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Dritter Brief.

An Edgar Huntley.

New-York.

»Edgar!

Ich kehrte nach den Mühen des Tages nach Hause zurück. Als ich eintrat, erbrach meine Gattin eben das Siegel eines Briefes, aber bei meinem Anblicke hielt sie inne und übergab mir den Brief.

»Ich sah an der Aufschrift des Briefes,« sagte sie, »wer der Schreiber ist und stand daher Deinem Wunsche gemäß im Begriff, ihn zu öffnen, aber Du bist eben noch zu rechter Zeit gekommen, um mir die Mühe zu ersparen.«

Dieser Brief kam von Ihnen – sehen Sie, welcher glückliche Zufall meine Gattin vor der Bekanntschaft mit dem Inhalte desselben bewahrt hat! Es gehörte große Anstrengung von meiner Seite dazu, ihr meine Verwirrung zu verbergen und einen Vorwand zu finden, warum ich ihr den Brief nicht zeigte.

Ich kannte den Charakter Clithero's und die Folgen eines Zusammentreffens zwischen ihm und meiner Gattin besser wie Sie – Sie dürfen überzeugt sein, daß ich Alles aufbieten würde, um ein solches zu verhindern.

Das von mir einzuschlagende Verfahren lag klar auf der Hand. Clithero ist ein Wahnsinniger, dessen Freiheit gefährlich wird und der wie der furchtbarste Verbrecher gefesselt und eingekerkert werden muß.

Ich eilte zu dem Oberrichter, der mein Freund ist und erhielt von ihm auf meine angemessene Vorstellung die Ermächtigung, Clithero ergreifen zu lassen, wo immer er zu treffen sein würde, um ihn wirksam von der Vollbringung neuer Verbrechen abzuhalten.

New-York bietet keinen so guten Aufbewahrungsort für Wahnsinnige, der seinem Falle so angemessen wäre wie Pennsylvanien. Ich wünschte, ihn soweit wie möglich von dem Aufenthaltsorte meiner Gattin unterzubringen. Glücklicherweise stand ein Packetschiff im Begriff, die Reise nach Philadelphia anzutreten. Ich veranlaßte, daß dieses Schiff ein paar Tage wartete, um ihn nach dem pennsylvanischen Irrenhause zu schaffen. Unterdessen waren eigene Personen bei den Powell's-Hook und auf den Quais, wo die verschiedenen Schiffe aus Jersey ankommen, aufgestellt.

Diese Vorsichtsmaßregeln erreichten ihren Zweck; wenige Stunden nach Empfang Ihrer Nachricht verlangte dieser unglückliche Mann einen Platz nach Elisabethtown, wurde verhaftet, sobald er den Fuß an das Land setzte, und sofort auf das Schiff gebracht, das augenblicklich absegelte.

Ich beabsichtigte, dieses ganze Verfahren vor der Dienerschaft geheim zu halten, verabsäumte es aber, die nöthigen Vorsichts-Maßregeln zu ergreifen, daß der Brief, dessen Ankunft Sie mich am folgenden Tage erwarten ließen, in ihre Hände fiel. Er wurde meiner Gattin während meiner Abwesenheit übergeben und sofort von ihr eröffnet.

Sie kennen ihren jetzigen, persönlichen Zustand, Sie wissen, welche dringenden Gründe ich hatte, daß sich ihr keine Gefahr oder Beunruhigung nähere. Der Schrecken konnte keine entsetzlichere Gestalt annehmen, wie diese. Die Folgen sind so gewesen, wie sie leicht vorauszusehen waren; ihr eigenes Leben ist in die höchste Gefahr versetzt worden und eine zu frühe Geburt hat meine schönsten Hoffnungen vernichtet. Ihr Kind, an dessen kräftiges Dasein sich so viele Freuden knüpften, ist todt! –

Ich versichere Ihnen, Edgar, meine Philosophie hat sich unter dieser Last nicht leicht und unthätig gefühlt. Ich finde es schwer, mich der Vorwürfe in nicht sehr milden Ausdrücken über Ihre Unbesonnenheit zu enthalten. Sie haben in directem Widerspruch mit meinen Rathschlägen und den klarsten Vorschriften des Verstandes gehandelt. Seien Sie in Zukunft vorsichtiger und behutsamer. Sie wußten, daß man sich die Freiheit nehmen würde, meine Briefe zu öffnen. Es war ihnen bekannt, daß ich den größten Theil des Tages vom Hause abwesend war und wie wahrscheinlich es daher sei, daß die Briefe eher in die Hände meiner Frau fielen, ehe sie in die meinigen gelangten. Diese Rücksichten hätten Sie veranlassen sollen, durch Entschluß Witworth's oder Harvey's mit der Anweisung, sie mir sofort zu geben, zu übersenden.

Einige von diesen Ereignissen haben sich in meiner Abwesenheit zugetragen, denn ich beschloß, das Schiff selbst zu begleiten und Sorge zu tragen, daß der Wahnsinnige der Obhut der Anstalt sicher überliefert würde.

Ich will Ihre Empfindsamkeit nicht durch die Erzählung der Ereignisse bei seiner Verhaftung und Gefangenhaltung quälen. Sie können sich denken, daß sein kräftiger, aber irre geleiteter Verstand laut gegen die Ungerechtigkeit seiner Behandlung protestirte. Es war ihm leicht, seine Gegner mit Gründen zu übertäuben und nur die Gewalt konnte seinem Widerstand ein Ende machen. Mir fiel das Amt seines Kerkermeisters und Tyrannen zu. – Ein Amt, welches ein durch Leidensscenen und Grausamkeit mehr gestähltes Herz erfordert wie das meine.

Wir waren kaum durch die Meerenge gekommen, als sich der Wahnsinnige, dem gestattet worden war, aus dem Verdeck umher zu gehen, da man unter solchen Umständen seine Flucht nicht fürchtete, dem Anscheine nach in der Absicht, das Ufer zu erreichen über Bord stürzte. Das Boot wurde augenblicklich bemannt und der Flüchtling verfolgt, aber im Moment, wo er eingeholt war, tauchte er unter und wurde nicht wieder gesehen.

Lassen Sie mit dem Leben dieses Unglücklichen unsern Schmerz und unsere schlimmen Vorahnungen endigen. Er hat sich vor einem schlimmen Schicksal bewahrt, gegen welches wahrscheinlich kein Zeitraum eine Hülfe gewährt haben würde – vor jahrelangem Dahinschmachten in dem ungesunden Kerker einer Irrenanstalt. Da ich keine Veranlassung mehr zur Fortsetzung meiner Fahrt hatte, so begab ich mich an Bord einer Küstenfahrersloop und kam nach wenigen Stunden wieder in dieser Stadt an. Ich gebe mich der Ueberzeugung hin, daß das Unwohlsein meiner Gattin vorübergehend sein werde. Es war unmöglich, ihr den Tod Clithero's und die Umstände desselben zu verbergen. Möge dies der letzte Pfeil in dem Köcher des feindlichen Schicksals sein! Leben Sie wohl!«

Ende.



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