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Achtes Kapitel.


Mein Geist war bis jetzt durch den Drang der Umstände bewegt worden, und die Gedanken drangen stürmisch auf mich ein, sobald ich fähig war, sie aufzunehmen. Meine Verhältnisse hatten eine vollständige Veränderung erlitten, ohne daß ich es einen Augenblick vorher ahnte.

Das Bewußtsein der Gefahr, welche aus dem Dasein dieses Menschen hervorging, hatte auf mir gelastet und keine Anstrengung des Geistes mir die Mittel zeigen können, durch welche diese Gefahr beseitigt, und wir vor seinen Versuchungen gesichert werden möchten und diese Mittel zu finden, und sie mit Erfolg anzuwenden, bedurfte es, wie ich einsah, der größten Klugheit und des festesten Muthes. Jetzt bestand die Gefahr nicht mehr. Der Verstand, in welchem unheilvolle Pläne ersonnen werden konnten, war vernichtet oder entflohen, die Hände, welche bereit waren, die Gebote dieses Verstandes auszuführen, hatten das Leben verloren, der Vollbringer von unsäglichem Bösen war in einem Augenblick der Macht und des Willens zu schaden, beraubt worden. Wir hatten unsere bisherige Ruhe dem Glauben an seinen Tod verdankt; Furcht und Besorgniß erlangten die Herrschaft wieder, als sich der Irrthum aufklärte, aber jetzt konnten wir wieder in Besitz unseres alten Vertrauens kommen. Ich hatte mit meinen eigenen Augen die leblose Leiche unseres unbarmherzigen Feindes gesehen – so wurde in einem Augenblicke seine lange, schändliche Laufbahn geschlossen; sein ruheloser Zorn, seine boshaften Pläne, die so lange den Schauplatz erfüllten und so furchtbar an Bösem waren, hatten jetzt ein Ende erreicht!

Der Gedanke an den Tod dieses Mannes war im Laufe meines Nachdenkens in mir aufgestiegen und hatte das Aussehen eines wünschenswerthen Ereignisses gehabt, aber er war wenig geeignet gewesen, meine Befürchtungen zu beschwichtigen. Dieser Umstand fand sich allerdings in dem langen Katalog von Möglichkeiten vor, aber er erschien eben so wenig wahrscheinlich, wie jeder andere; es konnte nicht geschehen, ohne daß eine Reihe vorausgehender Ereignisse den Weg dafür bahnten; wenn sein Tod von uns ausging, so mußte er die Folge einer Absicht sein – er mußte aus mühsamen Vorbereitungen und tiefangelegter List hervorgehen.

Jetzt war er todt – ich hatte ihn getödtet. Was hatte ich gethan? Ich hatte nichts im Voraus überlegt; ich war durch eine mir unbewußte Nothwendigkeit angetrieben worden; wenn der Angreifer mein Vater gewesen wäre, so würde die Folge die nämliche gewesen sein; mein Verstand war neutral geblieben. Konnte dies sein? War es möglich, daß eine so furchtbare That in so kurzer Zeit hatte vollbracht werden können? Wurde ich nicht durch ein mächtiges Phantasiegebilde getäuscht? Ich hatte die Zuckungen und den Todeskampf Wiatte's mit angesehen – er lebte nicht mehr, und ich war sein Vernichter.

Dies war der Zustand meines Geistes während einiger Zeit nach diesen entsetzlichen Ereignissen. Vorher war ich ruhig, voll Ueberlegung und gefaßt gewesen. Ich hatte auf den Weg geachtet, den ich zurücklegte und Gegenstände, an denen ich vorüberkam, bemerkt; wenn ich mich dem Laufe meiner Gedanken hingab, so wurde meine Aufmerksamkeit nicht durch sie ergriffen und festgehalten. Ich konnte mich nach Belieben losmachen und ohne Schwierigkeit von der Beachtung der inneren Welt zu der Aufmerksamkeit auf die äußere übergehen.

Jetzt war meine Freiheit in dieser Beziehung zu Ende. Ich fühlte mich gefesselt und versucht, von der Uebermacht der Gedanken überwältigt und von der Verwunderung niedergeworfen. Ich widmete meinen Schritten keine Aufmerksamkeit mehr.

Als ich aus meiner Betäubung erwachte, fand ich, daß ich den Weg zurückgegangen war, den ich eben erst verfolgt hatte und war bei der Thüre des Banquiers angekommen. Ich machte Halt und schlug wieder den Heimweg ein.

Dies schien ein Wink zu sein, zu anderen Gedanken überzugehen. »Die That,« sagte ich, »ist unwiderruflich. Ich habe den Bruder meiner Gönnerin, den Vater meiner Geliebten getödtet!«

Dieser Gedanke war neu, und er erfüllte mich sofort mit Schrecken und Verwirrung. Wie soll ich die That bekannt machen? Welche Wirkung wird sie hervorbringen? Der Scharfsinn meiner Herrin wird durch das Wohlwollende in ihrem Charakter verdunkelt – ihr Bruder war unverbesserlich schlecht, ein ergrauter Bösewicht, dem die Sprache des Mitleids so unverständlich blieb, wie das Geschnatter der Affen; sein Herz war gegen das Erbarmen durch die schändlichen Gewohnheiten von vierzig Jahren gestählt, er lebte nur dazu, die Versprechungen und den guten Ruf der Treue in Haß und Vorwürfe zu verwandeln.

Aber er war dennoch ihr Bruder. Als menschliches Wesen stand seine Verderbtheit doch nie außer dem Bereiche der die Gesundheit wiedergebenden Macht der Reue; sein Herz war, so lange es noch schlug, den Gewissensbissen zugänglich. Die eigenthümlichen Umstände seiner Geburt hatten sie bewogen, dieses Wesen in höherem Grade für ihren Bruder zu halten, wie dies unter anderen Umständen der Fall gewesen sein würde; sie hatte die feste Ueberzeugung, daß ihre Geschicke mit einander verbunden seien. Sie hatte nie an das Gerücht von seinem Tode geglaubt, für ihre Freunde war es ein Gegenstand der Beglückwünschung, für sie aber eine Ursache zur Trauer und zum Kummer gewesen. Daß er eines Tages wieder auf dem Schauplatze erscheinen und die Würde der Tugend aufs Neue annehmen werde, war eine Quelle des Trostes, von der sie sich nie trennen wollte.

Ihr Charakter war jetzt bekannt. Als das Urtheil der Verbannung über ihn ausgesprochen wurde, hielt sie es für nothwendig, sich gegen Verdächtigungen zu vertheidigen, die auf falschen Begriffen von den Gründen beruhten, aus welchen sie ihre Verwendung versagt hatte. Das Manuskript hatte, obgleich es nicht gedruckt worden war, eine weite Verbreitung gefunden. Niemand konnte ihrer einfachen, rührenden Beredtsamkeit widerstehen oder sich von dem Lesen erheben, ohne sein Herz dem wärmsten Impulse der Bewunderung hinzugeben, ohne sich in den Lobreden ihres Gerechtigkeitssinnes und ihrer Festigkeit zu vereinigen. Dies war das einzige, schreckliche Denkmal ihres Talents – als solches stand es in meinem Gedächtniß eingegraben; das Bild, welches es entwarf, war der fortwährende Begleiter meiner Gedanken. Ach! Vielleicht wäre es gut für mich gewesen, wenn ewige Vergessenheit es verschlungen hätte. Ich las in ihm die Verdammung meiner That, den tiefen Schmerz, welchen sie leiden werde und die Entrüstung, welche sich über den Urheber eines so großen Unglücks ergießen mußte.

Ich hatte mein Leben durch die Aufopferung des seinigen zerrüttet, während ich hätte sterben sollen. Erbärmlicher, unbedachter Feigling! Was war aus meiner gerühmten Dankbarkeit geworden? Dies war der Eifer, mit welchem ich ihr gelobt hatte – dies die Dienste, deren Leistung die Aufgabe meines Lebens war. Ich hatte ihren Bruder aus dem Leben hinausgestoßen – ich hatte ihr die Hoffnung entrissen, welche sie so warm und unermüdlich pflegte – ich war aus verächtlicher, feiger Rücksicht für meine eigene Sicherheit im Augenblicke der Prüfung und als ich vom Himmel aufgefordert wurde, die Aufrichtigkeit meiner Betheuerungen zu beweisen, unterlegen!

Sie hatte meine Betheuerungen leichthin behandelt, mein Gelübde ewiger Ergebenheit mit hoher Uneigennützigkeit zurückgewiesen, meinen Unmuth gegen die Verpflichtungen als verbrecherisch verurtheilt und jeden Plan verdammt, den ich entwarf, um mich von der Last zu befreien, welche mir von ihrer Wohlthätigkeit auferlegt worden war. Die leidenschaftliche, heftige Aengstlichkeit, womit sie in früheren Tagen die Rachgier ihres Geliebten gegen Wiatte zurecht gewiesen hatte, tönte mir jetzt in die Ohren und meine Sinne geriethen aufs Neue in Entsetzen über die furchtbaren Klänge – »berühre meinen Bruder nicht – wo Du ihn auch treffen magst, welches Vergehens er sich auch schuldig gemacht hat, laß ihn in Sicherheit fortgehen; verachte mich – verlaß mich – tödte mich – dies Alles kann ich selbst von Dir ertragen, aber ich flehe Dich an, verschone meinen unglücklichen Bruder. Der Streich, welcher ihm das Leben raubt, wird nicht allein die nämliche Wirkung auf mich haben, sondern mir auch ewiges Elend bereiten.«

Ich war taub gegen diese Bitten gewesen – ich hatte mich allerdings nicht auf ihn gestürzt, während er unbewaffnet war, nichts Böses beabsichtigt oder erwartet – zu diesem Grade der Schlechtigkeit war ich vielleicht unfähig. Ach! Ich habe mich tief genug in das Verbrechen gestürzt, ich habe jedes dem ehrenwerthen Herzen theuere Gefühl mit Füßen getreten – ich habe mich der menschlichen Gesellschaft unwürdig erwiesen. Dies waren die stürmischen Gedanken jenes Augenblicks. Mein Schritt wurde langsam – ich blieb stehen und mußte mich an jene Mauer stützen; die Mattigkeit, welche sich meines Herzens bemächtigt hatte, durchdrang alle Theile meiner Gestalt. Es fehlte nur noch eins, um meine Verzweiflung vollständig zu machen: – »meine Herrin,« sagte ich, »glaubt, daß ihr Geschick mit dem Wiatte's verbunden sei. Wer kann behaupten, daß die Ueberzeugung grundlos ist? Sie hatte trotz den allgemeinen Gerücht, daß ihr Bruder todt sei, glücklich fortgelebt, sie wollte ihm keinen Glauben schenken, warum? Weil nichts, wie der unzweifelhafte Beweis genügen konnte, sie zu überzeugen? – Weil die gegentheilige Ueberzeugung aus einer unfehlbaren Quelle hervorging? – Wie kann letztere Vermuthung widerlegt werden? Hat sie nicht das Ereigniß vorausgesagt, die Zeit der entsetzlichen Erfüllung ist gekommen. – Der Schlag welcher ihm das Leben raubte, hat zugleich ihr Geschick besiegelt. Sie ist getäuscht worden – es bleibt nichts mehr, wie eine liebevolle Einbildung – gleichviel – wer kennt nicht die zwingende Kraft des Glaubens – wer weiß nicht, daß die Pulse des Lebens unter der Gewalt des Willens stehen. Der Ueberbringer dieser Nachricht wird der Todesbote sein. Sie wird von verhängnißvollem Mitleid erfaßt werden, aufschaudern, in Ohnmacht sinken und sterben! Liebender, kurzsichtiger Unglücklicher! Dies ist der Preis, den Du für die Sicherheit gezahlt hast. Du hast in der Unsicherheit Deiner Gedanken gesagt: – »es fehlt nichts, wie sein Tod, um uns das Vertrauen und die Ruhe wieder zu geben« – siehe! Es ist geschehen! Unglück und Verzweiflung, die während seines Lebens gefesselt waren, sind durch seinen letzten Seufzer in Freiheit gesetzt worden. Jetzt erst ist die Vernichtung gewiß. Deine Gebieterin, Deine Clarissa und Du selbst seid durch diese Handlung in unabänderliches, gemeinsames Verderben gestürzt worden.

Ich schrak aus meiner Stellung auf – ich war mir kaum eines Ueberganges bewußt, Betäubung und Verwirrung erfüllten die Zwischenzeit. Es schien mir, als ob mein Sinn durch den Schlaf betäubt worden wäre, während meine Bewegungskraft unwillkürlich angestrengt wurde, um mich in mein Zimmer zu führen. Die Veränderung mochte herbeigeführt worden sein, durch welches Mittel sie wollte so war ich doch dort.

Ich bin im Stande gewesen, so weit zu gelangen – ich kann kaum dem Zeugnisse meines Gedächtnisses glauben, daß mir dies versicherte. Meine Aufgabe ist fast vollbracht. Aber wo soll ich genügende Kraft finden, um sie zu enden? Was ich erzählt habe, ist leicht wie Spinnenwebe im Vergleich zu den unerträglichen, vernichtenden Schrecken desjenigen, was noch folgen sollte. Der Himmel wird mich zum Zeichen seiner Rache in den Stand setzen, fortzufahren – es ist nur recht, daß mein Drama so schließt!

Meine Phantasie wurde durch die Irrthümer meines Verstandes angestrengt, die Stimmung in welche mein Geist versetzt worden war, gestattete keine geistige Unterbrechung; in mir war Alles stürmisch und düster; meine Ohren schienen für nichts empfindlich zu sein; wie für Schreien und Wehklagen. Es war tiefe Nacht, und jedes Geräusch einer großen Stadt hatte sich gelegt. Aber ich lauschte dennoch, wie um die Klänge des Trauergesanges zu vernehmen, der anfangen solle. Schwarze Gewänder, Seufzer und eine dichtere Feierlichkeit umgaben mich auf allen Seiten. Ich wurde durch Bilder des Todes, eingebildetes Klagegeschrei und Trauergepränge verfolgt; ich glaubte zu einer späteren Zeit meines Lebens übergegangen zu sein; die zukünftigen Wirkungen waren bereits eingetreten – das Ahnungsvermögen des Elends schuf sie und es versetzte mich in die Mitte der Hölle, welche ich fürchtete.

Von einem solchen Paroxismus durfte man mit Recht das Schlimmste erwarten, aber der nächste Schritt zur Vernichtung wurde nicht plötzlich gethan. Ich hielt am Rande des Abgrundes inne, wie um die Tiefe des Wahnsinnes zu überblicken, der mich überwältigte – war im Stande, über die Scene nachzudenken und in einem, an Ruhe grenzenden Zustande die näheren Umstände meiner Lage zu überlegen. Mein Geist wurde durch die Wiederkehr eines einzigen Gedanken gepeinigt – die Vermuthung wurde zur Gewißheit – ich konnte den Gegenstand in kein Licht stellen, daß nicht die Ueberzeugung bestätigte, daß ich durch die Handlung, welche ich begangen hatte, die Vernichtung meiner Herrin herbeigeführt habe.

Endlich wurde mein Geist ein wenig von dem Gewühl meiner Befürchtungen befreit und ich fing an, die Folgen, welche ich fürchtete, zu überblicken und zu analysiren.

Das Schicksal Wiatte's sollte unvermeidlich das seiner Schwester bestimmen – auf welche Weise würde diese Folge herbeigeführt werden? Waren sie durch ein sympathetisches Band verknüpft, dessen Einfluß unabhängig von sündlicher Mittheilung blieb? Konnte sie durch ein anderes Mittel, wie durch Worte zur Kenntniß seines unglückseligen Endes kommen? Ich hatte von solchen außerordentlichen Gemeinschaftlichkeiten des Daseins und Fällen von augenblicklichen Mittheilungen zwischen örtlich von einander entfernten Menschen gehört. War dies ein neuer Beweis für die Freiheit des Geistes? Hätte sie schon seine Schmerzen erduldet und bereits wie er aufgehört zu athmen?

In dieser furchtbaren Voraussetzung sträubte sich jedes Haar auf meinem Kopfe, aber vielleicht war die Macht der Sympathie nur Einbildung – während sie in Schlaf versunken oder mit gleichgültigen Gedanken beschäftigt war, konnte das Instrument, durch welches ihr Schicksal erfüllt werden sollte, der Dolch eines Mörders sein; eine Reihe von Ereignissen, die eben so sehr außer dem Bereiche der Voraussicht stand, und wie diejenige, welche sich eben zugetragen hatte, führte vielleicht mit gleicher Plötzlichkeit ein eben solches Unglück herbei. In welchem Zustande befand sie sich in diesem Augenblick? Ruhte sie in Sicherheit in ihrer Kammer wie ihre Familie glaubte? Aber täuschten sie sich nicht? War sie nicht eine verstümmelte Leiche? Ihr Zustand mochte sein, welcher er wollte, so konnte man bis zum Morgen, außer durch außerordentliche Mittel nicht zur Gewißheit kommen. War es weise, die Untersuchung bis dahin zu verschieben? Warum sollte man sich nicht sofort von der Wahrheit überzeugen?

Diese Gedanken gingen schnell durch meinen Geist; es gehört ein großer Zeitabschnitt und eine Weitschweifigkeit der Sprache dazu, um mit Worten die Gedanken auszudrücken, die sich in einen Zeitraum von unberechenbarer Kürze zusammendrängen. Ich faßte mit der nämlichen Schnelligkeit den Entschluß mich von der Wahrheit meines Argwohns zu überzeugen. Das ganze Haus war mit Ausnahme meiner, zur Ruhe gegangen. Verwickelte Gänge würden mich ohne Gefahr, Jemand zu stören, nach einem Saale bringen, von welchem zwei Treppen hinaufgingen – auf einer von diesen gelangte man nach oben in einen Salon, auf dessen östlicher Seite sich eine Thüre befand, die mit einer Reihe von Zimmern in Verbindung stand, welche die Gebieterin des Hauses bewohnte. Das Erste war ein Vorzimmer, in welchem für gewöhnlich eine Dienerin lag. Das zweite das Schlafzimmer der Dame. Dies war ein geheiligter Raum, dessen Lage gegen die übrigen Gemächer des Gebäudes ich recht gut kannte, von dem ich aber aus eigner Erfahrung nichts wußte, da ich nie Zutritt zu demselben gehabt hatte.

Ich war jetzt entschlossen, mich dorthin zu begeben. Ich wurde nicht durch die Heiligkeit des Ortes und der Stunde abgehalten; ich war unempfindlich gegen jede andre Folge, wie die Beseitigung meiner Zweifel – nicht etwa, daß meine Hoffnungen durch meine Befürchtungen aufgewogen worden wären. Nichts verhinderte mich mit so vieler Gewißheit, als ob meine Augen Zeuge davon gewesen wären, wie der Widerwillen, womit man eine unerfreuliche Wahrheit zuläßt, zu glauben, daß das nämliche Trauerspiel in ihrem Zimmer und auf der Straße aufgeführt worden sei.

Um einem Zustand unerträglicher Spannung ein Ende zu machen, beschloß ich mich sofort nach ihrem Zimmer zu verfügen. Ich nahm das Licht und ging ohne eine Unterbrechung zu finden, die Gänge entlang. Ich brauchte keine Vorsichtsmaßregel. Ich weiß nicht gewiß, ob ich einen Diener oder einen Dieb, die mir begegnet wären, bemerkt haben würde. Meine Aufmerksamkeit war zu vollkommen in Anspruch genommen, als daß ich von einem zufälligen Gegenstand etwas davon hätte übrig behalten können. Ich kann nicht behaupten, daß mich Niemand bemerkt hätte. In Folge der Eintheilung der Wohnung war dies jedoch wahrscheinlich. Sie bestand aus einem Mittelgebäude und zwei Flügeln, von denen der eine für die Dienerschaft bestimmt war, und der andere, an dessen äußersten Ende sich mein Zimmer befand, eine Bibliothek und Räume für formelle, gesellige und literarische Conferenzen enthielt. Diese waren während der Nacht verlassen und mein Weg führte durch sie; es war daher nicht wahrscheinlich daß meine Schritte beobachtet werden würden.

Ich begab mich nach dem Saale. Das Hauptwohnzimmer befand sich unter ihrem Schlafgemach, in der Verwirrung meiner Gedanken verwechselte ich das eine mit dem andern; sobald ich meinen Irrthum bemerkte, machte ich ihn wieder gut. Ich stieg mit klopfenden Herzen die Treppe hinauf. Die Thüre des Vorzimmers war unverschlossen – ich trat ein, ohne im Mindesten darauf zu achten, ob ich den Schlummer des Mädchens, das darin schlief, störe. Das Bett, welches sie einnahm, wurde durch Gardinen verborgen. Ich hielt mich nicht damit auf, zu untersuchen, ob sie dort sei; ich kann mich nicht erinnern, daß ein Zeichen der Wachsamkeit oder der Unruhe gegeben worden sei. Erst als ich die Thüre ihres Zimmers erreichte, fing mein Herz an zu beben.

Nicht etwa, weil die Wichtigkeit der Frage, welche zu entscheiden ich im Begriff stand, mit ihrer ganzen Gewalt auf mein Begriffsvermögen eingestürmt wäre. Ich war entsetzt und bleich und hatte kaum die Kraft, die Glieder zu bewegen. Wenn der Gedanke an ihren Tod nicht zu ertragen war, wie sollte ich dann erst das Schauspiel von Blut und Wunden ertragen. Und doch stand mir dies bevor. Nur wenige Schritte mußten mich in die Mitte einer Scene versetzen, deren verabscheuter Urheber ich war. – War es recht, daß ich weiter ging? Es fanden sich noch Ueberreste von Zweifeln, meine Ahnungen konnten möglicherweise unbegründet sein; vielleicht war Alles dort darin sicher und ruhig und es war möglich einen Aufschub für ein unwiderrufliches Urtheil zu erlangen. Was konnte ich thun? War nicht Alles im Vergleich zu der Qual der Ungewißheit leicht zu ertragen? Wenn ich das Uebel nicht verhindern konnte, so mußte ich es ertragen, aber die Marter der Ungewißheit gestattete keine Heilung.

Ich drehte die Klinke um, und trat eher mit dem Widerstreben der Furcht, wie mit der Vorsicht der Schuld ein. Ich konnte die Augen nicht vom Boden erheben. Ich ging bis in die Mitte des Zimmers. Kein Laut wie von einer Sterbenden drang zu meinen Ohren. »Ists möglich,« sagte ich, »daß ich vom Schatten getäuscht worden bin? – Aber das genügt nicht.«

Ihr Bett stand in einem Alkofen. Wenn ihre Sicherheit nicht verletzt war, so ruhte sie hier. Was blieb noch übrig, um den quälenden Zweifel in entzückende Gewißheit zu verwandeln? Ich war unempfindlich gegen die Gefahren meiner jetzigen Lage. Mußte nicht mein Eindringen sie erwecken, wenn sie sich wirklich dort befand? Sie mußte aufschrecken, und mich zu dieser Stunde an ihrem Bett stehen sehen. Wie sollte ich ein so beispielloses, kühnes Eindringen erklären? Ich konnte ihr meine Befürchtungen nicht mittheilen, ich war nicht im Stande, ihr zu sagen, daß das Blut, welches meine Hände befleckte, aus den Wunden ihres Bruders geflossen war.

Mein Geist blieb gegen solche Rücksichten verschlossen; sie brachten sogar in meinen vorherrschenden Gedanken keine Aenderung hervor – derartige Hindernisse würden, wenn es solche gegeben hätte, unter die Füße getreten worden sein.

Ich ließ die Lampe, welche ich mitgenommen hatte, auf dem Tische, näherte mich dem Bett, schob langsam die Gardine zurück und sah sie ruhig schlummern. Ich lauschte, aber ihr Schlummer war so tief, daß ich nicht einmal ihr Athmen hören konnte. Ich ließ die Gardine fallen, und zog mich zurück.

Wie selig und sanft waren die Empfindungen meines Herzens bei dieser Entdeckung! Auf die wildeste Verzweiflung folgte ein Entzücken, das über jede Beschreibung erhaben ist – ich stand einige Augenblicke in köstliche Betrachtung versunken da. Ach! Es war ein leichter, aber vorübergehender Augenblick. Der Wahnsinn, mit dessen düsteren Einflüsterungen er in so starkem Gegensatz stand, fing jetzt an, fühlbaren Eindruck auf meinen Verstand zu machen.

»Sie lebt allerdings,« sagte ich; »ihr Schlummer ist ruhig und glücklich; sie ist blind gegen ihr nahendes Geschick; es werden wenigstens einige Stunden vom Schmerz und Tod gerettet sein. Wenn sie erwacht, wird das Phantom, welches sie beruhigt hat, verschwinden – die Nachricht kann ihr nicht lange vorenthalten bleiben – der Mörder Deines Bruders darf nicht hoffen, sich an Deinem Lächeln zu erfreuen – diese entzückenden Klänge, mit denen Du mich zu begrüßen pflegtest, werden verändert sein – Verachtung und Vorwürfe, die Schmähworte Deines Zornes und die Verwünschungen Deiner Gerechtigkeit werden auf mein Haupt fallen.«

Was ist das Glück, das ich zum Thema meiner prahlerischen Einbildung gemacht habe? Der Augenblick des Seins und der Ruhe ist vorübergehend, sie wird erwachen, aber nur um bei dem Schauspiele meiner Undankbarkeit zu sterben – sie wird nur zu dem Bewußtsein des jeden Augenblick drohenden Todes erwachen. Wenn sie wieder schläft, wird sie nicht mehr erwachen. Ich, ihr Sohn, den das Recht seiner Geburt zu Arbeit und Beschwerden bestimmt hat, den aber ihre unaufgeforderte Wohlthätigkeit diesen Uebeln entriß und mit dem höchsten, verständigen Wesen bekannten Guten begabte – mit den Tröstungen der Wissenschaft und den Genüssen des Reichthums – dem sie den Liebling ihres Lebens – das Kind, in dem sich die Züge seiner engelgleichen Mutter bewahren, nicht versagt hat! – Welches ist der Lohn, den ich ihr gegeben habe? – Wie habe ich die unermeßliche Schuld der Dankbarkeit, zu welcher sie berechtigt ist, abgetragen? So –

Ist mein Verbrechen nicht wieder gut zu machen? Giebt es nichts Gutes, was ich Dir erweisen kann? Muß ich nur Böses thun? Ist der mir zugewiesene Beruf der eines Sendlings der Hölle, dessen Bemühung sich nur auf ein einziges Ziel, und zwar auf ein böses richtet? Ich bin der Urheber Deines Unglücks – welches Elend Dir auch beschieden sei, so bin ich die Quelle, aus welcher es fließt. Kann ich dem Strome keine Schranken setzen? Kann ich nicht verhindern, daß Du zu einem Bewußtsein zurückkehrst, das, bis es aufhört, zu sein, unabläßlich zerfleischt und zerrissen werden wird?

Ja, es steht in meiner Macht, Dich vor den bevorstehenden Stürmen zu schützen. – Deine Reise zur Ruhe zu beschleunigen – ich will es thun.

Ich konnte dem Antriebe nicht widerstehen. Ich bewegte mich mit der Schnelligkeit des Blitzes. Ich war mit einem spitzigen Werkzeug bewaffnet, das dalag – es war ein Dolch; als ich die Lampe hinsetzte, berührte ich die Spitze desselben, aber ich sah oder beachtete ihn nicht eher, als bis ich seines Beistandes bedurfte. Ich besaß nicht die Macht zu fragen, durch welchen Zufall er hierher gekommen sei, oder zu welcher schwarzen That er schon gedient habe. Ich trat an den Tisch und ergriff ihn.

Die Zeit, welche zu dieser Handlung gehörte, genügte nicht zu meiner Rettung. – Mein Schicksal war von Mächten bestimmt, gegen die keine menschliche Kraft ankämpfen kann. – Brauche ich noch weiter fortzufahren? Haben Sie eine Ahnung von einer so entsetzlichen Katastrophe gehabt? Ich werde einmal von Schauer und dann wieder von Verwunderung überwältigt; ich fühle mich abwechselnd angetrieben, mir das Herz aus dem Busen zu reißen und dem Urtheil meiner Sinne den Glauben zu versagen.

War ich es, der zu der That eilte? Nein; es war der Dämon, der mich beherrschte. Meine Füße wurden von einer fremden und der meinigen überlegenen Kraft zu der blutigen That geführt: ich war auf einen Augenblick der Herrschaft über meine Muskeln beraubt – ein sehr kurzer Augenblick genügte dazu.

Warum blieb, wenn mein Verderben bestimmt war, das Bild Clarissa's so lange fern – aber warum sage ich lange? Der verhängnißvolle Entschluß war gefaßt, und ich eilte in einem Zeitraum zur Ausführung, der für mehr wie sich selbst zu kurz ist, als daß er von dem Verstande überblickt werden konnte.

Wie denn? Waren meine Hände in dieses kostbare Blut getaucht? Wollte mich mein böser Genius durchaus zu diesem Uebermaß des Entsetzlichen treiben? Dies war nur zu gewiß seine Absicht! – Ich war nur zu gewiß dazu geeignet, der Vollbringer zu sein.

Ich erhob die Waffe, – die Spitze richtete sich auf den Busen der Schlafenden – der Impuls war gegeben.

Im nämlichen Augenblick wurde hinter mir ein durchdringender Schrei ausgestoßen, und eine ausgestreckte Hand, welche die Klinge erfaßte, ließ sie weit von ihrem Ziele abweichen. Sie fuhr herab, aber ohne eine Wunde beizubringen, – ihre Kraft ging im Bett verloren.

O, wo soll ich Worte hernehmen, um diesen stürmischen Uebergang zu beschreiben. Ich ließ den Dolch los – ich fuhr zurück, und richtete Augen voll wahnsinniger Neugier auf die Urheberin meiner Rettung. Das Wesen, welches sich der Vollbringung meiner That entgegenstellte, war in einem so schicksalsschweren Augenblicke in Leben und Thätigkeit getreten, ohne daß seine Absicht oder sein Kommen vorher angedeutet worden wären, daß es meiner Ansicht nach nichts Geringeres wie die Gottheit sein konnte.

Der erste Blick, welchen ich auf dieses Wesen warf, bestärkte mich in meiner Voraussetzung. Es waren die Gestalt und die Züge der Mrs. Lorimer. Das Ebenbild der auf dem Bett Ausgestreckten stand nachlässig in weiße, fliegende Gewänder gekleidet, und mit Zügen, die von Entsetzen und Verwunderung erfüllt waren, vor mir.

Alles, was ich mir als einem Engel zugehörig denken kann, war in der moralischen Constitution dieser Frau inbegriffen. Daß ihr Genius alle Schranken übersprungen und sich eingemischt habe, um sie zu retten, war keine dieser Voraussetzungen in dem Zustande, in welchem sich mein Geist damals befand, konnte kein anderer Gedanke wie dieser die oberste Stelle einnehmen.

Meine Zunge war gefesselt: Ich blickte abwechselnd auf diejenige, welche vor mir stand, und diejenige, welche auf dem Bett lag und durch das ausgestoßene Geschrei geweckt, jetzt die Augen aufschlug – sie richtete sich von dem Kissen auf, und gestattete mir dadurch, daß sie eine andere, deutliche Stellung annahm, Clarissa selbst zu erkennen.

Drei Tage vorher hatte ich sie am Bett der sterbenden Freundin in einem einsamen Hause in den Bergen von Donegal verlassen. Sie hatte die Absicht gehabt, dort zu bleiben, bis ihre Freundin den letzten Athemzug gethan haben würde. Von dieser Ueberzeugung erfüllt, und da ich wußte, daß dies der Ort und die Stunde der Ruhe meiner Gebieterin war, durch das Ungestüm meiner Gedanken vorwärts getrieben, von dem schwachen Lichte getäuscht, das durch die Gardine drang und die Züge unvollkommen erleuchtete, welche jederzeit eine bedeutende Aehnlichkeit mit dem der Mrs. Lorimer hatten, war ich an den Rand dieses furchtbaren Abgrundes gestürzt.

Warum zögerte ich am Rande? Warum warf ich mich in dieser gefährlichen Lage nicht hinab! Ich hatte den Dolch noch in der Hand – ein einziger Stoß würde mein Herz durchdrungen und Vergangenheit und Zukunft aus meinem Gedächtniß verwischt haben.

Der Augenblick des Wahnsinns war vorüber gegangen und ich wurde wieder ich selbst – anstatt daß ich die That, welche ich beabsichtigt hatte, als das Urtheil des Mitleids oder der Gerechtigkeit betrachtet hätte, erhöhte sie die Größe meiner Undankbarkeit nur noch, und verlieh dem Wirbelwind, der ausgesandt war, um mich dem Verderben zuzuführen, neue Gewalt.

Vielleicht wurde ich von einem Gefühle angetrieben, zu dessen Zerlegung in einzelne Theile ich nicht die Macht hatte – mein Verstand war ohne Zweifel durch die Masse von Folgen, welche aus meiner Handlung hervorgehen mußten, betäubt. Wie sollte ich erklären, daß ich in dieser mörderischen Gestalt hierhergekommen war und den Arm erhoben hatte, um den Abgott meiner Seele und das zärtlich geliebte Kind meiner Gönnerin zu vernichten? Mit welchen Worten sollte ich die Geschichte Wiatte's mittheilen und die Beweggründe aufzählen, welche zu der jetzigen Scene geführt hatten? Welche Strafe hatte meine Verblendung und Grausamkeit nicht verdient? Was konnte ich Geringeres thun, wie die Spitze des Dolches gegen meine eigne Brust zu kehren?

Der Stoß wurde zum zweiten Male vereitelt und abgelenkt, noch einmal hielt diese wohlwollende Retterin meinen Arm von der Vollbringung einer neuen Schändlichkeit zurück – sie vereitelte wiederholt die Antriebe des Dämons, dessen Bosheit mich ein geheimnißvolles Geschick zum Spielwerk und zur Beute übergeben hatte.

Jeder neue Augenblick erhöhte die Summe meiner unerklärlichen Schuld – auf den Mord folgte im nächsten Augenblicke das noch verabscheuenswürdigere Verbrechen des Selbstmordes. Diejenige, gegen die meine Undankbarkeit in demselben Verhältniß stand, wie die Wohlthaten, welche sie mir erzeugte, hatte jetzt zu ihren Handlungen aus früherer Zeit, meine Bewahrung vor dem letzten Bösen hinzufügt.

Ich warf die Waffe zu Boden. Diese Handlung ließ den Eifer, der sie bewogen hatte, meinen Arm zu erfassen, erkalten, und den Empfindungen Platz machen, welche dieses Schauspiel zu wecken geeignet war. Sie betrachtete mich schweigend und mit der Stimme unbeschreiblicher Besorgniß. Clarissa, die durch den Instinkt der Schamhaftigkeit bewegt wurde, verbarg den Busen und das Gesicht im Kissen, und gab ihr Entsetzen durch heftige, aber kaum verständliche Ausrufungen zu erkennen.

Ich ging vorwärts, aber meine Schritte waren unsicher und schwankend, und meine Gedanken von Träumen gefesselt, meine Zunge bebte, ohne daß ich sprechen konnte und es war mir, als ob Tod und Leben in mir um die Oberhand kämpften.

Mein Wille war bei diesen Kampfe allerdings keineswegs munter. Für solche Menschen wie ich ist die Vernichtung das höchste Glück – die Uebel, welche sich an uns klammern, dadurch abzuschütteln, daß man das Dasein von sich wirft, ist ein Loos, welches das System der Natur den Menschen versagt hat. Wenn ich aus dem Leben entfloh, so würde ich von diesem Schauspiel befreit worden sein, aber ich wäre nur in eine Welt der Vergeltung geeilt und in neue Qualen gestürzt worden.

Ich sollte noch leben. Es gab kein Instrument zu meiner Befreiung innerhalb meines Bereichs; ich war machtlos, aus der Gegenwart dieser Frauen hinwegzustürzen, mich auf immer ihren Blicken und ihren Vorwürfen zu entziehen; jede Spur des Daseins Clithero's aus ihrem Geiste zu reißen, war das Ziel unendlichen Sehnens.

Obschon ich durch jeden Antrieb, dessen meine Natur fähig war, zur Flucht gedrängt wurde, fühlte ich mich doch an die Stelle gefesselt – wenn das Schweigen nur von mir hätte gebrochen werden dürfen, so würde es ewig gedauert haben.

Endlich faltete Mrs. Lorimer die Hände zum Himmel und rief, in einem Tone voll Mitleid und Kummer: »Clithero, was ist dies? Wie sind Sie hierher gekommen, und warum?«

Ich haschte nach Worten, »ich kam um Sie zu morden – Ihr Bruder ist durch meine Hände umgekommen. Von der Vollführung dieser Handlung bin ich hierher geeilt, um das nämliche Verbrechen an Ihnen zu begehen.«

»Mein Bruder!« antwortete Mrs. Lorimer mit neuer Heftigkeit. »O, sagen Sie das nicht, ich habe eben von Sarsefield von seiner Rückkehr gehört und daß er lebt.«

»Er ist todt,« wiederholte ich grimmig – »ich weiß es – ich bin es, der ihn getödtet hat.«

»Todt!« brachte sie mit matter Stimme heraus, »und durch Dich, Clithero! O! entsetzlicher Zufall, der Dich gehindert hat, mich gleichfalls zu morden. Todt! – Dann ist die Ahnung erfüllt – dann bin ich verloren! – Auf ewig verloren!«

Ihre Augen wendeten sich jetzt von mir ab, und ihr Gesicht nahm einen vollen, schmerzlichen Ausdruck an; die Hoffnung war in ihrem Herzen vollständig erloschen, und das Leben verließ sie im gleichen Augenblick – sie sank bleich und athemlos zu Boden.

Wie sie zu dieser Kenntniß kam, weiß ich nicht. Es ist möglich, daß Sarsefield seine Verheimlichung bereut hatte und in der Zeit, welche zwischen unsrer Trennung und meinen Zusammentreffen mit Wiatte lag, zurückgekehrt war, um ihr die Rückkehr dieses Bösewichts mitzutheilen.

So war also mein Schicksal erfüllt – ich wurde vor ihrer Vernichtung durch den Dolch bewahrt, nur um sie durch die Nachricht, welche ich brachte, umkommen zu sehen – so ging jede Ahnung von Unglück und Jammer in Erfüllung – so wurde die Feindseligkeit Wiatte's wirksam und das Werkzeug seiner Vernichtung verwandelte sich in den Vollstrecker seiner Rache.

Dies ist die Geschichte meiner Verbrechen. Es kommt mir nicht zu, zu hoffen, daß der Schleier der Vergessenheit jemals das düstre Schauspiel bedecken werde – es wird mich ewig verfolgen – die Qualen, welches es hervorruft, können nur mit meinem Dasein endigen, aber ich weiß recht gut, daß dieses nie enden wird – der Tod ist nur eine Veränderung des Schauplatzes und der endlose Gang der Ewigkeit, der für die Guten nur zur Vollendung der Seligkeit wird, ist für die Bösen eine Erhöhung des Jammers. Der Selbstmörder ist sein eigner Feind, ich bin stets dieser Meinung gewesen: sie hat bis jetzt auf meine Handlungen eingewirkt – jetzt ist ihr Einfluß auf mein Verhalten, obgleich ihr Glaube noch fortdauert, vernichtet – die Tiefe des Abgrundes, in welchen ich mich stürzen werde, ist mir nicht fremd – gleichviel, die Veränderung ist schon um ihrer selbst willen kostbar.

Nun, ich sollte noch fortleben; mein Aufenthalt mußte irgendwo gewählt werden; mein Verhalten sollte fortan das Resultat eines verderbten, rebellischen Triumphes sein; ich verbannte mich auf immer aus meinem Vaterlande, ich gelobte, nie wieder das Antlitz meiner Clarissa zu sehen, meine Freunde, meine Bücher, alle meine gewohnten Arbeiten und Erholungen aufzugeben.

Ich schämte mich weder, noch fürchtete ich mich. Ich überlegte nicht, in welcher Weise mich die Gerechtigkeit des Landes berühren werde – dies bildete keinen Theil meiner Ueberlegung. Ich war über die Wahl von Mitteln, um die sichtbaren Folgen zu verbergen und dem Verdacht zu entgehen, nicht in Verlegenheit. Der Gedanke, meinem Vaterlande zu entsagen und für immer von dem verhaßten Schauplatze zu entfliehen, hatte für meine Begriffe etwas Ausgedehntes, Grenzenloses und Seltsames – daß ich mich aus der Höhe des Reichthums in Dunkelheit und Armuth stürzen wollte, stimmte zu meinem gegenwärtigen Geisteszustande, es bildete eine Fortsetzung der entsetzlichen, wunderbaren Ereignisse, die sich eben zugetragen hatten.

Dies waren die Bilder, welche mich erfüllten, während ich sprachlos, auf das Verderben vor mir blickend, dastand. Ich hörte Geräusch von Außen, oder glaubte es zu hören – meine Träume wurden unterbrochen und meine Muskelkraft kehrte wieder zurück. Ich stieg nach der Straße hinab durch Thüren, zu welchen ich die Schlüssel besaß und eilte auf dem kürzesten Wege aus dem Umkreis der Stadt fort. Ich hatte keinen Plan entworfen, meine Begriffe in Bezug auf die Zukunft waren gestaltlos und verwirrt – die einander folgenden Ereignisse gaben mir einen Anhaltspunkt und riefen, während sie sich zutrugen, den nächsten zu thuenden Schritt hervor.

Ich warf das Gewand des Reichthums ab und legte Bettlerkleidung an. Daß ich Geld zur Ausführung meiner Absichten bei mir hatte, war rein zufällig. Ich reis'te an der Küste entlang, und wenn ich in einer Stadt ankam, so wußte ich nicht, warum ich weiter gehen sollte, aber meine Ruhelosigkeit blieb unverändert und die Veränderung gewährte wenig Erleichterung. Endlich kam ich in Belfast an. Es wurde eben ein Schiff für Amerika geladen. Ich ergriff hastig die Gelegenheit, nach einem anderen Welttheile zu gelangen. Ich kam in Philadelphia an. Sobald ich gelandet war, wanderte ich hierher, und ergab mich darein, meine wenigen, noch übrigen Tage im Dienste Inglefield's zu verbringen.

Ich habe keine Freunde – warum sollte ich meine Geschichte einem Andern anvertrauen, ich bemühe mich nicht, sie geheim zu halten, aber wer kann aus meiner Geschichte Vergnügen oder Nutzen ziehen? Und warum soll ich bei einem solchen widerlichen Thema verweilen? Und doch habe ich mich jetzt dazu verstanden. Ich habe Ihnen die Geschichte meines Unglücks mitgetheilt. Ich fürchte den Gebrauch, den Sie davon zu machen geneigt sein könnten, nicht; ich werde mich bald außer den Bereich der menschlichen Tribunale bringen – ich werde den Dienern des Gesetzes die Mühe der Strafe ersparen. Die neuerlichen Ereignisse, welche sie veranlaßt haben, mich zu dieser Zusammenkunft aufzufordern, haben mich auch zu dem Entschlusse gebracht, diese Aufklärung zu geben.

Ich habe eine Zeit lang von meinen unruhigen Schlafe nichts gewußt. Es ist kein Wunder, daß der Schlaf einen solchen Jammer, wie den meinen, nicht beruhigen kann, daß ich von der Erinnerung eben so im Wachen wie im Schlafen verfolgt werde, aber ich gerieth aufs Neue über die Entdeckung in Betrübniß, daß meine Gedanken den Weg zu meinen Lippen fanden, ohne daß ich etwas davon wußte, und daß meine Schritte ohne mein Wissen und ohne die Leitung meines Willens hinauswanderten.

Die Geschichte, welche Sie mir erzählt haben, ist nicht unglaublich, das Unglück, von welchem Sie sprechen, hat mein Bedauern erregt. Ich kann noch über den vorzeitigen Fall der Jugend und des Werthes weinen. Ich vermag meine Besuche an diesem düstern Orte nicht anders zu erklären, wie durch die entfernte Aehnlichkeit, welche der Tod dieses jungen Mannes gehabt hat, dessen Vollbringer ich gewesen bin. Diese Aehnlichkeit fiel mir zuerst auf – wenn die Zeit im Stande wäre, den Eindruck zu schwächen, der durch mein Verbrechen hervorgebracht worden ist, so war diese Aehnlichkeit genügend, ihn wieder aufzufrischen und zu verstärken.

Die Wildniß und die Höhle, nach welcher sie mir gefolgt sind, waren mir aus meinen siebentäglichen Umherschweifungen bekannt. Ich habe mich oft auf den Felsen jenes Thales meinen Schmerzen hingegeben, oft in den Tiefen jener Höhle über meinen Kummer gebrütet. Dieser Schauplatz paßt zu meiner Stimmung. Seine Gebirgsrauhheit führt mir Bilder der Verödung und Abgeschiedenheit vor und seine brausenden Bäche wiegen mich in eine zeitweilige Vergessenheit der Menschheit ein.

Ich verstehe Sie; Sie hegen gegen mich den Verdacht der Theilnahme an dem Tode Waldegrave's – Sie können nicht anders – das Benehmen, von welchem Sie Zeuge gewesen sind, war das eines Mörders. Ich will Ihnen für Ihren Argwohn keine Vorwürfe machen, obgleich ich für die Befreiung von demselben einen hohen Preis bezahlt habe.«


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