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Zweites Kapitel.


Am folgenden Morgen füllte ich mein Säckchen mit Fleisch und Brod, nahm eine Axt auf die Schulter und machte mich, ohne Jemand von meinem Vorhaben zu benachrichtigen, auf den Weg nach den Bergen. Mein Gang wurde durch diese Last beschwerlicher gemacht, aber meine Beharrlichkeit überwand jedes Hinderniß und ich erreichte binnen wenigen Stunden den Fuß des Baumes, dessen Stamm mir als Brücke dienen sollte. Auf diesem Gange entdeckte ich keine Spur von dem Flüchtling.

Eine wiederholte Betrachtung des Baumes bestätigte meine frühern Schlüsse und ich machte mich eifrig an das Werk. Meine Schläge wurden von einem tausendfachen Echo überhallt, und ich hielt anfangs über das Getöse erschrocken inne, welches den Anschein hervorbrachte, als ob nicht eine, sondern zwanzig Aexte zu beiden Seiten des Schlundes in Thätigkeit wären.

Der Baum fiel bald und gerade auf die Art, wie ich es erwartet und gewünscht hatte. Die sich weit ausbreitenden Aeste füllten die Kluft aus und verstopften das Bett des Baches, so daß sie ihn zwangen, einen anderen Weg zu suchen und sein Rauschen vervielfältigten. Ich wagte mich nicht in aufrechter Stellung darüber, sondern klammerte mich mit Händen und Füßen an seine Rinde; nachdem ich die andere Seite erreicht hatte, fing ich an, den Ort zu untersuchen, wo Clithero verschwunden war. Meine innigsten Hoffnungen wurden bestätigt, denn es zeigte sich eine bedeutende Höhlung, welche am vorigen Tage durch den Felsen meinen Augen verborgen worden war.

Es war leicht zu schließen, daß dies sein gegenwärtiger Wohnplatz sei, oder daß ein hierher bunt in den ununtersuchten Seiten dieser Schlucht endender Zugang derjenige sei, vermittelst dessen er hergekommen war und sich wieder entfernt hatte. Ich konnte nicht zaudern, mich in die Schlucht hinunter zu begeben – ich fand einen Eingang, den ich furchtlos betrat. Ich war darauf gefaßt, ähnliche Hindernisse und Gefahren zu treffen, wie ich sie schon beschrieben habe, wurde jedoch dadurch von ihnen befreit, daß ich nach einigen Minuten in eine Art Gang kam, der oben offen, aber zu beiden Seiten von fortlaufenden Felsen eingeschlossen war. Die beiden Seiten dieses Ganges paßten mit der größten Genauigkeit zu einander – die Natur hatte in einer entfernten Zeit die solide Masse sich an dieser Stelle trennen lassen und so den Zugang zu dem Gipfel des Berges ermöglicht. Den Fußboden dieses Ganges, der steil und kreisrund aufstieg, bildeten lose Steine und zackige Felsspitzen.

Jetzt befand ich mich wenige Schritte von dem Felsen. Der Gang endete in einer Art Kammer oder Grube, deren Seiten nicht schwer zu erklettern waren. Ich freute mich über diese Aussicht auf die Beendigung meines Zuges. Hier machte ich Halt, und warf meine müden Glieder auf die Erde und fing an, die mich umgebenden Gegenstände zu betrachten und über die zunächst zu thuenden Schritte nachzudenken.

Mein erster Blick fiel gerade auf das Wesen, welches ich suchte. Wenige Fuß von meinem Platze erblickte ich Clithero, auf ein Mooslager ausgestreckt. Er war durch meine Annährung nicht aufgestört worden, obgleich meine Füße fortwährend gestrauchelt und gewankt hatten, und dieser Gedanke erregte in mir die Furcht, daß er todt sei. Nähere Betrachtung beseitigte meine Furcht und zeigte mir, daß er nur in tiefen Schlaf versunken war. Das mußten allerdings lange Nachtwachen sein, auf welche endlich ein so vergessensvoller Schlaf folgte.

Dieses Zusammentreffen war im höchsten Grade erfreulich; es gab mir nicht allein über sein Dasein Gewißheit, sondern bewies, daß sein Elend einer Unterbrechung fähig sei. Sein Schlummer setzte mich in den Stand, eine Pause zu machen, über die Art und Weise nachzudenken, wie sein Verstand auf das Wirksamste angerufen werden konnte, und die Gegenstände zu sammeln und zu ordnen, welche geneigt waren, seine düstern, unheilvollen Begriffe zu beseitigen.

Du weißt, daß ich für eine solche Aufgabe weder durch meine Erziehung noch durch meine Talente geeignet bin. Die feurigen, wilden Kräfte dieses Mannes konnten durch so ungeheuchelte Bemühungen, wie die meinigen, nicht zurückgewiesen oder in besser Pfade geleitet werden – eine so stürmische, ungestüme Verzweiflung würde meine schwache Stimme übertäuben. Wie sollte ich es versuchen, ihm vernünftige Vorstellungen zu machen? Wie konnte ich so eingefleischte Vorurtheile – die Früchte seiner frühesten Erziehung – ausrotten, die durch die Beobachtungen und Erfahrungen seines ganzen Lebens genährt und gestärkt worden waren? Wie sollte ich ihn überzeugen, daß, da der Tod Wiatte's nicht absichtlich herbeigeführt worden war, die That kein Verbrechen sei, – daß sie, selbst wenn sie mit Vorbedacht geschehen wäre, doch noch eine Tugend sei, da er sein Leben auf keine andere Weise hatte schützen können – daß er, als er den Dolch gegen den Busen seiner Herrin zuckte, weder durch Geiz noch Ehrfurcht, noch Rache oder Bosheit angetrieben worden sei, sondern gewünscht habe, ihr die größte Wohlthat zu erweisen, die er ihr gegenüber für möglich hielt – er hatte sie wollen gegen quälenden Kummer und langen Schmerz schützen.

Diese Aufstellungen waren meiner Ansicht nach vollkommen richtig. Aber ich fühlte mich nicht berufen, sie praktisch durchzuführen; ich brauchte nicht gegen das Bewußtsein anzukämpfen, daß ich durch einen wunderbaren Zufall davon bewahrt worden war, meine Hände mit dem Blute derjenigen zu beflecken, die ich anbetete, den Verdacht der Undankbarkeit und der Mordlust in einem Grade auf mich gezogen zu haben, der zu bedeutend war, als daß er jemals verschwinden konnte – mich der Liebe, der Ehre, meiner Freunde und meines fleckenlosen Rufes beraubt, mich der Schande und Verabscheuung hoffnungsloser Verbannung, Armuth und niedriger Arbeit überliefert zu haben. Dies war das Schlimme, welches das Schicksal Clithero als unabänderlichen Theil zugewiesen hatte, und wie sollte meine unvollkommene Beredtsamkeit ihren Einfluß ausüben? Jeder, der nicht selbst das Opfer eines unabänderlichen Unglücks ist, erkennt die Thorheit, über die Vergangenheit zu brüten und einen Kummer zu nähren, der das Urtheil der unabänderlichen Nothwendigkeit nicht umstoßen oder widerrufen kann; aber Jeder, welcher leidet, wird unvermeidlich durch die Fehler gefesselt, welche er an seinem Nächsten tadelt, und seine Bemühungen, sich Erleichterung zu verschaffen, sind ebenso fruchtlos wie die, vermöge deren er dies bei Anderen versucht hat.

Ich konnte daher bei der gegenwärtigen Veranlassung keinen Grund mit Angemessenheit vorbringen. – Alles, was ich zu thun vermochte, bestand darin, daß ich ihm Nahrungsmittel anbot, und ihn durch eindringliche Bitten vermochte, zu essen; wenn er auch noch so hartnäckig war, so würde der Hunger sich kaum zurückhalten können, wenn das Brod in seinen Bereich gestellt wurde. Wenn er dazu gebracht war, in dem einen Falle von seinem Entschlusse abzuweichen, so würde es weniger schwierig sein, denselben bei einer zweiten Wahl zu überwinden, die Zauberkraft des Mitgefühls, die Beharrlichkeit des wenn auch stummen Wohlwollens bewirkten vielleicht eine allmählige geheime Umwälzung und die verzweifelten Ansichten, welche ihn jetzt beherrschten, wurden unmerklich durch bessere Gedanken verdrängt.

Nachdem ich diese Ideen im Geiste überlegt hatte, stellte ich die mitgebrachten Nahrungsmittel zu seiner Rechten, setzte mich zu seinen Füßen und betrachtete aufmerksam sein Gesicht. Die Gefühle, die sich im Wachen sichtbar machten, waren während dieser Pause in der Erinnerung und Reue verschwunden oder nur noch leise bemerklich – sie dienten dazu, seinem Geist Würde und Feierlichkeit zu geben, und die unauslöschlichen Linien zu verschönern, welche den Geist seiner bessern Tage verdüsterten. Jetzt machten sich Züge bemerklich, die nie neben dem Wahnsinn bestehen oder sich mit verhärteter Schlechtigkeit vereinigen konnten.

Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu wecken. Diese Gnadenfrist war zu lieblich, als daß man sie hätte unnöthigerweise abkürzen dürfen. Ich beschloß den Lauf der Natur abzuwarten und durch Schweigen und Fernhalten jeder Unterbrechung diese heilsame Zeit der Vergessenheit zu verlängern. Dieser Zwischenraum gestattete in meinem Geiste das Erwachen neuer Gedanken.

Clithero hielt seine Einsamkeit für unerreichbar. Welche neuen Versuche, der Nachforschung und Untersuchung zu entgehen, konnte nicht meine Anwesenheit veranlassen. Konnte er nicht verschwinden wie am Tage vorher, und mir keine Zeit lassen, seine Beharrlichkeit anzugreifen und seinen Hunger in Versuchung zu führen? Wenn ich mich jedoch während seines Schlafes entfernte, so würde er ohne Störung erwachen und eine Zeit lang nichts davon wissen, daß seine Abgeschiedenheit gestört worden sei; er würde bald die Lebensmittel bemerken und keiner Zurede von anderer Seite bedürfen, um sie zu essen – eine so unerwartete und außerordentliche Versorgung konnte neue Gedanken wecken und als eine Art himmlischer Verurtheilung seiner Absicht angesehen werden. Er würde nicht sogleich die Beweggründe oder die Person des ihn Besuchenden errathen – keine Vorsichtsmaßregeln gegen die Widerholung meines Besuchs treffen, und dann würde unser Zusammentreffen kein zu großes Erstaunen erregen. Jemehr ich hierüber nachdachte, desto größerm Nachdruck erhielten diese Ansichten. Endlich beschloß ich, mich zu entfernen. Ich ließ die Nahrungsmittel an einer Stelle zurück, wo sie seine Aufmerksamkeit erregen mußten, und kehrte auf dem nämlichen Wege zurück, auf welchem ich gekommen war. Ich hatte kaum meine Wohnung erreicht, als ein Bote von Inglefield kam, durch welchen er mich auffordern ließ, die folgende Nacht in seinem Hause zu verbringen, da ihn ein Geschäft nach der Stadt rief.

Ich kam dieser Aufforderung bereitwillig nach. Es war jedoch nicht nothwendig, daß ich meinen Besuch zeitig machte, und ich schob mein Gehen auf, bis der Abend weit vorgerückt war. Mein Weg führte mich unter den Aesten der Ulme vorüber, welche die Ereignisse der letzten Zeit so denkwürdig gemacht hatten. – Meine Gedanken kehrten daher zu den Vorfällen zurück, die sich neuerlich in Verbindung mit diesem Baume zugetragen hatten.

Ich blieb eine Zeit lang in seinem Schatten stehen; ich bemerkte die Stelle, an welcher ich Clithero hatte graben sehen und sie zeigte Spuren, daß sie umgewühlt worden sei, aber der Rasen, welcher sie früher bedeckte und in der letzten Zeit weggenommen worden war, fand sich jetzt sorgfältig wieder aufgelegt. Dies hatte er bei jener Gelegenheit, wo ich Zeuge seines Benehmens gewesen war, nicht gethan, damals wurde die Erde hastig herausgeworfen und eben so eilig wieder in das Loch geschleudert, welcher sie entnommen worden war.

Diese Erscheinung erregte natürlicherweise einige Neugier. Entweder Clithero oder eine andere Person war später hier gewesen. Jetzt wurde ich auch zum Nachdenken über die möglichen Beweggründe veranlaßt, diese Erde aufzuwühlen. In den Handlungen eines Schlafenden liegt stets irgend eine Bedeutung; vielleicht war an diesem Orte etwas vergraben, was mit der Geschichte der Mrs. Lorimer und Clarissa's in Verbindung stand. War es nicht möglich, in dieser Beziehung die Wahrheit zu erfahren?

Es gab nur ein Mittel. Wenn ich sorgfältig diese Grube aufmachte und so tief eindrang, wie Clithero bereits gegraben hatte, mußte es sich schnell zeigen, ob dort etwas versteckt war. Dies offen und bei Tageslicht zu thun, war augenscheinlich nicht rathsam, und außerdem erschien mir der geringste Aufschub als überflüssig. Die Nacht war jetzt eingetreten und dieses neue Unternehmen konnte vollbracht sein, ehe sie zu Ende ging; ich wollte am folgenden Tage wo möglich eine Zusammenkunft mit Clithero herbeiführen, und die an diesem Orte gemachten Entdeckungen konnten mich weit besser für dieselbe in Stand setzen. Diese Ueberlegung brachte mich zu dem Entschlusse, nachzugraben. Ich wollte mich jedoch erst eine Stunde mit der Wirthschafterin unterhalten, und mich dann in mein Zimmer begeben; wenn sich die ganze Familie zur Ruhe begeben hatte und keine Beobachtung oder Störung mehr zu befürchten war, beabsichtigte ich aufzustehen und mit einem geeigneten Werkzeuge hierher zu eilen.

Ein Zimmer in dem Hause Inglefield's wurde in der Regel für Gäste vorbehalten. In diesem Zimmer war Dein unglücklicher Bruder gestorben und hier sollte ich schlafen. Das Bild seines letzten Bewohners mußte nothwendigerweise heraufgerufen werden, aber der Plan, welchen ich entworfen hatte, gab noch weitere Veranlassung zur Wachsamkeit. Ich begab mich zur gehörigen Zeit dorthin, nachdem ich mich zuvor mit Licht versehen hatte, da ich nicht wußte, was geschehen konnte, um ein Licht nothwendig zu machen.

Ich ging nicht zu Bett, sondern saß zum Theil nachdenklich an einem Tische oder ging im Zimmer auf und ab. Das Bett vor mir war dasjenige, auf welchem mein Freund seinen letzten Athemzug gethan hatte – mein Haupt auf dem nämlichen Kissen ruhen zu lassen, mich auf dieselbe Matratze zu legen, welche seine kalten, regungslosen Glieder aufgenommen hatte, waren Veranlassung zu Erinnerungen und zum Schmerz, die ich zu vermeiden wünschte. Ich bemühte mich, meinen Geist mit neueren Ereignissen zu erfüllen – mit dem Unglück Clithero's, meinem unterirdischen Abenteuer und dem möglichen Ausgange der Unternahme, welche ich jetzt vor hatte.

Ich rief mir das Gespräch, welches ich eben mit der Wirthschafterin gehabt hatte, in das Gedächtniß zurück; Clithero war der Gegenstand desselben gewesen, aber sie hatte hauptsächlich bei Widerholungen dessen verweilt, was von ihr oder Inglefield früher erzählt worden war. Ich fragte, was dieser Mann zurückgelassen habe, und fand, daß es in einer von ihm selbst in ungewöhnlicher Stärke, aber mit roher Arbeit zusammengefügter Kiste bestehe; dann sagte sie, sie habe ihrem Bruder, Mr. Inglefield, gerathen, diese Kiste aufzubrechen und sich mit dem Inhalt derselben bekannt zu machen, aber er hatte sich dazu nicht für berechtigt gehalten. Clithero war keines bekannten Verbrechens schuldig, für seine Handlung keinem Menschen verantwortlich und konnte eines Tages zurückkehren und sein Eigenthum fordern. Diese Kiste enthielt nichts, worum ein Anderer ein Recht hatte, sich zu kümmern. Es fand sich vielleicht etwas darin, was Licht auf seine frühere oder jetzige Lage warf, aber die Neugier durfte nicht durch solche Mittel befriedigt werden. Es war verbrecherisch von uns, wenn wir versuchten, Clithero das, was er zu verbergen wünschte, abzuzwingen.

Die Haushälterin wurde durch diese Gründe keineswegs überzeugt und erhielt endlich von ihrem Bruder die Erlaubniß, zu versuchen, ob ein Schlüssel diese Kiste öffnen werde. Die Schlüssel wurden geholt, aber es ließ sich kein Schlüsselloch oder Schloß entdecken; der Deckel war befestigt, aber die genaueste Besichtigung ließ nicht bemerken, auf welche Weise, und sie sah sich daher genöthigt, ihren Plan aufzugeben. Diese Kiste hatte immer in dem Zimmer gestanden, das ich jetzt bewohnte.

Ich erinnerte mich jetzt dieser Umstände und fühlte mich geneigt, diese Gelegenheit zu benutzen, um die Kiste zu untersuchen. Sie stand in einer Ecke und war leicht an ihrer Gestalt zu, erkennen. Ich hob sie in die Höhe und fand ihr Gewicht keineswegs außerordentlich schwer.

Ihre Zusammenstellung war merkwürdig: sie bestand aus sechs quadratförmigen Flächen. Diese waren weder durch Zapfen noch Stifte, weder mit Nägeln noch Angeln zusammengefügt, aber der Schluß war vollkommen – das Mittel, durch welches sie zusammengehalten wurde, blieb unsichtbar. Das Aussehen war auf allen Seiten das nämliche, und es gab auch keine Zeichen, an welchen der Deckel von der andern Fläche zu unterscheiden gewesen wäre.

Clithero hatte während seines Aufenthalts bei Inglefield viele Beweise mechanischer Geschicklichkeit gegeben. Dies war die Arbeit seiner eigenen Hände. Ich betrachtete sie eine Zeit lang, bis unwillkürlich das Verlangen in mir erwachte, sie zu öffnen und deren Inhalt in Augenschein zu nehmen. Ich hatte hierzu nicht mehr Recht, wie die Inglefield's; ja diese Neugier war bei mir vielleicht thörichter und deren Befriedigung tadelnswürdiger wie bei jenen. Ich war mit der Geschichte des früheren Lebens Clithero's und mit seinem jetzigen Zustande bekannt. – In Bezug auf diese brauchte ich keine weitere Auskunft zu erhalten und keine Zweifel zu lösen; welche Entschuldigung konnte ich gegen den Besitzer vorbringen, wenn er jemals wieder erschien, um sein Eigenthum zu fordern, oder gegen Inglefield, daß ich ein Behältniß erbrach, das durch alle vereinten Grundsätze der Gesellschaft heilig gemacht wurde.

Aber war mein Zweck nicht ohne Gewaltthätigkeit zu erreichen? Vielleicht boten sich die Mittel zur Oeffnung bei geduldiger Untersuchung dar. Der Deckel konnte geöffnet und wieder geschlossen werden, ohne daß eine Spur meiner Handlung zurückblieb; ich konnte den Inhalt untersuchen und in Zeit von wenigen Minuten Alles wieder in seinen früheren Zustand versetzen.

Ich beabsichtigte keinen Diebstahl; ich wollte mir nützen, ohne Anderen Schaden zuzufügen; ja, konnten die Entdeckungen, welche ich machen würde, nicht vielleicht Licht auf das Benehmen dieses außerordentlichen Mannes werfen, welches seine eigene Erzählung vorenthalten hatte! War ein Grund vorhanden, unbedingtes Vertrauen in die Geschichte zu setzen, welche ich gehört hatte?

Das Unglück Clithero's erschien mir trotz dem Zeugniß meiner eigenen Gefühle einigermaßen phantastisch und grundlos. Tausend mögliche Beweggründe bewogen ihn vielleicht, die Wahrheit zu verdrehen oder zu verhehlen; wenn er vollständig gekannt war, erhielt sein Charakter vielleicht ein neues Aussehen, und was jetzt so schwer mit gewöhnlichen Grundsätzen in Uebereinstimmung zu bringen war, konnte sich als vollkommen consequent erweisen. Ich wünschte ihm den Frieden wieder zu geben, aber dazu ist eine vollständige Bekanntschaft mit seinen Handlungen nothwendig, sowohl um zu beweisen, daß er Mitleid verdient, wie um das beste Mittel anzudeuten, seinen Irrthum zu beseitigen – es war möglich, daß die Kiste die Mittel zu dieser Kenntniß enthielt.

Es gab noch andere Beweggründe, die, da sie einigen, wenn auch noch so geringen Einfluß ausübten, erwähnt zu werden verdienen. Du weißt, daß ich gleichfalls Mechaniker bin. Ich hatte ein Schreibepult und einen Secretair gebaut, bei dem ich bemüht gewesen war, die Eigenschaften der Heimlichkeit, Sicherheit und Stärke im höchsten möglichen Grade zu vereinigen. Ich sah dies daher mit den Augen eines Künstlers an und es lag mir daran, die Grundsätze kennen zu lernen, nach welchen es zusammengesetzt war. Ich beschloß, die Kiste zu untersuchen und wo möglich zu öffnen.


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