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Drittes Kapitel.


Ich betrachtete sie mit der größten Aufmerksamkeit. Alle Theile derselben schienen gleich fest und eben. Es war nicht zu bezweifeln, daß eine von den Seiten als Deckel diente und aufzuheben war. Die Kraft allein konnte zu deren Beseitigung nicht angewendet werden, da es keinen Vorsprung gab, welchen die Hand festzuhalten vermochte; es existirte daher eine geheime Feder, welche dem Auge für immer entgehen konnte, auf welche die Hand jedoch, wenn sie nach allen Richtungen darüber hinfuhr, vielleicht zufällig stieß.

Dieses Verfahren wurde von Erfolg gekrönt. Ein zufällig auf eine Ecke ausgeübter Druck schob einen Riegel zurück, durch welchen zu gleicher Zeit eine Feder in Bewegung gesetzt wurde, die den Deckel um mehr wie einen halben Zoll in die Höhe hob. Man konnte sich nichts Zufälligeres denken; hundert Hände hätten vergeblich nach dieser Feder suchen können – die Stelle, an welcher ein gewisser Druck genügte, diese Wirkung hervorzubringen, war unter allen diejenige, welche am wenigsten geeignet schien, die Aufmerksamkeit zu erregen oder Verdacht zu erwecken.

Ich öffnete die Kiste hastig. Der innere Raum war in zahlreiche Fächer getheilt, von denen keines etwas Wichtiges enthielt. Werkzeuge von verschiedenartiger, seltsamer Arbeit und winzige Maschinenbestandtheile waren Alles, was sich meinen Blicken zeigte.

Nachdem meine Erwartung so getäuscht worden war, brachte ich Alles wieder in den vorigen Stand. Ich versuchte den Deckel zu verschließen, aber die Feder, welche ihn geschlossen hatte, wollte sich durchaus nicht biegen. Keine Maßregel, welche ich ergreifen konnte, setzte mich in den Stand, den Deckel in die nämliche Lage zu bringen, in welcher ich ihn gefunden hatte; bei meinen Bemühungen, den Deckel niederzudrücken, die sich vermehrten, je mehr Widerstand ich fand, brach die Feder. Nachdem dieses Hinderniß beseitigt war, nahm der Deckel seinen richtigen Platz wieder ein, aber nichts, was ich ersinnen konnte, setzte mich in den Stand, den Riegel vorzuschieben und so die Befestigung wieder herzustellen.

Jetzt sah ich, daß Clithero nicht allein gegen die Oeffnung seiner Kiste, sondern auch gegen die Möglichkeit Vorsorge getroffen hatte, zu verbergen, daß sie geöffnet worden war. Diese Entdeckung versetzte mich in einige Verlegenheit; ich war durch den Glauben, daß meine Handlung unbemerkt bleiben und für immer verborgen worden könne, so weit geführt worden; diese Ansicht war jetzt widerlegt. Wenn Clithero jemals zurückkehrte, so mußte er die Gewaltthätigkeit bemerken, die ich mir hatte zu Schulden kommen lassen; Inglefield würde bei einem Andern mißbilligen, was er sich selbst nicht erlaubt hatte; die unbefugte, heimliche Weise, in welcher ich verfahren war, mußte in seinen Augen die Abscheulichkeit meines Vergehens noch erhöhen.

Aber jetzt gab es kein Hülfsmittel; es blieb mir nichts weiter übrig, wie zu verhindern, daß der Verdacht auf einen Unschuldigen fiel, und meinem Freunde das Vergehen einzugestehen, dessen ich mich schuldig gemacht hatte. Für jetzt nahm ich mein früheres Projekt wieder auf und da die Familie nun in tiefen Schlummer versunken war, so verließ ich mein Zimmer und begab mich nach der Ulme. Der Mond schien außerordentlich hell, aber ich hoffte, daß die unbesuchte Straße und die ungewöhnliche Stunde verhindern würden, daß man mich bemerke. Mein Zimmer lag über der Küche, zu welcher eine schmale Treppe führte, und das Gebäude, zu welcher sie gehörte, stand mit der Wohnung vermittelst einer Gallerie in Verbindung. Ich löschte mein Licht aus und ließ es in der Küche, da ich beabsichtigte, es bei meiner Rückkehr an den noch auf dem Heerde glühenden Kohlen wieder anzuzünden.

Ich fing an, den Rasen zu beseitigen und die Erde herauszuwerfen, aber mit geringem Vertrauen an den Erfolg meines Unternehmens. Der Ausgang meiner Untersuchung der Kiste demüthigte und entmuthigte mich. Eine Zeit lang fand ich nichts, was dazu gedient hätte, meine Hoffnungen wieder zu beleben. Ich beschloß jedoch, so lange vorzudringen, als mir die lockere Beschaffenheit der Erde bewies, daß mir Jemand vorausgegangen sei. Zuweilen traf ich auf kleine Steinmassen, die nur dazu dienten, mich durch grundlose Erwartungen in Verlegenheit zu bringen; endlich traf mein Spaten auf einen Gegenstand, der einen ganz andern Klang von sich gab. Ich holte ihn schnell heraus und fand, daß es Holz war. Die regelmäßige Form und die undeutlich zu erkennenden Spalten überzeugten mich, daß es Menschenarbeit sei und daß es eine Höhlung darin gebe. Der Ort, wo ich es fand, führte leicht zu der Vermuthung eines Zusammenhanges mit dem Schicksale Clithero's.

Ich machte die Grube schnell wieder zu und eilte mit meiner Beute nach dem Hause. Die Thüre, durch welche man in die Küche gelangte, war von der Straße aus nicht zu sehen. Sie ging auf ein Feld, dessen äußerste Grenze eine Felskette war, die auf dieser Seite die Besitzung Inglefield's und die westlichste Schranke von Norwalk bildete.

Als ich um die Ecke bog und diese Thüre erblickte, schien es mir, als ob ich eine Gestalt aus derselben kommen sehe. Ich erschrak über diesen Umstand, bückte mich nieder und schmiegte mich dicht an die Wand, um nicht entdeckt zu werden. Sobald die Gestalt aus dem Schatten herauskam, war sie leicht als die Clithero's zu erkennen; er ging mit hastigen Schritten quer über das Feld und verschwand schnell aus dem Bereich meiner Augen.

Diese Erscheinung war geheimnißvoll. Zu welchem Zwecke er diese Wohnung besuchte, konnte ich nicht errathen. Mußte ich den Zufall bedauern, durch welchen ein Zusammentreffen vermieden worden war? Würde es mich gezwungen haben, den zerbrochenen Zustand seiner Kiste zu erklären? Ich wußte nicht, ob ich mich darüber freuen oder es bedauern sollte, daß ich diesem Zusammentreffen entgangen war.

Diese Gedanken verhinderten mich nicht, die Beschaffenheit der Beute zu untersuchen, welche ich davon getragen hatte. Ich zündete mein Licht wieder an und eilte in mein Zimmer. Der erste Gegenstand, welcher beim Eintreten meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war die in zwanzig Stücke zerbrochene und im Kamin liegende Kiste. Ich hatte sie auf einem niedrigen Tisch in einer entfernten Ecke des Zimmers gelassen.

Ich konnte zu keinem anderen Schlusse kommen, als daß Clithero hier gewesen sei, die gewaltthätige Verletzung seines Eigenthums entdeckt und es in der ersten Hitze seines Zornes in Stücke geschlagen habe. Ich schauderte bei dem Gedanken, wie nahe ich daran gewesen war, von ihm bei der Handlung selbst überrascht zu werden, und in Folge welches geringen Zeitraumes ich der Vergeltung entgangen war, die er in diesem Falle vermuthlich an mir ausgeübt haben würde.

Endlich wendete sich meine Aufmerksamkeit von diesen Gegenständen ab und richtete sich auf den Inhalt des Kastens, welchen ich ausgegraben hatte. Dieser war eben so unzugänglich wie der Andere. Ich hatte nicht die nämlichen Gründe zur Vorsicht und Behutsamkeit; ich war etwas verzweifelt, da die Folgen meiner Indiskretion nicht verschleiert werden konnten, und meine Neugier drängte mich in Bezug auf den kleinen Kasten mehr wie in Hinsicht auf den größeren. Ich stellte ihn an die Erde und trat ihn in Stücken.

Es befand sich etwas darin. Ich brachte es an das Licht und nachdem ich eine große Anzahl Umhüllungen beseitigt hatte, zog ich endlich ein Buch heraus. Kein Gegenstand im Kreise der Natur war geeigneter, wie dieser, alle meine Geisteskräfte in Bewegung zu setzen, meine Gefühle wurden noch tiefer erregt, als ich bemerkte, daß es ein Manuscript sei. Ich verriegelte die Thür, schlug es auf und fing an zu lesen.

Ein Paar Seiten genügten, um mir die Beschaffenheit des Werkes zu erklären. Clithero hatte gesagt, daß seine Gönnerin eine Vertheidigung ihres Verfahrens gegen ihren Bruder abgefaßt habe, als ihre Verwendung zu seinen Gunsten erbeten und verweigert worden war. Sie hatte diese Schrift nie veröffentlicht, aber sie war von Vielen gelesen und von ihren Freunden als ein kostbarer Denkmal ihres Talents und ihrer Jugend aufbewahrt worden – dieses Manuscript lag jetzt vor mir.

Daß Clithero dieses Manuscript bei dem Schiffbruch seines Glückes und seiner Hoffnung aufbewahrte, stimmte dem Anscheine nach zu seinem Charakter. Daß er, nachdem er den Entschluß gefaßt hatte, zu sterben, diesen Band vor der profanen Neugier der Ueberlebenden zu verbergen suchte, war ganz natürlich – daß er ihn lieber vergrub, wie verbrannte oder in Stücke riß, konnte ihm durch den Wunsch eingegeben worden sein, ihn zu verstecken, ohne eine Handlung zu begehen, die seine erhitzte Phantasie als eine Schändung betrachtet haben würde – daß er ihn unter der Ulme vergrub, wurde durch keine zufällige oder unerklärliche Laune herbeigeführt – dieser Umstand konnte kaum verfehlen, einen Einfluß auf die Störung seines Schlafes auszuüben, und so war in Verbindung mit andern Ursachen zu erklären, warum er bei seinem Nachtwandeln um diesen Baum umherschweifte und die Erde aufgrub. Clithero hatte dieses Verfahren im Laufe seiner Erzählung allerdings nicht erklärt, aber das würde der Absicht widersprochen haben, aus welcher er ihm ein Grab bereitet hatte.

Ich las diese ausführliche Darstellung mit unbeschreiblicher Aufmerksamkeit. Sie stimmte wesentlich mit dem überein, was Clithero erzählt hatte, und durch die Vorführung der Ereignisse in allen ihren Umständen wurden schärfere Eindrücke gemacht und ihr Beweise einer Stärke und Geistesruhe gegeben, von welcher ich bisher noch kein Beispiel erlebt hatte. Es war kein Wunder, daß ein Geist wie der Clithero's, der von diesen Beweisen unnachahmlicher Vortrefflichkeit durchdrungen und im höchsten Grade empfindlich für das Verlangen nach Tugendruhm und den Werth des Daseins, welches er vernichtet hat, war, beim Anblick der Vergangenheit vom Entsetzen überwältigt wurde.

Die Unbeständigkeit des Lebens und des Glückes wurden hierdurch eben so deutlich bewiesen, wie die Verderblichkeit des Irrthums. So frei diese Dame von fast jedem Fehler war, hatte sie ihr Verderben doch der thörichten Ansicht von der Heiligkeit der Blutsverwandtschaft und ihrer Besorgniß um das Leben eines Bösewichts, weil dieser Bösewicht ihr Bruder war, zuzuschreiben. Der Geist Clithero's war aufgeklärt und redlich, aber er ließ aus Schwäche die Bestimmungen der ewigen Gerechtigkeit von der Dankbarkeit vordrängen – die Furcht vor ungerechten Vorwürfen trieb ihn zum Mord und Selbstmord, und die Beschuldigung eines eingebildeten Vergehens zwang ihn zur Ausübung wahrer, furchtbarer Verbrechen.

Das Durchlesen dieses Bandes endete erst mit der Nacht. Der folgende Tag war wider meine Hoffnung stürmisch und regnerisch. Dies hielt mich nicht ab, den Berg zu besuchen; schlüpfrige Pfade und trübe Bäche waren kein Hinderniß für die Entschlüsse, welche ich gefaßt hatte. Ich hüllte mich und einen Sack mit Lebensmitteln in einen Regenmantel und eilte nach der Wohnung Clithero's.

Ich ging durch die Höhle und erreichte die Brücke, welche mein eigner Scharfsinn hergestellt hatte. In diesem Augenblick goß der Regen in Strömen herab und stärkere Windstöße brausten durch diese öden Felsen und durch die tiefen Klüfte. Anstatt daß ich das Eintreten dieses Sturmes bedauert hätte, fing ich jetzt an, ihn mit Vergnügen zu betrachten – er verlieh diesem Schauspiel neue Formen der Erhabenheit und Großartigkeit.

Während ich auf Händen und Füßen über meine unvollkommene Brücke kroch, wurde ich durch einen heftigen Windstoß fast in den furchtbaren Abgrund unter mir geschleudert. Um mich festzuhalten, mußte ich meine Hand von dem Sack mit Lebensmitteln loslassen und er stürzte in den Schlund – dieser Vorfall bekümmerte und betrübte mich. Sobald ich meinen gefährlichen Weg zurückgelegt hatte, suchte ich einen geschützten Ort hinter einem Felsen auf und überließ mich dem Nachdenken.

Der Zweck dieses schwierigen Unternehmens war durch den Verlust der Lebensmittel, welche ich mitgebracht hatte, vereitelt. Ich zweifelte daran, bei dem Flüchtling Gehör für Bitten oder Gründe zu finden, die darauf hinzielten, seine Reue zu beschwichtigen oder seine Stärke wieder zu beleben. Das Ziel meiner Bemühungen sollte die Ueberwindung seiner Abneigung gegen Nahrungsmittel sein, aber diese Bemühungen mußten jetzt nutzlos sein, da es nicht in meiner Macht stand, seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Dieser Mangel war jedoch leicht zu ersetzen; ich brauchte nur nach Hause zurückzukehren und mich aufs Neue zu versehen. Ich hatte hierbei keine Zeit zu verlieren, aber ich wollte an diesem geschützten Orte bleiben, bis sich die Wuth des Sturmes gelegt hatte. Außerdem wußte ich nicht gewiß, ob sich Clithero wieder hierher zurückgezogen habe. Ich mußte den Gipfel dieses Berges durchforschen und mich überzeugen, ob er einen Bewohner habe. Hierbei konnte ich auch sehen, welchen Erfolg mein erster Versuch gehabt hatte und ob die Nahrungsmittel, welche am vorhergehenden Tage hier zurückgelassen worden waren, verzehrt worden seien oder nicht.

Während ich mit diesen Gedanken beschäftigt war, richteten sich meine Augen auf die gegenüberliegende Felswand. – Die in der wildesten Verwirrung hin und her schwankenden Wipfel der Bäume und ihre Stämme, die sich zuweilen von den Windstößen beugten und sich in dieser hohen Region mit einer in der übrigen Gegend unbekannten Gewalt einherbrausten, boten ein furchtbares Schauspiel dar. Endlich zog der Stamm, welcher quer über den Spalt lag und den ich in eine Brücke verwandelt hatte, meine Aufmerksamkeit auf sich: ich bemerkte, daß er seine frühere Lage schon etwas verändert hatte, daß jeder Windstoß einige von den Fasern, durch welche seine Wurzel an dem gegenüber liegenden Rande hing, zerrissen oder gelockert hatte und daß die größte Gefahr drohte, daß er vom Felsen losgerissen und in den Abgrund geschleudert werden würde, wenn sich der Sturm nicht sehr bald legte – auf diese Weise würde mir der Rückweg abgeschnitten sein und ich die Leiden, vor welchen ich einen Anderen zu bewahren wünschte, selbst zu ertragen haben.

Ich überlegte in diesem Augenblicke nicht, daß Clithero auf eine andere Weise Zugang zu diesem Berge gefunden habe, und daß der Weg, auf welchem er gekommen war, ebenso bequem für mich sein würde – ich glaubte, daß mein Schicksal von der Schnelligkeit abhängen würde, mit welcher ich über den Schlund zurückkehrte. Die Augenblicke, welche ich mit dieser Ueberlegung verbrachte, waren kritisch und ich schauderte, als ich gewahrte, daß der Stamm durch zwei Fasern, die schon fast bis zum Zerreißen angespannt waren, an seinem Platze festgehalten wurde.

Es war höchst gefährlich, über den durch den Regen schlüpfrig gemachten, und durch den Wind seiner Festigkeit beraubten Stamm zurückzukehren. Es erforderte die heftigsten Anstrengungen, mich beim Hinüberkriechen gegen den Sturmwind festzuhalten, zu diesem Behuf war es nothwendig, daß ich mich meines Mantels und meines Buches, das ich in der Manteltasche bei mir führte, entledigte. Ich glaubte, daß kein Grund vorhanden sei, daß sie vernichtet oder entwendet werden würden, wenn ich sie einige Stunden oder einen Tag lang an diesem Orte ließ; wenn ich sie neben einen Stein oder unter das Obdach dieses Felsens legte, so blieben sie unzweifelhaft unberührt, bis mich das Aufhören des Sturmes in den Stand setzte, die Höhle am Nachmittag oder am folgenden Morgen wieder zu besuchen.

Als ich mich eben dieser Hindernisse entledigte und mich von meinem Platze erhoben hatte, wurde meine Aufmerksamkeit durch den unwillkommensten Gegenstand, der sich zu dieser Zeit nur zeigen konnte, wieder auf die gegenüberliegende Felswand gelenkt. Ich sah, daß sich etwas zwischen den Büschen und den Felsen bewegte, von dem ich eine Zeit lang hoffte, daß es weiter nichts sei, wie ein Waschbär oder ein Opossum, das sich jedoch als ein Panther bewies. Sein graues Fell, die langen Tatzen und ein Geschrei, welches er in diesem Augenblicke ausstieß und das durch seine Aehnlichlichkeit mit der menschlichen Stimme ganz besonders furchtbar wird, verkündeten ihn als ein Exemplar von der blutgierigsten und unzähmbarsten Art dieser verabscheuten Gattung.

Der Fleiß unserer Jäger hatte die Raubthiere fast ganz aus dieser Gegend verbannt. Die Einöden von Norwalk mußten jedoch wohl noch einigen derselben einen Schlupfwinkel darbieten. Ich hatte dieselben in der letzten Zeit zu selten angetroffen, weshalb ich sie nur wenig fürchtete und ohne weitere Vorsichtsmaßregeln die rauhesten und einsamsten Orte besuchte. Aber ich war dennoch auf meinen Streifzügen selten ohne Vertheidigungsmittel gewesen.

Mein Geist hatte nie an Blutvergießen und Mord Genuß gefunden; ich fand kein Vergnügen daran, mich in Sümpfe zu versenken, durch Bäche zu waten und in Dickichte einzudringen, um Auerhühner und Eichhörnchen zu tödten. Wenn ich im Wald und zwischen den Felsen umherschweifte, so bestand meine liebste Unterhaltung darin, daß ich ihr Spielen und Springen beobachtete und sie zu mir lockte. In Bezug auf Klapperschlangen und Panther war es jedoch etwas ganz Anderes; ich hielt es für keine Pflichtverletzung sie zu vernichten, wo sie nur zu finden waren. Diese bösartigen und blutdürstigen Räuber waren ebensowohl Feinde der Menschen, wie der harmlosen Arten, die wie sie auf den Bäumen spielten, und ich bewahre noch viele von ihren Fellen als Trophäen meiner jugendlichen Tapferkeit auf.

Da die Jagd weder jemals mein Geschäft noch mein Vergnügen gewesen war, so belud ich mich nie mit einer Flinte oder Büchse; fleißige Uebung hatte mich zum Meister einer Waffe gemacht, die viel leichter mitzuführen und in mäßiger Entfernung zerstörender und unfehlbarer war. Dies war der Tomahawk. Mit diesem hatte ich oft auf eine Entfernung von sechzig Fuß den Ast einer Eiche heruntergeschlagen und die Sehnen einer Bergkatze durchschnitten.

Die Seltenheit meines Zusammentreffens mit diesem Feinde während der letzten Zeit und die Belästigung durch die Lebensmittel hatten mich vernachlässigen lassen, bei dieser Gelegenheit meine gewöhnliche Waffe mitzubringen. Das Thier, welches ich jetzt vor mir hatte, war gewöhnt, Alles anzugreifen, was ihm ein blutiges Mahl leihen konnte, wenn es vom Hunger getrieben wurde. Es fiel den Menschen und den Hirsch in gleicher unwiderstehlichen Wildheit an; sein Scharfsinn war aber so groß wie seine Kraft und er schien im Stande zu sein, es zu unterscheiden, wenn sein Gegner bewaffnet oder zu Vertheidigung gerüstet war.

Meine Erfahrung setzte mich in den Stand, die ganze Größe der Gefahr zu erkennen. Er saß am Rande des Abgrundes, schaute sich die Brücke an und schien zu überlegen, ob er dieselbe überschreiten sollte. Vermuthlich hatte er meine Spur so weit verfolgt und wenn er herüber kam, so konnte mein Zufluchtsort seinen scharfen Sinnen kaum entgehen. Die Höhle, in welcher Clithero vor meinen Augen verschwunden war, befand sich in einiger Entfernung; der erste Antrieb meiner Furcht flößte mir den Gedanken ein, zu versuchen, ob ich sie erreichen konnte, aber dies war nicht auszuführen, ohne daß ich die Aufmerksamkeit und die Verfolgung dieses Feindes auf mich lenkte. Ich bedauerte auf das Tiefste den unglücklichen Zufall, der mich, als ich herüberkam, an einen andern Ort geführt hatte.

Wenn er seine jetzige Stellung beibehielt, so verminderte dies meine Gefahr kaum – wenn ich im Angesicht eines verhungerten Tigers hinüberkroch, so hieß dies nur, mich meinem Tode entgegen zu stürzen. Das Herabstürzen des Baumes, welches ich vor kurzer Zeit noch so besorgt gefürchtet hatte, wurde jetzt mit nicht geringerer Innigkeit gewünscht; ich hoffte von jedem neuen Windstoße, daß er die noch übrige Verbindung zerreißen und dadurch, daß er jeden Zusammenhang zwischen den einander gegenüberliegenden Felswänden abschnitt, mich in Sicherheit versetzen werde.

Meine Hoffnungen sollten jedoch getäuscht werden. Die Wurzeln des umgestürzten Baumes hielten hartnäckig fest und nach kurzer Zeit kletterte das Thier den Felsen hinab und schickte sich an, darüber zu kriechen.

Von allen Todesarten war die, welche mir jetzt drohte, die widerwärtigste. An einer Krankheit oder durch die Hand eines Nebenmenschen zu fallen, war in Vergleich zu dem Schicksale, von den Klauen dieses wilden Thieres in Stücke zerrissen zu werden, Glück und Barmherzigkeit; es erschien mir unerträglich, daß ich in dieser abgelegenen Einöde auf eine Weise, die für das besorgte Forschen der Meinigen unenthüllbar blieb, umkommen, meinen Antheil am Dasein durch ein so furchtbares, unrühmliches Schicksal verlieren sollte. Ich beklagte bitter die Unbesonnenheit, mit welcher ich hierher gekommen war, ohne auf ein solches Zusammentreffen gerüstet zu sein.

Das Schlimmste in meiner jetzigen Lage bestand in der Ungewißheit und mein Tod war unvermeidlich, aber meine Einbildungskraft hatte Zeit, sich mit Voraussetzungen zu quälen. Ein Fuß des Raubthieres nach dem anderen bewegte sich vorsichtig und langsam – es drückte die Krallen so tief in die Rinde ein, daß es sie nur schwer wieder herausziehen konnte – endlich sprang es hervor. Jetzt trennte uns kaum noch ein Zwischenraum von acht Fuß; den Ort zu verlassen, wo ich kauerte, war unmöglich. Hinter und neben mir stieg der Felsen senkrecht in die Höhe und vor mir stand dieses wilde, furchtbare Raubthier. Ich drückte mich noch fester an den Boden und schloß die Augen.

Aus dieser entsetzlichen Spannung wurde ich durch einen zweiten Satz des Thieres gerissen. Es sprang in die Höhle, in Bezug auf welche ich so tief bedauert hatte, daß ich nicht eine Zuflucht darin gesucht habe, und verschwand. Meine Rettung kam so plötzlich und so ganz gegen meinen Glauben um meine Hoffnung, daß ich einen Augenblick nicht wußte, ob mich meine Sinne nicht täuschten. Diese Gelegenheit, zu entfliehen, durfte nicht vernachlässigt werden; ich verließ meinen Platz und kletterte mit einer Hast über den Stamm, welche fast verderblich geworden wäre; der Baum knarrte und schwankte unter mir, der Wind wehte mit beispielloser Gewalt und ich hatte kaum die andere Seite erreicht, als sich die Wurzel vom Felsen löste und das Ganze mit Donnergepolter in den Abgrund hinabstürzte.

Jetzt hörten meine Befürchtungen bald auf; ich blickte voll Verwunderung über mein Entkommen und das seltsame Zusammentreffen von Umständen, das mich in so kurzer Zeit in vollständige Sicherheit versetzt hatte, zurück. Wenn der Stamm einen Augenblick früher herabgestürzt wäre, so würde ich auf dem Berge eingekerkert oder hinabgestürzt worden sein – wenn sein Fall einen Augenblick später stattgefunden hätte, so wäre ich verfolgt worden, denn das Thier kam jetzt aus seiner Höhle hervor und gab sein Erstaunen und seine Wuth durch Zeichen zu erkennen, die mein Blut erstarren ließen.

Es sah mich und kam schnell an den Rand des Abgrundes; es kauerte sich auf die Hinterbeine und nahm eine Stellung an, als ob es sich zum Sprunge bereit machte, meine Bestürzung wurde durch diesen Anblick erneuert; es schien mir anfangs, als ob die Kluft zu breit sei, als daß es irgend ein Grad von Muskelkraft hätte unverletzt herübertragen können. Aber ich kannte die unübertroffene Gewandtheit dieses Thieres und wußte, daß seine Erfahrung es zu einem besseren Richter über die Ausführbarkeit dieses Unternehmens gemacht habe, wie ich war.

Es gab jedoch noch immer eine Hoffnung, daß es sein Vorhaben als verzweifelt aufgeben werde. Diese Hoffnung erreichte jedoch schnell ihr Ende – es sprang und seine Vorderfüße berührten den Rand des Felsens, auf welchem ich stand. Die Oberfläche war jedoch zu glatt, als daß sie ihm erlaubt hätte, sich trotz seiner Anstrengungen festzuhalten – es fiel und ein durchdringender Schrei, den es unten ausstieß, bewies mir, daß sein Sturz bis auf den Grund durch nichts verhindert worden sei.

Auf diese Weise war ich wieder vom Tode errettet. Nur der Drang des Hungers konnte dieses wilde Thier zu einem so gewagten Unternehmen veranlaßt haben, aber dadurch, daß es diesem Drange nachgab, hatte es meine späteren Besuche an diesem Orte frei von Gefahr gemacht. Clithero war gleichfalls von einer drohenden, unvorhergesehenen Gefahr befreit; wenn dieser Panther in den Gegenden umherschweifte, so konnte es kaum ausbleiben, daß er dem einsamen Flüchtling begegnete.

Wenn das Thier am Leben geblieben wäre, so würde es meine erste Pflicht gewesen sein, es aufzusuchen und es mit meinem Tomahawk anzugreifen. Aber es hätte kein gefährlicheres Unternehmen geben können. Wenn es im Grase oder auf den Aesten eines Baumes lauerte, würden seine Augen vielleicht meine Annäherung bemerkt haben. Er wäre unvermuthet auf mich losgesprungen und dann wäre die Waffe nutzlos gewesen. Ich stieg mit einer weit ungewöhnlichen Heftigkeit den Felsen hinab, ging durch die Höhle und kam von dem Regen durchnäßt und durch die Anstrengung erschöpft, in der Huntleyfarm an.

Am Abend war der Sturm vorüber, aber meine erschöpften Kräfte gestatteten mir nicht, zu dem Berge zurückzukehren. Ich zog mich zur gewöhnlichen Stunde in mein Zimmer zurück. Ich sann unaufhörlich über die Abenteuer des verflossenen Tages nach und überlegte das Verfahren, das ich zuerst eingeschlagen hatte. Nach der Zerstörung der Brücke war mir mein gewohnter Zugang abgeschnitten. Es gab keine Möglichkeit, dieselbe wieder herzustellen; meine Kraft genügte nicht, einen Baum aus der Ferne herbeizuschleppen, und es gab nichts, was die Arbeit erleichtert oder unnöthig gemacht hätte, und es mußte daher ein anderes Mittel gefunden werden, um über diesen Schlund zu kommen.

Ich ging die Einzelnheiten meiner unterirdischen Reise durch. Die Höhle war nur unvollkommen untersucht; es konnte zahlreiche Verzweigungen geben – diejenigen, welchen ich bisher gefolgt habe, endeten in bedeutender Entfernung vom Eingange in einer Oeffnung. Es konnte noch andere Aeste geben, von denen einer zum Fuß des Abgrunds ging und dort fand sich vielleicht eine Verbindung mit dem Gipfel des inneren Berges.

Die Gefahr einer Wanderung auf dunklem, unbekanntem Pfade und die Bequemlichkeit des Weges, welchen ich zuerst eingeschlagen hatte, waren genügende Gründe dafür, daß ich zuerst die Untersuchung der verschiedenen Zweige dieses Labyrinths aufgeschoben hatte. Jetzt war mein gewöhnlicher Weg nicht mehr gangbar und ich mußte sorgsam einen andern aufsuchen. Dabei beschloß ich, bei meinem nächsten Gange nach dem Berge eine Laterne mitzunehmen und dieses düstere Labyrinth zu durchforschen. Ich nahm mir vor, diese Absicht am folgenden Tage auszuführen.

Jetzt erinnerte ich mich an Umstände, die mir Vorsicht gelehrt haben würden, wenn sie mir zeitiger eingefallen wären. Einige Monate früher hatte ein Farmer, der an der Grenze von Norwalk lebte, auf seinen Feldern zwei Marodeurs entdeckt. Sie hatten einige Schafe zerrissen, und waren lange und eifrig, aber ohne Erfolg von dem Farmer verfolgt worden. Auch in andern Gegenden waren Schafe zerrissen worden, aber die Besitzer hatten ihren Verdacht wegen des Verbrechens auf die Hunde gelenkt, von denen einige ihr vorgebliches Vergehen mit dem Tode büßten. Derjenige, welcher seine Entdeckung der Bande erzählt hatte, fand wenig Glauben bei seinen Nachbarn, weil schon lange Zeit verflossen war, seitdem man glaubte, daß diese Thiere aus der Gegend verbannt seien, und weil kein Anderer dieselben gesehen hatte. Die Wahrheit dieser Behauptung schien jetzt durch das Zeugniß meiner eigenen Scene bestätigt zu werden, aber wenn das Gerücht begründet war, so gab es noch ein zweites von diesen Thieren, das sich in der Finsterniß dieser Einöde aufhielt und gegen welches ich einige Vorsichtsmaßregeln anwenden mußte. Ich beschloß daher, die Wildniß nie zu besuchen, wenn ich nicht mit meinem Tomahawk bewaffnet war.

Diese Bilder zogen in buntem Gemisch mit denen, welche die Betrachtung der Zukunft heraufbeschwor, eine Zeit lang an meinem Geiste vorüber, wichen aber endlich dem Schlummer.


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