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Zweiter Brief.

An denselben.

Jetzt will ich die näheren Umstände erzählen, deren Mittheilung ich Ihnen gestern versprochen habe. Sie haben von Ihrer Nichte meine Ankunft bei Inglefield in Solebury gehört. Sie können sich leicht denken, daß sich meine Fragen auf das Schicksal des Untergebenen meines Freundes, Clithero, richten würden, dessen letztes Verschwinden so geheimnißvoll und plötzlich war und von dem ich seit jener Zeit nichts gehört hatte. Sie sind gleichgültig gegen sein Schicksal und wünschen nur, daß sein Dasein und sein Unglück bald vergessen werde – ich gestehe, daß es sich mit mir etwas anders verhält: ich bedauere ihn; ich wünsche ihm Erleichterung zu verschaffen und kann dem Glauben, daß sein Elend keine Heilung zulasse, nicht Raum geben. Ich wünsche ihn ausfindig zu machen – seinen Zustand kennen zu lernen und ihm womöglich Trost zu gewähren und Muth und Hoffnung einzuflößen.

Inglefield antwortete auf meine Fragen: »Ach, ja! Er hat sich gezeigt – das seltsame Wesen ist wieder auf dem Schauplatz! Bald, nachdem er sein Krankenlager verlassen hatte, hörte ich von Philipp Beddington von Chetasco, daß die Hütte Deb's einen neuen Bewohner gefunden habe. Anfangs glaubte ich, daß der Schotte, welcher sie erbaut hatte, zurückgekehrt sei; aber als ich genauere Nachforschungen anstellte, fand ich, daß der neue Bewohner mein Diener sei. Ich hatte nicht die Absicht, ihn selbst zu besuchen, fragte aber oft nach ihm bei denen, die in der Gegend lebten oder dort vorüber kamen, und finde, daß er noch dort wohnt.«

»Aber wie,« fragte ich – »wovon erhält er sich? Der Winter ist keine Zeit zum Bebauen des Bodens gewesen und vermuthlich hat er auf dem Felde nichts gefunden.«

»Die Hütte Deb's,« antwortete mein Freund, »ist seine Wohnung und sein Zufluchtsort, aber er verschafft sich Nahrung und Kleidung dadurch, daß er auf einer benachbarte Farm arbeitet. Diese Farm stößt an die Beddington's, der in Folge dessen seine jetzige Lage einigermaßen kannte. Ich finde in seinem jetzigen Verhalten wenig oder gar keinen Unterschied und ebenso in dem Aussehen, welches er hatte, während er bei mir lebte, außer daß er sich jeden Abend in seine Hütte zurückzieht und mit der übrigen Menschheit so wenig Verkehr wie möglich unterhält. Mittags ißt er bei seinem Herrn, aber sein Abendessen, das in nichts wie Roggenbrod besteht, nimmt er mit nach Hause, und wenn er von der Arbeit frei ist, schließt er sich stets in seine Hütte ein oder schweift umher, ohne daß Jemand weiß, wo.«

Dies war das Wesentlichste der Nachrichten Inglefield's. Sie gewährten mir einige Befriedigung; sie beweisen, daß der Zustand Clithero's weniger beklagenswerth und verzweifelt sei, wie ich vorher geglaubt hatte; seine verhängnißvollem düsteren Gedanken schienen einigermaßen der Ruhe Platz gemacht zu haben.

Im Laufe meines Nachdenkens konnte ich jedoch, nicht umhin, einzusehen, daß sein Zustand, wenn er auch seinem frühern weit vorzuziehen sein mochte, doch im Vergleich mit seinen Jugendhoffnungen und seinen wirklichen Verdiensten ebenso unglücklich und demüthigend sei; daß ein solcher Mensch sein Leben in diesem ungeselligen, wilden Zustande dahin schleppen solle, war tief zu beklagen. Ich hatte die Pflicht, ihn wo möglich zu bewegen, daß er seine Absicht aufgab, – und was bedurfte es zu diesem Zwecke weiter, wie ihm die Wahrheit mitzutheilen?

Die Ursache zu seiner Niedergeschlagenheit lag in dem grundlosen Glauben, daß er den Tod seiner Wohlthäterin herbeigeführt habe, und nur dieser allein konnte mit Recht Gewissensbisse oder Kummer hervorrufen. Es war sowohl von seiner, wie von meiner Seite eine irrige Einbildung, welche diese Ansicht hervorgerufen hatte, da die Ausdrücke seiner Erzählung, wenn man sie unpartheiisch überlegte, diese Catastrophe keineswegs bewiesen. Für ihn war jedoch das Zeugniß, welches er besaß, unwiderleglich. Keine Folgerungen aus Wahrscheinlichkeit konnten diesen Glauben beseitigen, dies war nur durch ähnliche, gegentheilige Beweise zu bewirken. Wenn er benachrichtigt würde, daß sie jetzt lebe, im Besitz eines gewissen Grades von Glück, die Gattin Sarsefield's und jetzt eine Bewohnerin dieses Landes sei, so mußte dies das blutige Gespenst verscheuchen, welches ihn verfolgte, seine kranken Geisteskräfte heilen, ihn dem Berufe zurückgeben, für welchen ihn seine Talente und die Stellung in der Gesellschaft befähigt hatten.

In Folge dieser Ueberlegung beschloß ich, seinen Zufluchtsort aufzusuchen. Da ich Solebury am folgenden Tage verlassen mußte, so nahm ich mir vor, mich am nämlichen Nachmittag auf den Weg zu machen, in Chetasco über Nacht zu bleiben und seine Wohnung zu einer Zeit aufzusuchen, wo er sich. vermuthlich in dieselbe zurückgezogen haben würde.

Dies geschah. Ich kam bei Einbruch der Nacht bei Beddington an. Auf meine Fragen in Bezug auf Clithero wurde mir die nämliche Auskunft zu Theil, welche ich von Inglefield erhalten hatte. Die Hütte Deb's war nur drei Stunden entfernt und als der Abend ein wenig vorgerückt war, begab ich mich dorthin. Dies war der Ort, wo mir voriges Jahr so viele Gefahren gedroht hatten, und als ich mich ihm näherte, wurde ich von furchtbaren Gefühlen erfüllt. Ich ging mit klopfendem Herzen und schnellen Schritten den auf beiden Seiten von Gebüsch eingefaßten Weg entlang und über den freien Platz vor dem Hause. Die Wohnung war keineswegs in einem so verfallenen Zustand, wie bei meinem letzten Besuche. Die Spalten zwischen den Stämmen waren ausgefüllt worden und ich konnte das Licht nur durch einen Ritz in der Thür bemerken.

Als ich durch diesen Ritz sah, bemerkte ich ein Feuer auf dem Herde, aber der Gegenstand meines Besuches war nirgends zu erblicken. Ich klopfte und forderte Einlaß, erhielt aber keine Antwort. Endlich drückte ich die Klinke nieder und trat ein. Es war Niemand zugegen.

Es ließ sich leicht voraussetzen, daß Clithero auf kurze Zeit ausgegangen sei und bald zurückkehren werde, oder vielleicht hatte ihn etwas länger wie gewöhnlich bei seiner Arbeit zurückgehalten. Ich setzte mich daher auf einen Haufen Stroh neben dem Feuer, der nebst einem Stück Wollenzeug sein ganzes Bett zu bilden schien. Die plumpe Bettstelle, welche ich früher gefunden hatte, war verschwunden, ebenso der wenige Hausrath, welcher damals meine Aufmerksamkeit erregte. Es fand sich nichts, was einem Menschen von Nutzen sein konnte, wie in einer Ecke ein Haufen Scheite, die zu Brennholz bestimmt zu sein schienen. Wie unbedeutend sind die Bequemlichkeiten, welche die Natur dem Menschen geliefert hat, und wie geringfügig ist der Antheil, welchen unsere körperlichen Bedürfnisse fordern!

Während ich über dieses Schauspiel nachdachte und frühere Ereignisse mit den Gegenständen vor mir verglich, verstummte draußen das dumpfe Pfeifen des Windes vor dem Schall von Schritten. Gleich darauf öffnete sich die Thür und Clithero trat in das Gemach. Sein Aussehen und seine Kleidung waren nicht sehr von denen verschieden, welche er hatte, als er ein Bewohner von Solebury war.

Es schien ihn in das höchste Erstaunen zu versetzen, daß er seinen Platz von einem Anderen eingenommen sah. Er sah mich ohne das geringste Zeichen des Erkennens an! Sein Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an und nachdem er mich ein Paar Sekunden finster betrachtet hatte, wendete er die Augen ab, legte sein Bündel, welches er in der Hand hatte, in eine Ecke, drehte sich um und schien sich entfernen zu wollen.

Ich beobachtete aufmerksam sein Benehmen und sobald ich seine Absicht, sich zu entfernen, erkannte, sprang ich auf, um es zu verhindern. Ich ergriff seine Hand, drückte sie liebevoll und fragte: »Kennen Sie mich? Haben Sie mich, der Ihr wahrer Freund ist, sobald vergessen?«

Er betrachtete mich mit einiger Aufmerksamkeit, wendete aber wieder die Augen ab und setzte sich schweigend auf den Platz, den ich verlassen hatte. Ich setzte mich neben ihn und es herrschte eine Zeit lang Schweigen.

Mein Geist war von der Absicht erfüllt, welche mich hierher geführt hatte, aber ich wußte nicht, auf welche Weise ich meine Gedanken mittheilen sollte – ich öffnete zu verschiedenen Malen die Lippen, um zu sprechen, aber meine Verlegenheit dauerte fort und die geeigneten Worte wollten sich nicht darbieten. Endlich sagte ich in unbefangenem Tone:

»Ich bin mit der Absicht hierher gekommen, einem Manne von Nutzen zu sein, mit dessen Unglück mich seine eigenen Lippen bekannt gemacht haben und der in meinem Herzen das tiefste Mitgefühl erregt hat. Ich kenne die Ursache und die Größe seines Kummers – ich kenne das Ereigniß, welches in seinem Herzen das Entsetzen und Reue geweckt hat. – Er glaubt, daß durch ihn seine Wohlthäterin und Freundin einen frühen Tod gefunden habe.«

Diese Worte riefen bei meinem Gefährten eine sichtbare Erschütterung hervor, welche bewies, daß ich wenigstens seine Aufmerksamkeit erweckt habe. Ich fuhr fort:

»Diese unglückliche Dame hatte leider einen schlechten, unnatürlichen Bruder; sie hegte eine ungemessene Liebe für ihn und glaubte irrigerweise, daß ihr Leben an das seinige geknüpft sei, daß ihr Leben nothwendigerweise zu gleicher Zeit endigen werde – und daß daher derjenige, welcher die Ursache seines Todes würde, ebenso in Folge eines verhängnißvollen, unabwendbaren Verhängnisses der Urheber des ihrigen sein müsse.

Clithero war ihr Diener, wurde aber durch ihre Güte zu der Stelle eines Sohnes und dem Range eines Freundes erhoben. Clithero nahm aus Nothwehr diesem unnatürlichen Bruder das Leben und glaubte irrthümlicherweise, aber bestimmt, die Vernichtung seiner Wohlthäterin herbeigeführt zu haben.

Um sich von der Wahrheit zu überzeugen, suchte er sie auf. Er fand sie, theilte ihr die Nachricht von dem Tode ihres Bruders mit und sie sank besinnungslos zu seinen Füßen nieder.«

Bei diesen Worten sprang Clithero auf und warf Blicke grimmiger Entrüstung auf mich.

»Und sind Sie deshalb hierhergekommen –« murmelte er, »um mir mein Vergehen vorzuhalten und mich wieder zur Verzweiflung zu treiben?«

»Nein,« antwortete ich schnell, »ich bin gekommen, um eine unglückliche, aber mächtige Täuschung auszurotten – ich bin gekommen, um Ihnen zu versichern, daß die Frau, deren Tod Sie sich aufbürden, nicht todt ist!«

Diese Worte, welche ich mit dem feierlichsten Nachdruck aussprach, riefen einen Blick hervor, in welchem sich Verachtung und Zorn mischte. – Er blieb stumm.

»Ich bemerke,« fuhr ich fort, »daß meine Worte unbeachtet bleiben. Wollte Gott, daß ich im Stande wäre, Ihren Unglauben zu besiegen und Ihnen nicht allein die Wahrheit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit meiner Erzählung zu beweisen. Können Sie mir nicht glauben, daß Euphemia Lorimer jetzt lebt – glücklich und die Gattin Sarsefield's ist – daß sie ihren Bruder vergessen hat und seinen Mörder ohne Feindseligkeit oder Rachegefühl betracht.«

Er sah mich mit einem seltsamen Ausdruck der Verachtung an.

»Nun,« sagte er endlich, »beweise, daß Deine Behauptung wahr ist – falle auf die Knie und beschwöre die Blitze des Himmels auf Dein Haupt herab, wenn Deine Worte falsch sind. – Schwöre, daß Euphemia Lorimer lebt, Wiatte vergessen hat und mich bemitleidet! – Schwöre, daß Du sie gesehen, mit ihr gesprochen und von ihren eigenen Lippen die Betheuerung gehört hast, daß sie denjenigen bedauert, der auf ihre Brust einen Dolch gezückt hat. Schwöre, daß sie die Gattin Sarsefield's ist.«

Ich faltete die Hände, richtete die Augen nach oben und rief:

»Ich erfülle Ihre Bedingungen – ich nehme den allmächtigen Gott zum Zeugen, daß Euphemia Lorimer lebt, daß ich sie mit diesen Augen gesehen, mit ihr gesprochen und Monate lang das nämliche Haus mit ihr bewohnt habe!«

Er hörte diese Betheuerungen mit einem Schauder an, aber der Ausdruck der Ungläubigkeit und der Verachtung verschwand nicht.

»Vielleicht,« sagte er, »kannst Du mir ihren Aufenthaltsort nennen – mich nach der Stadt, der Straße, ja, bis an die Thüre ihrer Wohnung führen.«

»Das kann ich. Sie wohnt in diesem Augenblicke in der Stadt New-York auf dem Broadway, in einem Hause neben dem – «

»Gut!« rief mein Gefährte in lautem, scharfem und im höchsten Grade heftigen Tone. »Gut! Unbesonnener und verblendeter Jüngling, Du hast Dein Schicksal unwiderruflich besiegelt – Du hast noch einmal meine Schritte entfesselt und mich auf eine furchtbare Reise ausgesendet – Du hast mir die Mittel gegeben, Deine Lüge zu enthüllen! Ich will nach dem Orte eilen, den Du beschreibst, ich will mich mit meinen eigenen Augen von der Unwahrheit überzeugen. Wenn sie lebt, so bin ich zur Vollbringung eines neuen Verbrechens bestimmt – mein böses Geschick verlangt es so – wenn sie todt ist, so werde ich Dich büßen lassen.«

Mit diesen Worten stürmte er durch die Thür und war in einem Augenblicke meinen Blicken und der Möglichkeit, ihn zu erreichen, entschwunden. Ich eilte hinaus, sah mich nach allen Seiten um und rief, aber mein Rufen wurde vergebens wiederholt – er war mit der Schnelligkeit eines Rehes entflohen.

Meine Verlegenheit, Verwirrung und mein Entsetzen waren unaussprechlich. Seine letzten Worte hatten keinen Zusammenhang – sie verriethen die Verwirrung und die Heftigkeit des Wahnsinns – sie verkündeten den Entschluß, Ihre Gattin aufzusuchen. Ich hatte ihm eine Andeutung gegeben, die ihn nothwendigerweise in ihre Nähe führen mußte. Was stand von dem Zusammentreffen nicht zu befürchten! Clithero ist wahnsinnig – diese Wahrheit kann nicht geleugnet werden. Ihre Gattin kann nur schwer ihre Ruhe bewahren, wenn sein Bild vor ihr Gedächtniß tritt; was muß nicht erst geschehen, wenn er in seiner vernachlässigten, wilden Gestalt vor ihr erscheint, und vielleicht plötzlich mit den so furchtbaren Vorsätzen vor sie tritt wie die waren, welche ihn in ihr geheimes Zimmer und an ihr Bett führten!

Seine Absicht wurde dunkel ausgesprochen; er sprach von einer That, zu deren Vollbringung ihn sein boshaftes Geschick aufbewahrt habe, welche auf ihr Zusammentreffen folgen und ein unheilvolles Zeugniß der Bethörung liefern sollte, die mich hierher geführt hatte.

Der Himmel gebe, daß sich Ihnen ein Mittel darbietet, seine Annäherung zu vereiteln! Und doch weiß ich nicht, welcher Ausweg zu ersinnen wäre. Ein wunderbarer Zufall kann Ihnen vielleicht günstig sein, aber dies steht kaum zu hoffen – es ist ein eingebildeter, phantastischer Grund, auf welchen wir unsere Sicherheit bauen können.

Ich kann nicht vergessen, daß meine unglückselige Kühnheit diese Gefahr herbeigeführt hat, aber wer war im Stande, diese Folge meiner Mittheilung vorauszusehen? Ich glaubte, daß Clithero nur das Opfer irregeleiteter Dankbarkeit, ein Sclave der Irrthümer seiner Erziehung und der Vorurtheile seines Standes sei – daß sein Verstand durch Phantome unter der Maske der Jugend und der Pflicht irre geleitet werde und nicht, wie Sie beharrlich behauptet haben, völlig zerrüttet wäre.

Ich werde Ihrem Tadel nicht entgehen, aber auch Ihr Mitleid erlangen. Ich habe nicht aus düsteren oder bösen Absichten, sondern auf den Antrieb irregeleiteten, aber wirklich mächtigem Wohlwollens gefehlt.

E. H.


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