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Fünftes Kapitel.


Während ich allein am Feuer im Wohnzimmer saß und die Effecte des Mondscheins beobachtete, sah ich Jemanden zu Pferde auf das Thor zukommen. Beim ersten Blicke schien es mir, als ob mir seine Gestalt und Kleidung nicht ganz unbekannt wären, aber ich konnte weiter nichts erkennen, wie eine Aehnlichkeit mit irgend Jemandem, den ich schon früher gesehen hatte. Er hielt bald darauf an und richtete mit einem Blick nach dem Hause eine Frage an einen zufällig Vorübergehenden. Er schien durch die Antwort, welche er erhielt, befriedigt zu werden, ritt mit schnellen Schritten in den Hof und stieg an der Thür ab. Ich sprang von meinem Platze auf, ging hinaus und wartete mit einiger Ungeduld, daß er seine Absichten erklären solle.

Er redete mich mit der Förmlichkeit eines Fremden an und fragte, ob ein junger Mann, Namens Edgar Huntley hier wohne. Als er eine bejahende Antwort erhielt und aufgefordert wurde, hereinzukommen, trat er ein und setzte sich ohne Weiteres an das Feuer. Seine Miene drückte Zweifel und Besorgniß aus; er schien über irgend etwas Auskunft zu wünschen und verrieth daher Furcht, daß die Antwort, welche er erhalten würde, alle Hoffnung vernichten oder eine schlimme Ahnung bestätigen könne.

Ich betrachtete mittlerweile sein Gesicht mit großer Aufmerksamkeit. Ein näherer und bedächtigerer Anblick überzeugte mich, daß der erste Eindruck richtig gewesen sei, aber ich war noch immer unfähig, mir seinen Namen oder die Umstände unseres früheren Zusammentreffens in das Gedächtniß zurückzurufen. Das Schweigen wurde endlich dadurch unterbrochen, daß er mit bebender Stimme sagte:

»Mein Name ist Weymouth, ich komme hierher, um Nachricht über einen Gegenstand zu erhalten, der mein Glück in hohem Grade berührt.«

Bei der Nennung seines Namens brach ich zusammen; es war ein Name, der mit dem Bilde Deines Bruders in zu genauer Verbindung stand, als daß er nicht ergreifende und lebhafte Erinnerungen hätte herbeiführen sollen. Weymouth war, wie Du weißt, ein Freund Deines Bruders. Es ist drei Jahre her, seitdem dieser Mann Amerika verlassen hatte, und seit dieser Zeit war keine Nachricht von ihm, wenigstens nicht bis zu Deinem Bruder gedrungen. Jetzt war er zurückgekehrt und vermuthlich mit dem Schicksal seines Freundes unbekannt.

Nach einer drückenden Pause fuhr er fort: »Ich habe seit meiner Ankunft von einem Ereigniß gehört, das mir in vielen Beziehungen den tiefsten Schmerz gemacht hat. Ich habe Waldegrave geliebt und auf der Welt Niemanden gekannt, dessen Leben mir theuerer gewesen wäre wie das seine; es gab jedoch Rücksichten, die es für mich werthvoller machten, wie das Leben eines Andern, dessen Verdienste vielleicht größer gewesen wären – ich habe Grund zu glauben, daß mein eigenes Dasein und mein Besitzthum unzertrennlich an sein Leben geknüpft waren.

Bei meiner Rückkehr in mein Vaterland nach einer langen Abwesenheit, stellte ich sofort Nachforschungen seinetwegen an: ich wurde von seinem frühen Tode benachrichtigt. Ich hatte Fragen von unendlicher Wichtigkeit für mein Glück unter Berücksichtigung auf den Zustand und die Verwendung seines Vermögens zu entscheiden; ich suchte diejenigen von seinen Freunden auf, welche den häufigsten und vertraulichsten Verkehr mit ihm gepflogen hatten, aber sie konnten mich nicht befriedigen. Endlich wurde mir mitgetheilt, daß ein junger Mann Ihres Namens, der in dieser Gegend lebe, seine Liebe mehr wie jeder Andere genossen – seine Hinterlassenschaft geordnet habe und am besten geeignet sei, die Auskunft zu geben, welche ich suchte. Sie sind, wie es scheint, diese Person, und ich muß Fragen an Sie stellen und Sie beschwören, sie aufrichtig und klar zu beantworten.«

»Das wird mir nicht schwer werden,« sagte ich. »Ich will jede Frage, die Sie an mich richten werden, bereitwillig und der Wahrheit gemäß beantworten.«

»Welche Art von Vermögen und in welchem Betrage besaß Ihr Freund bei seinem Tode?«

»Es war Geld und bestand aus Depositen in der nordamerikanischen Bank. Der Betrag erreichte ziemlich die Summe von achttausend Dollars.«

»An wen ist dieses Vermögen gefallen?«

»Seine Schwester war seine einzige Verwandte und sie ist jetzt im Besitz desselben.«

»Hat er ein Testament hinterlassen, durch welches er über die Verwendung seines Vermögens verfügte?«

Während Weymouth dies sagte, richtete er die Augen auf mein Gesicht und schien in meine tiefste Seele eindringen zu wollen. Seine Fragen setzten mich ein wenig in Erstaunen und noch mehr die Art und Weise, wie sie gestellt wurden. Ich antwortete ihm jedoch ohne Zaudern:

»Er hat weder ein Testament hinterlassen, noch ist ein Dokument entdeckt worden, aus welchem wir seine Absichten hätten entnehmen können. Wenn er ein Testament gemacht hätte, so würde seine Schwester unzweifelhaft genau in die nämliche Lage versetzt worden sein. Er war nicht allein durch die stärksten Bande der Verwandtschaft, sondern auch durch Liebe und Dankbarkeit an sie geknüpft.«

Weymouth wendete jetzt die Augen von meinem Gesicht ab und versank in ein kummervolles Sinnen. Er seufzte oft und tief; dieses Benehmen und der Gang seiner Fragen erregten mein höchstes Erstaunen. Seine Theilnahme an dem Schicksal Waldegrave's hätte die Auskunft, welche er erhielt, eher zu einer Veranlassung der Befriedigung wie des Bedauerns machen sollen. Das Vermögen, welches Waldegrave hinterließ, war weit größer, wie uns seine Lebensweise und seine eignen Angaben hatten erwarten lassen, aber es war nicht mehr wie eben genügend, um uns ein angemessenes Auskommen zu geben; es sicherte das Glück derjenigen, welche Waldegrave am theuersten waren, und stellte sie auf immer außer den Bereich der Armuth, die bis jetzt ihr Loos gewesen war. Ich machte keinen Versuch, das Schweigen zu unterbrechen, hielt mich aber bereit, jede weitere Frage zu beantworten. Endlich fuhr Weymouth fort:

»Waldegrave war ein glücklicher Mensch, daß er in so kurzer Zeit eine so bedeutende Summe zusammenbringen konnte; ich erinnere mich, daß er bei unserer Trennung arm war. Er pflegte zu klagen, daß ihn seine gewissenhafte Redlichkeit von allen gewöhnlichen Wegen zum Reichthum ausschließe – er verdammte den Reichthum nicht, setzte aber den höchsten Werth auf ein sicheres Auskommen und bildete sich ein, daß er auf immer zur Armuth verdammt sei. Seine religiöse Pflicht zwang ihn, seinen Lebensunterhalt dadurch zu sichern, daß er in einer Negerschule Unterricht gab. Die Arbeit stand nicht im Verhältniß mit seiner schwachen Constitution, und der Verdienst entsprach der Mühe durchaus nicht; sie gab ihm kaum die gewöhnlichen Bedürfnisse und wurde zuweilen sogar durch sein häufiges Unwohlsein noch geringer gemacht. Ich sehe mit Freuden, daß seine Bedenken etwas von ihrer Stärke verloren hatten und daß er endlich zu einer einträglicheren Beschäftigung übergegangen war. Sagen Sie mir gefälligst, was sein neues Geschäft gewesen ist.«

»Nein,« sagte ich, »seine Bedenken in dieser Hinsicht sind eben so stark geblieben wie vorher; er war Lehrer an der Negerfreischule, als er starb.«

»Wirklich! Wie ist er denn dazu gekommen, so viel Geld anzusammeln? Konnte er mit seiner Pflicht als Schullehrer eine einträglichere Beschäftigung verbinden?«

»So scheint es.«

»Was war seine Beschäftigung?«

»Ich glaube, diese Frage ist keiner von seinen Freunden zu beantworten im Stande. Ich hielt mich mit den geheimsten Vorfällen seines Lebens für bekannt, aber dies war mir sorgfältig verborgen worden. Ich war nicht allein mit jeder andern Verwendung seiner Zeit unbekannt, sondern hatte auch nicht die leiseste Ahnung, daß er außer seinen Kleidern und Büchern irgend eine Art von Vermögen besitze. Als ich seine Papiere in einer andern Absicht durchsuchte, fand ich sein Bankbuch, in welchem eine regelmäßige Quittung über Siebentausendfünfhundert Dollars stand; auf welche Weise er dieses Geld erworben hatte und selbst der Besitz desselben war uns gänzlich unbekannt, bis uns sein Tod in den Besitz dieser Papiere setzte.«

»Er bewahrt es vielleicht für Jemand auf; in diesem Falle würde sich eine Notiz in den Briefen vorfinden, welche diese Angelegenheit erklärten.«

»Allerdings; diese Vermuthung mußte sich wohl ergeben und in Folge dessen wurden die sorgfältigsten Nachforschungen angestellt, aber es fand sich kein Blatt, was unsere Vermuthungen bestätigt hätte.«

»Sie dürfen mit Recht über diese Fragen erstaunt, oder vielleicht verletzt sein,« sagte Weymouth. »Aber es ist Zeit, die Gründe zu erklären, aus welchen ich sie stelle. Vor drei Jahren war ich, was Waldegrave war, und verdiente mir mein Brod durch meine tägliche Arbeit. Während eines siebenjährigen Dienstes in einem öffentlichen Amte sparte ich von den Kosten des Lebensunterhalts ein Paar Hundert Pfund. Ich beschloß einen andern Weg einzuschlagen und mit dieser Summe den Grund zu einem größeren Vermögen zu legen. Ich verwandelte sie in Waaren, miethete und belud ein kleines Fahrzeug und reiste mit demselben nach Barcelona in Spanien. Ich war in meinen Unternehmungen nicht unglücklich, nahm abwechselnd einen Aufenthalt in England, Frankreich und Deutschland, je nachdem es mein Interesse forderte, und kam endlich in den Besitz einer Summe zur Befriedigung aller meiner Bedürfnisse. Dann beschloß ich, in mein Vaterland zurückzukehren, mein Geld in Ländereien anzulegen und meine übrigen Tage in dem Luxus und der Ruhe eines reichen Farmers zu verbringen. Zu diesem Zwecke legte ich in Madeira den größten Theil meines Vermögens in einer Ladung Wein an und verwandelte den Rest in einen Wechsel über Siebentausendfünfhundert Dollars. Während meiner Abwesenheit hatte ich eine freundschaftliche Correspondenz mit Waldegrave unterhalten; es gab Niemanden, mit dem ich auf so vertrautem Fuße gestanden hätte, und ich setzte das unbedingteste Vertrauen auf seine Rechtlichkeit. Ich beschloß, ihm daher diesen Wechsel zu übersenden und ihn zu bitten, das Geld bis zu meiner Rückkehr in sichere Verwahrung zu nehmen. Auf diese Weise versuchte ich mich gegen die Unglücksfälle zu sichern, welche meiner Person oder meiner Ladung bei der Fahrt über den Ocean zustoßen konnten.

Es war mein Loos, die schlimmsten dieser Unglücksfälle zu erfahren. Wir wurden von einem Sturme überfallen, mein Schiff an der portugiesischen Küste auf den Strand geworfen, meine ganze Ladung ging verloren und der größte Theil der Mannschaft und der Passagiere ertrank – ich wurde durch einige Fischer von dem nämlichen Schicksal gerettet. In Folge der Beschwerden, denen ich ausgesetzt gewesen war, da ich mehrere Tage an den Pumpen gearbeitet und den größten Theil einer Winternacht im Takelwerk gehangen hatte, wo fortwährend die Wellen gegen mich anschlugen, verfiel ich in eine schwere Krankheit, welche mich des Gebrauches meiner Glieder beraubte. Die Fischer, welche mich gerettet hatten, trugen mich in ihre Hütte, und dort blieb ich drei Wochen elend und hilflos liegen.

Der Theil der Küste, wohin mich der Sturm geworfen hatte, war im höchsten Grade unfruchtbar und rauh; die wenigen Bewohner erwerben ihren unsichern Lebensunterhalt durch die Produkte des Meeres. Ihre Wohnungen waren aus Erde errichtet, niedrig, schmuzig, dunkel und unbehaglich, ihr Brennmaterial bestand in den Stengeln von Pflanzen, die spärlich über einer sandigen Wüste zerstreut waren, ihre Armuth gestattete ihnen kaum Salz und schwarzes Brod zu ihren Fischen, die sie in ungleichen und zuweilen ungenügenden Quantitäten erhalten und mit allen ihren Unreinlichkeiten und halb gekocht verzehrten.

Meine früheren Gewohnheiten sowohl, wie meine gegenwärtige Krankheit verlangten eine andere Behandlung, wie sie mir die Unwissenheit und Armuth dieser Leute zu Theil werden lassen mußte. Ich lag auf der feuchten Erde, nur unvollkommen vor dem Wetter geschützt und ohne Feuer oder Kleidungsstücke, die mich warm gehalten hätten. Meine Wirthe hatten für die Bedürfnisse Anderer wenig Aufmerksamkeit oder Mitleid übrig. Sie konnten mich nicht nach einer gastfreundlicheren Gegend bringen, und ich würde unzweifelhaft hier umgekommen sein, wenn nicht zufällig ein Mönch diese Höhlen besucht hätte. Er gehörte zu einem St. Jago geweihten Kloster, das einige Stunden tiefer im Lande lag und jährlich eines seiner Mitglieder auszuschicken pflegte, damit es nach den religiösen Bedürfnissen dieser Unglücklichen sehen sollte. Jetzt war zu meinem Glücke die Zeit ihres Besuches.

Mein Aufenthalt in Spanien hatte mich einigermaßen mit der Sprache vertraut gemacht und der Dialect dieses Mönches unterschied sich nicht so sehr von dem castilianischen, daß wir uns nicht mit Beihülfe des Lateinischen hätten unterhalten können. Das Jargon der Fischer war unverständlich und sie hatten vergeblich versucht, meinen Muth dadurch aufrecht zu erhalten, daß sie mich von diesem beabsichtigten Besuche benachrichtigten.

Dieser Mönch wurde vom Mitleid über mein Unglück erfüllt und schaffte bald die Mittel zu meiner Fortschaffung nach dem Kloster herbei. Hier wurde ich mit Barmherzigkeit gepflegt und hatte mich des Beistandes eines Arztes zu erfreuen. Er besaß nur geringe Geschicklichkeit in seinem Berufe, und befestigte meine Krankheit eher, als daß er sie erleichtert hätte. Die Portugiesen, welche sein Geschäft treiben, sind, besonders in entfernteren Gegenden, nicht viel mehr wie Händler mit Zaubermitteln und Talismans. Ich war lange Zeit nicht im Stande, mein Bett zu verlassen und hatte nur die Aussicht vor mir, meine Tage in der Düsterkeit dieses Klosters zu verbringen.

Sämmtliche Mitglieder dieses Klosters mit Ausnahme desjenigen, der mein erster Wohlthäter gewesen war und Chaledro hieß, waren bigott und geizig. Der Hauptgrund, warum sie mich mit Freundlichkeit behandelten, war die Hoffnung, mich von der Ketzerei zu bekehren; sie ließen kein Mittel unversucht, mich von meinen Irrthümern zurückzubringen, und waren geneigt, meine Gefangenschaft zu verlängern, da sie dadurch endlich ihren Zweck zu erreichen hofften. Wenn sie über mein Schicksal zu entscheiden gehabt hätten, so würde ich in dieses Kloster eingesperrt und gezwungen worden sein, entweder ihren fanatischen Glauben anzunehmen oder meinem Leben ein Ende zu machen, um ihren gutgemeinten Verfolgungen zu entgehen. Chaledro bemühte sich jedoch, obgleich er in seinem Glauben nicht weniger aufrichtig und in seinen Bitten nicht weniger dringend war, mir die Freiheit zu verschaffen, als er mich unerschütterlich fand.

Sie willigten nach vielfachem Aufschub und eifrigen Bemühungen meines Freundes ein – mich nach Oporto zu bringen. Die Reise sollte in der Hitze des Sommers auf einem offnen Karren durch eine gebirgige Gegend vollbracht werden. Die Mönche bemühten sich, mich zu vermögen, daß ich das Unternehmen um meiner selbstwillen unterlasse, da es kaum möglich war, daß Jemand in meinem schwachen Zustande eine solche Reise überlebte, aber ich verzweifelte daran, meinen Zustand auf eine andere Weise verbessern zu können – ich zog den Tod der Einsperrung in einem portugiesischen Kloster vor und wußte, daß ich eine Besserung in meiner Krankheit nur von der Geschicklichkeit eines schottischen oder französischen Arztes zu erwarten habe, den ich in jener Stadt zu treffen hoffte. Ich blieb mit so viel Heftigkeit und Hartnäckigkeit bei meinem Vorsatz, daß sie endlich meinem Wunsche nachgaben.

Meine Straße führte durch die wildesten, rauhesten Gegenden, die Entfernung betrug nicht mehr wie neunzig Meilen, aber wir verbrachten unterwegs sieben Tage. Die Bewegung des Fuhrwerks machten mir die heftigsten Schmerzen und meine Begleiter glaubten bei jeder Station, daß es die letzte sein werde. Meine Begleiter waren ohne die gehörige Rücksicht auf ihren Charakter ausgewählt worden – sie waren schurkisch und unmenschlich und unterließen zur Beschleunigung seines Todes nichts, wie wirkliche Gewaltthätigkeit – sie verzögerten absichtlich die Reise, so daß aus den vier Tagen, in welchen sie hätte vollbracht werden können, sieben wurden. Sie vernachlässigten es, die Befehle auszuführen, welche sie in Bezug auf meine Nahrung und Wohnung erhalten hatten, und ich erfuhr von ihnen und den Bauern, die unausbleiblich davon benachrichtigt wurden, daß ich ein Ketzer sei, jede Art Beleidigung und Belästigung. Sowohl mein Geist wie mein Körper besaßen eine Kraft, von der ich früher keinen Begriff gehabt hatte. Ich erreichte trotz Beschwerden, trotz der Härte des Wassers und trotz dem Hunger endlich Oporto.

Anstatt daß ich dem Befehl Chaledro's zufolge nach dem Kloster St. Jago gebracht worden wäre, ließ man mich spät Abends unter der Thüre eines gewöhnlichen Hospitals zurück. Nachdem mich meine Begleiter auf das Pflaster gelegt und mich mit Verwünschungen überhäuft hatten, verließen sie mich, damit ich mir selbst Einlaß verschaffe. Ich verbrachte die ganze Nacht an dieser Stelle und wurde am Morgen in einem Zustande in das Haus aufgenommen, der es zweifelhaft erscheinen ließ, ob ich todt oder lebendig sei.

Nachdem ich das Bewußtsein wieder erlangt hatte, machte ich verschiedene Versuche, mir den Besuch eines englisches Kaufmannes zu verschaffen. Dies war für Jemanden in meinem jammervollen Zustande kein leichtes Unternehmen. Ich war zu schwach, als daß ich meine Worte hätte deutlich aussprechen können, und diese Worte wurden durch einen fremden Accent kaum verständlich. Die Wahrscheinlichkeit meines baldigen Todes machte die Leute um mich noch gleichgültiger gegen meine Bedürfnisse und Bitten. Ich will nicht bei der widerholten Täuschung meiner Hoffnung verweilen, sondern mich damit begnügen, zu erwähnen, daß ich die Aufmerksamkeit eines Franzosen auf mich zog, den seine Neugier zu einem Besuch des Hospitals veranlaßt hatte. Durch ihn erhielt ich einen Besuch von einem englischen Kaufmann und erlangte endlich die Beachtung eines Mannes, der früher in Amerika gelebt hatte und mit welchem ich ein wenig bekannt war. Durch ihre Güte wurde ich aus dem Hospital nach einem Privathause gebracht – man rief einen schottischen Arzt zum Beistande für mich herbei und nach sieben Monaten hatte ich meinen jetzigen Gesundheitszustand wieder erlangt.

In Oporto schiffte ich mich auf einem amerikanischen Fahrzeuge nach New-York ein. Ich besaß nicht das Mindeste und verließ mich wegen der Bezahlung der Schulden, die ich zu machen gezwungen war, sowie wegen meines ferneren Unterhalts auf meinen an Waldegrave gesandten Wechsel. Ich eilte nach Philadelphia und erhielt bald die Nachricht, daß mein Freund todt sei. Sein Tod hatte lange nach meiner Sendung an ihn stattgefunden und dieses Unglück bildete hauptsächlich seinetwegen eine Quelle des Kummers für mich; ich hegte keinen Zweifel, daß mein Eigenthum in Sicherheit gebracht worden sei, und daß er entweder eine testamentarische Verfügung oder irgend ein Document in Bezug auf diese Angelegenheit hinterlassen haben werde.

Ich suchte diejenigen auf, welche früher unsere beiderseitigen Bekannten gewesen waren. Ich fand, daß sie über seine Angelegenheiten völlig unwissend waren – sie konnten mir nur einige Einzelnheiten über seinen seltsamen Tod zeigen und mir den Ort nennen, wo er früher gelebt hatte. Ich eilte sogleich dorthin und fand, daß er in diesem Hause außer aller Verbindung mit den übrigen Bewohnern mit seiner Schwester gewohnt habe. Diese beschreiben seine Lebensweise in Ausdrücken, welche beweisen, daß sie nur wenig damit bekannt gewesen seien – ja, aus ihren Mienen und ihrem Benehmen war leicht zu entnehmen, daß zwischen ihnen und ihren Hausgenossen nur wenig Sympathie geherrscht haben könne, und diese Vermuthung wurde durch ihre Insinuationen, die Früchte des Vorurtheils und des Neides bestätigt.

Sie sagten mir, daß die Schwester Waldegrave's auf das Land gezogen sei, aber wohin oder auf wie lange, habe sie nicht gewußt, ihnen mitzutheilen, und es liege ihnen auch nichts daran; sie wäre ein hochmüthiges Mädchen, deren Ideen für ihren Stand zu überspannt seien; sie sei hübscher wie klug und dennoch eine Person, die sich bücken könne, wenn es ihr am ersten zukäme, aufrecht zu stehen. Es sei nicht ihre Sache, aber sie könnten nicht umhin, ihren Verdacht zu erwähnen, daß sie gute Gründe gehabt habe, die Stadt zu verlassen und ihren Aufenthaltsort zu verheimlichen – manche Dinge wären schwer zu verbergen – sie sprächen für sich selbst, und das einzige Mittel, um unangenehme Entdeckungen zu vermeiden, sei, daß man sich entfernt halte.

Die Schwester Waldegrave's war mir ganz fremd – ich wußte nur, daß er eine solche Verwandte habe, es gab daher kein Gegengewicht zu diesem ungünstigen Berichte, wie die augenscheinliche Böswilligkeit und Rohheit, welche ihn gaben. Es war jedoch nicht ihr Ruf, an welchem mir am meisten lag, sondern nur der Ort, an welchem sie zu finden sein würde, damit die nächsten Erkundigungen in Bezug auf ihren Bruder beantwortet werden konnten. Die Leute betheuerten in dieser Beziehung ihre gänzliche Unwissenheit und waren entweder unfähig oder nicht geneigt, mich an Jemanden in der Stadt zu weisen, der mehr wußte, wie sie.

Nach langer Unterhaltung ließen sie endlich eine Andeutung fallen, daß, wenn Jemand ihren Zufluchtsort wisse, so sei dies vermuthlich ein Bursche vom Lande, Namens Huntley, der in der Nähe der Spaltungen des Delaware lebe. Dieser Bursche habe nach dem Tode Waldegrave's seiner Schwester einen Besuch gemacht und es hätte ihnen geschienen, als ob er von ihr auf sehr vertraulichem Fuße empfangen worden sei. Sie habe das Haus in seiner Gesellschaft verlassen und es sei daher höchst wahrscheinlich, daß er wisse, was aus ihr geworden war.

Der Name Huntley war mir nicht ganz unbekannt. Ich selbst bin in dem benachbarten Distrikt von Chetasco geboren und erzogen; ich hatte einige Bekanntschaft mit Ihrer Familie und Ihr Name wurde oft von Waldegrave als derjenige eines Mannes genannt, der sich in reiferem Alter seinem Vaterlande nützlich machen werde. Ich beschloß daher, mich an Sie zu wenden, um so viel Auskunft zu erhalten, wie sie geben konnten. Ich beabsichtigte, meinen in Chetasco wohnenden Vater zu besuchen und ihn von der Besorgniß zu befreien, welche durch seine Unbekanntschaft mit meinem Schicksal herbeigeführt werden mußte, und diese beiden Absichten konnten zu gleicher Zeit ausgeführt werden.

Ehe ich die Stadt verließ, hielt ich es für gut, mich an den Kaufmann zu wenden, auf welchen mein Wechsel ausgestellt und bezahlt worden war. Wenn dieser Wechsel vorgezeigt und ausgezahlt worden war, so hatte er unzweifelhaft eine Notiz davon aufgehoben und hieraus konnte eine Spur entnommen werden, obgleich jedes andere Mittel seine Wirkung versagte. Bei dieser Gelegenheit verfolgte mich mein gewöhnliches Unglück, denn der Kaufmann war vor kurzer Zeit bankerott geworden, und um sich dem Zorne seiner Gläubiger zu entziehen, entflohen, ohne eine Spur von diesem oder irgend einem andern Geschäft zurückzulassen. Er war vor einigen Jahren als Abenteurer aus Holland gekommen und man vermuthete, daß er dorthin zurückgekehrt sei.


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