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Einundzwanzigstes Kapitel.

        Hinweg,
Du eingefleischter Teufel! Heilig ist
Die Erde hier, denn eines Märtyrers
Gebein bedeckt den Grund und stempelt ihn
Zum Tabernakel. –

Byron.

 

Während der im vorigen Kapitel beschriebenen Scene wartete der Benedictiner, welchen der Leser bereits als Pater Johann kennen gelernt hat, mit einer Art erhabener Geduld auf den Stufen des Altares den Ausgang ab. In einem so überspannten Charakter war jedoch nur wenig rein Natürliches übrig geblieben, und sogar die Selbstbeherrschung des Mönches trug das Gepräge der glühenden, überspannten Eigenschaften seines Geistes, denen er einen augenblicklichen Zwang anthat. Die klösterliche Zucht, eine tiefe unwillkürliche Hochachtung vor dem Prior und selbst seine Verachtung aller sanften Mittel, um einen Sünder zur Hürde zurückzuführen, erhielten ihn leidlich ruhig während des Gespräches, das zwischen Emich und seinem geistlichen Oberen stattfand; in seinem Auge aber leuchtete die Glut eines wilden Entzückens, als er zuletzt fand, daß von der ganzen, mächtigen, viel gerühmten Brüderschaft er allein zurückgeblieben war, um die Altäre zu vertheidigen. Trotz der Scene des Getümmels, das in der Kirche eher zunahm als sich minderte, konnten in einer solchen Brust die Gefühle des Augenblicks nur die des Triumphes seyn. Er frohlockte über seine Beharrlichkeit und schwelgte bereits im Vorgenusse der Früchte, die aus seinem Muthe entspringen mußten, mit der Zufriedenheit eines kitzelnden Selbstvertrauens und mit der tiefgewurzelten Ueberzeugung eines Schwärmers.

Emich hatte während der ersten Augenblicke, die der Entfernung des Priors folgten, nur wenig auf ihn geachtet. Die Wahrheit, sowie jede gesunde Ansicht – tragen eine Majestät, eine ruhige Kraft in sich, die zum Glück auf unverwüstliche Stützen gebaut sind; denn ohne diese weise Anordnung der Vorsehung wäre die Welt hoffnungslos den Umtrieben Derer preisgegeben, welche alle Mittel für gesetzlich hatten, die zu Erreichung ihrer Zwecke dienen. Alles, was in der Nähe der Abtei Limburg wohnte, hatte den Einfluß dieser hohen Eigenschaften in Pater Arnolph empfunden, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß das Kloster nicht gefallen wäre, wenn es gleich der Kanaitischen Stadt unter seinen geistlichen Vätern nur vier solcher Gerechten enthalten hätte.

Namentlich hatte der Graf, der – gleich Allen, welche sich erst vom Banne geistiger Knechtschaft losreißen – oft von schweren Zweifeln heimgesucht wurde, längst eine tiefe Achtung gegen diesen Mönch unterhalten, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß der fromme Arnolph, hätte er seine eigene Macht vollkommen verstanden, durch frühere und wachsamere Anwendung der ihm zu Gebote stehenden Mittel einen Ausweg gefunden haben würde, um den Schlag abzuwenden, der jetzt auf das Kloster hernieder gefallen war. Doch sprachen sich Demuth und Bescheidenheit eben so sehr in dem Charakter des Priors aus, als seine thätigeren Tugenden, und die Politik von Limburg war nicht von der Art, daß sie ihre Sicherheit auf eine oder die andere dieser Eigenschaften hätte bauen können.

»Es liegt etwas Gutes in diesem Bruder,« sagte Emich zu Berchthold, als sich sein gedankenvoller Blick wieder zu dem Gesichte des jungen Försters erhob. »Hätte er statt Bonifacius die Insul getragen, so wären wir wohl noch nicht zu unsern Rechten gekommen.«

»Wenige sind so sehr geliebt worden, wie Pater Arnolph, Herr Graf, und Niemand hat es in so hohem Grade verdient.«

»Wie, auch Du bist dieser Meinung? Ei, Meister Heinrich, hat Dir Dein Stuhl eine mönchische Betrachtung eingeflößt, oder verdauest Du mit mehr Gemächlichkeit die Lection der frommen Ulrika auf einem Sitze, wo die gottseligen Benedictiner so viel fleischliche Nahrung verarbeitet haben? Tritt vor wie ein mannhafter Soldat, und gib uns in dieser Klemme ein duftiges Pröbchen Deiner guten Weisheit.«

»Mich denkt, unsere Arbeit ist beinahe zu Ende, Herr Emich,« bemerkte Heinrich, indem er der Aufforderung entsprach. »Meine getreuen Bürger sind in den Kapellen und unter den Gräbern nicht müßig; auch geht der Hammer jenes Schmiedes mit den Engeln um, als wären sie nichts Anderes, als Stangen geglühten Eisens. Jeder Streich hinterläßt eine Spur, die kein Meißel mehr auszumerzen vermag.«

»Mögen die Bursche immerhin ihr Müthlein kühlen, denn jeder Schlag erhält durch die Erinnerung an irgend eine harte Buße Nachdruck. Du siehst, daß sie die Beichtstühle in einen Haufen zusammengetragen haben, um die Brandfackel daran zu legen! Dieß nenne ich den Feind in seiner Citadelle angreifen. Aber Heinrich, ist die vortreffliche Ulrika daran gewöhnt, mit Dir auszuziehen, wenn Du einen Strauß gegen die Kirche eröffnest? Beim Gerichte Gottes! hätte Irmengarde die gleiche Gesinnung, so dürfte niemand in unserem Schlosse nicht Erlösung hoffen.«

»Ihr thut meiner Frau Unrecht, Herr Graf; Ulrika war hier um zu beten, nicht aber, um den Streit zu ermuthigen.«

»Diese Erklärung hättest Du Dir ersparen können, denn in der That, der Soldat bedarf nie einer derartigen Ermuthigung. Warst Du unterrichtet von dem Besuche – he – hast Du darum gewußt, würdiger Bürgermeister?«

»Offen gesprochen, Herr Emich, ich dachte, die Frau sey anderwärts beschäftigt.«

»Bei den heiligen drei Königen! – in ihrem Bette?«

»Nein, im Gebete, aber an einem andern Platze. Doch wir erweisen ihr zu viele Ehre, edler Graf, wenn wir in einem so rührigen Augenblicke unsere Gedanken durch das Treiben einer blosen Hausfrau irren lassen.«

»Nichts, was Dich berührt, kann für Deine Freunde unbedeutend seyn, guter Bürgermeister,« antwortete der Graf, der sich sogar in diesem Augenblicke des Getümmels mit unwillkührlicher Unruhe Gedanken über den Besuch machte, den Ulrika zu so ungewöhnlicher Stunde in dem Kloster abgestattet hatte. »Du bist glücklich vermählt, Herr Heinrich, und Alle, die Deine Frau kennen, erweisen ihr Ehre!«

Der Bürgermeister war zu sehr von seinen eigenen hohen Verdiensten eingenommen, um in seinem Innern der Eifersucht Raum zu geben. Möglich, daß eben diese Eitelkeit seiner Sicherheit zu Grunde lag; indeß wäre es auch einem Manne, der von Natur aus weit mehr Sinn für diese quälende Leidenschaft gehabt hätte, kaum möglich gewesen, so lange in vollkommener Eintracht mit einer so reinen Seele, wie die Ulrikas war, zu leben, ohne ihren Charakter und ihre Tugenden ehren zu lernen. Der Graf dachte anders, denn obschon er in seinem Innern gleichfalls von der edlen Gemüthsart der Frau überzeugt war, auf die er anspielte, so konnte er sich doch des Argwohns eines Mannes von losen Gewohnheiten oder der Unruhe eines zurückgewiesenen Bewerbers nicht ganz erwehren. Die Antwort des Gatten diente übrigens dazu, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, denn der Bürgermeister nahm dabei Anlaß, sich selbst in ein recht vortheilhaftes Licht zu setzen.

»Tausend Dank, erlauchter Herr,« sagte er, indem er seine Mütze lüpfte, »die Frau ist nicht übel, obgleich sie in Betreff der Altäre und Bußübungen mancherlei Schwächen hat. Wenn wir mit Limburg fertig sind, wird auch unter unsern Weibern und Töchtern ein anderes Regiment beginnen, und wir können auf ruhigere Sabbathe rechnen. Was aber die gnädige Andeutung in Eurer Rede betrifft, Herr Graf, so nehme ich sie, wie sie ohne Zweifel gemeint war, als eine neue Versicherung unserer dauernden Freundschaft und unseres engen Bundes.«

»Du hast ihren Sinn gut erfaßt,« entgegnete Emich rasch, denn das flüchtige Gefühl des Mißtrauens verlor sich schnell in der Erinnerung an die Aufgabe vor ihm. »Mein Wort der Freundschaft geht an einem treuen und eifrigen Verbündeten verloren. Wie steht's, Heinrich, ist unsere Angelegenheit bald beendigt?«

»Sapperment, Herr Graf, wenn auch noch nicht ganz, so doch auf dem besten Wege zu einer schnellen schließlichen Bereinigung.«

»Dort ist noch ein Benedictiner!« sagte Berchthold, die Aufmerksamkeit der Beiden auf den Mönch lenkend, der noch immer seinen Posten an den Stufen des Alters behauptete.

»Den Bienen will es nicht gefallen, ihren Stock zu verlassen, so lange noch etwas zurück ist, was sie mühsam eingetragen haben,« entgegnete der Graf lachend. »Was ist Dein Begehren, Pater Johann? Wenn Dein bekümmerter Sinn sich noch mit Gedanken an diese kostbaren Gefässe trägt, so triff Deine Wahl und ziehe ab!«

Der Benedictiner erwiederte das Lachen des Grafen mit einem Lächeln tiefer, aber ruhiger Wonne.

»Versammle immerhin Deine Gefolge, roher Ritter,« sagte er; »rufe Alles, was unter Deinen Befehlen steht, nach diesem geheiligten Orte, denn eine Gewalt ist hier zurückgeblieben, an deren Ueberwindung Du noch nicht gedacht hast. In demselben Augenblicke, in welchem Du Dich am sichersten glaubst, stehst Du am Rande der Schmach und des Verderbens.«

Da der aufgeregte Mönch seinen Worten durch Ton und Geberde den entsprechenden Nachdruck verlieh, so wich Emich um einen Schritt zurück, als fürchte er sich vor einer gelegten Mine. Vater Johanns verzweifelte Begeisterung war männiglich bekannt, und keiner von den drei Zuhörern blieb frei von der Besorgniß, die Brüderschaft könnte, nachdem sie sich überfallen sah, einen tiefen Racheplan angezettelt und die Ausführung desselben dem überspannten Bruder vertraut haben.

»He – ihr da draußen!« rief der Graf. »Es soll hurtig eine Abtheilung nach der Gruft hinuntersteigen und nach den Bübereien dieser angeblichen Heiligen sehen. Vetter von Viederbach,« fügte er bei, in der Hast des Augenblicks die Anwesenheit dieses geschworenen Kreuzritters enthüllend, »sorge Du für unsere Sicherheit, denn der Rhodische Krieg hat Dich mit solchen Tücken vertraut gemacht.«

Der Ruf des Grafen, der wie ein Schlachtgeschrei erdröhnte, that dem Werk der Zerstörer Einhalt. Einige beeilten sich, dem Befehle Gehorsam zu leisten, während die meisten Uebrigen sich hastig in dem Chor versammelten. Es ist gewiß, daß die Anwesenheit von Leidensgenossen die Macht der Furcht mindert, selbst wenn in Wirklichkeit die Gefahr dadurch erhöht würde: denn es gehört zu den Eigenthümlichkeiten des menschlichen Geistes, daß er in Leid und Freud sich gleich bereitwillig dem Einflusse der Sympathie hingibt. Sobald Emich so viele seiner Leute um sich her sah, dachte er wenig mehr an die gefürchtete Mine und antwortete, wie er seiner Stellung ziemte, dem Mönch mit größerer Ruhe.

»Du wolltest das Gefolge von Hartenburg hier haben, Vater,« sagte er mit Hohn, »und siehst nun, wie bereitwillig sie herankommen.«

»Wollte Gott, es stünden jetzt Alle vor mir, welche den Ketzereien Gehör geschenkt haben, der heiligen Kirche die gebührende Ehrfurcht versagen, die Macht Roms abläugnen und sich hier auf Erden dem Walten des Himmels entzogen wähnen!« versetzte der Benedictiner, indem er die Gruppe von Köpfen, die sich in den Stühlen drängten, mit dem leuchtenden aber ruhigen Auge eines Mannes musterte, der sich seiner Macht bewußt ist. »Du bist hier mit Hunderten, Graf von Leiningen – wollte Gott, es wären so viele Millionen!«

»Wir sind hinreichend stark für unsern Zweck, Mönch.«

»Das wird sich zeigen. Wohlan, so hört nunmehr auf eine Stimme von Oben! – Ich rede zu euch, ihr unheiligen und bereitwilligen Diener dieses ehrgeizigen Ritters – zu euch, ihr irregeleiteten und unwissenden Werkzeuge eines Planes, den die Hölle angezettelt hat und der seinen Ursprung fand in dem fruchtbaren Gehirn des nie ruhenden Vaters der Sünde. Ihr seyd Eurem Herrn auf der Ferse gefolgt und ergeht Euch in eitler Freude über eine sichtbare aber ohnmächtige Gewalt, indem Ihr, Eures Gottes vergessend, freventlich nach dem Gewinn Eures unheiligen Unternehmens lechzet.«

»Bei der Messe, Priester,« unterbrach ihn Emich, »Du hast uns heute schon einmal eine Predigt zum Besten gegeben, und die Zeit drängt. Wenn Du einen Feind im Rückhalte hast – hervor mit ihm; aber Deines kirchlichen Amtes sind wir satt.«

»Einen Augenblick, verlorner Emich, ist Deinem vermessenen Willen Raum gegeben worden, aber jetzt kommt das Gericht. Siehst Du diesen Schrein voll köstlicher Reliquien? Hast Du vergessen, daß Limburg reich ist an solchen heiligen Ueberreste, und daß ihre Kräfte noch nicht erprobt sind? Wehe dem, der über ihre Heiligkeit spottet und ihre Gewalt verachtet!«

»Halt ein, Johann!« rief der Graf hastig, als er sah, daß der Mönch im Begriff war, einige jener wohlbekannten Ueberreste von Sterblichkeit zu enthüllen, welchen die römische Kirche damals, wie es auch heutzutage noch geschieht, eine wunderbare Kraft zuschreibt; »es ist jetzt kein Augenblick für dergleichen Narrentheidungen.«

»Nennst Du ein heiliges Amt mit einem so unheiligen Namen? Harre des Ausgangs, schnöder Lästerer unseres ehrwürdigen Ansehens, und triumphire, wenn Du kannst.«

Der Graf blickte verstört nach dem Mönche hin, denn sein Verstand vermochte ihn jetzt weit weniger zu unterstützen, als sein Ehrgeiz. Die hinten Stehenden begannen gleichfalls zu wanken, denn die Ansichten der Zeit hatten noch nicht tief genug gewurzelt, um den großen Haufen gegen eine derartige Schaustellung kirchlicher Gewalt gleichgültig zu machen. Welcher Unterschied auch in unseren Tagen zwischen den vielerlei christlichen Sekten in Betreff der Annahme von Wundern stattfinden mag, so werden doch Alle zugeben, daß der Geist, welcher zu dem Glauben an ihre fortgehende Möglichkeit erzogen wurde, weit weniger vorbereitet ist, diesem Einfluß zu widerstehen, als wenn er durch irgend ein anderes Werkzeug angegriffen würde, weil in jenem Falle die menschliche Unmacht in unmittelbaren und augenfälligen Gegensatz zu der göttlichen Allgewalt tritt. Gegen eine solche Kraftentfaltung bietet die Natur keine Widerstandsmittel, und das unsichtbare, geheimnißvolle Walten, das einem Wunder zu Grunde liegt, wirkt eben so sehr auf die Einbildungskraft, als auf die angeborene Furcht vor dem Allmächtigen, die allen Sterblichen inne wohnt.

»Es wäre gut, wenn die Sache nicht weiter ginge,« sagte Emich in unruhigem Flüstern zu seinen Hauptleuten.

»Nicht doch, Herr Graf,« versetzte Berchthold gelassen; »ich halte es für gut, wenn man in dieser Sache das Wahre erfährt. Haben wir den Himmel nicht auf unserer Seite, so mag es uns zu unsrem Besten kund werden; sind aber die Benedictiner bloße Augenverblender, so wird sich unser Gewissen nur um so leichter fühlen.«

»Du bist dreist, Knabe – Niemand kann wissen, auf was es hinaus laufen mag! – Herr Heinrich, Du bist ja ganz verstummt.«

»Was verlangt Ihr von einem armen Bürgermeister, edler Emich? Ich gestehe, daß ich der Ansicht bin, es sey für Dürkheim weit vortheilhafter, wenn die Sache jetzt abgebrochen würde.«

»Du hörst es, Benedictiner!« rief der Graf, indem er die Spitze seines in der Scheide steckenden Schwerdtes auf den reich verzierten und viel verehrten Schrein setzte, dessen Klampen der Mönch bereits geöffnet hatte. »Nicht weiter mehr!«

»Nimm Deine Waffe hinweg, Emich von Leiningen,« sagte Pater Johann mit Würde.

Der Graf gehorchte, obschon er sich den Grund selbst kaum anzugeben wußte.

»Dies ist freilich ein schrecklicher Augenblick für den Ungläubigen,« fuhr der Mönch fort. »Der Moment ist nahe, der unsern Altären Rache bringen soll. Nein, weiche nicht zurück, dreister Graf –, harret aus bis zum Ende, ihr zügellosen und verlornen Anhänger des Lasterhaften; denn vergebens hofft ihr dem Gericht zu entrinnen.«

Zu der Miene und in dem Glauben des Pater Johann lag so viel ruhige Begeisterung, daß Neugierde sowohl als religiöse Scheu Jeden, trotz des allgemeinen Wunsches ferne von den Reliquien zu bleiben – an die Stelle gebannt hielt; und die Herzen schlugen schneller, als der Mönch fortfuhr, mit der Miene tiefster Ehrfurcht die heiligen Knochen, die Kleiderüberreste, die berühmten Nägel des wahren Kreuzes, Splitter vom Holze desselben und ähnliche Erinnerungszeichen an heilige Ereignisse oder Märtyrer zur Schau zu stellen. Nicht Einer war im Stande, vom Platze zu weichen. Nachdem Pater Johann unter feierlichem Schweigen Alles aus dem von dem Brande glutroth erhellten Schreine ausgelegt hatte, bekreuzte er sich und wandte dann sein Antlitz wieder der Menge zu.

»Was in dieser Noth der Wille des Himmels seyn mag, weiß ich nicht,« sagte er; »aber die Hand soll erlahmen und für immer die Seele dessen verflucht seyn, der sich erdreistet, diesen heiligen Denkmalen des christlichen Glaubens Gewalt anzuthun.«

Nachdem der Benedictiner diese bedeutungsvollen Worte ausgesprochen hatte, wandte er sich nach dem Crucifix um und knieete in stummem Gebete nieder. Die nun folgende Minute war furchtbar inhaltsschwer für die Sache der Eindringlinge. Die Blicke suchten sich zweifelnd; der Eine sah nach den Verzierungen des Gewölbes auf und ein Anderer blickte scheu nach dem sprechenden Bilde der Jungfrau, als fürchteten sie insgesammt irgend eine mirakelhafte Kundgebung des göttlichen Zorns. Wer weiß, wie die Sache überhaupt ausgefallen seyn würde, wenn nicht das Kuhhorn des Hirten abermals in einem gelegenen Augenblicke dem Grafen zu Hülfe gekommen wäre. Der verschmitzte Kerl blies unter den Bogen der Kapelle eine wohlbekannte populäre Nachahmung des Gebrülls seiner Heerde, und verwischte den Nachdruck des eben Geschehenen durch einen Uebergang auf eine gemeine Vorstellung. Der Einfluß des Lächerlichen in Augenblicken, wo die Leidenschaften sich verwirren oder der Verstand schwankt, ist zu bekannt, um einer weiteren Beleuchtung zu bedürfen, und wir sehen darin abermals eine jener Launen des menschlichen Wesens, welche, indem sie alle Theorie geradezu vereiteln, den Beweis liefern, wie viel uns dazu fehlt ausschließlich die vernünftigen Geschöpfe zu seyn, zu denen wir unser Geschlecht so gern stempeln möchten.

Das Abhülfmittel des mit seinem Witze stets fertigen Gottlob übte seine volle Wirkung, denn selbst die Unwissendsten aus dem Gefolge des Grafen – sogar diejenigen, deren blöder Sinn hart an die Grenze des wegwerfendsten Aberglaubens hinstreifte, ermuthigten sich bei dieser Herausforderung des Kuhhirten. Ja, dieser Theil des Haufens wurde im Gegentheil jetzt am lautesten und hallte die Unterbrechung aus fünfzig heiseren Kehlen wieder, wie man überhaupt die größten Schreier für irgend eine Sache in der Regel stets da findet, wo sie am wenigsten verstanden wird. Emich fühlte sich neu belebt, denn unter dem doppelten Einflusse seines eigenen Mißtrauens und des Wankens seiner Anhänger hatte er einen Augenblick schon geglaubt, sein lange erwogener Plan zu Zerstörung des Klosters Limburg laufe Gefahr, vereitelt zu werden.

Durch dies wechselseitige Geschrei ermuthigt kehrten die Eindringlinge, über ihre Furcht lachend, wieder zu dem Werke der Vernichtung zurück. Die Sitze und Beichtstühle waren bereits in dem großen Gange aufgehäuft, und jetzt wurde die Brandfackel darunter geworfen. Dann legte man Feuer an diejenigen Theile der Kirche, wo das verzehrende Element irgend Nahrung fand, und einige Dürkheimer Handwerker, die besser unterrichtet waren, als ihre zügelloseren Kameraden, fanden Mittel, das Dach und den höheren Theil des Gebäudes in Brand zu stecken, um so die gänzliche Zerstörung des Tempels zu bewerkstelligen. Inzwischen loderten alle Außengebäude zusammen und der ganze Berg bot dem Anblicke der Thalbewohner nichts als rothe Flammensäulen und schwarze Rauchwolken.

Während dieß vorging, schritt Emich im Chore hin und her, zum Theil über seinen Erfolg frohlockend, zum Theil aber zweifelnd, welche Früchte er ihm tragen möchte. Die zeitlichen Folgen hatte er wohl erwogen, aber die regungslose Haltung des Pater Johann, die Anwesenheit der so lange verehrten Reliquien und die Bannstrahlen der Kirche hatten noch immer ihre Schreckbilder für einen Mann, dessen Geist nur in wenigen wohlbegründeteren Hülfsquellen eine Stütze suchen konnte. Aus diesem Zustand von Unruhe wurde er durch das Getöse der Schmiedehämmer geweckt, die in der Gruft thätig waren. Er eilte, von Heinrich und Berchthold begleitet, nach dem Platze hinunter, wo sich, wie der Leser bereits gehört hat, die Kapelle und die Grabmäler seines Geschlechtes befanden. Aber auch hier herrschte, wie oben, Verwirrung und der grelle Wiederschein des Feuers. Die meisten Grabmäler der verstorbenen Fürsten und Edlen waren bereits verstümmelt, denn keine der Kapellen war verschont geblieben. Vor denen der Hartenburger aber stand Albrecht von Viederbach mit verschlungenen Armen und gedankenvollen Blicken. Der Mantel, mit dem er sich beim Beginne des Angriffs verhüllt hatte, hing jetzt nachlässig darnieder, und er schien in seiner tiefen Betrachtung ganz zu vergessen, daß es für ihn räthlicher gewesen wäre, bei einem solchen Unterfangen unbekannt zu bleiben.

»Endlich sind wir an die Denkmäler unserer Väter gekommen, Vetter,« sagte der Graf, an seine Seite tretend.

»Bis zu ihren Gebeinen sogar, edler Emich!«

»Die ehrenwerthen Ritter haben lange in schlechter Gesellschaft geschlummert; sie sollen fürderhin Ruhe finden in der Kapelle von Hartenburg.«

»Gebt Gott, Herr Graf, daß dieses Abenteuer nicht als unrechtmäßige Gewaltthat erfunden werde.«

»Wie, zweifelst Du jetzt erst daran, nachdem das Werk nahezu vollendet ist?«

»Bei der heiligen Messe! Ein Krieger von Rhodus eignet sich besser dazu, gegen die Turbanköpfe der Ungläubigen zu Felde zu ziehen, als die Edeln seines eigenen Hauses so ohne Umstände aus ihrem langen Schlafe zu wecken.«

»Du kannst Dich nach meiner Veste zurückziehen, Herr Albrecht, wenn Dein Arm schon müde ist,« versetzte Emich mit Kälte. »Dort kann Dich kein Bannstrahl erreichen.«

»Das wäre ein armseliges Entgelt für Deine freimüthige Gastfreundschaft, Vetter, denn ein fahrender Ritter hält's mit dem letzten Freunde, wenn auch allgemeine Pflichten darunter etwas Noth leiden. Wir Inselritter wissen gar wohl, daß ein Rückzug, wenn er ehrenvoll seyn soll, auch ordnungsmäßig und nicht zur Unzeit zu geschehen hat. Ich weiche nicht von Dir in dieser Stunde, Emich; sprich also nicht weiter davon. Dieß war das Bild des guten Bischofs, der unserer Familie angehörte?«

»Er verwaltete, glaube ich, ein derartiges ehrwürdiges Amt; aber sprich von ihm wie Du willst, Niemand kann ihm nachsagen, daß er ein Benedictiner war.«

»Da diese Kirche einmal zerstört werden sollte, Vetter, so wäre es besser gewesen, unsere Vorfahren hätten einen andern geweihten Boden für ihren Staub gefunden. In der That, wir geschworenen Krieger führen ein gar ungleiches Leben! Es sind jetzt etwa zwölf Monate, daß ich als pflichtgetreuer Rhodiser bis an die Kniee im Wasser stand und einen guten Graben gegen diejenigen aufwarf, die in ihrem Glauben an die Huris nichts von Christus wissen wollen; und jetzt stehe ich leibhaftig hier, um zuzusehen (denn ehrlicherweise kann man mir keine andere Absicht zur Last legen), wie ein christlicher Altar umgestürzt und ein Haufen geschorener Mönche in die Welt hinaus geschickt wird, als wären sie weiter nichts, als eine Bande entlassener Söldlinge!«

»Bei den heiligen drei Königen, Vetter, Deine Vergleichung ist nicht übel angebracht; denn gleich entlassenen Söldnern sind sie abgezogen, um in einer neuen Gestalt die Gesellschaft auszubeuten. – Schone den Engel meines Großvaters, guter Schmied,« rief Emich sich selbst unterbrechend; »wenn das Bild irgend eine Tugend hat, so dient sie dem Besten unseres Hauses.«

Dietrich that dem aufgehobenen Arme Einhalt und lenkte den beabsichtigten Schlag nach einem anderen Gegenstande. Der Marmor splitterte in großen Stücken bei jedem Auffallen des Hammers umher, und die Anführer fanden es bald nöthig, sich zu entfernen, um dem wilden Treiben der entflammten Menge auszuweichen.

Das Schicksal der weit berühmten und so lange gestandenen Klostergebäude war nun nicht länger zweifelhaft. Ein Grabmal fiel nach dem andern; die Monumente wurden verstümmelt, die Altäre umgestürzt, die Kapellen geschleift, und Alles, was möglicherweise der verheerenden Einwirkung des Feuers nur im mindesten widerstehen konnte, erlitt so unauslöschliche Beschädigungen, daß eine Wiederherstellung schwer, wo nicht unmöglich war.

Während dieses wilden Treibens griff der Brand immer weiter um sich: denn man weiß ja, daß das wilde Element, welches die Verwüster zu Hülfe gerufen hatten, stets rasche Arbeit macht. Die meisten Schlafgemächer, Küchen und Außengebäude waren, so weit es das Material zuließ, unwiederbringlich verzehrt, und man sah wohl, daß die große Kirche sammt ihren Anbauten nun bald kein Obdach mehr geben konnte.

Emich und seine Begleiter befanden sich noch in der Gruft, als ein Schrei an ihre Ohren schlug, welcher Alles in Hörweite zum Rückzuge ermahnte, damit die Flammen nicht auch unter den Lebendigen ihre Opfer fänden. Berchthold und der Schmied drängten die Leute aus der Gruft, und männiglich suchte nun die äußere Thüre zu gewinnen. Sobald das Innere der Kirche geräumt war, machte der Graf mit seinem Gefolge im Hofe Halt, um voll Zufriedenheit über das geschehene Werk und neugierigen Blickes die Scene zu betrachten. Aber kaum hatte sich die allgemeine Aufmerksamkeit dem Platze zugewendet, dem sie eben entronnen waren, als die Menge in einen einhelligen Schrei der Verwunderung und des Entsetzens ausbrach. Die Thüren standen weit offen und jede Ritze war von dem grellen Lichte der Flammen erhellt, die in dem Dache wütheten, weßhalb man von außen den Chor so deutlich sah, wie im Lichte des hellen Mittags. Pater Johann knieete noch immer vor dem Altare.

Emich's Befehle gehorsam war der geweihte Schrein aller seiner kostbaren Zierrathen entkleidet worden, obschon sich Niemand erdreistet hatte, eine der Reliquien zu berühren. Auf dieses lange verehrte Denkmal hielt der Benedictiner seinen Blick geheftet, fest überzeugt, daß die Macht Gottes früher oder später sich entfalten müsse, um den geschändeten Tempel zu vertheidigen.

»Der Mönch! der Mönch!« riefen fünfzig eifrige Stimmen.

»Ich möchte den Fanatiker gerne gerettet sehen!« sagte Emich besorgt und mit edelmüthiger Theilnahme.

»Vielleicht hört er auf einen Mann, der dieses heilige Zeichen trägt,« rief der Rhodiser, indem er sein Kreuz von dem Wamse losmachte, in welchem er es bisher verborgen hatte. »Will mich Jemand begleiten, um diesen wahnsinnigen Benedictiner zu retten?«

In dem Erbieten Albrechts von Viederbach lag eben so viel Menschlichkeit, als versöhnende Reue, während der Antrieb, welcher den jungen Berchthold vortreten hieß, rein edelmüthiger Natur war. Ungeachtet der großen Gefahr, mit welcher das Wagniß bedroht war, stürzten sie mit einander nach dem Gebäude und eilten nach dem Chore hinauf. Die Hitze war schon sehr drückend geworden, obschon sie unter dem hohen Dache noch immer erträglich blieb. Die Beiden näherten sich dem Altar und machten den Mönch durch ihren Zuruf auf die Gefahr aufmerksam.

»Kommt ihr, um Zeugen zu seyn von der Macht des Himmels?« fragte Pater Johann mit dem ruhigen Lächeln eines gereiften Schwärmers, »oder kommt Ihr in zerknirschter Reue über die begangene Unthat?«

»Hinweg von hier, guter Vater!« entgegnete Berchthold hastig. »Der Himmel ist heute Nacht gegen Dein Kloster und in der nächsten Minute wird das brennende Dach einstürzen.«

»Hörst Du den Lästerer, großer Gott? Ist es Dein heiliger Wille, daß – –«

»Höre auf einen geschworenen Krieger des Kreuzes,« unterbrach ihn Albrecht, indem er an das Sinnbild seines Ordens deutete. »Wir gehören demselben Glauben an und wollen nun gemeinschaftlich eine andere Laufbahn beginnen.«

»Hinweg, ungetreuer Knecht – hinweg mit Dir. Du aufgegebener Knabe! – Seht Ihr jene heiligen Reliquien?«

Auf einen Wink des Ritters faßte Berchthold den Mönch auf der einen Seite, während Albrecht das Gleiche auf der andern that. Pater Johann sprach noch immer, während sie ihn den Chor hinabtrugen; aber die Beiden mußten mit einem Manne kämpfen, dem eine lang gehegte krankhafte Lebensansicht die Sinne verwirrt hatte. Noch ehe sie den großen Gang erreichten, hatte sich der Schwärmer losgerungen und war wieder zu den Füßen des Altars zurückgeeilt, während der Ritter und der Jüngling noch immer nach Athem keuchten. Statt aber niederzuknieen, ergriff Pater Johann jetzt die Reliquie, die er am meisten verehrte, hielt sie in die Höhe und flehte laut den Himmel an, sich mit Kundgebung seiner Majestät zu beeilen.

»Sein Geschick ist besiegelt!« rief Albrecht von Viederbach, indem er aus der Kirche eilte.

Und in demselben Augenblicke, in welchem der Rhodiser Ritter durch das große Portal stürzte, fiel ein Theil des brennenden Daches auf das Pflaster nieder und streute seine Kohlen gleich funkelnden Sternen umher.

»Berchthold! Berchthold!« erscholl der Ruf aus hundert Kehlen.

»Komm zurück, voreiliger Knabe!« rief Emich mit einer Stimme, in welcher die Todesangst mit dem Getöse des Brandes kämpfte.

Berchthold schien wie festgebannt zu seyn. Er blickte erschüttert auf den Mönch und eilte dann wieder nach dem Altar zurück. Ein schauerliches Geächze, ähnlich dem Losreißen eines Schneeberges, der in einer Lawine niederstürzen will, schlug an das Ohr. Dieselben Männer, welche kurz zuvor herausgekommen waren, fest entschlossen zu einem blutigen Werke, stießen nun entsetzte Seufzer aus bei dem Anblicke der Gefahr ihrer Mitmenschen; denn was auch in Augenblicken der Aufregung geschehen mag – immerhin liegt in der Menschennatur ein Mitgefühl verborgen, das zwar durch Umstände erstickt werden, aber doch nur mit dem Tode völlig erlöschen kann.

»Komm heraus, junger Berchthold! Komm heraus, mein wackerer Förster,« übertönte die Stimme des Grafen das Geschrei der Menge, als wolle er sein Gefolge mit einem Schlachtrufe sammeln. »Er geht zu Grunde mit diesem elenden Mönch – der Junge ist toll!«

Man sah Berchthold mit dem Benedictiner ringen, obschon Niemand wußte, was zwischen ihnen vorging. Ein abermaliges Krachen folgte, und das ganze Pflaster begann von gefallenen Bränden zu erglühen. Dann stürzten Querbalken und das sich zerstreuende Feuer deutete auf ein Ende. Das Innere der Kirche glich dem Feuerregen, der gewöhnlich eine römische Girandola schließt und die Erde erbebte von dem Einsturze des massiven Gebäudes. Es gibt Schreckensscenen, bei denen nur wenige menschliche Augen verweilen können. Es war ein Augenblick, in welchem fast jede Hand ein Gesicht verhüllte, und jedes Haupt blieb abgewendet. Die Aufregung dauerte jedoch nur einen Moment, und als die Männer wieder nach dem Innern der Kirche hinsahen, erschien sie wie ein Feuermeer. Der Altar stand noch immer, und Johann behauptete, wie durch ein Wunder, seinen Posten auf den Stufen, Berchthold aber war verschwunden. Die Geberden des Benedictiners waren wilder als je und sein Gesicht trug den Ausdruck eines Menschen, den die Vernunft für immer verlassen hat. Er hielt sich nur noch einen Augenblick auf den Beinen und brach dann zusammen. Man sah darauf seinen Leib wie eine grüne Ruthe sich winden, die von den Flammen verzehrt wird.



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