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Vierzehntes Kapitel.

»Ein sanftes Roth färbt ihre Wangen
Und überfliegt des Halses Schnee.«

Rogers.

 

Die Hütte Lottchens, der Mutter Berchtholds, zeichnete sich vor den anderen Wohnungen des Dörfchens nur durch ihre größere Reinlichkeit und jene bequeme Einrichtung aus, die hauptsächlich von Geschmack und Angewöhnung abhängig ist und selbst durch die Armuth denen nicht verkümmert werden kann, welche unter bessern Verhältnissen erzogen wurden. Sie stand ein wenig seitwärts von der Hauptgruppe der ärmlichen Häuser und besaß neben anderen ausgezeichneten Merkmalen noch den Vortheil einer kleinen Umzäunung, durch welche sie theilweise dem Gassenlärm entzogen wurde, welcher den meisten Dörfern Europas ihren ländlichen Charakter benimmt.

Wir haben schon öfters die Schwierigkeit berührt, durch Ausdrücke, welche zwar den beiden Hemisphären eigen, aber in ihrer Bedeutung so vielen Modifikationen unterworfen sind, genaue Vorstellungen von positiven Dingen oder selbst von moralischen und politischen Wahrheiten zu geben. Was in dem einen Lande als große Bequemlichkeit erscheint, kann man in einem andern für unbehaglich halten, und selbst die beiden höheren Vergleichungsgrade müssen stets unter richtiger Würdigung ihrer positiven Eigenschaften aufgefaßt werden. So hat z. B. der Ausdruck ›sehr schön‹ keinen klaren Sinn, wenn man nicht über den Begriff des Schönen einig ist, während die Worte Reinlichkeit, Eleganz und sogar Größe in ihren eigenthümlichen Bedeutungen bloß durch die Gewohnheits-Anschauung erklärt werden können. Wenn wir die Hütte von Lottchen Hintermayer auch nur entfernt einer jener weißen, reinlichen Wohnungen mit venetianischen Blenden, einem Portikus, vorn einem Grasplatze und hinten einem in der Pracht goldner Früchte prangenden Garten, während Weiden und Akazien das niedrige Dach beschatten und das Gesträuch Düfte aushaucht, die nur von einer wohlwollenderen Sonne hervorgelockt werden können – an die Seite setzen wollten, so würden wir unsrem Leser ein Bild geben, das in Europa nirgends existirt – nirgends: denn in Gegenden, über welche die Natur die Fülle ihres Segens ausgegossen hat, liegt der Mensch in geistiger Haft, und wo er hinreichend fortgeschritten und frei genug ist, um das Bedürfniß der erwähnten Genüsse zu fühlen, sind sie ihm durch die Kargheit der Natur versagt. In Amerika, aber auch bloß in Amerika, besitzen sogar diejenigen, welchen das Glück nicht freundlich zugelächelt hat, jene Vereinigung von Behaglichkeit, Raum, Abgeschiedenheit und Luxus, welche von den genannten Ursachen abhängen; denn nur bei uns findet man die Gewohnheiten, die zu ihrer Hervorbringung nothwendig sind, in Verbindung mit dem erforderlichen Klima und einer Wahlfreiheit von Material und Land, welche die obgedachte wohnliche Einrichtung auch in den Bereich des Armen stellen. Der Leser wolle sich daher stets diesen Unterschied in der Bedeutung der Ausdrücke vergegenwärtigen, da wir ohne diese Voraussetzung besorgen müßten, von unseren Landsleuten nur wenig verstanden zu werden.

Wir haben diese Erörterung für nöthig gehalten, damit sich nicht etwa irgend Jemand geneigt fühle, zwischen dem Dörfchen Hartenburg und einer der älteren Niederlassungen in der Union eine Aehnlichkeit zu suchen, deren Annahme vielleicht die ferne Periode einigermaßen begründen könnte, obschon sie, wenn die Erzählung in unseren Tagen spielte, kaum die mindeste Haltbarkeit böte. Wie bei allen nördlicheren Nationen richtet sich unter den Deutschen die Reinlichkeit nach ihrem Bildungsgrade, und die Menge kleiner Hauptstädte, die überall hingesät sind und von ihren Fürsten mehr oder weniger verschönert wurden, verleihen diesem Lande im Verhältnisse zur Bevölkerung eine weit größere Anzahl geräumiger, hübscher Plätze, als die meisten anderen europäischen Staaten darbieten; aber wie über den ganzen alten Continent ist auch hier der Arme wirklich arm.

Die kleine Häusergruppe unter den vorspringenden Basteien Hartenburgs trug, den Charakter von Armuth und Niedrigkeit, welcher fast allen derartigen Dörfchen eigenthümlich ist. Die Wohnungen bestanden aus Gebälk und Lehm, waren mit Stroh gedeckt, und hatten Fensteröffnungen, für die in jener Zeit noch kein Glas in Anwendung kam. Wenn wir also von Lottchens wohnlicher Hütte sprechen, so wollen wir damit nicht weiter sagen, als daß sie verhältnismäßig besser war, als die übrigen, und das zugäbliche Verdienst einer makellosen Reinlichkeit besaß. Das Möbelwerk deutete übrigens noch entschiedener auf die frühere Lage der Bewohnerin, denn sie hatte aus dem Schiffbruche, welchen die Glücksverhältnisse ihres Gatten erlitten, noch Manches gerettet, was ihren Augen die früheren glücklicheren Tage vergegenwärtigen konnte – eine jener wehmüthigen Tröstungen im Unglück, welche man gewöhnlich unter Personen findet, deren Sturz durch einige mildernde Umstände gebrochen wurde und die das Zartgefühl und die innige Theilnahme des Beobachters so rührend aussprechen. Aber Berchtholds Mutter hatte auch noch in anderer Beziehung ein Recht an die Achtung derjenigen, welche über ihre bescheidene Schwelle traten. Wie bereits bemerkt wurde, war sie in früherer Zeit Ulrikas Herzensfreundin gewesen und blieb durch ihre Erziehung sowohl, als durch ihren Charakter stets des vertrauten Verhältnisses würdig, welches die Bürgermeisterin mit ihr unterhielt. Ihr Sohn hatte außer dem kleinen Gehalt an Geld, den er bezog, das Recht der freien Pürsch für seine Bedürfnisse, und da deutsche Sparsamkeit sie zur Besitzerin einer Garderobe von mehreren Generationen gemacht hatte, so war die achtbare Frau nicht nur keinem eigentlichen Mangel ausgesetzt, sondern auch stets in der Lage, in einer Weise aufzutreten, die mehr mit ihren früheren, als mit ihren gegenwärtigen Mitteln im Einklang stand. Dazu kam noch, daß Ulrika nie das Jägerthal besuchte, ohne der Bedürftigkeit ihrer Freundin eingedenk zu seyn, und wenn sie sich durch die Jahreszeit oder sonstige Abhaltungen gehindert sah, in Person die Pflicht theilnehmender Freundschaft zu üben, so wurde oft und vielmal die alte Ilse nach dem Dörfchen entsandt, um die Stelle ihrer rücksichtsvollen Gebieterin zu vertreten.

Die Calvalkade von der Abtei aus hatte an Lottchens Thüre vorbeiziehen müssen, weßhalb sie sich wohl denken konnte, daß ihr ein Besuch bevorstand. Als daher die blühende, frohsinnige Meta, von der Tochter des Burgwärtels und Berchthold begleitet, in ihr Haus trat, drückte sie keinerlei Ueberraschung aus, obschon sie sich im Geheim über das, was sie sah, von Herzen freute.

»Deine Mutter?« lautete die erste Frage von den Lippen der Wittwe, nachdem sie die glühende Wange des Mädchens geküßt hatte.

»Mein Vater sagt, sie sey mit Herrn Emich eingeschlossen; wenn dies nicht der Fall wäre, würde sie zuverlässig bereits hier seyn. Sie schickt mich, um Dir dies auszurichten.«

»Und Dein Vater?« fügte Lottchen mit Nachdruck bei, indem ihr Blick unruhig von Meta nach ihrem Sohne hinüberglitt.

»Er läßt sich mit den Zechbrüdern im Schlosse den Rheinwein belieben. Wahrhaftig, Mutter Lottchen, Du mußt das Dörflein sehr unruhig finden, so lange diese schlimmen Gesellen in der Veste sind. Unsere Limburger Mönche sind kaum so durstig, und was ihr albernes Gerede betrifft, so trifft man nicht dergleichen in Dürkheim, obschon es die gute Ilse eine Stadt der Eitelkeit und der Thorheit zu nennen pflegt.«

Lottchen lächelte, denn sie entnahm aus dem heiteren Blicke ihres jungen Gastes, daß nichts Unangenehmes vorgefallen war. Nachdem sie auch Gisela willkommen geheißen hatte, ging sie in die Hütte voran.

»Weiß Heinrich von diesem Besuche?« fragte die Wittwe mit peinlich gespannter Erwartung, sobald ihre jungen Gäste Platz genommen hatten.

»Ich habe Dir ja gesagt, Lottchen, daß er mit den Fremden über dem Becher sitzt. Hier ist Dein Sohn Berchthold – der ruhelose, ungeduldige Berchthold – er kann Dir am besten mittheilen, Mutter, in welch köstliche Gesellschaft der Bürgermeister von Dürkheim gerathen ist.«

Meta lachte bei diesen Worten, obschon sie in Wahrheit selbst kaum wußte, warum. Die erfahrenere Wittwe sah in der Heiterkeit ihres jungen Gastes nicht viel mehr, als die übersprudelnde Lebhaftigkeit der Jugend, welche ohne zureichende Gründe ebenso leicht zum Frohsinn, als zum Grame führt; indeß beobachtete sie doch mit Angelegentlichkeit die Züge ihres Sohnes, um daraus zu entnehmen, in wie weit er mit Meta's Heiterkeit sympathisire.

»Da Du Dich auf mich berufst,« begann Berchthold, seinen innersten Gedanken Worte leihend, »so muß ich mich dahin aussprechen, daß sich Heinrich Frey im gegenwärtigen Augenblick mit zwei so hoffnungslosen Müßiggängern umtreibt, als nur je welche die Thüren der Hartenburg verdunkelt haben. Wahrhaftig, Bruder Luther hat wohl nöthig, sich für die Kirche zu rühren, wenn derartiges Volk das Gewand derselben trägt.«

»Von dem plauderhaften, halb geschorenen Abbé magst Du sagen was Du willst, Berchthold,« rief Gisela, »aber habe Respekt vor dem Rhodiser, als vor einem unglücklichen Krieger, der eben so artig, als ritterlich ist.«

»Die Ritterlichkeit will ich Dir nicht anfechten,« entgegnete Meta mit Wärme; »aber Du mußt Dich sehr an die rohe Gesellschaft solcher Kumpane gewöhnt haben, wenn Du seine Reden artig nennen kannst.«

Lottchen hatte die Gesichter der Anwesenden aufmerksam beobachtet, und ihr eigenes Antlitz erheiterte sich bei der Freimüthigkeit und Wärme der letzten Sprecherin. Sie wollte eben dem richtigen Urtheile derselben ein vorsichtiges Lob spenden, als sich draußen ein leichter Tritt vernehmen ließ und unmittelbar darauf Ulrika selbst eintrat. Die jungen Leute waren zwar viel früher von dem Schlosse aufgebrochen, hatten aber ungeachtet der nur kurzen Strecke zwischen der Veste und dem Dörfchen unterwegs so viel Zeit auf müßiges Lachen oder Pflücken von Blumen am Bergabhange verwendet, daß die alte Ilse recht wohl ihren Erguß über die Art und Weise, wie sie über ihren Pflegling verfügt, hatte erschöpfen können, und die Frau des Bürgermeisters langte daher in der Hütte an, noch ehe das Gespräch weiter gediehen war. Die Begegnung der beiden Freundinnen war in der gewohnten Weise warm und herzlich. Nach den herkömmlichen Fragen und einigen nichtssagenden Bemerkungen von Seite der Mädchen wurde der jüngere Theil der Gesellschaft unter dem Vorwande fortgeschafft, daß Meta mit ansehen müsse, wie Berchthold die Nester für einige Tauben eingerichtet habe, die seine Mutter von dem Mädchen zum Geschenk erhalten. Gisela ging mit und die beiden Mütter sahen die Entfernung ihrer Kinder nicht ungern, da sie sich ohne Zeugen zu besprechen wünschten; auch wußten sie wohl, wie sehr Jugend und Neigung geeignet seyn würden, vermittelst jener tausend kleinen Abhaltungsgründe, welche die arglose und unschuldige Koketterie der Liebe bilden, ihre Rückkehr zu verzögern.

Sobald Ulrika und Lottchen allein waren, blieben sie eine Zeit lang mit verschlungenen Händen sitzen und sahen sich gegenseitig bedeutungsvoll an.

»Du hast die schlimme Zeit des Frühlings gut durchgemacht, liebes Lottchen,« begann die Erstere mit Innigkeit. »Ich fürchte nicht länger, daß Deine Gesundheit an diesem feuchten Wohnplatze Noth leiden könnte.«

»Und Du siehst noch so jugendlich und schön aus, wie zu der Zeit, als wir in dem Alter Deiner Meta lachend und gedankenlos auf der Haide der Heidenmauer umherschweiften. Von Allen, die ich je gekannt habe, Ulrika, bist Du sowohl an Gestalt, als Deinem Herzen nach, am wenigsten durch die Zeit verändert worden.«

Ein sanfter Druck der Hände, die sich sodann losließen, war die stumme Versicherung ihrer wechselseitigen Liebe.

»Du findest Meta blühend und glücklich?«

»Wie sie es verdient – und Berchthold – ich meine, er arte an Gestalt und Kraft seinem Vater nach?«

»Er ist ganz, wie ich ihn nur wünschen kann – eine einzige Eigenschaft ausgenommen, meine Freundin, und Du weißt wohl, daß mir diese nur lieb wäre, um Heinrichs Bedenken durch sie beschwichtigen zu können.«

»Auf die Eigenschaft, die Du meinst, hat mein armes Kind freilich nicht zu rechnen, denn Berchthold besitzt eine viel zu edle Gleichgiltigkeit gegen das Gold, um es je anzuhäufen, selbst wenn er könnte. Aber welche Mittel hiezu stünden überhaupt einem geringen Förster zu Gebot, dessen Geschäft einzig darin besteht, sein Jagdgebiet zu durchstreifen, bei festlichen Anlässen in dem Gefolge seines Herrn aufzuziehen, oder dessen Kriege mitzukämpfen?«

»Herr Emich schätzt Deinen Sohn und möchte sich ihm, wie ich glaube, gerne huldvoll erweisen. Wenn er Heinrich ernstliche Vorstellungen machte, so wäre wohl noch nicht alle Hoffnung verloren.«

Lottchen ließ ihren Blick auf die Arbeit sinken, mit welcher ihre Nadel beschäftigt war, denn die Noth ist eine systematische Mahnerin zum Fleiße – und es folgte eine lange Pause des Nachdenkens. Während übrigens Ulrika die Aussicht erwog, ob es ihr je gelingen dürfte, über die Geldliebe und die weltlichen Plane ihres Gatten den Sieg davon zu tragen, vergegenwärtigte sich dem Geiste ihrer Freundin ein ganz anderes Bild. Die Augenlider der letztern zitterten, und eine heiße Thräne fiel auf die Leinwand in ihrem Schooße nieder.

»Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, Ulrika,« ergriff sie endlich das Wort – »ob es wohl recht ist, Dein Glück mit der Last unseres Mißgeschicks zu beschweren. Berchthold ist jung und thätig; es scheint daher eben so unnöthig, als unbillig, Dich und Meta in unsere Niedrigkeit herabzuziehen. Ich habe längst angelegentlich gewünscht, mich über das Zweckmäßige unserer Handlungsweise mit einer Freundin berathen zu können, die dabei weniger interessirt ist, als Du; aber es ist schwer, über einen so zarten Gegenstand zu reden, ohne Deiner Tochter zu nahe zu treten.«

»Wenn Dir's um den uneigennützigsten und weisesten Rath zu thun ist, Lottchen, so benimm Dich mit Deinem eigenen Herzen.«

»Dieses sagt mir, ich müsse gegen Dich und Meta gerecht seyn.«

»Ist Dir vielleicht an Berchtholds Benehmen oder Gesinnung etwas bekannt, was der Aufmerksamkeit einer besorgten Mutter entgangen wäre, die ihr Kind nur mit einem würdigen Manne verbunden zu sehen wünscht?«

Lottchen lächelte durch ihre Thränen und sah mit einem Blicke achtungsvoller Liebe zu Ulrika's milden Zügen auf.

»Wenn Du Uebles von dem Jungen zu hören wünschest, so mußt Du nicht zu der Mutter kommen, deren einzige Hoffnung er ist. Der verwaiste Knabe ist der einzige Schatz meines Witwenstandes, und Du könntest vielleicht von einer Person getäuscht werden, welche ihren Reichthum mit so bestochenem Herzen umfaßt.«

»Und bildest Du Dir ein, Lottchen, Dein Sohn könne Dir in Deiner Armuth theurer seyn, als Meta ihrer Mutter ist, obschon die Vorsehung uns Reichthum und Auszeichnung verliehen hat? Du bist in der That durch das Unglück sehr verändert worden und nicht länger das Lottchen meiner jüngern Tage.«

»Ich will nicht weiter sagen, Ulrika,« antwortete die Wittwe mit gedämpfter Stimme, als werde ihr dieser Vorwurf schmerzlich, »sondern überlasse Alles dem Himmel und Dir. Du weißt, selbst der Umstand, wenn Berchthold Graf von Leiningen wäre, könnte nichts in meinem und seinem sehnlichen Wunsche ändern, Meta an seiner Seite in bräutlichem Schmucke vor dem Altare zu sehen.«

Ein fast unmerkliches Lächeln umspielte Ulrika's schönen Mund, denn sie dachte an ihr kürzliches Gespräch mit Emich, obschon sich dem flüchtigen Gedanken weder Argwohn noch Unzufriedenheit beimischte. Sie war zu weise, um die menschliche Natur auf eine allzu schwere Probe zu setzen, und viel zu sanftmüthig, um zu glauben, daß nur das Vollkommene ihre Achtung verdiene.

»Wir wollen uns die Dinge überlegen, wie sie sind,« antwortete sie, »und uns nicht mit dem Unmöglichen behelligen. Wärst Du Ulrika und ich Lottchen, so kann Niemand inniger der Ueberzeugung leben, daß unsere Ansichten keinen Wechsel erlitten, als ich. Auf Meta kannst Du bauen, meine Freundin, aber dennoch darf ich Dir nicht bergen, daß ich fürchte, Heinrich werde nie einwilligen. Sein Sinn ist zu sehr von der sogenannten Gleichheit der Interessen in Anspruch genommen, und es wird in der That schwer seyn, ihn so weit zu bringen, daß er gegen Gold gute Eigenschaften in die Wagschaale legt.«

»Und hat er darin so Unrecht? Welche Vorzüge sind an Berchthold zu finden, die nicht durch Meta's gute Eigenschaften mindestens aufgewogen würden?«

»Das Glück ist kein Gegenstand des Mäckelns, wie etwa der Werth von Häusern und Ländereien. Er hat Unrecht und ich möchte weinen – o, wie bitterlich habe ich schon beweint! – daß Heinrich Frey sich's in den Kopf setzen kann, die Wohlfahrt des unschuldigen, arglosen Kindes an die rohen Zufälligkeiten einer engherzigen Berechnung wegzuwerfen. Aber dennoch wollen wir hoffen,« fügte Ulrika bei, indem sie ihre Augen trocknete, »und unsere Gedanken einer erfreulicheren Seite zuwenden.«

»Du sprachst von der Gunst, in welcher mein Sohn bei dem Grafen stehe, und von dessen Wunsch, uns etwas zu Gefallen zu thun?«

»Ich kenne kein anderes Mittel. um Heinrichs Starrsinn zu brechen. Er ist zwar in allen Dingen, die seiner Meinung nach in meinen Kreis gehören, freundlich und nachsichtig gegen mich, glaubt aber doch, daß eine Frau die weltlichen Interessen nicht zu beurtheilen vermöge; auch fürchte ich, er kennt seine Gattin zu sehr, um nicht meine Befähigung, gerade in dieser Angelegenheit ein maßgebendes Wort mitzusprechen, besonders niedrig anzuschlagen. Es steht deshalb durchaus nicht zu erwarten, daß ein Zuspruch von meiner Seite eine Aenderung in seiner Gesinnung hervorrufen werde. Graf Emich jedoch steht hoch in seiner guten Meinung, denn wer die Gunst der Welt werth hält, Lottchen, zollt stets Denjenigen Ehrfurcht, welche sie zufälligerweise in hohem Grade besitzen.«

Die Wittwe schlug ihre Augen nieder, denn ungeachtet ihres häufigen freundschaftlichen Verkehrs geschah es doch nur selten, daß Ulrika auf die Schwächen ihres Gatten anspielte.

»Und Herr Emich?« fragte sie, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.

»Wie ich bereits sagte, ist der Graf nicht abgeneigt, uns Beihülfe zu leisten; ich habe ihm diesen Morgen unsere Wünsche mitgetheilt und ihn dringend gebeten, uns diesen Liebesdienst zu leisten.«

»Es ist sonst nicht Deine Sache, vor dem Herrn von Hartenburg als Bittstellerin zu erscheinen, Ulrika,« entgegnete Lottchen, indem sie ihre Augen abermals zu dem Antlitz ihrer Freundin erhob, über deren Wange ein so leichtes Roth zog, daß es sich nur wie der Wiederschein irgend einer hellen Farbe ihres Anzuges ausnahm, während ein noch weniger augenfälliges Lächeln einzig in einem leichten Grübchen erkennbar wurde. Die gewechselten Blicke sprachen zumal von heiteren und wehmüthigen Erinnerungen: die beiden Frauen schienen für einen Moment in dem inhaltschweren Buche der Vergangenheit zu lesen.

»Es war meine erste Bitte,« nahm Ulrika wieder auf; »auch kann ich nicht sagen, daß mir die Gunst unbedingt verweigert wurde – aber die Ertheilung derselben ist an eine Bedingung geknüpft worden, die ich unmöglich erfüllen kann.«

»Sie muß in der That schwer gewesen seyn, wenn sie zuviel war für Deine Freundschaft!«

Lottchen sprach dies unter dem plötzlichen Einflusse eines Gefühls bitter getäuschter Erwartung – ein Eindruck, der bisweilen auch Menschen von festen Grundsätzen für einen Augenblick die Gerechtigkeit vergessen läßt – und Ulrika begriff vollkommen den Sinn ihrer Worte. Der Unterschied in den Glücksverhältnissen, die Hoffnungslosigkeit der armen Wittwe und die ganze Bitterkeit unverdienter Schmach und Armuth, die das herbe Urtheil einer gedankenlosen Weit über das Unglück ausgießt, traten in einem Sturme schmerzlicher Erinnerungen, rasch auf einander folgend, vor Lottchens Seele.

»Ich will das Urtheil Dir selbst anheim geben, Lottchen,« lautete die ruhige Erwiederung, »und wenn Du mich angehört hast, so verlange ich von Dir eine unverhohlene Antwort; ja ich beschwöre Dich sogar bei unserer langen, treuen Freundschaft, die noch nie durch eine Wolke getrübt wurde, mir Deine Seele offen zu enthüllen, nicht einen einzigen Gedanken zu bemänteln und selbst den verborgensten Deiner Wünsche mir ohne Schminke mitzutheilen.«

»Du brauchst nur zu sprechen.«

»Hast Du nie Argwohn geschöpft, daß die kriegerischen Vorbereitungen in der Veste und die Anwesenheit gewaffneten Volks in Limburg auf etwas Schlimmes abzielen?«

»Beides deutet auf Krieg; aber der Churfürst ist schwer bedrängt, und es ist schon lange her, daß sich Deutschland eines völligen Friedens erfreuen darf.«

»Ganz recht; aber Deine Muthmaßungen müssen sich doch über diese allgemeine Ansicht hinaus erstreckt haben.«

Die Miene der Ueberraschung in Lottchens Antlitze überzeugte Ulrika, daß sie im Irrthum befangen gewesen sey.

»Und Berchthold? Hat er nichts von den Absichten seines Gebieters gesagt?« fuhr die Letztere fort.

»Er spricht, wie die Meisten in seinen Jahren, von Schlachten und Belagerungen; auch legt er oft den Harnisch seines Großvaters an, der in jenem Gemache rostet. Wir sind zwar nicht ritterlichen Ranges, aber Du weißt, daß wir in unserer Familie Krieger hatten.«

»Ist er nicht gegen Limburg erbittert?«

»Ja und nein. Ich bedaure, sagen zu müssen, daß das ganze Jägerthal nicht am besten auf die Mönche zu sprechen ist, und daß der Kuhhirte Gottlob, Berchtholds Milchbruder, die Flamme auch in meinem Sohne anzufachen sich müht.«

»Diese Flamme hat nicht in dem Hirten, sondern in dessen Gebieter ihren Ursprung. Alles, was Gottlob sagt, ist nicht blos eine flüchtige Andeutung des Grafen.«

»Aber doch hat erst gestern Nacht zwischen dem Abt und dem Grafen in der Veste droben ein Zechgelag stattgefunden.«

»Dein tugendhafter Sinn ist zu blind gegen das, was vor Deinen Augen vorgeht, theures Lottchen. Der Graf von Hartenburg schmiedet Anschläge zum Umsturz der Abtei-Altäre und hat mir erst heute betheuert, wenn ich meinen Gatten für seine Wünsche gewinnen wolle, so werde er allem seinen Einflusse aufbieten, um Berchthold und Meta glücklich zu machen.«

Lottchen vernahm diese Eröffnung mit dem stummen Erstaunen der arglosen Sanftmuth, wenn sie zum erstenmale von den kühnen Anschlägen wagehalsigen Ehrgeizes Kunde erhält.

»Das wäre ja Kirchenschändung!« rief sie mit Nachdruck.

»Und wir müßten die Altäre Gottes entweihen, um unsere Wünsche zu fördern.«

Es trat eine Pause ein. Lottchen erhob sich jetzt mit einer Leichtigkeit von ihrem Stuhle, daß es ihrer aufgeregten Freundin vorkam, als sey ihre Gestalt durch übernatürliche Mittel gewachsen, erhob ihre Arme und ergoß sich in folgende Worte:

»Ulrika, Du kennst mein Herz – Du, wenn auch nicht dem Blute, so doch der Liebe nach meine Schwester – Du, vor der ich keinen kindischen Gedanken verbarg, kein mädchenhaftes Gefühl geheim hielt – Du, gegen die mein Geist nur ein Spiegel Deines eigenen war, in dem sich alle Deine Wünsche und Empfindungen zurückwarfen – Du weißt auch recht gut, wie theuer mir Berchthold ist, und kannst mir das Zeugniß geben, daß, als der Himmel seinen Vater zu sich rief, allein die Liebe einer Mutter mich im Leben zurück hielt. Um seinetwillen habe ich alle Trübsal mit Ruhe ertragen; ich lächelte, wenn er lächelte, freute mich in dem Frohsinn seines Jugendmuthes und will für ihn sterben, wie ich für ihn gelebt habe. Du weißt, Ulrika, daß mich meine eigene jungfräuliche Neigung nicht mit größerem Entzücken und Vertrauen erfüllte, als die Entwickelung von Berchtholds Liebe zu Meta; aber dennoch erkläre ich Dir hier im Angesichte Gottes und Seiner Werke, daß ich lieber jedes Erdenleid willkommen heißen und vor keiner Demüthigung zurückbeben will, ehe ein rebellischer Wunsch meines Innern Graf Emich in einer derartigen Handlung unterstützen soll!«

Bleich, zitternd und erschöpft von der ungewöhnlichen Anstrengung sank das fromme Lottchen wieder auf ihren Sitz zurück. Sie hatte zwar nie die seltenen Reize ihrer Freundin besessen, und was noch von der Zeit verschont geblieben war, trug die grausamen Spuren des Grams und der Sorge; aber wie Berchtholds verwitwete Mutter jetzt so dasaß, das Antlitz leuchtend von begeisterter Ehrfurcht gegen die Gottheit und das Herz bis zum Zerspringen überladen, glaubte Ulrika nie ein schöneres Wesen gesehen zu haben. Ihre eigenen Augen strahlten vor Entzücken, denn in jenem Momente geistiger Erhebung war auch ihr jeder Gedanke an weltliche Interessen entschwunden, und sie wünschte aus dem Grunde ihrer Seele, der Graf von Hartenburg möchte Zeuge seyn können von dem Triumphe, welchen hier edle Gesinnung über die Selbstsucht feierte. Ihre eigene Weigerung war zwar – eine natürliche Frucht des schönen Einklangs der Gemüther – der Gefühlsäußerung ihrer Freundin in Worten und Geberdung sehr ähnlich gewesen: sie schien ihr aber doch jetzt allen Verdienstes baar zu seyn; denn was war die einfache Ablehnung einer reichen Frau in Vergleichung mit der edlen Bereitwilligkeit einer armen Wittwe, in einer Schmach zu beharren, die sie bereits so bitter empfunden hatte!

»Ich habe von Dir nicht weniger erwartet, Lottchen,« sagte Ulrika, sobald ihr die Aufregung zu sprechen gestattete. »Eine geringere Aeußerung Deines Gefühls wäre Deiner unwürdig, eine stärkere aber kaum möglich gewesen. Wir wollen nun von andern Dingen sprechen und der Macht des hehren Wesensvertrauen, dessen Majestät bedroht ist. Hast Du die Heidenmauer noch nicht besucht?«

Trotz des aufgeregten Zustandes ihrer Gefühle, die jedoch bald wieder zu der gewohnten Ruhe zurückkehrten, entging doch Lottchen die Veränderung in dem Benehmen ihrer Freundin und das leichte Beben der Stimme nicht, womit Ulrika die letzteren Worte sprach.

»Das Wohlwollen des Klausners gegen Berchthold und der Ruf seiner Heiligkeit führten mich dahin. Ich fand in ihm einen Mann von sanfter Rede und großer Weisheit.«

»Hast Du ihn genau in's Auge gefaßt, Lottchen?«

»Nicht anders, als wie eine Büßerin ihren Tröster betrachtet.«

»Ich wollte, Du wärest achtsamer gewesen.«

Die Wittwe blickte ihre Freundin überrascht an, senkte aber alsbald ihre noch immer mit Thränen gefüllten Augen wieder zu ihrer Arbeit. Es folgte eine kurze peinliche Pause, denn jede von den beiden Freundinnen fühlte, daß nicht das gewöhnliche volle Vertrauen zwischen ihnen herrschte.

»Scheint er Dir verdächtig, Ulrika?«

»Er, ein Reuiger oder Büßender? – gewiß nicht!«

»Mißbilligst Du die Ehrfurcht, welche ihm von der ganzen Umgegend erwiesen wird?«

»Du magst Dir daraus ein Urtheil bilden, Lottchen, wenn ich Dir sage, daß ich Meta erlaube, sich bei ihm Raths zu erholen.«

Lottchen zeigte noch größeres Erstaunen, und es trat eine längere, beengendere Pause ein.

»Du hast schon lange nicht mehr eines Namens gegen mich erwähnt, gutes Lottchen, der sich so oft und so warm in unsre Gespräche mischte, als wir noch Mädchen waren.«

Die Zuhörerin ließ in höchster Ueberraschung ihre Arbeit sinken und schlug ihre Hände zusammen.

»Du glaubst also, daß –?« rief sie plötzlich aus.

Ulrika neigte das Haupt, als wolle sie die Leinwand betrachten, obschon sie in Wahrheit dieser Geberde sich kaum bewußt war, und ihre ausgestreckte Hand zitterte heftig.

»Ich habe mir's bisweilen gedacht,« antwortete sie in leisem Flüstertone.

Ein heiteres Lachen, wie es gerne dem Frohsinn der Jugend entquillt, ließ sich jetzt an der Thüre vernehmen und Meta trat, von Berchthold und der Tochter des Burgwärtels begleitet, in das Gemach. Bei dieser Unterbrechung erhoben sich die Freundinnen und zogen sich in ein inneres Zimmer zurück.



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