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Siebenzehntes Kapitel.

Mona, Deine Druidenfeier erweckt die Todten!

Rogers.

 

Ulrika war an einen häufigen, innigen Verkehr mit Gott gewöhnt und betete jetzt, während sie so daknieete, aus den Tiefen ihres Herzens. Endlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch ein heftiges Rütteln an ihrer Schulter wieder der Erde zugewendet.

»Ulrika – Kind – Frau Frey!« rief die geschäftige Ilse. – »Hat Dich Zauberei an den Boden gebannt? Warum bist Du hier, und wohin ist der heilige Mann enteilt?«

»Hast Du Odo von Ritterstein gesehen?«

»Wen? Bist Du toll, Frau? Ich sah Niemand, als den heiligen Klausner, der an mir vorbeiglitt, als trüge ihn ein Engelsfittig fort; und obgleich ich niederknieete und ihn nur um einen einzigen Gnadenblick anflehte, war doch seine Seele viel zu sehr mit seiner Sendung beschäftigt, als daß er auf eine Sünderin hätte achten können. Wäre ich so schlimm gewesen, wie Manche, die ich nennen könnte, so würde ich mich wohl über diese Vernachlässigung beunruhigen; so aber schreibe ich die Sache eher auf Rechnung eines Verdienstes, als auf die meiner Bedürftigkeit. Nein, ich habe nur den Klausner gesehen.«

»Dann sahst Du den unglücklichen Herrn von Ritterstein.«

Ilse stand entsetzt da.

»So haben wir also einen Wolf in Schaafskleidern beherbergt!« rief sie endlich, als ihr Sprachvermögen wieder zurückkehrte. »Die ganze Pfalz kniete nieder, weinte und betete zu den Füßen eines Menschen, der ein Sünder ist wie Unsereiner – ja sogar noch viel schlimmer als wir! Man ließ für rechte Münze gelten, was nur schlechtes Metall war – unsere Salbung war Heuchelei – unsere Hoffnung gottlose Verblendung – unser heiliger Stolz Eitelkeit.«

»Es war Odo von Ritterstein, Ilse,« entgegnete Ulrike, sich erhebend; »aber Du hast einen frommen Mann gesehen.«

Sie gab der Dienerin ihren Arm, da dieselbe des Beistandes am meisten bedurfte, und trat sodann den Rückweg von der Hütte an. Während sie zwischen dem verfallenen Gemäuer des Lagers dahin gingen, versuchte Ulrika ihre Begleiterin zu vermögen, daß sie den Charakter und die früheren Vergehungen des Einsiedlers mit mehr Milde beurtheile – eine nicht leichte Aufgabe, denn Ilse hatte sich daran gewöhnt, den unstäten Odo als einen Menschen zu betrachten, der von Gott ganz aufgegeben war, und Ansichten, welche zwanzig Jahre lang beharrlich festgehalten wurden, lassen sich nicht in einem Augenblicke austilgen. Dennoch gibt es ein Verfahren, durch welches der menschliche Geist veranlaßt werden kann, mehr als Gerechtigkeit zu üben, indem man nemlich das Vorurtheil völlig ausrottet. Zu Folge dieser Art von Gegenwirkung sehen wir dieselben Personen heute als Ungeheuer verschrieen und morgen als Helden bewundert, denn der gewöhnliche Sinn übt selten strenge Gerechtigkeit und kennt in seinem Beifalle eben so wenig eine Grenze als in seiner Verdammung.

Wir wollen übrigens damit nicht sagen, daß Ilses Gesinnung gegen den Einsiedler eine so schnelle Umwälzung vom Abscheu zur Verehrung durchmachte, denn Alles, was Ulrika für ihn gewinnen konnte, war ein Zugeständniß, daß er ein Sünder sei, für den alle fromme Christen ohne augenfällige Ungebühr gelegentlich ein Ave sprechen könnten. Indeß begünstigte sogar diese kleine Einräumung von Seiten der Dienerin die Wünsche Ulrika's, die sich vorgenommen hatte, dem Eremiten nach der Abteikirche zu folgen, an den Altären derselben zu knieen und an dem Jahrestage des Verbrechens ihr Gebet um Vergebung und Frieden mit dem des Reuigen zu vereinigen. Wir vermessen uns nicht, nachweisen zu wollen, durch welche Saite menschlicher Schwäche die Gattin Heinrich Frey's sich bewegen ließ, einem so verfänglichen Mitleid für einen Mann Raum zu geben, dem früher ihre Hand zugesagt gewesen war; denn es ist hier nicht unsere Aufgabe, darüber zu richten, was einem Weibe ziemt, sintemal wir einfach die Regungen des menschlichen Herzens enthüllen wollen, mögen sie nun gut oder schlimm seyn. Für unsern Zweck wird es zureichen, wenn das Endergebniß des ganzen Bildes eine der Tugend und Wahrheit günstige Lehre ist.

Sobald Ulrika fand, daß sie ihre Begleiterin für ihre Wünsche gewinnen konnte, ohne Gefahr zu laufen, eine mit übersprudelnder Geschwätzigkeit vorgetragene schale Moral anhören zu müssen, schlug sie den Pfad unmittelbar nach dem Kloster ein. Da der Leser unsere Einleitung wahrscheinlich nicht übergangen hat, so brauchen wir ihm nicht erst zu sagen, daß Ulrika mit ihrer Begleiterin den nämlichen Weg einschlug, den wir selbst bei unserm Gange von einem Berge zum andern genommen haben, obschon Ilse weit langsamer vorwärts kam, als wir, da wir unter Christian Kinzels Führung die Heidenmauer erstiegen. Für eine Person von ihren Jahren und ihrer Gebrechlichkeit ging das Bergabsteigen nur langsam, während das Bergansteigen eine noch beschwerlichere und mühsamere Aufgabe war. Bei dem letzteren war es übrigens auch Ulrika lieb, öfters Halt machen und Athem holen zu können, obgleich sie sich für ihren Gang des Roßpfades bedienten, den sie am Morgen geritten waren.

Der Charakter der Nacht hatte nicht gewechselt. Der Mond schien wie früher unter flockigten Wolken dahin zu schwimmen, und das Licht war zu gedämpft, um den Weg in bestimmten Umrissen unterscheiden zu lassen. Die Masse der Klostergebäude mit ihren dunkeln, gothischen Mauern und Thürmen ragte um diese Stunde gen Himmel gleich einem Riesenwerke, in welchem diejenigen, die den Bau vollendet hatten, von ihrer Arbeit ausruhten. Ulrika war daran gewohnt, hier ihre Andacht zu verrichten, und näherte sich daher ohne ein Gefühl von Bewunderung dem Thore. Sie erhob ihre Blicke nach dem geschlossenen Portale, nach den langen Reihen düster dahinlaufender Mauern und traf allenthalben auf die Merkmale einer mitternächtlichen Ruhe. An der Seite des schmalen hohen Thurmes, der neben dem Portal stand und die Glocken enthielt, blinkte ein mattes Licht, das von einer Lampe herrührte, welche im Hofe vor dem Bildnis der heiligen Jungfrau brannte; aber dieß war immer noch kein Zeichen, daß auch nur der Pförtner wach sei. Sie trat daher an das Pförtchen und zog die Nachtglocke an. Das Knarren der Riegel verkündigte schnell, daß Jemand innen war.

»Wer kömmt zu dieser Stunde nach Limburg?« fragte der Pförtner, ohne die Kette zu entfernen, als fürchte er Verrath.

»Eine Büßerin, die beten will.«

Die Töne der Stimme beruhigten den Pförtner, welchem außerdem auch die Mittel zustanden, die Fremden mit seinem Auge zu mustern; er öffnete jetzt das Pförtchen so weit, daß sich Ulrika's Gestalt deutlich unterscheiden ließ.

»Es ist nicht gewöhnlich, Personen Deines Geschlechts in diese heiligen Mauern einzulassen, nachdem die Frühmesse vorbei ist und die Beichtstühle leer sind.«

»Es gibt Anlässe, welche eine Ausnahme von dieser Regel bedingen, und die feierliche Handlung dieser Nacht gehört dazu.«

»Ich weiß das nicht. – Unser hochwürdiger Abt ist gar streng in Beobachtung des Anstandes –«

»Ich stehe in naher Beziehung zu dem Manne, für den der Gottesdienst verrichtet wird,« versetzte Ulrika hastig. »Um Gottes willen, weist mich nicht zurück.«

»Bist Du mit ihm verwandt?«

»Nicht durch die Bande des Blutes,« antwortete sie in der beklommenen Weise einer Person, die ihre eigene Uebereilung fühlt, »wohl aber an sein Geschick gekettet durch die innigen Interessen der Theilnahme und des Mitgefühls.«

Sie hielt inne, denn in diesem Augenblick trat die Gestalt des Einsiedlers an die Seite des Pförtners. Er hatte vor einem nahen Crucifix gekniet und war in seinem Gebete durch die sanfte Ansprache gestört worden, welche Ulrika's Interesse für ihn bekundete und jeden Ton ihm tief ins Herz gehen ließ.

»Sie gehört zu den Meinigen,« sagte er gebieterisch – »sie und ihre Dienerin. – Laßt sie eintreten.«

Ulrika zögerte, kaum wissend, warum, so daß Ilse, die vom Gehen ermüdet war und sich nach ihrer Ruhe sehnte, sie vorwärts drängen mußte. Der Einsiedler wandte sich um und verschwand, als erinnere er sich plötzlich der Pflicht, die ihn nach dem Kloster geführt hatte, während andererseits der Pförtner, der in Betreff des Mannes, für den die Messe gelesen werden sollte, seine Weisungen erhalten hatte – keine weiteren Einwendungen erhob, sondern Ilse erlaubte, ihre Gebieterin hereinzuführen. Die Weiber waren kaum in dem Hofe angelangt, als das Pförtchen wieder geschlossen und verriegelt wurde.

Ulrika säumte nicht länger, obgleich sie an allen Gliedern zitterte. Mit Mühe schleppte sie die zögernde Ilse nach und schlug dann geraden Wegs die Richtung nach der Thüre der Kapelle ein. Mit Ausnahme des Pförtners im Thorstübchen und der Lampe vor dem Bilde der Jungfrau schien innerhalb der Klostermauern Alles so düster und still zu seyn, wie es draußen gewesen war. Nicht einmal eine Schildwache von Churfürst Friedrichs Lanzknechten war sichtbar; aber dieß erregte keine Verwunderung, da bekanntlich die Soldaten von dem eigentlichen Klosterbau möglichst fern gehalten wurden. Wahrscheinlich bewohnten sie die geräumigen Gebäude hinter der Wohnung des Abts, in denen wohl ihre doppelte Anzahl untergebracht werden konnte. Was die Mönche betraf, so ließ sich ihre Abwesenheit wohl aus der späten Stunde und aus der Art des bevorstehenden Gottesdienstes erklären.

Die Thüre der Abteikirche war stets offen – eine Sitte, welche fast alle katholischen Gotteshäuser in Städten von einigem Umfang mit einander gemein haben und die einen ergreifenden Aufruf an den Wanderer in sich schließt, des Wesens eingedenk zu seyn, zu dessen Ehren der Tempel errichtet wurde. Dieser Gebrauch kömmt im Allgemeinen der Andacht, wie der Neugier, dem Kunstfreund wie dem Verehrer Gottes zu Statten, und es ist nur zu bedauern, daß die erstere Classe, namentlich wenn sie einer andern Confession angehört, sich nicht öfter erinnert, daß ihr Geschmack allen Werth verliert, wenn sie ihm auf Kosten jener Ehrfurcht Raum gibt, welche stets das Benehmen des Menschen in der unmittelbaren Gegenwart seines Schöpfers bezeichnen sollte. Bei dem erwähnten Anlasse war jedoch Niemand anwesend, der den Altar oder seinen Dienst mit Leichtsinn hätte behandeln mögen. Als Ulrika und Ilse in die Kapelle traten, wurden die Kerzen des Hochaltars angezündet und die Lampen des Chors warfen ein trübes Licht auf die düstere Architektur. Das mit erhabener Arbeit versehene und gemalte Gewölbe, die aus Eichenholz geschnitzten Stühle, die Altarbilder und die ernsten, knieenden Rittergestalten, welche die Grabsteine verzieren, bildeten einen lebhaften Gegensatz zu ihren eigenen tiefen Schatten.

Wenn es wünschenswerth ist, die Andacht durch äußerliche Hülfsmittel zu unterstützen, so war gewiß Alles hier vereinigt, was den Geist zu tiefer, beschaulicher Ehrfurcht stimmen konnte. Die Diener des Altars schwebten in ihren Amtsgewändern durch das prachtvolle heilige Gebäude; ernste Mönche standen erwartungsvoll in ihren Stühlen, und der Abt selbst saß, mit der Mitra und den gestickten Gewändern bekleidet, auf seinem Thronsessel. Möglich, daß ein spähender, übelwollender Blick in einigen schlaffen Gesichtern oder schweren Augenlidern eine Sehnsucht nach dem Bette und nur wenig Theilnahme an der gottesdienstlichen Handlung hätte entdecken können; indeß waren auch Andere vorhanden, die ihr Amt mit Eifer und Ueberzeugung versahen. Unter die letzteren gehört Pater Arnolph, der bleichen Antlitzes und gedankenvollen Blicks in seinem Stuhle saß und die Vorbereitungen mit der ruhigen Geduld eines Mannes beobachtete, der sich in Erfüllung der Pflichten seines Gelübdes glücklich fühlt. Einen lebhaften Gegensatz zu dieser Gestalt bildeten die unruhigen und mehr strengen als demüthigen Gesichtszüge des Pater Johann, der seine Blicke hastig von dem Altare und seinen reichen Verzierungen nach der Stelle hingleiten ließ, wo der Einsiedler kniete, als wollte er berechnen, bis zu welchem Grad von Zerknirschung der gebeugte Geist des Reuigen möglicherweise heruntergestimmt werden könnte.

Odo von Ritterstein – denn es ist kein Grund mehr vorhanden, dem Klausner die ihm gebührende Bezeichnung nicht zu geben – lag in der Nähe des Geländers unten im Chor auf seinen Knieen und ließ seine Augen fortwährend auf dem goldenen Gefässe haften, welches die geweihte Hostie enthielt, die er früher so vermessen beschimpft hatte – ein Vergehen, das er jetzt nach Kräften zu sühnen bemüht war. Seine Gestalt war nur matt erhellt, aber dies diente dazu, jede Furche, die Gram und Leidenschaft auf sein Gesicht gezeichnet hatten, nur um so mehr hervorzuheben. Ulrika studirte seine Züge, die sich ihr in so wenig schmeichelnder Beleuchtung darstellten: sie knieete zitternd neben Ilse auf der andern Seite des kleinen Gitter-Pförtchens, welches das Kirchenschiff mit dem Chor in Verbindung brachte. Aber kaum hatte sie diese Stellung angenommen, als sich Gottlob hinter den Säulen hervorschlich und in der Ferne auf die Fliesensteine des mittlern Ganges niederknieete. Er war zu der Messe gekommen, weil dieser Gottesdienst Niemand verweigert wurde.

Die Beleuchtung um den Altar war so lebhaft und das Kirchenschiff unten stand so tief im Schatten, daß sich Bonifacius nur mit Mühe überzeugen konnte, ob die Person zugegen war, für die der Gottesdienst abgehalten wurde. Er mußte seine Stirne falten, um so vermittelst seiner dichten Brauen sich eine Art Schirm zu bilden und Odos Gestalt unterscheiden zu können; sobald er sich übrigens von der Anwesenheit des Büßenden überzeugt hatte, deutete er durch einen Wink an, daß die heilige Handlung beginnen könne.

Es ist kaum nöthig, hier die Einzelnheiten einer Ceremonie zu wiederholen, die wir bereits in diesen Blättern zu schildern hatten; wir beschränken uns daher auf die Bemerkung, daß die Musik und der übrige Gottesdienst mitten in der ruhigen Stille der Nacht eine doppelt ergreifende und feierliche Wirkung übte. Man vernahm dieselbe kräftige Solostimme, wie am Morgen oder vielmehr wie am vorhergehenden Tag (denn Mitternacht war bereits vorüber) und eine gleich erschütternde Wirkung derselben ließ sich auch an denjenigen bemerken, welche an die ergreifende übermenschliche Melodie gewöhnt waren. Im Verlauf der Messe wurde das Stöhnen des Einsiedlers so hörbar, daß diese Aeußerungen des Leids bisweilen die Feierlichkeit zu unterbrechen drohte. Ulrikas Herz antwortete auf jeden Seufzer, der sich Odos Brust entrang, und noch vor Beendigung der Einleitungsgebete hatte ihr Antlitz in Thränen gebadet.

Die Prüfung der verschiedenen Mönchsgesichter während dieser Scene würde einem Manne, der sich's zur Aufgabe gemacht hätte, die Verschiedenheiten des menschlichen Charakters zu erforschen oder die wechselnden Schatten zu beobachten, welche dieselben Ursachen bei verschiedenen Gemüthern hervorrufen – eine würdige Studie geboten haben. Jeder Seufzer des Einsiedlers blitzte in den glühenden Zügen des Pater Johann mit einer Art heiligen Entzückens auf, als triumphire der Mönch über die Gewalt des Gottesdienstes, und mit jeder Minute wandte sich sein Blick fragend in die Richtung des Chorgitters, während sein Ohr gespannt auf den geringsten Ton lauschte, der mit seinen Wünschen im Einklang stand. Andererseits sprach sich in dem Antlitz des Priors der Ausdruck des Schmerzes und der Theilnahme aus. Jeder Seufzer, der sein Ohr erreichte, weckte in ihm ein Gefühl des Mitleids, allerdings mit heiliger Freude gemischt, aber dennoch eines Mitleids, das eben so tief und bestimmt, als rein menschlich war. Bonifacius hörte zu, wie ein Mann, der in seinem Amt ist – kalt und mit wenig Rücksicht auf das, was vorging, die gebührende Beobachtung des Rituals ausgenommen. Von Zeit zu Zeit stützte er das Haupt auf seine Hand, und man konnte deutlich sehen, daß er über Dinge nachdachte, die nur in entfernter Beziehung zu der Handlung vor ihm standen. Unter den übrigen Mönchen sprach sich je nach ihren verschiedenen Charakteren mehr oder weniger Andacht aus, und einige hatten die Gelegenheit benützt, sich, soweit es die Beobachtung des Ritus gestattete, ein paar Augenblicke des Schlummers wegzustehlen.

In dieser Weise verbrachte die Brüderschaft von Limburg die ersten Stunden des Tages oder vielmehr des Morgens nach dem Sonntage, mit dessen Vorabend wir unsere Erzählung eröffnet haben. Denen, welche in Beobachtung ihrer Gelübde besonders eifrig waren, konnte eine derartige Verwendung ihrer Zeit später zum Troste werden, denn schon bereiteten sich Ereignisse vor, die einen bleibenden Einfluß nicht nur auf ihr eigenes Geschick. sondern auch auf das der ganzen Gegend, in welcher sie wohnten, üben sollten.

Die Akkorde der letzten Hymne erhoben sich zu dem Gewölbe über dem Chor, und inmitten der Ruhe, welche eine schöne Stimme hervorzurufen nie versäumt, ließ sich ein gedämpftes Rauschen vernehmen, das man für das Gemurmel des Windes, oder auch für das unterdrückte Summen von hundert Stimmen halten konnte. Als dieses Geräusch zum ersten Mal laut wurde und unter den gerippten Bogen der Kapelle verhallte, erhob sich der Kuhhirte von seinen Knieen und verschwand in dem Schatten der Kirche. Die Mönche drehten sich, wie in Folge eines gemeinsamen Antriebs, um zu lauschen, kehrten aber schnell wieder zu ernster Aufmerksamkeit auf die gottesdienstliche Handlung zurück. Allerdings schien Bonifacius einige Unruhe zu empfinden, übrigens in einer Weise, von der er sich selbst keine Rechenschaft zu geben vermochte. Seine grauen Augen schweiften über das Düster, das unter den fernen Säulen der Kirche herrschte, und kehrten dann zerstreut zu den prächtigen Altar-Geräthschaften zurück. Die Hymne wurde fortgesetzt und ihre beschwichtigende Gewalt schien alle Gemüther zu beruhigen, bis endlich das Geräusch an dem großen Thore und an der äußeren Mauer zu deutlich und bestimmt wurde, um einen weitern Zweifel zuzulassen. Die ganze Brüderschaft erhob sich wie Ein Mann und die Stimme des Sängers verstummte. Ulrika rang schmerzlich ihre Hände, während ob der Rohheit der Unterbrechung sogar Odo von Ritterstein seinen Kummer vergaß.



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