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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

»Ihr Herren, geht nun mit euch selbst zu Rathe.«

Sommernachtstraum.

 

Die beharrliche moralische Schildwache, die von Gott in jede Menschenbrust gesetzt ist, obschon sie unter verschiedenen Umständen so verschieden handelt, versäumt vielleicht in keiner Lage der Herabwürdigung und Unwissenheit ihr Amt ganz und gar, und hat zuverlässig nach dem Fehl die Reue zur Folge. Vergeblich sagt man dieses inwohnende Gefühl der Wahrheit, das wir Gewissen nennen, sei das blose Ergebniß der Meinungen und der Gewohnheit, denn es spricht sich sogar augenfälliger in dem unschuldigen, unerzogenen Kinde aus, als in dem erfahrensten Manne, und die Natur hat so deutlich allem seinem Wirken ihren Stempel ausgedrückt, daß man seine Identität mit dem geheimnißvollen Wesen, welches den unkörperlichen Theil unseres Daseyns bildet, unmöglich verkennen kann. Wie alles andere Gute mag es sich schwächen, verderben oder in sonstiger Weise mißbrauchen lassen; aber gleich Allem, das aus derselben hohen Quelle fließt, bewahrt es dennoch, selbst inmitten derartiger feindlicher Einwirkungen, die Spuren seines göttlichen Urhebers. Wir betrachten diesen unermüdlichen Mahner als einen Ueberrest der hohen Stellung, aus welcher unser Geschlecht gefallen ist, und finden es unzweifelhaft, daß der Mensch genau in demselben Verhältnisse, in welchem er seinen Einfluß fühlt und zuläßt, sich dem ursprünglichen Stande der Unschuld wieder nähert oder von demselben zurückweicht.

Auf die Zerstörung der Abtei folgten die meisten jener Anzeichen, welche in Abstufungen, die den vorausgehenden Gewohnheiten entsprechen, jeder Akt der Gewaltthat unausbleiblich nach sich zieht. Sogar diejenigen, welche sich bei Führung des langerwogenen Schlages am thätigsten erwiesen hatten, begannen nunmehr vor den Folgen zu zittern, und nur Wenige in der Pfalz hörten von der That, ohne den Athem an sich zu halten, als erwarteten sie, der Himmel werde für die Kirchenschändung furchtbare Rache nehmen. Um jedoch den Faden unserer Erzählung nicht zu unterbrechen, müssen wir den Lauf der Ereignisse in der geeigneten Ordnung wieder aufnehmen, und lassen deßhalb die Zeit nach dem Brande nur um einige Tage vorrücken.

Der Leser muß sich nunmehr von dem Jägerthale ein anderes Bild machen. Es war zwar noch immer dieselbe lächelnde Sonne, die nämliche wohlwollende Jahreszeit; die Forsten prangten in dem gleichen wallenden Grün, die Wiesen in ihrem sanften, dunkeln Gewande – die Bergseiten standen noch unter demselben lieblichen Spiele von Licht und Schatten, und der murmelnde Bach rieselte so klar und schnell dahin, wie zur Zeit, als er auf diesen Blättern zum erstenmale sich dem geistigen Blicke vergegenwärtigte. Weder in den Dörfern noch an den Wegen war eine Hütte oder ein Haus anders geworden, und die Veste Hartenburg blickte noch immer in stolzer Lehensgewalt und ritterlichem Prunke düster und massenhaft auf den wohlbekannten Bergpfad herunter. Aber der Hügel von Limburg bot eines von jenen traurigen, wehmüthigen Beispielen verübter Gewaltthätigkeit, welche noch immer über den Boden der alten Welt hingestreut sind gleich eben so vielen Mahnzeichen an die Auftritte, durch welche die Völker zu ihrem gegenwärtigen Zustand von beziehungsweiser Sicherheit gelangt sind – Zeichen, die eine eben so nützliche Lehre für die Zukunft geben, als sie reich sind an Bildern der Vergangenheit.

Die äußere Mauer stand noch unbeschädigt da, das einzige Hauptportal ausgenommen, welches die unauslöschlichen Merkmale der Schmiedehämmer an sich trug; aber hinter dieser Schranke entfaltete sich das Werk der Verwüstung in Zügen, die sich nicht verkennen ließen. Jedes Dach – und es mochten ihrer wohl fünfzig gewesen seyn – war eingestürzt; die Wände der Gebäude standen schwarz und wankend da – nicht ein einziger Thurm ragte mehr gen Himmel, ohne Merkmale von der Weise an sich zu tragen, wie die Flammen an seinem schlanken Schaft hinaufgeleckt hatten. Da und dort kräuselte sich ein dünner Faden weißen Rauches in die Höhe und verlor sich in der Luftströmung, ähnlich den Erscheinungen, die man an einem Vulkane bemerkt, wenn er nach dem Ausbruche seine Gewalt erschöpft hat. Ein kleines Crucifix, welches die Volkssage für hölzern erklärte, obschon es in Wahrheit aus einem angestrichenen Steine bestand, behauptete noch immer seinen Platz auf einem Giebel der verwüsteten Kirche, und mancher Bauer richtete sein stummes Gebet danach hin, im festen Glauben, Gott habe dieses Bild des geopferten Menschensohnes während der Schrecken jener unvergeßlichen Nacht in seine besondere Obhut genommen.

In dem Schlosse und dessen Umgebung ließen sich die gewöhnlichen Merkmale mißtrauischer Wachsamkeit blicken, wie man sie etwa bei Solchen findet, welche fühlen, daß sie durch ihre Handlungen der bestehenden Gewalt verfallen sind. Die Thore waren geschlossen, die Schildwachen auf den Mauern und Basteien verdoppelt, und von Zeit zu Zeit wurden Signale mit den Spähern ausgetauscht, die man auf den Bergen aufgestellt hatte, damit sie die Straßen, welche jenseits des Thales nach dem Rheine führten, beobachten könnten. In Dürkheim sah es anders aus, obgleich auch hier manche Aehnlichkeit mit dem Zustand in der Veste nicht zu verkennen war. Es zeigte sich die nämliche Besorgniß vor einer Gefahr von Außen, die gleiche Wachsamkeit auf den Mauern und Thürmen und dieselbe ungewöhnliche Schaustellung einer bewaffneten Macht; indeß war es doch in einer derartigen Stadt nicht leicht, die düstere Zurückhaltung ritterlichen Prunks nachzuahmen. Die Bürger traten in den Straßen zusammen, die Weiber klatschten, wie in allen Fällen einer plötzlichen lebhaften Aufregung, und sogar die Kinder schienen die Unruhe und Unentschlossenheit ihrer Eltern wiederzuspiegeln; denn da die Hand der obrigkeitlichen Gewalt die Zügel schlaffer hielt, so zogen die meisten Männer träge und müßig in den Straßen umher, um da und dort auf hingeworfene Ausdrücke zu lauschen, die ihnen mehr Aufklärung über den Stand der Dinge geben konnten. Die Läden standen zwar wie gewöhnlich offen, aber meist machte man nur an den Thüren Halt, um zu plaudern, während nur Wenige eintraten; und die meisten Handwerker vergeudeten ihre Zeit in Kannegießereien über die Folgen, welche der kühne Schritt ihrer Obrigkeit nach sich ziehen konnte.

Mittlerweile wurde in dem Rathhause eine Sitzung gehalten, bei der sich Alle versammelten, die in Dürkheim auf bürgerliche Bedeutsamkeit Anspruch machen konnten – darunter auch Einige, welche sich um der Dienste willen, die sie bei dem letzten Angriffe auf die Mönche geleistet, eingefunden hatten. Etliche besorgliche Bürgersweiber hatten sich in den Wartezimmern des Rathhauses versammelt, denn es war kein Geheimniß, daß unter der einfachen, ihren Ehefrauen sehr ergebenen Bürgerschaft, häuslicher Einfluß keine unbedeutende Rolle spielte. Wir nehmen unsre Erzählung in den Mauern des gedachten öffentlichen Gebäudes wieder auf.

Der Bürgermeister und die übrigen Häupter der Stadt konnten eine unbestimmte Furcht in Folge ihres gewagten Versuches nicht bergen. Einige traten zwar keck auf in der Kühnheit ihres Sieges, und andere zweifelten nur an dem Erfolge, weil die Auflösung des Klosters ein zu großes Gut sey, als daß sich nicht auch etwas Schlimmes daran heften sollte, während wieder Andere ihre Ansichten zurückhielten und der Ereignisse harrten, welche ihren Prophezeihungen Werth geben sollten. Eine vierte Klasse schüttelte den Kopf in einer Weise, als wollte sie dadurch andeuten, daß sie sich, was die Folgen betraf, im Besitz eines geheimen Wissens befinde, welches gewöhnlichen Fähigkeiten nicht zugänglich sey. Letztere zeichneten sich mehr durch die Anmaßung ausschließlicher Erkenntnis, als durch Zahl aus, und würden sich wohl in gleicher Weise bereit gezeigt haben, die Vortheile der neulichen Maaßregel zu übertreiben, wenn nur der öffentliche Puls eben in der Zunahme begriffen gewesen wäre. Dieser aber neigte sich im Allgemeinen mehr zur Abnahme, und während man, wie bereits bemerkt wurde, recht wohl alle die Vortheile erkannten, die sich aus der Vertreibung der Mönche hoffen ließen, setzte andrerseits die Ungewißheit die meisten Gemüther dermaßen in Thätigkeit, daß sie sich die unangenehmsten Bilder der Zukunft heraufbeschworen. Sogar Heinrich Frey, dem es weder an moralischer noch an physischer Entschlossenheit fehlte, fühlte Unruhe über seinen Sieg, obgleich er auf Befragen kaum einen Grund dafür hätte angeben können. Diese Beklommenheit wurde noch durch die Thatsache gesteigert, daß ihn die meisten seiner Kollegen als den Mann betrachteten, auf welchen vorzugsweise die Kirche und der Churfürst ihren Groll abladen mußten, obgleich es mehr als wahrscheinlich war, daß man ihn weit weniger hoch angeschlagen haben wurde, wenn sich's bei der ganzen Frage nur um angenehme Resultate gehandelt hätte.

Diese Art von Auszeichnung – wir meinen die Vereinzelung in schlimmen und die bereitwillige Theilnahme Aller in günstigen Fällen – ist eine Art Rache, welche die Gesellschaft gar gerne an Denen übt, welche klüger und besser seyn wollen, als sie, indem sie sich anmaßen, in bedenklichen Angelegenheiten den Weg zu zeigen oder da, wo es Kraft und Entschlossenheit gilt, voran zu gehen. Der allein ist eines unbeneideten Rufes sicher, welcher, wenn er auch in dem Gange der Ereignisse dem großen Haufen vorantritt, doch keinen sehr merklichen Raum zwischen sich und seinen Genossen läßt, denn nur dann kann er unangefochten zu entkommen hoffen, wenn er sich nahe genug an die Masse hält, um sich mit derselben vermischen zu können, während ein auffallendes Sichhervorthun stets Unglimpf und Rüge zur Folge hat.

Heinrich Frey fühlte in vollem Maaße das Drückende seiner Lage und würde im gegenwärtigen Falle gerne viel von dem Ruhm hingegeben haben, welchen er seiner dreisten Führung des Angriffs verdankte, wenn er sich dadurch einigermaßen seiner Angst hätte entledigen können. Eine Art kriegerischen Instinkts bewog ihn jedoch, zur schlimmen Sache das beste Gesicht zu machen, und als er seine Collegen anredete, that er dieß mit einem Tone von Freudigkeit, von welcher freilich sein Herz nur wenig fühlte.

»Wohlan, meine Brüder,« sprach er, indem er sich in der Gruppe von wohlbekannten Gesichtern umsah, die ihn mit magistratlichem Ernste umgaben, »diese wichtige Angelegenheit ist endlich glücklich, und da es ohne Blutvergießen ablief, kann ich wohl auch sagen – friedlich vorübergegangen. Die Benedictiner haben sich entfernt, und obgleich der hochwürdige Abt in einem benachbarten Kloster Posten gefaßt hat, von wo aus er tapfere Worte herüberschickt, um diejenigen einzuschüchtern, welche nicht an gefährlichere Waffen gewöhnt sind, so wird es doch lange anstehen, bis wir wieder eine Limburger Glocke im Jägerthale läuten hören.«

»Darauf kann ich schwören,« bemerkte der Schmied aus dem Bürgerhaufen heraus, welcher sich in eine Ecke des Rathhaussaales gedrängt hatte, um aus Achtung vor den Häuptern der Stadt so wenig als möglich Platz einzunehmen. »Mein Hammer hat mitgeholfen, dem wohltönenden Instrumente seinen Klang zu benehmen!«

»Wir haben uns hier versammelt, um die weiteren Vorschläge der Mönche anzuhören. Da übrigens die Stunde, in der wir ihren Geschäftsträger zu erwarten haben, noch nicht geschlagen hat, so können wir uns die Augenblicke mit einer Unterredung kürzen, wie sie die Umstände zu erfordern scheinen. Hast Du etwas vorzubringen, was die Gemüther der Furchtsamen beruhigen kann, Bruder Wolfgang? Wenn dies der Fall ist, so sprich in Gottes Namen, damit wir das Schlimmste sogleich erfahren.«

Die Verwandtschaft zwischen Wolfgang und Heinrich erstreckte sich nur auf ihre bürgerlichen Beziehungen. Ersterer sehnte sich zwar gleichfalls nach den Vortheilen, welche sich die Bürgerschaft von Limburgs Falle versprach, hatte aber doch von Natur aus große Ehrfurcht vor aller überlegenen Gewalt und vermochte sich des Sieges nicht zu erfreuen, ohne den bittersten Zweifeln in Betreff des Grolls Raum zu geben, den der Churfürst und Rom über die Stadt ausgießen konnten. Außerdem stand er schon hoch in Jahren – ein Umstand, welcher dazu diente, das Zittern seiner krächzenden Stimme zu erhöhen.

»Es ist weislich gethan, in dringenden Nöthen bei den Erfahrenen und Weisen Rath zu suchen,« entgegnete der alte Bürger, »denn die Jahre lehren, wie thöricht alle Erdendinge sind, und machen uns geneigt, die Welt mit Mäßigung und mit geringerer Rücksicht für die eigenen Interessen zu betrachten.«

»Bruder Wolfgang, Du bist noch nicht so weit auf der Neige, als Du uns glauben machen möchtest,« unterbrach ihn Heinrich, dem alle entmuthigenden Blicke auf die Zukunft besonders zuwider waren. »Du stehst noch in den besten Jahren – der Unterschied zwischen uns kann kaum fünf und zwanzig betragen.«

»Das nicht, das nicht – ich zähle erst drei und siebenzig und Du magst ehrlich Deine fünf und fünfzig auf dem Rücken haben.«

»Du häufst Ehren auf mich, die ich wenig verdiene, Freund Wolfgang. Ich will nicht die Tage zählen, welche Du seit so vielen Monaten genannt hast, und die Zeit geht schnell voran, auch ohne daß wir ihr durch Nasenstüber weiter helfen. Wenn ich mehr als vier und fünfzig Jahre gesehen habe, so mögen sich meine Väter aus ihren Gräbern erheben, um das Wenige, was sie mir zurückließen, als sie von der Erde Abschied nahmen, wieder an sich zu ziehen.«

»Worte können uns nicht jünger machen, aber ich möchte wünschen, daß wir Mittel gefunden hätten, Limburgs unruhigen Geist zu erlösen, ohne selbst so viele Gewaltthat zu begehen und uns einer Gefahr auszusetzen. Ich bin alt und nehme wenig Antheil mehr am Leben; aber doch wünsche ich diejenigen, welche nach mir kommen, glücklich und im Frieden zu sehen. Du weißt, daß ich kinderlos bin, Nachbar Heinrich, und das Herz eines solchen Mannes kann nur für das Allgemeine schlagen. Es wäre auch in der That thöricht von mir, mich viel mit Gedanken an andere Dinge als an die große Zukunft zu tragen, die vor uns liegt.«

»Sapperment!« rief der Schmied, der gute Lust zeigte, sich ein wenig auf den Muth zu steifen, den er in dem letzten Angriff entwickelt hatte. – »Gestrenger Herr Bürgermeister, wollte Herr Wolfgang mit seinen Vorräthen ein Bischen freigebig gegen die Benedictiner herausrücken, so könnte sich die ganze Angelegenheit in aller Ruhe friedlich bereinigen lassen und Dürkheim in aller Ruhe den Vortheil ziehen. Ich stehe dafür, Bonifacius würde sich bereitwillig und ohne weitere Beanstandung wegen Kost und Wohnung in Limburg, die er im besten Falle nur auf Lebensdauer genießen konnte, mit einer schönen runden Summe Geldes abfinden lassen. Mir wenigstens erginge es so, wenn es dem Himmel gefallen hätte, mich zu einem Benedictiner und den Abt zu einem Schmiede zu machen.«

»Und wo sollte sich dieses Geld finden, kecker Handwerksmann?« fragte der betagte Bürger in strengem Tone.

»Wo anders, als in Deinen gut verschlossenen Truhen, hochwerthester Wolfgang,« entgegnete der derbe Schmied. »Du bist alt, Vater, und wie Du in Wahrheit sagst, ohne Nachkommenschaft. Dein Lebensband wird immer loser, und wenn ich aufrichtig sprechen soll, so sehe ich nicht ein, in welcher Weise sich das Uebel leichter von unserer Stadt abwälzen ließe.«

»Stille, unverständiger Plauderer! Meinst Du, Deine Vorgesetzten haben nichts Anderes zu thun, als ihr Gut in die Winde zu streuen, wie die Funken unter dem Streiche Deines Hammers dahinfliegen? Das Wenige, was ich besitze, habe ich in saurem Schweiße meines Angesichts und unter viel Entbehrung errungen, und es kann noch dazu dienen müssen, Armuth und Mangel von meiner Thüre abzuhalten. Ja, ja, in der Jugend meinen wir, man könne den Straßenkoth in Geld umwandeln. Heißes Blut und volle Gliedmaßen bringen uns auf den Glauben, der Mensch sey jeder Anstrengung gewachsen und könne sogar ohne Essen und Trinken leben; aber wenn Drangsale und Erfahrung uns zur Erkenntniß der Wahrheit gebracht haben, so lernen wir den Werth des Hellers schätzen, meine guten Nachbarn. Gott helfe uns, ich stamme aus einer langlebenden Zucht, und es ist weit größere Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ich noch der Stadt zur Last falle, als daß ich nur den zehnten Theil von dem thue, was dieser unverständige Schmied da angedeutet hat.«

»Beim heiligen Benedict, Meister, ich habe nichts angedeutet. Was ich sagte, sprach ich in dürren Worten aus, und ich bin noch immer der Meinung, daß ein so ehrwürdiger alter Mann mit seinen reichen Mitteln in unserer Klemme ein Wohlthäter der Stadt werden könnte. Eine derartige Handlung müßte Dir auch die paar Tage versüßen, die Dir noch zugemessen sind.«

»Hinweg mit Dir, Mensch – Du sprichst vom Sterben, als ob es nur ein Spaß wäre. Sinkt der Jüngling nicht eben so gut ins Grab, als der Greis, und gibt es nicht tausend Beispiele, daß Leute ihre Mittel aufgebraucht haben? Nein, ich fürchte sehr, diese Sache wird sich nicht beschwichtigen lassen, ohne daß man schwere Abgaben auf die Gewerbsleute legt. Zum Glück sind die meisten, welche den Zünften angehören, junge Leute und können wohl zahlen.«

Der Antwort des Schmiedes, der in einem Streite hitzig zu werden begann, in welchem er das Recht auf seiner Seite glaubte, that einer Bewegung unter dem Volke Einhalt, welches sich an der äußeren Thüre des Rathhauses drängte. In der Unruhe der Bürger sprach sich das Bewußtseyn einer nahen Crise aus, und ein Stadtdiener kündigte nun das Erscheinen eines Boten von der versprengten Limburger Brüderschaft an. Die Dürkheimer Rathsherrn hatten sich zwar ausdrücklich in der Erwartung eines derartigen Besuches versammelt, fühlten sich aber doch, wie überhaupt Menschen von wenig geregeltem Geiste, im Augenblicke der Anmeldung nicht wenig beklommen. Es waren keine Vorarbeiten geschehen, kein Operationsplan vorgeschlagen, und obschon Alles mehrere Nächte über denselben Gegenstand geträumt hatte, so war es doch Niemand eingefallen, reiflicher darüber nachzudenken. Indeß war es jetzt nöthig, zu handeln, und nach einigem geschäftigen Treiben, das keinen andern Zweck hatte, als sich dem Boten gegenüber durch eine eitle unverständige Schaustellung wichtig zu machen, wurde Befehl ertheilt, den letzteren einzuführen.

Der Bevollmächtigte der Mönche war selbst ein Benedictiner. Er trat in den Rathhaussaal, nur von der Stadtwache begleitet, die ihn am Thore empfangen, und hatte seine Kapuze weit über das Gesicht hereingezogen, um dadurch seine Züge zu verhüllen. Eine Bewegung der Neugierde durchlief den Saal, und Einer flüsterte dem Anderen, seinem Urtheil, das er aus dem Aeußeren gefällt, Laut gebend, den Namen »Pater Siegfried« zu.

»Ums Himmels willen enthülle Dich, Vater,« sagte Heinrich, »und nimm so ohne Umstände in dem Rathhaussaale von Dürkheim Platz, als ob Du Dich gemächlich in dem alten Kreuzgange Limburgs befändest. Wir sind Löwen im Angriff, aber so harmlos, wie Deine Marmor-Cherube, wenn sich keine Gelegenheit bietet, ächt mannhafte Eigenschaften zu zeigen. So laß Dich denn in Gottes Namen nieder und sei guten Muths, denn Niemand wird Dir etwas zu Leid thun.«

Bei dem Schlusse dieser Worte verlor die Stimme des Bürgermeisters ihre Zuversichtlichkeit; der Benedictiner dagegen schlug ruhig seine Kapuze zurück (und enthüllte mit dem niederfallenden Tuche Pater Arnolphs verehrte Züge.

»Wer im Dienste Dessen kommt, den ich Herr und Meister nenne, bedarf keiner derartigen Versicherung,« antwortete der Mönch. »Indeß ist es mir doch lieb, Euch in dieser Stimmung zu finden und daraus die Ueberzeugung zu gewinnen, daß Ihr Eure frühere Verirrung nicht durch weitere Gewaltthat fortzusetzen gedenkt. Es ist nie zu spät, begangene Fehler einzusehen oder sie wieder gut zu machen.«

»Ich bitte um Verzeihung, hochwürdiger Prior; wir haben Dich für ein ganz anderes Mitglied Deines Ordens gehalten, und Du bist nicht weniger willkommen, nun wir Dich in unserer Mitte sehen.«

Heinrich Frey erhob sich achtungsvoll und alle Anwesenden folgten seinem Beispiele. Der Prior schien erfreut zu seyn, und eine Glut, wie sie eine wohlwollende Hoffnung zu erzeugen im Stande ist, überflog sein Antlitz. In ruhiger Einfachheit nahm er den dargebotenen Stuhl an als das am wenigsten auffallende Mittel, die Bürger wieder zum Niedersitzen zu bewegen, und die Handlung übte die beabsichtigte Wirkung.

»Ich würde eine Gleichgültigkeit erkünsteln, die ich nicht fühle, Heinrich Frey, wenn ich sagen wollte, ich sei unter den Männern, unter denen ich so lange Jahre das Amt der Seelsorge übte, ohne den Wunsch erschienen, daß man meines amtlichen Wirkens eingedenk seyn möchte.«

»Wenn es in Dürkheim irgend einen Schurken gibt, dessen Herz nicht durch Deine guten Werke ergriffen worden wäre, Vater, so hat der Hund keine Eingeweide im Leib und verdient nicht unter ehrlichen Leuten zu leben.«

»Ganz richtig!« rief der Schmied in seinem lauten Nebenspiele. »Der Bürgermeister läßt uns Allen Gerechtigkeit widerfahren, denn ich hämmerte nie mit mehr Lust und Liebe mein Eisen, als ich dem hochwürdigen Prior Achtung erweise. Seine Gebete sind wie erprobter Stahl und stehen nächst denen des Mannes aus der Einsiedelei unter uns in größtem Respekt. Füllt mir die Abtei mit solchen Männern, und ich nehme keinen Anstand, die Wohlfahrt von uns Allen ihrer Frömmigkeit zu vertrauen, ohne je für irgend eine Seele weiter besorgt zu seyn. Sapperment, könnte man eine solche Gemeinschaft zusammenfinden, es wäre ein großer Trost für die Laien und insbesondere für uns Handwerksleute, die dann alle ihre Gedanken ihrem Geschäft zuwenden könnten, weil sie überzeugt seyn dürften, von Männern bewacht zu werden, die im Stande sind, dem pfiffigsten Teufel Trotz zu bieten!«

Arnolph hörte diesen Erguß geduldig an und dankte für die freundliche Höflichkeit seiner Aufnahme mit einer leichten Verbeugung des Kopfes. Er war zu sehr daran gewöhnt, dergleichen weltliche Nutzanwendungen der geistigen Interessen, denen er diente, zu hören, um durch etwas der Art überrascht zu werden, und besaß zu viele Demuth in Betreff seines eigenen Verdienstes, um irgend Jemand deßhalb zu verachten, weil er einen geringeren Verstand besaß, als er selbst. Die christliche Religion scheint zwei große Classen von Verehrern zu zählen – solche, welche ihre Tröstungen in einer unmittelbar weltlichen Form zu benützen geneigt sind, und solche, deren Betrachtungsweise so sehr geistiger Natur ist, daß sie das Ganze wie eine metaphysische Theorie behandeln, deren Hauptwesenheit sie in dem logischen Einklange suchen. Was uns betrifft, so halten wir sie für eine Gabe Gottes an diejenigen seiner Geschöpfe, die aus einem bedenklichen Gemisch von Materie und Geist besteht – für eine Gabe, die, soweit sie mit unserer Prüfungszeit auf Erden in Verbindung steht, nie als ganz geschieden von einem oder dem anderen der großen Attribute unseres Wesens gedacht werden kann. Es ist augenscheinlich, daß der ehrliche Schmied die Sache nicht von diesem Standpunkte auffaßte, und hätte man durchweg eine Sichtung vornehmen wollen, so würde sich wahrscheinlich herausgestellt haben, daß dieser Sprecher zu Dürkheim in vollem Maaße die Volkspartei vertrat.

»Du kömmst, Vater, wie die Taube nach der Arche, als Ueberbringer des Oelzweiges,« nahm Heinrich wieder auf, »obschon in unseren nördlichen Gegenden das Eichenlaub ein passenderes Sinnbild seyn würde, wenn nemlich einer unserer wohl beforsteten Berge der Ararat gewesen wäre.«

»Ich komme, um die Bedingungen unserer Brüderschaft zu überbringen und einen Versuch zu machen, ob es mir nicht gelingt, die Irregeleiteten in Dürkheim zu ihrer Annahme zu vermögen. Die frommen Aebte und die hochwürdigen Väter in Gott, die Bischöfe von Speier und Worms, welche jetzt in letzterer Stadt versammelt sind, haben mir erlaubt, der Bote ihrer Vorschläge zu seyn – ein Amt, welches ich nachgesucht habe, damit nicht etwa ein Anderer in dem Wunsche, Drohungen geltend zu machen, vergesse, den Einfluß der Bitte zu versuchen.«

»Gott segne Dich dafür; Du hast daran, wie es bei Dir stets der Fall ist, sehr wohl gethan, vortrefflicher Arnolph. Drohungen sind bei uns Dürkheimern ungefähr ebenso am Orte, wie das Weihwasser in unserem Rheinweine, die beide recht wohl je zu ihren gesonderten Zwecken taugen; doch wer sich nicht treiben läßt, muß ist, braucht seine Blume nicht von der Kirche zu holen. Was das alte Mißverständniß zwischen Limburg einerseits, dem edlen Grafen von Hartenburg aber und unserer unwürdigen Stadt andererseits betrifft, so kann die Sache jetzt leicht bereinigt werden, da die letzten Ereignisse die größte Schwierigkeit aus dem Wege geräumt haben. Ich wünsche Dir daher aus dem Grunde meines Herzens Glück zu Deiner Sendung und freue mich darüber, daß die Stadt mit einem Manne zu verhandeln hat, der ebenso gewandt, als verständig ist. Du wirst uns in geneigter Stimmung und bereit finden, Dir auf dem halben Wege entgegenzukommen, denn ich kenne Niemand in Dürkheim, der den Zwist auch nur einen Zoll weiter zu führen wünschte, oder der nicht von Herzen zufrieden wäre.«

»Nein, das wäre unvernünftig und lieblos,« bemerkte der Schmied abermals aus dem Zuhörerhaufen heraus. »Wir sollten diesen Benedictinern ein Beispiel von Mäßigung geben, Mitbürger, und ich bin daher, obgleich nur ein armer Handwerksmann, der sein Brod durch Schläge auf den Ambos verdienen muß, mit dem gestrengen Herrn Bürgermeister vollkommen einverstanden. Mit ihm sage ich, laßt uns in Gottes Namen vernünftig in unsern Forderungen seyn und begnügen wir uns in der Ausgleichung unseres Streites mit so wenig als möglich.«

Der Prior hörte, wie gewöhnlich, geduldig zu, aber eine leichte Gluth überflog seine Wangen, um eben so schnell wieder zu verschwinden, und das wohlwollende blaue Auge leuchtete wieder hell durch Züge, welchen die klösterliche Einsamkeit längst jedes andere Roth geraubt hatte.

»Ihr wißt, Bürger von Dürkheim,« entgegnete er, »daß ihr bei dem Angriff auf die Altäre von Limburg einer doppelten Gewalt Trotz geboten habt – der göttlichen sowohl, als der der Kirche, wie sie auf Erden gegründet und beschirmt ist. Mein Auftrag handelt im gegenwärtigen Augenblicke nur von der letzteren. Der Bischof von Worms ist sehr aufgebracht und hat nicht ermangelt, sich ohne Zögerung unmittelbar an unsern heiligen Vater in Rom zu wenden. Außer dieser Berufung an das höchste kirchliche Oberhaupt sind sowohl an den Churfürsten als an den Kaiser, desgleichen an die verschiedenen Kirchenfürsten, die an den Ufern des Rheins ihr geistliches Regiment führen, Boten abgegangen. Dieß ist eine Macht, furchtbar für einen Gebirgsritter und eine Stadt, die der Fuß in so kurzer Frist zu durchschreiten im Stande ist. Den hauptsächlichsten Nachdruck möchte dich übrigens auf die üblen Folgen legen, die aus dem Mißfallen des kirchlichen Oberhaupts entspringen dürften.«

»Und wenn dieses unsere letzte That mit Strenge betrachten sollte, hochwürdiger Prior, welchen Folgen hätten wir wohl entgegenzusehen?«

»Einer Ausschließung aus der Gemeinde, damit ihr überlassen bleiben möget dem Verderbniß und der Thorheit eurer eigenen Herzen. Mit einem Worte, dem Banne der Kirche.«

»Hum – dies dürfte das kürzeste Mittel seyn, den Anhang des Bruder Luther zu vergrößern. Du weißt, frommer Vater, daß man sich mit jedem Tage die bestrittenen Punkte genauer betrachtet.«

»Ich wünschte, man betrachtete sie mit mehr Demuth und Einsicht. Wenn ihr den Bann und die Segnungen dessen, dem da Gewalt gegeben ist zu segnen und zu fluchen, so gering anschlagt, so sind meine Worte außer Stande, die Wirkung zu erhöhen. Aber diejenigen unter euch, die noch nicht darauf gefaßt sind, so weit zu gehen als euer Bürgermeister eben angedeutet hat, mögen zuvor recht wohl mit sich zu Rathe gehen, ehe sie die schwere Gefahr auf sich laden, unter einem solchen Druck himmlischen Mißfallens zu leben.«

Die Bürger sahen einander bedenklich an, denn nur wenige unter ihnen waren wirklich darauf gefaßt gewesen, den Widerstand so weit zu treiben. Einige zitterten innerlich, denn die Gewohnheit wie der hergebrachte Glaube kämpfte noch allzustark gegen die neuen Ansichten; andere erwogen schlauer Weise mehr die zeitlichen als die geistlichen Folgen, und wieder andere machten sich Gedanken, ob es nicht möglich sey, den Bannfluch in so guter Gesellschaft zu ertragen. Es gibt Tausende, die in großen Massen bereitwillig jeder Gefahr entgegengehen, während sie davor zurückschrecken, sie allein zu bestehen; und vielleicht wird der Soldat, der zum Angriff zieht, eben so sehr durch das Mitwirken seiner Kameraden, als durch die Furcht vor Schande oder durch das Verlangen nach Ruhm gespornt. Die Dürkheimer Rathsherrn befanden sich ganz in der gleichen Lage, und jeder fühlte Zuversichtlichkeit oder Zweifel, je nachdem er einem oder dem andern dieser Affekte in den Blicken seines Nachbars begegnete.

»Habt Ihr keinen andern, weniger gottseligen Vorschlag zu machen?« fragte der Bürgermeister, als er bemerkte, daß der moralische Theil seiner bürgerlichen Stützen zu wanken begann. »Ich spräche lieber von Punkten, auf die wir uns besser verstehen, als auf solche, welche auf die Spitzfindigkeiten Eurer Kirchenlehre Bezug haben.«

»Ich bin beauftragt, euch zu erklären, daß die Brüderschaft von Limburg, wie es ihrem göttlichen Amte ziemt, geneigt ist, so weit es die Pflicht irgend gestaltet, auf Bedingungen hin, welche noch namhaft gemacht werden sollen, den Dürkheimern ihre kürzliche Handlung zu vergeben und zu vergessen.«

»Nun, das ist christlich und soll, so viel an uns liegt, eine bereitwillige Erwiederung finden. Auch wir, hochwürdiger Prior, wünschen das Vergangene zu vergessen, um einer ruhigen, freundlichen Zukunft entgegensehen zu können. Habe ich die Gesinnung der Stadt gut ausgedrückt, meine Mitbürger?«

»Buchstäblich – kein Schreiber hätte es besser thun können.« – »Ja, wir sind Alle der gleichen Ansicht. Es ist weise, im Frieden zu leben, zu vergeben und zu vergessen.« So lauteten die Antworten auf diese Berufung.

»Du hörst es, Vater! Kann wohl ein Geistlicher oder ein Bevollmächtigter eine bessere Erwiederung wünschen? Beim Himmel, wir Alle sind in diesem Punkte gleichen Sinnes, und ich weiß nicht, ob es für Einen, der von etwas Anderem als von Frieden sprechen wollte, gerathen wäre, in Dürkheim zu bleiben.«

»Es ist sehr zu bedauern, daß ihr nicht stets dieser Ansicht gewesen seyd. Ich komme übrigens nicht, um Vorwürfe zu machen, sondern um zu versöhnen – nicht um zu trotzen, sondern um zu überreden – nicht um einzuschüchtern, sondern um zu überzeugen. Hier sind die schriftlichen Bedingungen der hochwürdigen Männer, die mich mit diesem Mittleramte betraut haben, und ich übergebe sie euch, damit ihr euch eine Weile darüber berathen möget. Sobald ihr dieses billige Anerbieten wohl erwogen habt, werde ich wieder im Frieden und in Freundschaft unter euch treten.«

Das Aktenstück wurde in Empfang genommen und die ganze Versammlung erhob sich, um dem abtretenden Prior ihre Ehrerbietung zu bezeugen. Ehe letzterer den Saal verließ, erbat er sich von mehreren Bürgern, unter denen sich auch Heinrich Frey befand, die Erlaubniß. ihre Familien im Geiste christlicher Seelsorge besuchen zu dürfen. Die nachgesuchte Einwilligung wurde allerseits ohne Zögern oder Beanstandung ertheilt; denn was man auch von den Verirrungen der öffentlichen Meinung sagen oder denken mag, so schlägt sie doch gewöhnlich eine geeignete Richtung ein, wenn man nur die Mittel besitzt, sie ihr anzudeuten. Die hohe Achtung, die Pater Arnolph der bloßen Macht des Volksglaubens verdankte, zeigte sich nie deutlicher, als bei dem gegenwärtigen Anlasse; denn selbst diejenigen, welche erst kürzlich noch gegen das Kloster in Waffen gestanden hatten, öffneten jetzt einem Angehörigen desselben ihre Hausthüren ohne Rückhalt, obgleich wohl bekannt war, daß die Politik, welche die Stadt in letzter Zeit befolgt hatte, manchen geheimen Feind und bitteren Tadler unter dem Geschlechte gefunden hatte, welches bisweilen ebenso schwer daran kömmt, zu Gewalt und Widerstand zu reizen, als es in anderen Fällen gedankenlos und vorschnell ist.



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