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Siebentes Kapitel.


Hier, meine Freundin, mußt Du mir gestatten, eine Pause zu machen. Die nachfolgenden Vorfälle sind der Art, daß die feurigste Phantasie ihres Gleichen nie ersonnen hat – man hätte dem Schicksal in seiner launenhaftesten Bestimmung nie einen ähnlichen Einfluß zutrauen sollen.

Diese Scene rief das höchste Erstaunen und Entsetzen hervor. Ich kann sie mir selbst jetzt nicht in das Gedächtniß zurückrufen, ohne den Schauder und das Grauen wieder zu wecken, welche ich damals empfand.

Vielleicht wird die Zeit kommen, wo ich ohne Schmerz auf die Gefahren zurückblicken kann, welche ich bestanden habe. Aber diese Zeit ist noch fern. Die Einsamkeit und der Schlaf sind jetzt nichts wie die Zeit zur Heraufbeschwörung einer Schaar häßlicher Phantome. Hungersnoth und Blindheit, der Tod und wilde Feinde werden stets durch die Stille und die Dunkelheit der Nacht heraufbeschworen; ich kann sie durch keine Anstrengung des Verstandes verscheuchen – meine Feigheit bedarf der fortwährenden Beruhigung durch das Licht. Mein Herz bebt, wenn ich das Sinken der Sonne bemerke, und ich schlafe nie, ohne daß ein Licht neben meinem Bett brennt. Wenn ich zufällig erwache, und mich in Dunkelheit gehüllt finden sollte, so weiß ich nicht, zu welcher Handlung der Verzweiflung ich mich vielleicht plötzlich getrieben sehen sollte.

Ich habe mit dieser Erzählung länger gezögert, wie es die Pflicht gegen meine Freundin gebot. Jetzt, wo ich im Stande bin, die Feder zu führen, will ich mich beeilen, die Ungewißheit zu zerstreuen, in welche Dich mein Schweigen versetzt hat. Ich will Dir die Folgen unheilvoller und unerhörter Heimsuchungen, welche den letzten Abschnitt meines Lebens gebildet haben, in das Gedächtniß zurückrufen.

Ich bin jedoch nicht überzeugt, daß ich sie auf verständliche Weise werde erzählen können; ein Bild verschwimmt mit dem anderen, die Gefühle drängen sich in so schneller Folge, daß ich fürchte, ich werde unfähig sein, sie mit gehöriger Deutlichkeit zu ordnen und auszudrücken. Wenn ich zurückblicke, klopft mir das Herz in der Brust peinlich; ich werde mir eines gemischten Gefühls des Schmerzes und der Verlassenheit bewußt, das sich durch Worte nicht vollkommen darstellen läßt, aber ich muß es versuchen, so gut ich kann. Bei der höchsten Kraft meiner Geistesfähigkeiten würde keine mir zu Gebote stehende Beredtsamkeit der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren lassen können; in meinem jetzigen hinfälligen, matten Zustande werde ich Dir wenig mehr wie eine Andeutung der Wahrheit geben – mit diesen Andeutungen mußt Du Dich zufrieden geben, so flüchtig und undeutlich sie auch sind.

Ich habe gesagt, daß ich schlief; mein Gedächtniß versichert mir dies – es theilt mir die vorhergehenden Umstände mit – wie ich die Kleider ablegte, das Licht auf einen Stuhl stellte, wo ich es von meinem Lager aus erreichen konnte, mich auf das Bett warf und auf die Strahlen des Mondes blickte, die auf die Wand fielen und durch die des Lichts fast verdunkelt wurden; ich erinnere mich, daß ich zuweilen in unzusammenhängendes Sinnen, den Verboten des Schlafes, versank – ich besinne mich so zu sagen auf den Augenblick, wo meine Gedanken aufhörten zu fließen und meine Sinne durch den bleiernen Stab des Vergessens erdrückt wurden.

Meine Rückkehr zum Gefühl und zum Bewußtsein fand an keinem so ruhigen Orte statt. Ich erwachte in so langsamer und undeutlicher Stufenfolge aus der Bewußtlosigkeit, daß ihr Gang nicht zu bezeichnen ist. Als ich endlich im Stande war, mich der Ueberzeugung hinzugeben, welche mir meine Sinne gewährten, war ich eine Zeit lang nur meines Daseins bewußt. Diese begleitete weder Mattigkeit noch Schmerz, aber ich fühlte mich abgeneigt, meine Glieder auszustrecken oder die Augenlider aufzuschlagen. Meine Gedanken waren wirr und wild, und obgleich das Bewußtsein vorhanden war, stand es doch in keiner Verbindung mit der Bewegungs- oder Willenskraft.

In diesem Zustande ging bald eine Veränderung vor. Ich bemerkte, daß ich auf dem Rücken lag. Ich versuchte die Augen zu öffnen – das Gewicht, welches auf ihnen lastete, war zu groß, als daß es durch eine geringe Anstrengung hätte beseitigt werden können! Der Versuch verursachte mir einen heftigen Schmerz, wie ich ihn niemals gefühlt hatte; meine Augen öffneten sich jedoch, aber die Dunkelheit, welche mich umhüllte, war noch eben so tief wie vorher.

Ich versuchte aufzustehen, aber meine Glieder waren kalt und meine Gelenke hatten fast ihre Biegsamkeit verloren. Ich wiederholte meine Bemühungen und kam endlich zu einer sitzenden Stellung. Jetzt fühlte ich Schmerzen in meinen Schultern und auf dem Rücken; ich befand mich vollständig in dem Zustand, in welchen der Körper durch unbarmherzige und unaufhörlich wiederholte Knutenschläge versetzt wird; meine Schläfe pochten heftig und mein Gesicht war mit kalten, feuchten Tropfen bedeckt, aber was mich in die tiefste Bestürzung versetzte, war meine Unfähigkeit, zu sehen. Ich wendete den Kopf nach verschiedenen Seiten, ich zog die Lider in die Höhe und strengte die Sehkraft auf jede mögliche Weise an, aber vergebens – ich war von der finstersten, tiefsten Dunkelheit umhüllt.

Die erste Folge des Nachdenkens war der Glaube, daß ich blind sei. Man weiß, daß dieses Uebel augenblicklich und ohne vorhergehende Andeutungen eintreten kann. Dies war gewiß das Unglück, welches mich jetzt überrascht hatte; ein, wenn auch noch so schwacher und ungewisser Strahl mußte nothwendig zu erkennen sein, wenn die Sehkraft nicht vollständig vernichtet war. In welche Lage konnte ich möglicherweise gerathen, wo jedes Lichttheilchen auf eine andere Weise ausgeschlossen sein solle.

Dies gab meinen Gedanken eine andere Richtung. Ich versuchte, mir die Vergangenheit in das Gedächtniß zurückzurufen, aber die Vergangenheit stand zu sehr im Widerspruche mit der Gegenwart und mein Geist war durch äußere Gewalt in zu hohem Grade erschüttert, um sie mit Genauigkeit zu überblicken.

Da mir mein Sehvermögen zum Erkennen meiner Lage nichts nützte, so nahm ich andere Mittel zu Hülfe. Die Luft, welche ich einathmete, war still und kalt, der Ort, wo ich lag, kalt und hart; ich war weder bekleidet noch nackt – ein Hemd und Beinkleider bildeten meinen Anzug und die Schuhe und Strümpfe, welche mich stets bekleideten, fehlten jetzt. Was sollte ich aus dieser spärlichen Bekleidung, dieser finstern Atmosphäre und diesem Steinlager schließen?

Ich war aus dem Schlummer erwacht; in welchem Zustande hatte ich mich vor dem Einschlafen befunden? Er war doch gewiß verschieden mit dem jetzigen gewesen. Damals bewohnte ich ein helles Zimmer und war auf ein Federbett ausgestreckt; jetzt lag ich auf einer rauhen Fläche auf dem Rücken und sah mich von greifbarer Finsterniß umhüllt; damals erfreute ich mich vollkommener Gesundheit, jetzt war mein Körper mit Verletzungen bedeckt und jedes Glied wurde von Schmerzen durchwühlt. Welches Gefängniß oder welche Höhle hatte mich aufgenommen und auf wessen Befehl war ich hierher geschafft worden?

Nach wiederholten Bemühungen erreichte ich endlich eine aufrechte Stellung. Anfangs taumelte und wankte ich. Ich streckte die Hände nach allen Seiten aus, traf aber nur einen leeren Raum. ich ging vorwärts, beim ersten Schritte berührte mein Fuß einen Gegenstand, der an der Erde lag. Ich bückte mich und bemerkte, daß es mein indianischer Tomahawk sei. Dies bot mir keinen Anhalt, aus welchem ich auf meinen Zustand schließen konnte.

Als ich langsam und entschlossen vordrang, berührten endlich meine Hände eine Wand. Diese war wie der Boden von Stein und uneben und undurchdringlich – ich folgte dieser Wand. In geringer Entfernung befand sich eine vorspringende Ecke vor. Ich fuhr fort, dieser Spur zu folgen, bis der Verdacht in mir aufstieg, daß ich nur an der Mauer eines großen, unregelmäßigen Raumes im Kreise umhergehe.

Die vollständige Finsterniß verhinderte mich, die Richtung und Entfernung zu vergleichen. Diese Entdeckung wurde demnach nicht schnell gemacht und war noch mit einigem Zaudern verknüpft; mein Blut erlangte wieder einige Wärme und meine Muskeln etwas Elasticität; aber in demselben Verhältniß, wie mein Gefühl zurückkehrte, wuchs auch mein Schmerz, meine Furcht und Qual überwältigten mich und ich gab mein fruchtloses Forschen auf und setzte mich, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, nieder.

Mein peinigendes Schmerzgefühl nahm eine Zeit lang meine Aufmerksamkeit in Anspruch, denn es trat allmälig eine Art Delirium hervor; ich lebte, so zu sagen, in einem wachen Traume; da nichts meine irrigen Begriffe berichtigen konnte, so zogen die Bilder der Vergangenheit in launenhafter Entfernung an mir vorüber. Es war mir, als ob ich das Opfer eines Tyranns sei, der mich in ein Verließ seiner Burg geworfen und mir keine Kraft übrig gelassen habe, zu erkennen, ob er beabsichtige, mich verhungern oder ein langes Leben in hoffnungsloser Gefangenschaft dahinbringen zu lassen. Ich rieth vergebens, ob der Tag durch undurchdringliche Mauern ausgeschlossen oder ob die Dunkelheit eine Folge der Nacht oder der Kleinheit der Oeffnung sei, welche die Bestimmung hatte, das Tageslicht herein zu lassen.

Zuweilen hielt ich mich für lebendig begraben – es war mir, als ob ich in Scheintod verfallen sei und mich meine Freunde dem Grabe übergeben hätten, aus dem ein Auferstehen unmöglich war – der Gedanke, daß in einem solchen Falle meine Glieder in einen Sarg und mein Sarg in ein Grab gebracht worden sein würden und daß ich augenblicklich erstickt wäre, stieg nicht in mir auf, um meine Vermuthung zu vernichten, und diese Vermuthung erfüllte mich auch weder mit Entsetzen, noch beschleunigte sie meine Anstrengungen, mich zu befreien; mein Zustand war voller Unruhen und Verwirrung und meine Aufmerksamkeit theilte sich unaufhörlich zwischen meinen schmerzlichen Empfindungen und meinen fieberhaften Träumen.

Es giebt keinen Maßstab, nach welchem die Zeit abgemessen werden kann, wie die Folgen unserer Gedanken, welche in der äußeren Welt stattfinden, und von letzterer war ich vollständig ausgeschlossen, erstere ließ den Zeitraum von einigen Stunden dem Dahinschleppen an Wochen und Monaten gleichen. Endlich rief ein neues Gefühl meine umherschweifenden Gedanken wieder zurück und verlieh meinen Befürchtungen eine Grundlage. Ich fühlte jetzt das Nagen des Hungers und gewahrte, daß ich einem langsamen, quälenden Tode entgegen gehe, wenn meine Befreiung nicht schnell bewerkstelligt wurde.

Ich strengte meinen Verstand und meine Sinne aufs Neue an, um die Beschaffenheit meiner jetzigen Lage und die Mittel, mich ihr zu entziehen, zu entdecken. Ich lauschte, um irgend einen Ton zu vernehmen – ich hörte einen ungleichen, schwankenden Wiederhall, zuweilen in großer Nähe und dann wieder in der Entfernung, der einmal verstummte und dann wieder laut wurde. Es war Allem, was ich je zuvor gehört hatte, unähnlich; aber es lag auf der Hand, daß er durch den Wind hervorgebracht wurde, der durch geräumige Hallen und verschlungene Gänge brauste. Diese Zeichen waren unvereinbar mit dem Ergebniß der Untersuchung, welche ich angestellt hatte. Wenn mich meine Hände nicht täuschten, so war ich zwischen Wänden eingeschlossen, zu welchen es keinen Zugang gab.

Jetzt strengte ich meine Stimme an und rief, so laut es meine erschöpfte Kraft erlaubte; der Wiederhall wurde in gebrochenen, verminderten Tönen und von oben zurückgeworfen. Dieser Versuch war zufällig, aber er zerstreute augenblicklich einen Theil der Ungewißheit, in welcher ich schwebte. Ich habe den Rand der Vertiefung erwähnt, an welchem ich angekommen war, als ich am Tage vorher durch die Höhle ging – ich hatte, um mich so weit wie möglich mit der Ausdehnung derselben bekannt zu machen, aus aller Kraft gerufen, da ich wußte, daß der Schall je nach der Entfernung und gegenseitigen Stellung der Gegenstände, an welchen er sich bricht, zurückgeworfen wird.

Die jetzt herbeigeführte Wirkung glich mit merkwürdiger Genauigkeit derjenigen, welche damals hervorgebracht worden war. War ich denn in der nämlichen Höhle eingeschlossen? Hatte ich den Rand des nämlichen Abgrundes erreicht und war ich kopfüber in diese Vertiefung gestürzt worden? Wo konnten sonst die Verletzungen herrühren, die ich mir bei meinem Falle zugezogen hatte? Aber jede Erinnerung an mein Hierhergehen war verschwunden. Ich hatte beschlossen, diese Höhle am folgenden Tage zu besuchen, aber mein Gedächtniß sagte mir nichts davon, daß dieser Gedanke ausgeführt sei. Hierdurch blieb mir nur der Schluß möglich, daß ich meinen beabsichtigten Gang vorgenommen und durch einen Andern in diese Vertiefung gestürzt worden oder in Folge eines unglücklichen Zufalles hineingefallen sei.

Diese Ansicht stimmte mit dem überein, was ich schon vorher bemerkt hatte; der Fußboden und die Wände waren eben so rauh, wie der Grund und die Seiten der Höhle, welche ich früher durchschritten hatte.

Aber zu welchem entsetzlichen Schicksal war ich jetzt bestimmt, wenn es sich so verhielt? Die Seiten dieser Grube waren unzugänglich, ein menschlicher Fuß konnte nie an diesen Ort kommen; meine Freunde wußten nichts von meinem verlassenen Zustande; hier sollte ich bleiben, bis ich durch den Hunger erschöpft war. In diesem Grabe sollte ich ein paar Tage in unbeschreiblicher Qual zubringen und dann auf immer umkommen.

Ich fühlte bereits das Drängen des Hungers und dieser Umstand und meine verzweifelte Lage trieben mich zur Raserei. Ich konnte nur gegen das launische, unsichtbare Schicksal wüthen. Der Urheber meines Unglücks und die Mittel, welche es versucht hatten, mich hierher zu locken, waren unbegreiflich. Meine Sinne mußten durch irgend einen Zauber gefesselt oder geschwächt worden sein – ich schlief noch und es war nur ein quälender Traum, aber der Wahnsinn hatte mich ergriffen und die Dunkelheit ringsum sowie der mich peinigende Hunger existirten nur in meiner verwirrenden Einbildungskraft. Der Trost, welcher in diesem Zweifel lag, konnte nicht lange dauern; jede Stunde bestärkte die Beweise, daß meine Bemerkungen Wahrheit seien. Mein Hunger wurde in kurzer Zeit grimmig. Ich zerriß die Leinwand meines Hemd's mit den Zähnen und verschlang die Fragmente; ich empfand sein heftiges Verlangen, das Fleisch meiner Arme loszureißen; mein Herz wurde von Grausamkeit erfüllt, und ich sann über das Entzücken nach, welches ich empfinden würde, wenn ich ein lebendiges Geschöpf in Stücke zerriß, sein Blut trank, und seine zuckenden Glieder mit den Zähnen zermalmen konnte.

Diese Martern hatten bereits die Grenzen der Verträglichkeit überschritten, ich sah, wie die Zeit, anstatt mir Erleichterung oder Rettung zu bringen, meine Bedürfnisse nur dringender machen werde und daß meine einzige, noch übrige Hoffnung nur darin bestand, daß ich eher starb, ehe ich vom höchsten Grade des Hungers ergriffen war. Jetzt erinnerte ich mich, daß ein Tomahawk in der Nähe sei, ich freute mich über den Besitz eines Werkzeugs, durch welches ich meinen Leiden sofort ein Ende machen konnte.

Ich nahm ihn in die Hand, fuhr mit den Fingern über die Schneide und dachte über die Kraft nach, welche erforderlich sei, um ihn in mein Herz eindringen zu lassen. Ich bemühte mich, die Entschlossenheit zu sammeln, oder sie zum zweiten oder dritten Male zu wiederholen, wenn der erste wirkungslos bleiben sollte. Ich wußte, daß es mir vielleicht mißlingen werde, mir eine tödtliche Wunde beizubringen, freute mich aber über den Gedanken, daß das dadurch fließende Blut mich vielleicht erlösen werde und dieß meine Schmerzen mittlerweile dadurch lindern könne, daß ich dieses Blut genoß.

Es wird Dich nicht wundern, daß ich ein Widerstreben fühlte, ein so verhängnißvolles, obschon unumgängliches Mittel anzuwenden. Ich sann nochmals über die Mittel, mich zu befreien, nach. Jetzt erinnerte ich mich, daß das obere Ende der Wand nicht in unendlicher Entfernung vom Boden sein könne: ich war von der Höhe herabgestürzt – aber wenn diese Höhe bedeutend gewesen wäre, so würde ich in Stücke zerschmettert worden sein, anstatt daß ich nur zerschlagen war.

Jetzt stieg wieder ein Hoffnungsstrahl in meiner Seele auf. Ich fragte mich, ob es nicht möglich sei, den Gipfel der Vertiefung zu erreichen, die Seiten waren rauh und uneben, und konnten mir ihre Vorsprünge und Spalten nicht als Stufen dienen, mit deren Hülfe ich sicher hinaufzusteigen im Stande wäre? Dieser Versuch mußte ohne Zeitverlust gemacht werden; nach Verlauf einer kurzen Zeit würde mir die Kraft gefehlt haben, und mein Loos unwiderruflich entschieden worden sein.

Ich will meine mühseligen Anstrengungen, die Abwechselung zwischen Niedergeschlagenheit und Vertrauen, die eifrige, unermüdliche Genauigkeit, womit ich die Oberfläche untersuchte, die Versuche, welche ich machte und die widerholte Vereitelung meiner Hoffnungen nicht aufzählen. Ich sah mich hundertmal, wenn ich einige Fuß von dem Boden abgekommen war, durch die keinen Halt darbietende Glätte des noch zurückzulegenden Raumes gezwungen, vom Unternehmen zurückzukehren, durch die Mühen und Schmerzen erschöpft, wieder – allmählig kehrte das Bewußtsein, daß es thöricht sei, zurück, bis ich es an jeder Stelle der Wand versucht hatte, und ich schleppte wieder meine wankenden Glieder und meine schmerzenden Ellbogen nach dem Theile der Wand, welchen ich noch nicht untersucht hatte.

Endlich fand ich, als ich die Hand nach oben streckte, etwas, was dem Zurücktreten der Wand glich, es war möglich, daß dies der Rand der Vertiefung sei und dies konnte der Weg zur Freiheit werden. Mein Herz klopfte vor Entzücken hoch auf und ich schickte mich an, die Wand zu erklettern. Man konnte kein schwierigeres Unternehmen denken, der Raum zwischen diesem Rande und dem Boden war fast ganz glatt; die Kante lag höher, wie mein Kopf; das einzige Mittel, welches sich mir zum Aufsteigen darbot, waren meine Hände, an denen ich mich hinaufziehen mußte, so daß ich mich nur mit den Füßen festhalten konnte.

Meine Bemühungen wurden unermüdlich fortgesetzt und ich gelangte endlich nach oben. Als ich dieses Ziel erreicht hatte, war meine Kraft fast erschöpft und wenn ich in dem dahinter gelegenen Raume keinen Anhaltspunkt gefunden hätte, so würde ich unausbleiblich in die Vertiefung zurückgestürzt sein und alle meine Bemühungen würden zu weiter nichts gedient haben, wie meine Verzweiflung zu erhöhen und mein Ende zu beschleunigen.

Welche Hindernisse und Gefahren mir noch bevorstanden, vermochte ich nicht zu beurtheilen. Ich war jetzt geneigt, das Schlimmste zu ahnen. Die Zeit der Ruhe, welche ich mir nothwendigerweise gönnen mußte, um wieder Kräfte zu sammeln, würde die Verheerung des Hungers beschleunigen und mir nicht die Macht lassen, weiter vorzudringen.

In diesem Zustande tröstete ich mich wieder damit, daß ich mein Todesinstrument zur Hand hatte. Ich hatte den Tomahawk mit herausgeschleppt, da ich wußte, daß sich vielleicht andere Hindernisse unüberwindlich zeigen würden, wenn ich dieses besiegt hätte. Ehe ich ihn anwendete, warf ich jedoch die Blicke flüchtig und matt rings um mich. Die Dunkelheit war nicht weniger tief, wie unten in der Höhle, und doch zeigten sich deutlich zwei Gegenstände.

Sie glichen einer feststehenden, düstern Flamme, sie waren unbeweglich; obgleich sie selbst leuchteten, verbreiteten sie doch keine Heiligkeit um sich. Diese Umstände, sowie andere, welche mich an ähnliche bei früheren Gelegenheiten beobachtete Gegenstände erinnerten, erklärten sofort die Beschaffenheit dessen, was ich sah; es waren die Augen eines Panthers!

Ich hatte mich also auf diese Weise angestrengt, um einen Ort zu erreichen, wo ein wildes Thier lauerte und nur wartete, bis mich meine Bemühungen in den Bereich seiner Tatzen bringen würden. Mein erster Gedanke trieb mich an, mich gegen diesen Feind zu waffnen; meine verzweifelte Lage wurde auf einen Augenblick vergessen; die Waffe, die vor so kurzer Zeit gegen meine eigne Brust gerichtet gewesen war, wurde jetzt geschwungen, um mein Leben gegen den Angriff eines Andern zu vertheidigen.

Es war keine Zeit zum Ueberlegen und Zaudern; er konnte in einem Augenblick von seinem Platze aufspringen und mich in Stücke reißen; die größte Schnelligkeit setzte mich vielleicht nicht in den Stand, ihn zu erreichen, und ich mußte wiederum dem Angriff entgegen gehen. Ich überlegte nicht, in wieweit meine Kraft genügend sei, um mich zu retten; meine ganze, noch übrige Stärke wurde aufgeboten und zu einem Wurfe angestrengt.

Niemand kennt die Kraft, welche in seinem Körper verborgen liegt; unsere durch die drohende Gefahr herbeigeführte Anstrengung übersteigt häufig unsere höchsten Erwartungen. Obgleich ich am Rande der Vernichtung schwankte und dem Anscheine nach unfähig war, von dieser Stelle wegzukriechen, hatte ich bei diesem Wurfe eine Kraft entwickelt, welche vermuthlich größer war, wie ich sie bisher ausgeübt hatte. Sie war unwiderstehlich und unfehlbar. Ich zielte auf den Raum zwischen den glühenden Augen. Der Tomahawk drang durch den Schädel und das Thier stürzte brüllend und sich windend nieder.

Meine Ohren benachrichtigten mich schnell davon, daß sein Todeskampf zu Ende sei, und sein Brüllen und Zucken dauerte einen Augenblick und hörte dann auf. Der Klang seiner Stimme in dieser unterirdischen Höhle klang furchtbar.

Das Plötzliche dieses Vorfalles und die übernatürliche Anstrengung meiner Kräfte versetzte mich in einen Zustand der Mattigkeit und Hinfälligkeit, von welchem ich mich nur langsam und schwer wieder erholte. Der erste Gedanke, der in mir aufstieg, bestand darin, daß ich mich von dem Körper dieses Thieres nähren wolle; mein Hunger war auf dem Punkte angekommen, wo jeder Ekel und jedes Bedenken aufhören. Ich kroch nach der Stelle – ich will Dich nicht durch die Erzählung dessen mit Entsetzen erfüllen, wozu mich die bitterste Nothwendigkeit getrieben hatte. Ich erinnere mich dieser Scene mit Abscheu und Betrübniß; jetzt, wo sie vorüber ist, blicke ich auf sie zurück, wie auf einen grauenhaften Traum und das Ganze erscheint mir wie eine Ausschweifung des Wahnsinnes. Ich hatte keine andere Wahl und der Hunger konnte selbst durch eine so widerwärtige Mahlzeit gestillt werden.

Wenn der Hunger zuweilen die Gefühle der Natur vernichtet und die Mutter gezwungen hat, sich von dem Fleische ihres Kindes zu nähren, so wird es auch keine Verwunderung erregen, daß ich nicht vor dem noch warmen Blute und dem dampfenden Fleische eines Raubthieres zurückschauderte.

Jetzt war ein Uebel beseitigt; aber nur um einem andern Platz zu machen. Ich hatte kaum das erste Gefühl der Sättigung empfunden, als mein Magen von Schmerzen durchwühlt wurde, die Alles übertrafen, was ich je zuvor gefühlt hatte. Ich beklagte meine übermäßige Gier bitter. Die Qual des Hungers war besser wie die Marter, welche diese abscheuliche Mahlzeit hervorgebracht hatte.

Jetzt drohte der Tod in nicht geringerer Nähe und mit nicht weniger Gewißheit, wenn auch in verschiedener Gestalt. Der Tod wäre eine willkommene Befreiung von dieser Qual gewesen und ich sehnte mich heftig nach seiner Ankunft. Ich streckte mich am Boden aus; ich nahm jede mögliche Lage an, welche mir Erleichterung dieses Uebels versprach – ich wälzte mich in der Höhle umher, ohne im Mindesten auf die Gefahren zu achten, die mich umgaben; daß ich nicht in die Tiefe stürzte, aus welcher ich eben herausgekommen, war ein Wunder der Vorsehung.

Es ist nicht möglich zu sagen, wie lange meine Qual dauerte; ich kann nicht einmal eine verständige Vermuthung darüber aufstellen; der ungefähren Folge meiner Gefühle nach zu urtheilen, sollte ich vermuthen, daß einige Tage in diesem jammervollen Zustande verflossen wären – aber die Natur hätte einen solchen Kampf nicht so lange aushalten können.

Meine Schmerzen ließen allmählig nach und ich versank in einen tiefen Schlummer. Ich wurde von tausend bunten Träumen heimgesucht; sie häuften sich zu strömenden Bächen und reichlichen Mahlen, aber obgleich dieselben vor meinen Augen standen, wurde ich doch durch irgend eine Macht verhindert, mich ihnen zu nähern. Aus diesem Schlafe erwachte ich wieder zur Einsamkeit und Entschlossenheit, aber mein Körper war in einem minder schwachen Zustande wie früher; was die Veranlassung zum Schmerz gewesen war, hatte mir im Ganzen genützt – wenn mir diese Nahrung nicht geboten worden wäre, so würde ich dem Tode kaum entgangen sein, und ich hatte daher Grund, mich über die Gefahr, welche mir vor so kurzer Zeit zugestoßen, zu freuen.

Ich hatte ohne Vorbedacht gehandelt und doch würde keine Weisheit im Stande gewesen sein, heilsamere Maßregeln zu ergreifen. Der Panther lag getödtet da, nicht mit Rücksicht auf die Beseitigung meines Hungers, sondern wegen meiner Selbsterhaltung und vermöge eines unwillkürlichen Antriebes. Wenn ich die Schmerzen voraus gesehen hätte, welche mein gieriges, blutiges Mahl herbeiführen sollte, so würde ich mich dessen sorgfältig enthalten haben, und doch waren diese Schmerzen eine nützliche Anstrengung der Natur, um den Stoff, welchen ich verschlungen hatte, zum Nahrungsmittel zu machen.

Jetzt wurde ich von den Qualen des Durstes erfaßt; meine Erfindungsgabe und mein Muth strengten sich aufs Neue an, um dieses quälende Uebel zu beseitigen. Ich überlegte, daß es selbst von der Stelle aus, wo ich mich befand, einen Ausgang aus dieser Höhle gebe – noch war ich im Zweifel gewesen, ob in dieser Richtung ein Zugang zu finden sei, aber da der Panther hierher gekommen war, so lag kein Grund vor, an dem Vorhandensein eines solchen zu zweifeln.

Jetzt achtete ich auch auf ein Geräusch, das seiner Unausgesetztheit nach etwas Anderes wie das Pfeifen des Windes verrieth, es glich dem Murmeln eines fließenden Baches. Jetzt nahm ich mir vor, weiter zu gehen und bewegte mich in der Richtung vorwärts, aus welcher dieser Laut zu kommen schien.

Zu beiden Seiten und über meinem Kopfe gab es nur einen leeren Raum. Meine Schritte mußten durch den Fußboden geleitet werden, der im Ganzen genommen aufwärts zu führen schien, obgleich es uneben und rauh war. Meine Sicherheit erforderte, daß ich beim Vorwärtsdringen sowohl die Hände wie die Füße in Anwendung brachte.

So bewegte ich mich eine beträchtliche Zeit hindurch weiter. Das Murmeln hörte allmählig auf, anstatt daß es lauter geworden wäre. Mein Vordringen wurde durch die Ermüdung gehemmt, und ich fing wieder an, zu verzweifeln. Meine Anstrengungen riefen einen Schweiß hervor, der mir, während er meinen Durst erhöhte, glücklicherweise ein unvollkommenes Mittel bot, ihn zu stillen.

Dieses Hülfsmittel würde mir vielleicht durch den Zufall eingegeben worden sein, aber mein Scharfsinn wurde durch die Geschichte einiger englischer Gefangenen in Bengalen unterstützt, welche ihre unbarmherzigen Feinde in einen kleinen Raum eingesperrt hatten und die sich blos dadurch am Leben erhielten, daß sie die Feuchtigkeit genossen, welche von ihrem Körper herabströmte. Diesen Versuch machte ich jetzt mit nicht weniger glücklichem Erfolge.

Dies war ein geringfügiger und vorübergehender Trost; ich wußte, daß ich bei meinem Umherwandern auf's Geradewohl vielleicht nie den Ausgang dieser Höhle erreichen oder durch Hunger und Krankheit unfähig gemacht werden würde, weiter zu gelangen, wie bis zu diesem Eingang. Das Verlangen, welches vor kurzem gestillt war, würde bald zurückkehren und meine Unachtsamkeit hatte mich von dem Hülfsmittel entfernt, das mir vor kurzer Zeit geboten worden war – erst jetzt dachte ich daran, daß eine zweite Mahlzeit nöthig sein könne.

Nach dem Orte zurückzukehren, wo die Leiche lag, war ein entmuthigender Plan; auf diese Weise brachte ich mich vielleicht in hoffnungslose Entfernung von der Freiheit und überdies konnte ich meine Spur nicht zurückverfolgen, ich war oft von der geraden Richtung abgewichen, um Hindernissen auszuweichen, und ich wußte weiter nichts, als daß ich mich auf keinem unregelmäßigen Abhange aufwärts bewege. Ich hoffte zuweilen den Gipfel zu erreichen, hatte aber keinen Grund, mich mehr an eine Richtung zu binden, wie an eine andere.

Es wäre augenscheinlich thöricht gewesen, da zu bleiben, wo ich mich befand, eine Ortsveränderung versprach am ersten, mir von Nutzen zu sein. Ich beschloß, meine Richtung zu ändern und anstatt nach oben zu steigen, mich am Rande dessen zu halten, was ich für einen Berg hielt. Ich war einige hundert Fuß weit gegangen, als wieder das vorherbeschriebene Murmeln zu meinen Ohren drang.

Da ich glaubte, daß dieser Laut von einem fließenden Bache herrühre, so mußte er nothwendigerweise das Herz eines Menschen, der fast vor Durst umkam, mit Entzücken erfüllen, und ich schritt mit neuem Muthe vorwärts. Der Laut kam weder näher, noch wurde er deutlicher, aber so lange er nicht aufhörte, begnügte ich mich damit, auf ihn zu lauschen und zu hoffen.

Ich achtete mit der größten Aufmerksamkeit darauf, ob der leiseste Lichtstrahl diese Höhle besuchen werde, und endlich erregte ein unendlich schwacher Schimmer zur Rechten meine Aufmerksamkeit. Er war schwankend und ungleichmäßig. Ich lenkte die Schritte auf denselben zu. Er wurde heller und beständiger; er war jedoch von der Art, wie wenn er von einem mit dürrem Holze angezündeten hellen Feuer herrührte und nicht von der Sonne.

Jetzt hörte ich das Knistern der Flamme.

Dieser Ton veranlaßte mich, Halt zu machen oder wenigstens mit Vorsicht weiter vorzudringen. Endlich öffnete sich die Aussicht und ich fand mich am Eingange einer Höhle. Ich erreichte bald eine Stelle, von wo aus ich ein Feuer brennen sah. Anfangs bemerkte ich keinen andern Gegenstand, aber es war leicht zu schließen, daß das Feuer von Menschen angezündet sei und daß diejenigen, welche es angezündet hatten, in keiner großen Entfernung sein konnten.


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