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Fünfzehntes Kapitel.

»Ich bitte, theures Weib und edle Tochter,
Macht meiner rauhen Sache ebne Bahn.«

König Heinrich IV.

 

Ungefähr eine Stunde, nachdem Ulrika und Lottchen auf die im letzten Kapitel erwähnte Weise verschwunden waren, sah man Heinrich Frey's Gesellschaft auf dem Wege nach der Stadt durch das Jägerthal und unter dem Limburger Berge hinreiten. Vier leicht bewaffnete Knechte des Grafen schlossen sich dem Zuge an und bildeten dem Anscheine nach eine Ehrengarde des Bürgermeisters, obgleich im Grunde ihre Begleitung blos eine Schutzmaßregel war, im Falle der gedachte Würdenträger einigen Streifzüglern von der Klostermannschaft begegnete, die sich beleidigende Handlungen erlauben konnten. Wenn sich der Leser noch erinnert, daß der Pfad auf Rufweite an den Klostergebäuden vorbeiführte, so wird er begreifen, daß diese Vorsorge nicht ganz unpassend war.

Während die Thiere unter den gewaltigen Thürmen und weiten Dächern, die man sogar von der tiefen Schlucht aus sehen konnte, vorbei trabten, wurde Heinrichs Gesicht, das schon beim Einreiten durch das Hartenburger Thor ungewöhnlich gedankenvoll gewesen war, noch ernster, und Meta, die wie gewöhnlich auf seinem Hintersattel ritt, hörte ihn etlichemal schwer aufathmen – ein untrügliches Zeichen, daß der geistige Theil ihres würdigen Erzeugers in ganz außerordentlicher Thätigkeit begriffen war.

Ein derartiger Schatten war jedoch nicht allein auf dem Gesichte des Bürgermeisters bemerklich, denn ein tiefes, gedankenvolles Düster umwölkte auch das schöne Antlitz seiner Gattin, während die Züge der blühenden Meta jene Art ernster Ruhe verrieth, welche so gerne auf hohe Aufregung folgt – ein Moment, in welchem der Geist augenscheinlich in Prüfung der Vergangenheit begriffen ist, als wolle er den Werth oder Unwerth des kürzlich genossenen Vergnügens zergliedern. Von allen Heimkehrenden war nur die alte Ilse noch in der Stimmung, in welcher sie ausgezogen war – selbstzufrieden, unbewegt und schwatzhaft.

»Graf Emich muß Dir's nicht zu Gefallen gemacht haben, Vater,« sagte Meta rasch, als ihr ein Athemzug, den man bei einer weniger fleischlichen Natur Seufzer genannt haben würde, Grund zum Glauben gab, das Innere des Bürgermeisters kämpfe mit irgend einem bitteren Aerger – »denn sonst müßtest Du heiterer und mehr aufgelegt seyn, mir Deinen väterlichen Rath zu ertheilen: ist es doch sonst so Deine Gewohnheit, wenn wir miteinander auf dem Sattel sitzen.«

»Die Gelegenheit soll nicht versäumt werden, Mädchen, und jene Abteimauern zeigen sich gerade in rechter Zeit, um mein väterliches Gedächtniß zu spornen. Du bist übrigens im Irrthum, wenn Du meinst, die Seele des Herrn Grafen und die meinige seyen minder fest an einander geknüpft, als die von David und Jonathan. Ich kenne keinen Menschen, den ich mehr liebte, und unter dem Adel achte ich ihn am meisten – natürlich den Kaiser und den Churfürsten ausgenommen, welchen pflichtmäßig der Vorrang gebührt.«

»Das ist mir lieb, denn ich mache gerne einen solchen lustigen Ritt unter die Berge, namentlich, wenn es einen Besuch in Lottchens Wohnung gilt.«

Heinrich pustete hörbar und setzte, nachdem er eine Weile stumm fortgeritten war, das Gespräch fort.

»Meta,« sagte er, »Du trittst nun in das Alter der Jungfrau, und es ist an der Zeit, Deinen jugendlichen Sinn in einer Weise zu befestigen, daß er es mit der Hinterlist und Bosheit der Welt aufnehmen kann. Das Leben ist ein sehr unsicheres Gut, namentlich für den Tapfern und Unternehmenden, und wir leben in gefährlichen Zeiten. Wer heute in vollem Glanze, geehrt und angesehen auftritt, ist vielleicht morgen oder – um die Anspielung uns noch näher zu rücken – schon heute Abend niedergesäbelt. Ja, Dein eigener Vater ist so sterblich, wie das nächste beste kriechende Gewürm oder gar wie der werthloseste Lumpenkerl in der Pfalz, der sein Vermögen, vielleicht den sauer erworbenen Sparpfenning eines betriebsamen Vaters – in üppiger Schwelgerei verthut.«

»Das ist wahr, Vater,« entgegnete das Mädchen, welches, obschon sonst an die spießbürgerliche Moral ihres Erzeugers gewöhnt, den Herrn Bürgermeister nie mit so geringer Achtung von sich selbst hatte sprechen hören; sie redete darum nur in gedämpftem Tone, als ob das Nachdenken über diese plötzliche Demuth einen niederschlagenden Eindruck auf ihrs eigenes Würdegefühl geübt habe. »Wir sind nicht besser, als der ärmste Dürkheimer, und kaum so gut, als das arme Lottchen und Berchthold.« Ein noch stärkeres Gebläse bekundete Heinrichs Mißvergnügen.

»Bleib mir mit diesen ehrlichen Leuten vom Halse,« antwortete er; »da jedermann für seine eigene Person in den Himmel oder in die Hölle kommen muß, so überlaß es Lottchen und ihrem Sohne, das ihnen von der Vorsehung zugetheilte Schicksal hinzunehmen. Wir unsrerseits haben es jetzt mit sehr wichtigen und bedeutungsvollen Familien-Angelegenheiten zu thun, und da ich Dir ernste Vorstellungen zu machen Willens bin, Kind, so fordre ich Dich auf, mir die angelegentlichste Aufmerksamkeit zu schenken. Zugegeben ist, daß ich sterblich bin – Du darfst überzeugt seyn, Meta, daß ich dies nicht so leichthin und ohne Noth einräume – und als nothwendige Folge ergibt sich daraus, daß Du als Waise zurückbleiben wirst, wenn ich Dir früher oder später entrissen werde. Dieses große Unglück aber kann uns beide weit eher befallen, als Du Dir denkst, denn ich muß Dir wiederholt bemerken, daß wir in gefährlichen Zeiten leben, und hitzköpfige Tapferkeit kann Jeden stündlich mit einem frühzeitigen Ende bedrohen.«

Meta's runder Arm klammerte sich nachdrücklicher an den Leib des Bürgermeisters an, der diesen sanften Druck als einen Beweis der Angst nahm, welche die Tochter wegen seines muthmaßlichen Endes fühlte.

»Warum sprichst Du so, Vater,« rief sie, »da Du doch weißt, daß es nur uns beide unglücklich machen kann! Ich bin zwar noch jung, aber doch ist mir vielleicht von dem Schicksal beschieden, zuerst zu sterben.«

»Wohl möglich, aber nicht wahrscheinlich,« erwiederte Heinrich mit melancholischer Miene. »Wenn's nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur geht, so wird an mich sogar noch vor Deiner Mutter die Reihe kommen, da ich zehn gute Jahre älter bin, und was Dich angeht, so fürchte ich sehr, daß Dich eines Tags das Unglück trifft, als Waise zurückbleiben zu müssen. Nur Gott ist bekannt, wohin die Zwiste, die uns jetzt bedrängen, noch führen werden, und ich halte es deshalb für weise, die geeigneten Vorbereitungen zu treffen. Wann immer die Scheidestunde kommen mag, Meta, so wird Dir nur ein kläglicher Begleiter für eine Person von so zartem Alter und so geringer Erfahrung zurückbleiben.«

»Vater!«

»Ich meine das Geld, Kind, das je nach Umständen ein Segen oder ein Fluch ist. Würde ich plötzlich abgerufen, so dürftest Du darauf zählen, viele müßige und liederliche Werber um Dich zu haben, die bei ihren Bärten schwüren, Du seyest ihnen theurer, als die Luft, die sie athmen, während in Wahrheit ihr einziger Wunsch darauf hinausgienge, einen Blick in die Verlassenschaft des seligen Bürgermeisters zu thun. Für eine Person von Deiner Mittelstellung ist es schwer, eine glückliche Heirath zu machen, denn während Dir Mangel an Geburt die Thüren der Schlösser und der Palaste verschließt, geben Dir Deine Mittel ein Recht, weit über den bloßen Bürgersmann hinauszusehen. Es wäre mir gar lieb, einen jungen Menschen von schönen Aussichten, der kein Verschwender ist, zum Schwiegersohn zu haben.«

»Der wird sich nicht so leicht finden lassen, guter Vater,« entgegnete Meta lachend, denn nur wenige Mädchen von ihren Jahren hören ohne eine nervöse Gereiztheit, welche leicht den Anschein von Frohsinn gewinnt, auf Entwürfe und Pläne, die ihre künftige Versorgung betreffen; »denn mir scheint die Welt nur aus Personen zu bestehen, welche erwerben, und andere, welche vergeuden.«

»Aus Weisen also und aus Narren. Aber bei allen Verheirathungen von Mädchen in Deiner Stellung kommen gemeiniglich drei Haupterfordernisse in Betracht, ohne welche nicht leicht auf Glück oder auch nur auf Alltagsrespekt zu hoffen ist. Erstlich gehören hieher die Mittel zu einem ordentlichen Auskommen, zweitens die Zustimmung und der Segen der Aeltern, drittens die Gleichheit des Standes.«

»Ich meine, Vater, Du hättest auch etwas von Geschmack und Neigung sagen sollen.«

»Das sind Einbildungen, Kind, die jede Grille ändern kann. Betrachte jenen Bauern, der die Weinberge der Abtei versorgt – meinst Du, er sey bei seinem Glase sauern Weines weniger glücklich, als wenn er den besten Rheinwein aus dem Klosterkeller hinuntergießen dürfte? Und doch unterliegt es keinem Zweifel, der Kerl würde wenn man ihm die Wahl ließe, bereitwillig schwören, daß kein anderer Tropfen als ächter Hochheimer über seine Lippen kommen solle! Mit lauter Phantasieen kann sich der Mensch elend machen, wenn er seinen Sinn auf eine andere Lebensweise setzt; aber betrachtet man die Stellung dieses Weingärtners von dem Standpunkte eines nüchternen Gewerbfleißes, so kann es keinen zufriedeneren Menschen geben, als ihn. Ach, wie oft habe ich nicht, wenn Aerger und Verluste meinen Geist schwer bedrückten, diese Schlingel um ihr Glück beneidet!«

»Du möchtest also Deine Stellung gegen die eines Weingärtners vertauschen, Vater?«

»Was fällt Dir ein, Dirne – meinst Du, es gebe keine Ordnung und Schicklichkeit auf der Welt? – Doch eben dies führt mich auf die Hauptsache. Es ist heute von einem einfältigen – um nicht zu sagen anmaßenden Vorschlag die Rede gewesen: der junge Berchthold Hintermayer wünsche nämlich seine Armuth mit Deinen Mitteln zu paaren.«

Meta senkte verschämt das Haupt, und der Arm, welcher den Leib ihres Vaters umfaßt hielt, zitterte merklich.

»Ich zweifle, ob Berchthold je daran gedacht hat,« antwortete sie mit einer Stimme, die kaum lauter klang, als ihre sehr vernehmlichen Athemzüge.

»Desto besser für ihn, denn ein derartiger Wunsch wäre eben so unvernünftig, als wenn Du auf eine Verbindung mit Graf Emichs Erben rechnen wolltest.«

»Nein, dieser thörichte Gedanke ist mir nie in den Sinn gekommen,« rief Meta freimüthig.

»Nur um so besser, Mädchen, denn der Graf von Hartenburg hat den jungen Menschen schon seit Jahren verlobt. Na, da wir einander so gut verstehen, so überlaß mich meinen Gedanken; denn gar wichtige Dinge liegen mir gegenwärtig auf dem Herzen.«

Nach diesen Worten nahm Heinrich eine Haltung des Nachdenkens an, denn er war völlig zufrieden mit der väterlichen Lehre, die er eben seiner Tochter ertheilt hatte. In den wenigen unbestimmten Aeußerungen übrigens, welche Heinrich Frey hatte fallen lassen, fand Meta für den Rest ihres Rittes hinreichenden Stoff zu unerfreulichen Vermuthungen.

Während des Gesprächs zwischen Heinrich Frey und Meta fand gleichfalls eine Unterhaltung zwischen Ulrika und der alten Magd auf ihrem Hintersattel statt. Ilses Redseligkeit und die oft erprobte Nachsicht ihrer Gebieterin gaben der Ersteren Anlaß, das Schweigen zu unterbrechen, sobald sie das Dörfchen im Rücken hatten und die übrige Gesellschaft weit genug voraus war, um ihrer Zunge keinen Zügel mehr anzulegen.

»Ja, das muß ich sagen, heute ist doch in Wahrheit ein Tag gewesen,« rief die Magd. »Zuerst hatten wir die Frühmesse in Dürkheim, dann die scharfe Predigt des Pater Johann nebst dem Amt in der Abtei, und endlich das herablassende Benehmen des Grafen Emich! Ich glaube nicht, gute Frau, daß Du je zuvor den Bürgermeister so hoch hast auszeichnen sehen.«

»Du weißt wohl, Ilse, daß er bei dem Herrn von Hartenburg stets sehr in Gnaden stand,« entgegnete Ulrika in einer Weise, als seyen ihre Gedanken mit ganz andern Dingen beschäftigt. »Wollte Gott, sie wären im gegenwärtigen Augenblicke weniger freundlich gegen einander.«

»Ei, Du läßt damit Deinem Gatten schlechte Gerechtigkeit widerfahren. Es ist ehrenvoll, von denen geehrt zu werden, welche die Welt wiederum ehrt, und Du solltest wünschen, daß sich der Bürgermeister der Gnade aller solcher Personen zu erfreuen hätte, und wenn der Kaiser selbst darunter wäre. Doch Du bist schon als Kind immer so besonder gewesen, und ich sollte eine Gemüthsart nicht zu hart beurtheilen, die auch ihren guten Grund hat, da sie so zu sagen von der Natur kömmt. Ach, der Himmel ist stets gütig gegen die Rechtschaffenen! Wie glücklich ist nicht Dein Leben, Ulrika. Du kannst hier vor Allen, die ehedem Deines Gleichen waren, als die Frau eines Bürgermeisters aufziehen, und ich möchte es keinem Lumpenkerl rathen, zwischen dem Thor von Dürkheim – oder vielmehr zwischen Deiner eigenen Thüre und der Veste von Hartenburg mit bedecktem Haupte dazustehen, während Dein Rößlein vorbeitrabt. Das nenne ich mir ein Glück! Außerdem haben wir auch den wackeren Heinrich zum Herrn, der besser als irgend Einer in der Stadt die Leute in gehörigem Respekt zu erhalten vermag, und dann unsre Meta, welche unstreitig die Schönste und Klügste unter allen ihren Altersgenossinnen ist. Was endlich Dich selbst betrifft, so bist Du kaum weniger blühend, als vor Alters, und erfreuest Dich einer Gesundheit und eines zufriedenen Sinnes, wie sie selbst dem Wittwenstande ihre Bitterkeit benehmen könnten. Ach, welch' ein Leben ist Dir zu Theil geworden!«

Ulrika schien sich, während die alte Ilse also ihre Ehren und ihr Glück pries, aus einer tiefen Träumerei aufzuraffen, und ein langer, zitternder Seufzer entquoll unwillkürlich ihrer Brust.

»Ich beklage mich nicht über mein Geschick, gute Ilse.«

»Wenn Du das thätest, so ließe ich das Thier Halt machen, um hurtig absteigen zu können, denn aus einem Ritte mit einer so gotteslästerlichen Person dürfte man sich nicht viel Gutes versprechen. Nein, Dankbarkeit geht nach der Demuth allen anderen Tugenden voran, denn durch Demuth gewinnt man Gnaden, die ihrerseits wieder die rechtmäßigen Eltern der Dankbarkeit sind. Ich wollte, Du hättest meiner letzten Beichte anwohnen können, Ulrika; Du würdest dann gehört haben, wie ganz besonders verfängliche Fragen aufs Schärfste erörtert wurden. Pater Johann war zufälligerweise im Beichtstuhl, und nachdem ich das Bischen, was ich zu bekennen wußte – denn obgleich, wie alle Menschen, eine große Sünderin, so kann ich mich doch in meinem dreiundsiebenzigsten Lebensjahre nicht mehr viel gegen den Himmel verfehlen – vorgebracht hatte, kamen wir auf die Kirchenlehre zu sprechen. Der Herr Pater behauptete, auch die Besten von uns könnten in einer Weise fallen, daß sie die Verdammniß verdienten, während ich doch darauf hätte schwören wollen – wenn anders das Schwören an einem solchen Platze schicklich wäre – der selige Prior (und einen besseren hat nie Limburg besessen) habe stets die tröstliche Versicherung gegeben, das Heil sey sicher, wenn man sich nur redlich darum abgemüht habe. Es wundert mich nicht, daß man allenthalben von nichts als von Ketzereien hört, wenn die Geistlichkeit alte und schwache Personen in dieser Weise entmuthigt.«

»Du verweilst nur gar zu gerne bei Spitzfindigkeiten, gute Ilse; ein demüthigerer Glaube würde Deiner Stellung weit besser anstehen.«

»Und was verstehst Du unter dieser Stellung, die mich hiezu unpassend machen sollte? Bin ich nicht alt – und kann Jemand besser sagen, was Sünde ist oder nicht? Hast Du selbst auch gewußt, Kind, was man unter Unrecht versteht, ehe ich Dich's lehrte? Bin ich nicht sterblich und deshalb schwach? Bin ich nicht ein Weib und deshalb forschbegierig – bin ich nicht alt und deshalb erfahren? Nein, komm nur zu mir, wenn Du erfahren willst, worin eine rechte Sünde besteht – ich meine eine Sünde, die ganz besonders der Gnade bedürftig ist!«

»Nun, wir wollen das bewenden lassen. Ich möchte Dich übrigens an längst vergangene Tage erinnern, Ilse, und in einer Sache, die mich nahe angeht, bei Deiner Erfahrung Rath suchen.«

»Dann wird sich's wohl um Meta handeln, denn nichts Andres kann eine Mutter näher berühren!«

»Du hast theilweise Recht, denn ich will von Meta – überhaupt von uns Allen sprechen. Du bist schon mehr als ein Mal mit unsrem Mädchen auf der Heidenmauer gewesen, um den frommen Einsiedler zu besuchen?«

»Du darfst wohl sagen, mehr als einmal, da ich den mühsamen Weg zweimal gemacht habe, und nur Wenige von meinen Jahren würden bei der Anstrengung so leicht weggekommen sein.«

»Und was spricht man in der Gegend von dem heiligen Manne – ich meine von seinem Herkommen und seiner Geschichte?«

»Man erzählt sich allerlei und darunter viel Gutes und Erbauliches. Man meint, ein Segen von ihm sey so gut, als zwei aus der Abtei; denn über ihn weiß man nichts Schlimmes, während über die Limburger gar Manches im Umlauf ist, was besser nicht wahr wäre. Ich für meine Person, Ulrika – und ich behandle dergleichen Dinge nicht blos obenhin – ginge mit einer größeren inneren Tröstung von hinnen, wenn mich der fromme Klausner nur ein einziges Mal mit der Hand berührte, als wenn ich von allen Limburger Mönchen mit Schlägen beehrt würde. Nur den Pater Arnolph will ich davon ausnehmen, der, wenn er auch kein Klausner ist, doch um seiner Tugenden willen einer zu seyn verdient. O! das ist ein Mann! Man kann ihm mit Recht nachsagen, daß er nie ein anderes Getränk genieße, als Wasser aus der Quelle, und nie andere Nahrung zu sich nehme, als steinhartes Brod.«

»Hast Du den Mann auf der Heidenmauer auch gesehen?«

»Für mich ist es zureichend gewesen, seine Hütte im Gesicht zu behalten, denn ich gehöre nicht unter Diejenigen, welche das Gute, das sie besitzen, gleich aufbrauchen. Ich habe den heiligen Mann nie mit Augen gesehen, weil ich mir diese Wohlthat für eines der schlimmen Uebel, welche uns im Alter zuzusetzen pflegen, vorbehalten möchte. Wenn aber eine von den Herbstkrankheiten über mich kommt, sollst Du sehen, wie ich ihn aufsuchen will.«

»Ilse, Du erinnerst Dich vielleicht noch der Tage meiner Kindheit und kennst die meisten Ereignisse, welche sich seit so vielen, vielen Jahren in Dürkheim zugetragen?«

»Ich weiß nicht, was Du Kindheit nennst; aber wenn Du damit den ersten Schrei Deiner schwachen Stimme oder den ersten Blick Deines blinzelnden Auges meinst, so erinnere ich mich daran noch so gut, wie an die gestrige Vesper.«

»Und Du hast die Jünglinge und Mädchen nicht vergessen, die damals an unsern Belustigungen Theil nahmen und zu ihrer Zeit so frohsinnig waren, wie wir's noch heutzutage an der Jugend sehen?«

»Nennst Du das Frohsinn? Ei, die jungen Leute sind heutzutage nichts als gedungene Leidträger, wenn man sie mit denen in meiner Jugend vergleicht. Wer in den letzten fünfzig Jahren geboren ist, weiß nur wenig von Frohsinn und Heiterkeit. Wenn Du erfahren willst – –«

»Hievon können wir zu einer passenderen Zeit sprechen. Aber wenn Dein Gedächtnis so klar ist, so mußt Du Dich noch des jungen Herrn von Ritterstein erinnern, der vordem in dem Hause meines Vaters so wohl gelitten war.«

Ulrika sprach nur leise; aber die ruhige Bewegung des Thieres, das sie ritten, ließ jedes Wort an das Ohr ihrer Begleiterin gelangen.

»Ob ich mich Odos von Ritterstein erinnere?« rief Ilse. »Bin ich denn eine Heidin, daß ich ihn oder sein Verbrechen vergessen haben sollte?«

»Der arme Odo! Wie ich höre, hat er jenes Vergehen in der Verbannung bitterlich bereut, und so wollen wir hoffen, daß er Vergebung gefunden habe.«

»Von wem – vom Himmel? In Deinem Leben nie, Ulrika, kann ein solches Verbrechen Gnade finden. Wie Alle im Jägerthal wohl wissen, wird es gerade heute Nacht zwanzig Jahre, daß er die That verübte, und um seinetwillen wurden in der Abteikapelle zahllose Messen und Exorzismen gesprochen. Für was hältst Du denn den Himmel, daß Du glauben magst, er könne eine derartige Uebertretung vergessen?«

»Es war eine schwere Sünde!« antwortete Ulrika schaudernd, denn obgleich sie den Wunsch verrieth, dem muthmaßlichen Büßer das Wort zu reden, so behauptete doch der Abscheu über sein Vergehen in ihrer Seele die Oberhand.

»Es war eine Lästerung gegen Gott und ein Schimpf für die ganze Menschheit. Er mag zusehen, sag ich, denn seine Seele schwebt in grausamer Gefahr!«

Die Frau des Bürgermeisters antwortete nur mit einem schweren Seufzer.

»Ich kannte den jungen Odo von Ritterstein gut,« fuhr Ilse fort; »aber obschon er dem Aeußeren nach nicht übel begabt und für Alle, die gerne auf eine Honigzunge hörten, von sehr verführerischer Rede war, so kann ich mich doch rühmen, beim allerersten Anblick sein innerstes Wesen durchschaut zu haben.«

»Dir war ein schreckliches Geheimniß bekannt!« sagte Ulrika in halbem Flüstertone.

»Für eine Person von meinen Jahren und von meiner Erfahrung war es kein Geheimnis. Was sind ein hübsches Gesicht, eine adelige Geburt, eine freie Miene und ein dreistes Auge für ein Weib, die ihre Gelegenheiten gehabt und lange gelebt hat? Nein, nein – ich konnte in der Seele des jungen Odo lesen, wie der Priester sein Meßbuch liest – das heißt, mit halbem Blicke.«

»Es ist überraschend, daß eine Person von Deiner Stellung ihn so schnell und so gut durchschaute, während doch die Meisten sich ihn nicht erklären konnten. Du weißt, er stand lange in Gunst bei meinen Eltern?«

»Ja, und bei Dir, Ulrika, und dies beweist nur, wie verschieden das Urtheil der Menschen ist. Was mich betrifft, so habe ich mich keinen Tag – ja nicht eine Stunde in seinem Charakter getäuscht. Was kümmerte mich sein Name? Die Leute sagten zwar, er habe Kreuzfahrer unter seinen Ahnen gehabt, und Edle seines Geschlechtes trügen unter einer heißen Sonne und in einem fernen Lande das Zeichen des Kreuzes zu Gottes Ehre; aber ich mochte nichts davon hören. Ich sah den Mann mit meinen eigenen Augen und richtete über ihn mit meinem eigenen Urtheil.«

»Du sahst in ihm einen Mann, Ilse, dessen Aeußeres kein Mißfallen einflößen konnte?«

»So erschien er dem jugendlichen Leichtsinn. Ich will ihm zwar sein Aussehen nicht absprechen, denn es war, wie er es vom Himmel hatte – und ebenso wenig sage ich etwas gegen seine Gewandtheit in körperlichen Uebungen oder allen andern gepriesenen ritterlichen Eigenschaften, denn ich gehöre nicht unter die Leute, die einem gefallenen Feind hinter seinem Rücken Uebles nachreden; aber er hatte eine Weise an sich! Wenn ich nur daran denke, wie er zum erstenmale Deinen Vater besuchte! Ist er nicht vor den ehrenfesten Bürgermeister hingetreten, als sey er der Churfürst und nicht ein bloßer Ritter! Und obgleich ich dastand, um ihm meinen Knix zu machen, wie es seinem Range und meiner Erziehung gebührte – ja, wie ich ihm sogar mein Compliment mache und es oft wiederhole, kriege ich für alle meine Mühe nicht einmal einen gnädigen Blick, kein Wort des Dankes, kein Lächeln der Herablassung. Er hatte natürlich keine Augen für die alte Wärterin, da sie auf dem Gesichte der jungen Schönheit und anderen leichtfertigen Dingen haften mußten. – O, ich habe es im Augenblick weggehabt, was er war!«

»Er besaß widersprechende Eigenschaften.«

»Schlimmer als dies – hundertmal schlimmer. Ich kann Dir alle seine Tugenden in kurzer Rede aufführen. – Erstlich war er ein Bruder Liederlich, der keine Gelegenheit verabsäumte, die Schlemmereien derselben Mönche mitzumachen, die er beschimpfte. –«

»Nein, davon habe ich nie gehört!.«

»Ist es vernünftig, nach dem, was wir mit Gewißheit wissen, etwas Anderes anzunehmen? Nenne mir von einem Menschen nur ein einziges kühnes Laster, und ich will Dir hurtig die ganze Sündenkameradschaft aufzählen.«

»Und ist dies wahr? Sollten wir nicht lieber denken, daß die meisten Menschen an ihren schwächsten Seiten am ehesten nachgeben, während sie in ihren stärksten beharrlichen Widerstand leisten? – Es mag wahr seyn, daß es Mängel gibt, welche, während sie die Verdammung der Welt an sich laden, Gleichgültigkeit gegen die Ansichten derselben erzeugen; aber dennoch hoffe ich, nur Wenige sind so schlimm, daß sie nicht einen Theil ihrer guten Eigenschaften beibehielten.«

»Hättest Du je eine Belagerung mit angesehen, gute Frau, so würdest Du nicht so sprechen. Draußen vor dem Graben ist der Feind, und schreit und krakeelt und thut sein Schlimmstes, um die Besatzung zu beunruhigen. – Ich sage nur, was ich schon zu dreien Malen hier in unserem eigenen Dürkheim erlebt habe – aber so lange noch keine Bresche da ist, oder keine Sturmleitern angelegt sind, geht Jedermann in den Straßen ruhig und unbeschädigt seines Weges. Laß aber den Feind einmal hereinkommen – und wär's durch ein Fenster oder zum Schornstein herab – so fliegen die Thore auf und herein kommen zu Hauf Reiter und Fußvolk, so daß kein Haus der Plünderung entgeht und kein Heiligthum ungeschändet bleibt. Nun war jene Gotteslästerung des Herrn Odo ebenso viel, als ob der Vorhang einer Mauer mit einemmale einstürzte, um ganze Bataillone und Schwadronen von Lastern anrücken zu lassen.«

»Daß die Handlung schrecklich war, ist eben so gewiß, als daß sie schwere Strafe fand; aber dennoch ist es möglich, daß sie ihren Grund nur in einem augenblicklichen Irrsinne oder in gereizter Rachsucht hatte.«

»Es war Gotteslästerung und ist als solche bestraft worden – wozu bedarf es weiterer Entschuldigung? Doch wir haben eben Meta in der Nähe, und es dürfte wohl nicht sehr passend seyn, wenn sie mit anhörte, wie ihre Mutter die Sünde rechtfertigt. Vergiß nicht, daß Du eine Mutter bist, und erfülle Deine Aufgabe mit Klugheit.«

Da sie in die Nähe des Pferdes gekommen waren, auf welchem der Bürgermeister und seine Tochter ritten, so hörte Ulrika mit der geduldigen Nachsicht, welche stets ihren Verkehr mit der alten Dienerin bezeichnete, zu sprechen auf. Auf dem Reste des Weges wurde nichts von Belang weiter verhandelt; aber sobald der Bürgermeister vor seinem Hause angelangt war, eilte er fort, um mit dem Magistrate der Stadt eine geheime Berathung zu halten.

Der übrige Tag entschwand, wie es damals in den Städten üblich war. Die Bogenschützen übten sich außerhalb der Stadtmauer im Schießen, und die besser geschulten Arkebusire manövrirten mit ihrer schwerfälligen, aber beziehungsweise gefährlichen Waffe; die jungen Leute beiderlei Geschlechtes tanzten, während die Weinhäuser mit Handwerksleuten überfüllt waren, die nach saurer Wochenarbeit den wohlfeilen und gesunden Pfälzerwein mit schwerfälligem, thierischem Behagen hinuntergossen. Da und dort zeigte sich ein Mönch der benachbarten Abtei in den Straßen, obschon seine Miene nicht mehr so gebieterisch und zuversichtlich war, wie vor der offenen Verkündigung der Ansichten Luthers, die so viele von den Lehren und Gebräuchen der herrschenden Kirche in Frage stellten.



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