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Fünftes Kapitel.


Der Weg war verwickelt und lang; er schien dazu bestimmt zu sein, den Wald in jeder möglichen Richtung zu durchziehen. Ich sah oft geschlagenes Holz zu beiden Seiten aufgehäuft und freute mich über diese Zeichen, daß menschliche Wohnungen in der Nähe seien. Endlich erreichte ich einen zweiten Zaun, der sich als Grenze einer noch besuchteren Straße erwies. Ich folgte dieser und erblickte bald vor mir den Fluß und dessen gegenüberliegendes Ufer.

Dies verschaffte mir einige Kenntniß meiner Lage. Es gab nun Furthen, welche die Reisenden zu benutzen pflegten und bei welcher die Straße, der ich jetzt folgte, endete; der Fluß war reißend und ungestüm, aber an dieser Stelle ging er nicht höher wie bis an die Schultern – auf der anderen Seite befand sich eine Straße, die für Pferde und Menschen, wenn auch nicht für Wagen gangbar war und gerade nach Solebury führte. Sollte ich mich in den Fluß stürzen und noch immer versuchen, das Haus meines Onkels vor dem Morgen zu erreichen? Warum sollte ich zaudern?

Dreißig Stunden unaufhörlicher Wachsamkeit und Mühseligkeiten, unendlicher Anstrengung und Gefahren bei Hunger und Wunden waren genug, um die Kraft und den Muth gewöhnlicher Menschen zu vernichten. Im Laufe derselben hatte ich oft geglaubt, daß ich die Grenze erreicht habe, über welche mich meine Kräfte nicht hinausführen würden, aber die Erfahrung bewies mir ebenso oft meinen Irrthum. Obgleich ich noch viele Meilen zurückzulegen hatte, obgleich meine Kleider nochmals von Nässe durchdrungen und beschwert werden sollten, obgleich jede Stunde die Schärfe des Windes zu erhöhen schien, konnte ich doch nur durch einen Versuch die Gewißheit erhalten, ob mein Vorrath an Energie nicht für dieses letzte Unternehmen genügend sei.

Mein Entschluß, weiter zu gehen, war fast gebildet, als ich die Gestalt eines Mannes erblickte, der in einiger Entfernung vor mir langsam über die Straße schritt. Dicht bei dieser Fuhrt wohnte ein Mann Namens Bisset, mit dem ich ein wenig bekannt war. Er bebaute seine zweihundert Acker mit arbeitsamem, geldgierigem Geiste, während sein Sohn eine Mühle am Flusse beaufsichtigte. Er war ein Geschöpf des Gewinns, roh und harmlos – der Mann, welchen ich jetzt sah, konnte er selbst oder Jemand von seiner Familie sein. Da ich zu meiner Vertheidigung bewaffnet war, so fürchtete ich weniger mit einem Wesen in menschlicher Gestalt zusammenzutreffen und rief daher. Die Gestalt blieb stehen und antwortete mir ohne Murren oder Zorn. Die Stimme glich nicht der Bisset's, aber ich glaubte, daß die Nachrichten dieses Mannes von einigem Nutzen sein würden.

Als ich zu ihm kam, zeigte es sich, daß er ein Tagelöhner von der Farm Bisset's sei. Sein Schrecken und Erstaunen bei meinem Anblick brachte ihn in Verwirrung. In meinem jetzigen Anzug würde ich von meinen meisten Verwandten nicht leicht erkannt worden sein, geschweige denn von Jemand, der selten mit mir zusammengetroffen war.

Es ist leicht begreiflich, daß meine Gedanken, wenn sie von den Gegenständen vor mir abschweifen durften, durch schlimme Ahnungen und Besorgnisse wegen des Unglücks gepeinigt wurden, welches, wie ich mit gutem Grunde glauben durfte, meiner Familie zugestoßen war. Ich zweifelte nicht, daß sich etwas Schlimmes ereignet habe, aber die volle Ausdehnung desselben war noch ungewiß. Ich wünschte und fürchtete die Wahrheit zu vernehmen und war nicht im Stande, diesen Menschen geradezu zu fragen; ich konnte nur auf Umwegen und mit Andeutungen handeln. Ich schauderte, während ich auf eine Antwort auf meine Frage wartete.

Ich fragte, ob nicht vor kurzer Zeit Indianer in dieser Gegend gesehen worden seien, ob man nicht feindselige Absichten bei ihnen vermuthe – ob sie nicht bereits Unheil angerichtet hätten – sie hätten vielleicht einen Reisenden angegriffen oder ein Haus in Brand gesteckt, auf welcher Seite des Flusses habe man ihre Spur bemerkt, oder wo waren ihre Verheerungen angerichtet worden – oberhalb oder unterhalb der Furth, in welcher Entfernung vom Flusse.

Als er seine Aufmerksamkeit von meiner Person ablenken und auf meine Fragen richten konnte, antwortete er, daß allerdings Lärm wegen der Indianer gemacht worden sei und daß von Solebury und Chetasco Trupps zu ihrer Verfolgung ausgezogen waren. Sie hatten vier Personen getödtet und in der letzten Nacht ein Haus in Solebury geplündert und niedergebrannt.

Diese Nachrichten waren eine furchtbare Bestätigung meiner Befürchtungen – es blieb kaum ein Zweifel übrig; aber meine ersterbende Hoffnung trieb mich dennoch an, zu fragen, wem das Haus gehört habe.

Er antwortete, daß er den Namen des Besitzers nicht gehört hätte; er sei mit den Leuten auf der andern Seite des Flusses nicht bekannt.

»Ist Jemand von den Bewohnern ermordet worden?«

»Ja, Alle, die zu Hause waren, bis auf ein Mädchen, welches sie fortschleppten, – manche sagen, daß sie wieder zurückgebracht worden sei.«

»Wie lautete der Name? – Hieß er Huntley?«

»Huntley? – Ja, wie – ich weiß es nicht – ich habe es vergessen.«

Ich richtete die Augen auf den Boden, es folgte ein Augenblick düsteren Sinnens: Alles war wie verloren. – Alle diejenigen, um deretwillen ich zu leben wünschte, waren durch die Hand dieser Mörder umgekommen; jene theure Heimath, der Schauplatz meiner Kinderspiele, meiner Studien, Arbeiten und Erholungen waren durch Feuer und Schwert verwüstet – in eine furchtbare Ruine verwandelt.

Nicht allein Alles, was das Dasein verschönerte und werthvoll machte, war vernichtet, sondern auch selbst die Mittel zum Unterhalt. Du weißt, daß meine Schwester und ich von der Mildthätigkeit unseres Onkels abhingen – sein Tod bahnte seinem Sohne den Weg zu der Erbschaft, – einem Manne voll Neid und Bosheit, der uns stets nur deswegen, weil wir uns des Schutzes seines Vaters erfreuten, tödtlichen Haß erwiesen hatte.

Der Boden, welcher mir Brod gab, war jetzt das Eigenthum eines Menschen geworden, der, wenn er dies hätte mit Sicherheit thun können, gewiß Gift unter meine Nahrung gemischt hätte. Alles, was meine Einbildungskraft oder mein Herz für werthvoll hielt, war gleichfalls vernichtet – was mein Zimmer, meine Schränke, mein Sekretair erhalten hatten, meine Möbel, meine Bücher, die Beweise meiner Geschicklichkeit, die Denkmäler des Daseins derjenigen, die ich liebte, selbst meine Kleidung waren der gleichmäßigen, unwiderruflichen Zerstörung anheimgefallen – warum sollte ich dieses Unglück überleben.

Aber sagt er nicht, daß Eine entkommen sei? Die einzigen, weiblichen Personen der Familie waren meine Schwestern. Eine von diesen war zu einem schlimmern Schicksale wie dem Tode aufgehoben worden, um die angeborne, unersättliche Grausamkeit der Wilden dadurch zu befriedigen, daß sie alle Qualen erduldete, welche sie ersinnen könnten, oder in der Wildniß einer düsteren Sklaverei oder unausgesetzten Mühseligkeiten preisgegeben war. Ihr die Freiheit wieder zu geben, diese letzte Ueberlebende meiner unglücklichen Familie zärtlich zu lieben, war ein genügender Antrieb zu Leben und Thätigkeit.

Aber halt! Hatte das Gerücht nicht gesagt, daß die Gefangene wieder befreit sei? O! Wer war ihr rettender Engel gewesen? Wo weilte sie jetzt? Weinte sie über den frühen Tod ihres Beschützers und Freundes – jammerte sie über die Abwesenheit ihres Bruders? Warum sollte ich mich nicht beeilen, sie aufzusuchen, meine Thränen mit den ihrigen zu verwischen – sie von meiner Sicherheit zu überzeugen – und das unerfreuliche Vergehen meiner Flucht dadurch wieder gut zu machen, daß ich die ganze Zukunft der Aufgabe widmete, sie zu trösten und glücklich zu machen.

Der Weg war frei und gerade. Meine neuen Antriebe würden jedes Hinderniß mit Füßen getreten, mich gegen alle Gefahren und Mühseligkeiten gleichgültig gemacht haben. Ich raffte mich aus meinem Sinnen auf und eilte, ohne von dem, der mir diese Auskunft gegeben hatte, Abschied zu nehmen oder ihm meinen Dank auszusprechen, mit rasender Eile auf den Fluß zu, stürzte mich hinein und erreichte das andere Ufer in einem Augenblick.

Ich war hinlänglich mit dem Wege bekannt – es blieben mir noch zwölf bis fünfzehn Meilen zurückzulegen übrig. Ich fürchtete nicht, daß mich die Kraft bei der Vollendung meiner Reise verlassen werde. Ich lenkte meine Schritte nicht der Wohnung meines Onkels zu. Inglefield war mein Freund; wenn meine Schwester lebte, oder der Gefangenschaft entrissen worden war, so hatte sie hier eine Zuflucht gefunden, und hier mußte ich Auskunft über mein Schicksal suchen. Als ich einen Ort erreicht hatte, wo sich die Straße in zwei Wege theilte, von denen der eine zu Inglefield, der andere zu Huntley führte, schlug ich aus diesem Grunde den ersten ein.

Ich war kaum um die Biegung, so bemerkte ich zur Rechten in einiger Entfernung von der Straße ein Gebäude. Es würde bei den jetzigen Zuständen meine Gedanken und meine Aufmerksamkeit nicht auf sich gezogen haben, wenn nicht aus einem Fenster im obern Stocke ein Licht geschimmert und mir verkündet hätte, daß dort nicht Alle schlafen.

Ich kannte den Besitzer dieses Hauses, er verdiente Achtung und Vertrauen, er mußte jedenfalls von den letzten Ereignissen unterrichtet sein, von ihm konnte ich alle Auskunft erhalten, deren ich bedurfte, und so von einem Theil der Qual meiner Ungewißheit befreit werden. Ich konnte seine Thüre binnen wenigen Minuten erreichen und das Licht am Fenster war ein Beweis, daß mein Eintreten zu dieser Stunde die Familie nicht stören werde, von der Jemand wach war.

Ich gelangte durch ein Thor in eine Allee hoher Eichen, die zu dem Hause führte. Ich mußte wohl über den Eindruck nachdenken, welchen mein Erscheinen auf die Familie machen würde. Die glatten Locken, die zierliche Kleidung, die friedfertige Haltung, die Nüchternheit und Sanftmuth des Aeußeren, durch welche ich mich gewöhnlich auszeichnete, würden vergeblich in der Erscheinung gesucht werden, welche sich ihnen jetzt darbot; meine Beine, mein Hals und meine Brust waren blos und ihre ursprüngliche Farbe in die bläulichen Spuren von Ritzen und Schrammen verwandelt – eine furchtbare Wunde auf der Wange und meine ungekämmten Locken, die hohlen Augen, welche durch Kälte und Hunger und die wilden Leidenschaften, deren Schauplatz mein Geist gewesen war, geisterhaft gemacht wurden, im Verein mit der Muskete, welche ich in der Hand trug, mußten ihnen den Gedanken an einen Wahnsinnigen oder einen Räuber einflößen.

Es konnten sich einige Unannehmlichkeiten ergeben, die jedoch unvermeidlich waren. Ich mußte mich auf die Schnelligkeit verlassen, womit meine Stimme und meine Worte ihren wahren Charakter zu erkennen geben und ihren Irrthum berichtigen würden.

Ich erreichte jetzt den Haupteingang des Hauses – er stand offen und ich trat ein. Mitten im Zimmer stand ein wohlgeheizter Ofen. Meine erste Sorge war die, meine halberfrornen Glieder aufzuthauen. Mittlerweile blickte ich um mich, und beobachtete das Aussehen der Dinge.

Auf dem Tische standen zwei angezündete Lichter; neben ihnen fanden sich Aepfelweinflaschen und Tabakspfeifen vor. Die Möbel und das Zimmer waren in einem Zustande, welcher bewies, daß letzteres vor kurzer Zeit mit Trinkern und Rauchern gefüllt gewesen sei. Aber es war weder ein Gesicht, noch eine Bewegung, noch eine Stimme irgendwo zu bemerken. Ich horchte, konnte aber weder oben noch unten, weder im Hause noch außer demselben eine Spur von einem menschlichen Wesen entdecken.

Dieser Verödung und Stille mußte vor Kurzem Lärm und Geschäftigkeit vorausgegangen sein. Der Gegensatz war geheimnißvoll und weitläufig – es fiel mir keine genügende Ursache für einen so schnellen, vollständigen Uebergang ein. Nachdem ich einige Wärme erlangt und zehn bis zwanzig Minuten in dieser Ungewißheit verweilt hatte, beschloß ich, die andern Zimmer des Gebäudes zu untersuchen; ich wußte nicht, was in meiner Abwesenheit geschehen oder was ich bei meinem Suchen entdecken konnte, was die Vorsicht rechtfertigte, daß ich die Flinte in der Hand behielt. Ich nahm ein Licht vom Tische und ging in zwei andere Zimmer im ersten Stock und in die Küche; keines von diesen war bewohnt, obgleich die Stühle und Tische in ihrer gewohnten Ordnung dastanden und sich keine Spuren von Gewaltthätigkeit oder Haß zeigten.

Nachdem ich am Fuße der Treppe angekommen war, klopfte ich, aber mein Klopfen blieb ganz unbeachtet. In einem Fenster des obern Stocks hatte sich ein Licht gezeigt; es war allerdings nicht in einem der Gemächer gewesen, welche die Familie für gewöhnlich bewohnte, sondern in dem, welches dem ländlichen Gebrauch gemäß für Gäste vorbehalten wurde, aber es bewies unwiderleglich die Gegenwart eines Wesens, durch welches meine Zweifel gelöst werden sollten. Diese Zweifel waren zu quälend, als daß sie ein Bedenken oder Aufschub zugelassen hätten – ich stieg die Treppe hinauf.

Ich klopfte an jede Zimmerthür, aber vergebens; ich versuchte sie zu öffnen, fand sie aber verschlossen. Endlich erreichte ich die Thür desjenigen, in welchem ich das Licht entdeckt hatte; hier mußte gewiß Jemand zu finden sein, auch hier blieb, wie sonst überall, mein Klopfen unbeachtet.

Dieses Zimmer zu betreten, war kühn, aber es blieb mir kein anderes Mittel übrig, um zu erfahren, ob das Haus Bewohner habe – ich trat daher, wenn auch vorsichtig und widerstrebend, ein. Es befand sich Niemand darin, aber es gab genügende Zeichen, daß irgend Jemand vor Kurzem hier gewesen sei. Auf dem Tische stand ein offenes Reiseschreibzeug mit Feder und Tintenfaß, ein Stuhl war an den Tisch gerückt worden und zur Rechten erblickte ich ein Licht. Ein solcher Apparat war in dieser Gegend selten zu sehen – wie es schien, bewohnte ein Reisender dieses Zimmer, obschon das Haus im Uebrigen verlassen war. Der Wanderer gehörte, wie diese Zeichen bewiesen, nicht zu dem gemeinen Schlage der gewöhnlichen, alltäglichen Gäste.

Jetzt fiel mir ein, daß der Bewohner dieses Zimmers nicht weit entfernt sein könne und daß nothwendigerweise Gefahr und Verlegenheit daraus hervorgehen müsse, wenn ich so bewaffnet und gekleidet an einem, dem Studium und der Ruhe eines Andern gewidmeten Orte gefunden würde. Es war daher gerathen, mich zurückzuziehen und entweder meine Reise fortzusetzen oder die Rückkehr des Fremden zu erwarten, den vielleicht ein augenblickliches Geschäft in das allgemeine Zimmer hinuntergerufen hatte. Ersteres schien der beste Ausweg zu sein, da die Rückkehr jener unbekannten Person eben so unsicher war, wie seine Fähigkeit, mir die Auskunft zu geben, welche ich wünschte.

Wenn sich außer den Schreibmaterialien noch Papier auf dem Tische vorgefunden hätte, so würde sich vielleicht meine unverantwortliche Neugier nicht bedacht haben, es zu durchspähen. Auf den ersten Blick zeigte sich nichts Derartiges. Aber als ich mich jetzt der Thür zuwendete, erregte ein neben dem Schreibzeug, dem Lichte gegenüber liegender Gegenstand meine Aufmerksamkeit. Der Impuls, welcher mich veranlaßte, hinzueilen und es zu ergreifen, war plötzlich und mechanisch – bis ich ihn zwischen meinen Fingern fühlte – bis ich ihn vor die Augen hielt und zu wiederholten Malen die Aufschrift las, welche sich darauf zeigte, stand ich im Zweifel, ob mich meine Sinne nicht getäuscht hätten.

Nur wenige Menschen haben vielleicht so gefährliche und wunderbare Abenteuer wie ich erlebt. Die Phantasie der Dichtkunst – die Verwandlungen der Zauberkraft sind im Vergleich mit dem, was ich erlebt hatte, armselig und unbedeutend – es war mein Schicksal gewesen, in neue Gestalten überzugehen, die Schranken der Zeit und des Raumes zu überspringen – die Gesetze der leblosen und belebten Natur umstürzen zu sehen.

Kein Ereigniß war in höherem Grade die Veranlassung zu Kummer und Verwirrung gewesen, wie der Verlust der Briefe Deines Bruders – sie wurden mir durch unsichtbare Mittel entrissen und verschwanden in einem Augenblich wo die Erwartung ihr Verschwinden am wenigsten geahnt haben würde. Jetzt wurden sie mir auf eben so plötzliche Weise an einem Orte und durch Mittel wieder zugeführt, die der Erwartung nicht weniger zuwiderliefen. Die Papiere, welche ich jetzt ergriff, waren diese Briefe. Die Pergamentdecke, der Bindfaden, welcher sie zusammenhielt und der Siegellack, womit sie verschlossen waren, schien nicht geöffnet oder verletzt worden zu sein.

Die Macht, welche sie aus meinem Secretair entführte und in dieses Haus gebracht hatte – ein Haus, welches ich selten besuchte – welches ich im Laufe des vergangenen Jahres nicht besucht hatte – mit dessen Bewohnern ich keinen vertrauten Verkehr unterhielt und denen meine Beschäftigungen und Unterhaltungen, meine Freuden und Kümmernisse unbekannt waren – bildete nicht einmal einen Gegenstand der Vermuthung für mich; aber sie waren nicht im Besitz eines Mitglieds der Familie – es befand sich ein Fremder hier, von dem sie entwendet worden oder in dessen Besitz sie durch einen unbegreiflichen Zufall gekommen waren.

Dieser Fremde war hier; er hatte sein Zimmer auf einen Augenblick verlassen – er mußte bald zurückkehren. Wenn ich fort ging, so war dies vielleicht Veranlassung dazu, daß ich ihn verfehlte – ich wollte also hier warten, bis ich mit ihm zusammentraf. Die Papiere gehörten mir und ich hatte sie wieder erlangt. Ich wollte mich nie wieder von ihnen trennen; aber das höchste Verlangen meiner Seele war jetzt, zu erfahren, durch welche Gewalt oder List ich ihrer so lange beraubt worden war. Ich setzte mich an einen Tisch und wartete gespannt auf ein Zusammentreffen, von welchem, wie ich unwiderstehlich glaubte, mein Glück in hohem Grade abhing.

Mittlerweile konnte ich nicht umhin, diesen Vorfall mit der Ermordung meiner Familie in Zusammenhang zu bringen. Der Verlust dieser Papiere hatte mir den größten Kummer gemacht, und doch war der Umstand, daß ich sie verloren hatte, vielleicht das einzige Mittel, durch welches ihre Erhaltung möglich gemacht wurde – wenn sie in meinem Secretair geblieben wären, so hätten sie dem Schicksal, welches dem Hause und seinen Möbeln zustieß, nicht entgehen können. Die Wilden pflegen ihr Werk der Vernichtung nicht unvollendet zu lassen. Sie tragen Sorge, das Haus, welches sie geplündert haben, mit der Erde gleich zu machen; dies schreibt ihnen nicht allein ihre Rache, sondern auch die Vorsicht vor. Ein Feuer kann eben so gut zufällig wie absichtlich entstehen und die Spuren der Plünderung und des Mordes werden durch die Flammen vollständig verwischt.

Diese Gedanken wurden durch das Schließen einer Thür im unteren Stock und Schritte, welche die Treppe heraufkamen, unterbrochen. Mein Herz klopfte bei diesen Lauten. Das Sitzen wurde mir unbehaglich und ich sprang auf; ich ging sogar halb durch das Zimmer nach dem Eingange zu – meine Augen hafteten fest auf der Thüre. Meine Ungeduld würde mich auf die Person dieses Gastes durch das Abmessen seines Schattens haben rathen lassen, wenn ich diesen zuerst gesehen hätte. Aber dies wurde durch die Stellung des Lichtes verhindert. Erst als die Gestalt eintrat und die ganze Figur zu sehen war, wurde meine Neugier befriedigt. Derjenige, welcher vor mir stand, war der Vater und Ernährer meines Geistes, der Lehrer und Gefährte meiner Jugend – von dem ich seit Jahren getrennt war, von welchem ich auf immer geschieden zu sein glaubte – Sarsefield selbst!


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