftlich und in lustiger Weise bereinigt, die ich hier nicht berühren will, edler Graf.«

»Gewisse Weinberge betreffend,« entgegnete Emich lachend. »Die Sache liegt nicht so fern, um schon vergessen zu seyn, obschon weder mein Vetter noch der gute Abbé sich als so mannhafte Stützen erwiesen, wie ich von ihnen erwartet hatte.«

»Dein Förster leistete Dir bessere Dienste. Du wirst Dich auch gewisser Streitpunkte erinnern, die damals zur Sprache kamen, und jener Vergleichung, die sich der dreiste Junge erlaubte, von dem Baume, dem seine nutzlosen Zweige abgestutzt seyen, und dem, welchen man in seiner Ungestalt stehen lasse.«

»Willst Du eine Seele in der Gefahr des Untergangs lassen wegen einer so unbedeutenden Rede wie diese, Herr Bonifacius? Beim gerechten Gott, dieß läßt für meine eigene Zukunft nicht viel Gutes hoffen. Berchthold warf in seinem Eifer für die Interessen seines Herrn einige Winke hin, die er sich unter andern Umständen nicht erlaubt haben würde; und außerdem, Vater – je größer der Sünder ist, desto mehr bedarf er der Messen und der Gebete.«

»Ich will hierin nicht widersprechen – meine Einwendung geht nicht weiter, als daß ich der Ansicht bin, diejenigen, welche sich im Leben von Luther rathen lassen, sollten sich auch darauf gefaßt halten, in seiner Vermittelung ihr ewiges Heil zu suchen.«

»Freunde und Pilger,« sprach jetzt der Abt von Einsiedeln, der wieder an den Tisch trat, von welchem er sich ein wenig entfernt hatte, um sich rückhaltloser mit dem Abbé und dem Ritter von Rhodus besprechen zu können – »die Stunde naht heran, in welcher zu Nutz und Frommen dieser Wallfahrt eine Frühmesse gelesen werden soll. Die Glocke hat schon das erste Zeichen gegeben, und es ist passend, daß wir uns zurückziehen, um uns für den Gottesdienst vorzubereiten.«

Bonifacius, der bereits ein Ungewitter heranziehen sah, benützte mit Freuden diese Unterbrechung und entfernte sich sogleich, während die Uebrigen nach der Ordnung ihres Standes nachfolgten. Emich und sein Vetter traten mit der Gemächlichkeit von Männern ab, die eher daran gewöhnt sind, Andere warten zu lassen, als ihre Bewegungen auf Kosten der Bequemlichkeit zu beschleunigen.

Wir ermahnen den Leser dieser Scene, seine Bemerkungen zurückzuhalten, bis er den Gegenstand einer reiflichen Erwägung gewürdigt hat. Indem wir schilderten, was in dem Privat-Refectorium des Klosters unsrer lieben Frau von Einsiedeln vorging, wollten wir keinem besonderen Glaubensbekenntnisse, keiner Seite und keinem christlichen Orden einen Vorwurf machen, sondern blos die Sitten und Ansichten des Zeitalters zeichnen, in welchem unsere Erzählung spielt. Mögen die Splitterrichter zuerst ruhig um sich schauen und der nunmehrigen Gestaltung unserer Gesellschaft die nöthigen Zugeständnisse machen; dann erst dürften sie die Frage beantworten können, ob sich nicht auch heutigen Tags gleich augenfällige Widersprüche, Inconsequenzen, die fast eben so unvereinbar sind mit der Wahrheit, und eine fast gleich grobe, ungerechte Selbstsucht – unter den Anhängern Roms wie Luthers ebenso gut aussprechen, wie in dem von uns geschilderten Falle. Wir können allerdings sagen, daß wir die Ansichten und Gewohnheiten unserer Vorfahren veredelt haben; indeß sind wir doch noch immer weit davon entfernt, die consequenten und gerechten Wesen zu seyn, die wir dereinst zu werden hoffentlich bestimmt sind.



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