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Neuntes Kapitel.


Hier schloß seine Erzählung. Er sprang von seinem Platze auf und verschwand, ohne mir Gelegenheit zu einer Antwort oder einer Bemerkung zu geben, im tiefsten Walde. Ich hatte keine Zeit, einen Versuch zu machen, um ihn zurückzuhalten Ich hätte zu diesem Zwecke keine Gründe vorbringen können, von denen vorauszusetzen war, daß er ihnen Gehör schenken würde. Die Geschichte, welche er mir erzählt hatte, war zu außerordentlich, zu sehr das Gegentheil von Allem, was ich erwartet hatte, als daß sie mir gestattete, auf die Andeutungen von Selbstmord zu achten, welche er hatte fallen lassen.

Das Geheimniß, von welchem ich geglaubt hatte, daß es enthüllt werden sollte, war noch immer so unergründet, wie vorher. Von dem Augenblick an, wo der Charakter Clithero's der Gegenstand meines Nachdenkens wurde, bis zum Schluß seiner Erzählung, gab es nicht einen einzigen Umstand, der nicht dazu gedient hätte, meinen Verdacht zu bestätigen. War dieser Irrthum der Leichtgläubigkeit zuzuschreiben? Würde nicht Jeder aus ähnlichem Anscheine ähnliche Folgerungen gezogen haben? – Oder giebt es einen Maßstab, nach welchem die Wahrheit stets zu erkennen ist, war es meiner unvollkommenen Bildung zuzuschreiben, daß ich die Unruhe dieses Mannes nicht bis zu einer, in der Entfernung von tausend Stunden vollbrachten That zu der Ermordung seiner Wohlthäterin und Freundin zurückführte.

Ich hatte eine Erzählung gehört, die sich anscheinend auf weit entfernte Schauplätze und Personen bezog, aber was verhinderte, wenn auch mein Argwohn eine falsche Richtung eingeschlagen zu haben scheint, daß der Tod meines Freundes auf gleiche Weise eine Handlung augenblicklichen Wahnsinns gewesen ist und ihren Ursprung in einem gleichen Geiste falscher Wohlthätigkeit genommen hatte.

Aber ich berücksichtigte diese Erzählung nicht allein in Beziehung auf mich. Mein Leben war beschränkt und einförmig gewesen. Ich hatte mit Romanschriftstellern und Geschichtsschreibern verkehrt, aber der Eindruck, welchen dieser Vorfall auf mich machte, stand in meiner Erfahrung beispiellos da. Meine Lectüre hatte mir kein in irgend einer Beziehung auf gleicher Stufe mit ihm stehendes Beispiel gelehrt und ich fand, daß es etwas ganz anderes sei, ein entfernter und mittelbarer Zuschauer an den Ereignissen zu sein und an ihren Folgen Theil zu nehmen. Meine Urtheilsfähigkeit war eine Zeit lang in Betäubung und Verwirrung gestürzt, mein Geist unwiderstehlich von den Bildern erfüllt, welche diese Erzählung in's Leben riefen, aber sie bewegten sich in einer Art Chaos und ich war nur allmählig im Stande, sie auf bestimmte Einzelheiten zurückzuführen und einer bedächtigen, systematischen Prüfung zu unterwerfen. Wie sollte ich diese Handlung Clithero's betrachten? Welche verhängnißvolle Bethörung! Aber sie war die nothwendige Folge einer Reihe von mit einander verknüpfter und zusammenhängender Gedanken; sein Benehmen wurde ihm von einem Triebe vorgeschrieben, der an Tugend grenzte – es war die Frucht eines eifrigen, feurigen, dankbaren Geistes.

Wegen Wiatte's Tode war ihm kein Vorwurf zu machen; das Leben Clithero's war unaussprechlich werthvoller, wie das seines Gegners – der Instinkt der Selbsterhaltung beherrschte ihn – er erkannte seinen Gegner nicht frühzeitig genug, daß er sich durch dieses Erkennen hätte leiten lassen können. Wenn der Angreifer ein unbekannter Bösewicht gewesen wäre, so würde seinem Tode keine Reue gefolgt sein – das Schauspiel seines Todeskampfes würde in der Erinnerung dessen, der ihn ermordete, wie jeder andere traurige Anblick, an dessen Herbeiführung er keinen Theil genommen hätte, gehaftet haben.

Wenigstens muß gesagt werden, daß sein Wille bei dieser That nicht betheiligt war; er handelte in Folge eines Impulses, den er weder beherrschen, noch überwinden konnte. Soll man da, wo keine Absicht vorhanden ist, Schuld aufbürden? Darf ein Mensch aus einer Handlung, zu welcher er nicht allein nicht durch eine schuldvolle Absicht veranlaßt worden, sondern die er ohne jede Absicht vollbracht hat, Stoff zu Vorwürfen gegen sich selbst ziehen? Sollen wir, wenn Folgen daraus hervorgehen, die nicht voraus zu sehen sind, nicht in der Ueberzeugung von unserer Redlichkeit und der menschlichen Schwachheit eine Zuflucht finden? Sollen wir uns für verbrecherisch halten, weil wir uns nicht der Attribute der Gottheit erfreuen? Weil unsere Macht und unser Wissen durch unübersteigliche Schranken begrenzt sind?

Aber woher kam der spätere Vorsatz? Er war die Frucht eines furchtbaren Irrthums – sogar Absichten waren edel und mitleidig, aber das nützt nichts, um ihn von der Anklage der Schuld freizusprechen; keine Erinnerung an frühere Wohlthaten kann dieses Verbrechen wieder gut machen. Die mit seinen Gewissensbissen gefüllte Wagschale ist durch kein Gegengewicht zu bewegen.

Aber welches sind die Folgerungen, welche von einem leidenschaftslosen Beobachter gezogen werden würden? Ist es möglich, diesen Menschen geringschätzig oder feindselig anzusehen? Das Verbrechen ist aus den Beschränkungen hervorgegangen, welche die Natur den menschlichen Fähigkeiten auferlegt hat. Die Beweise für eine gute Absicht sind Alles, was erforderlich ist, um uns von Tadel freizusprechen. Das ist er in Folge eines doppelten Irrthums – er sieht dieses Ereigniß von einem falschen Gesichtspunkte an, er urtheilt irrig und ist in Folge dessen unglücklich.

Wie unvollkommen sind die Gründe für alle unsere Entscheidungen! Hatte es nichts genützt, daß seine Kindheit beaufsichtigt, seine Lehren und Beispiele ausgewählt, die Wirkung seiner Grundsätze beobachtet wurde, daß man ihn in das Jünglingsalter übergehen sah, ihn durch verschiedene Scenen und schwere Heimsuchungen folgte, und die Unerschütterlichkeit seiner Rechtschaffenheit erkannte? Wer würde sein späteres Verhalten vorausgesagt haben? Wer hätte nicht die Unmöglichkeit einer solchen Handlung betheuert?

Wie geheimnißvoll war der Zusammenhang zwischen dem Schicksal Wiatte's und seiner Schwester. Durch solche weit entfernte und doch unfehlbare Mittel wurden die Racheschwüre ihres Bruders ausgeführt! In wie vielen Fällen kann man wie in diesem sagen, daß die Prophezeihung die Ursache ihrer Erfüllung selbst gewesen ist – daß gerade die Handlung, welche ein rücksichtsvoller Beobachter und er selbst eine Zeit lang für geeignet hielt, die Ausführung der Drohungen Wiatte's zu verhindern, diejenige sein mußte, welche unvermeidlich dazu führte – daß die Ausführung demjenigen überwiesen wurde, der voll Abscheu und nur aus Nothwehr der Mörder des Drohenden wurde!

Wiatte lauerte Clithero als Hinderniß für seine Absichten auf und griff ihn an – er kam bei dem Versuche um. Wurde seine Absicht vereitelt? Nein – so sicherte er sich die Befriedigung seiner Rachsucht – seine Schwester wurde in der Blüthe des Lebens und des Glückes dahingerafft – das freiwillige Werkzeug seiner Bosheit hatte sich durch ein Raffiment des Glückes ewige Verbannung und Elend ohne Ende auferlegt.

Aber was meine Verwunderung am meisten erregte, war die Verbindung dieser Geschichte mit dem Schicksal Sarsefield's. Dieser war es, den ich oft gegen Dich als meinen Lehrer erwähnt habe. Ungefähr vier Jahre vor diesem Zeitpunkte erschien er ohne Vermögen und ohne Freunde in unserer Gegend. Er bat eines Abends in dem Hause meines Onkels um ein Unterkommen. Als die Unterhaltung auf den Zweck seiner Reise fiel, erklärte er, daß er eine einträgliche Beschäftigung suche. Mein Onkel schlug ihm vor, daß er Lehrer werden solle, da sich in der Umgegend eine hinlängliche Zahl von jungen Leuten befand, die ihm Beschäftigung und Unterhalt gewähren konnten.

Er fand es seinem Interesse angemessen, diesen Vorschlag anzunehmen. Ich wurde natürlicherweise sein Schüler und benahm mich auf eine solche Weise, daß ich bald sein Liebling ward. Er theilte uns nichts über sein früheres Leben mit, erzählte uns aber genug von seinen Abenteuern in Asien und Italien, daß deutlich daraus hervorging, er sei die von Clithero erwähnte Person. Sein Verhalten während seines Aufenthaltes unter uns, war tadellos. Als er uns verließ, gab er das tiefste Bedauern zu erkennen, aber dies rührte hauptsächlich von seiner Zuneigung für mich her. Er versprach einen Briefwechsel mit mir zu unterhalten, aber seit seiner Abreise hatte ich nichts von ihm gehört, jetzt erfuhr ich zu meinem unaussprechlichen Bedauern, daß er in seinen Hoffnungen getäuscht worden sei, und wurde von Neugier in Bezug auf die Maßregeln erfüllt, welche er in seiner neuen Lage ergreifen würde. Vielleicht kehrte er nach Amerika zurück, und ich sollte wieder zum Genuß seiner Gesellschaft zugelassen werden. Ich sah diesem Ereigniß mit der größten Befriedigung entgegen.

Für den Augenblick war das Schicksal des unglücklichen Clithero der Gegenstand tiefer Besorgniß. Als er mich am Schluß seiner Erzählung plötzlich verließ, vermuthete ich, daß er nun einen seiner gewohnten Streifzüge unternommen habe und daß dieser nur mit dem Tage endigen werde.

Am folgenden Morgen erhielten wir eine Botschaft von Inglefield, durch welche er anfragte, ob Jemand wisse, was aus seinem Diener geworden sei. Ich konnte diese Frage nicht ruhig mit anhören. Ich erinnerte mich seiner Andeutung einer Absicht gegen sein Leben, und gab den düstersten Ahnungen Raum. Ich eilte zu Inglefield. Man sagte mir, Clithero sei am vorigen Abend nicht zurückgekehrt. Er hatte ihnen nichts von einer Absicht, seinen Aufenthaltsort zu verändern, mitgetheilt: man fand seinen Koffer und Alles, woraus sein geringes Besitzthum bestand, in dem gewöhnlichen Zustande – er hatte keine Unzufriedenheit mit seiner gegenwärtigen Lage zu erkennen gegeben.

Es verflossen mehrere Tage, ohne daß man Nachricht von ihm erhalten konnte. Seine Abwesenheit wurde der Gegenstand der Vermuthungen eines Jeden, gab aber Niemandem außer mir Anlaß zu besonderer Besorgniß. Meine Befürchtungen beruhten gewiß auf genügenden Gründen – von dem Abendlicht an, wo wir uns trennten, hatte Niemand von ihm etwas gehört oder gesehen. Durch das undurchdringliche Geheimniß, in welches er sich hüllte, hatte er uns außer Stand gesetzt, zu entdecken, welche Art des Selbstmordes er gewählt habe.

Inmitten meines Sinnens über diesen Gegenstand stieg der Gedanke an die Wildniß in mir auf. Konnte er seine Absicht in deren dunkelsten Tiefe ausgeführt haben? Sie blieb von dem Fuße der Menschen unbesucht und seine Gebeine konnten Jahrhunderte lang in dieser Einsamkeit liegen, ohne die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie zu suchen, wo sie lagen, sie zu sammeln und ihnen ein Grab zu geben, war eine Pflicht, die mir obzuliegen schien, und deren Erfüllung mit tausend gewohnten Gefühlen und mannigfaltigen Genüssen verknüpft war.

Du kennst meine Vorliebe für den Geist, der seine Inspirationen in der Düsterkeit des Waldes und am Ufer der Flüsse ausströmt. Ich liebe es, mich in schattige Orte und Thäler zu vertiefen und in den rauhen Verstecken von Norwalk mit dem Ernst und der Feierlichkeit der Natur zu verkehren. Das Verschwinden Clithero's hatte mir eine neue Veranlassung geliefert, seine Felsen zu erklettern und durch seine Dickichte zu schweifen, da ich die Hoffnung hegte, daß ich auf meinen Streifzügen auf eine Spur dieses Mannes treffen könne. Aber lebte er nicht vielleicht noch? Seine Worte hatten in mir den Glauben geweckt, daß er sich das Leben zu nehmen beabsichtige. Diese Katastrophe war jedoch keineswegs gewiß. Stand es nicht in meiner Macht, es zu verhüten? Konnte ich nicht einen so kräftigen Geist einem ruhigen und gesunden Dasein wiedergeben? War ich nicht im Stande seine verderbliche Geringschätzung und seine unermeßliche Abscheu gegen sich selbst zu verscheuchen? Seine Vorwürfe und seine Verachtung waren unverdient und am unrechten Orte, vielleicht verkündeten sie eher Wahnsinn wie Vorurtheil, aber der Wahnsinn war eben so heilbar, wie das Vorurtheil. Der Verstand diente nicht allein als Gegenmittel für die Einbildungen eines gestörten Geistes gleich dem seinigen, sondern auch für die Einbildung eines Irrthums.

Ich erinnerte mich nicht sogleich, daß es unmöglich sei, in dieser Wüste zu leben. – Nüsse waren die einzigen Früchte, welche sie hervorbrachte und diese konnten zur Erhaltung des menschlichen Lebens nicht genügen. Wenn sie von Clithero bewohnt wurde, so mußte er deren Grenzen von Zeit zu Zeit einmal überschreiten, um Lebensmittel zu betteln oder zu stehlen. Ein solches Verfahren war zu demüthigend und zu schändlich, als daß wir es ihm hätten zutrauen sollen. Es lagen Gründe für die Vermuthung vor, daß er von den Reizen der Einsamkeit und eines ungestörten Aufenthalts in der gebirgigen, rauhen Natur hingerissen sei. Aber er konnte sich derselben nicht ohne Unterbrechung erfreuen. Er vermochte sein Leben nur dadurch zu erhalten, daß er die Wohnungen der Menschen zuweilen in Gestalt eines Bettlers oder Diebes benutzte. Da man nichts davon wußte, daß Clithero sich bei irgend einem Farmhause der Nachbarschaft gezeigt hatte, so mußte man daraus folgern, daß er sich entweder weit aus der Gegend entfernt hatte, oder todt war.

Obgleich ich den Entschluß faßte, den größten Theil meiner Zeit in den Tiefen von Norwalk zu verbringen, so gab ich doch fast die Hoffnung auf, den Flüchtling zu treffen. Es gab allerdings doppelte Gründe für meine Hoffnungslosigkeit in dieser Beziehung, es war nicht allein wahrscheinlich, daß Clithero weit fortgeflohen sei, sondern auch, daß er sich, wenn er ein Versteck in einem Winkel oder einer Höhle dieses Distriktes verborgen habe, sein Versteck nicht leicht aufzuspüren sein würde. Das ergab sich aus der Beschaffenheit dieser unfruchtbaren Gegend.

Es würde nicht leicht sein, das Aussehen dieser Gegend mit wenigen Worten zu beschreiben. Die Hälfte von Solebury gestattet, wie Du weißt, weder die Anwendung des Pfluges, noch die des Spatens. – Der anbaufähige Raum zieht sich am Flusse hin, und die im Norden liegende Wüste hat auf irgend eine Weise den Namen Norwalk erhalten. Kannst Du Dir einen fast kreisrunden, ungefähr sechs Meilen im Durchmesser haltenden Raum denken, der eine ununterbrochene, verwickelte Mannigfaltigkeit von rauhen Anhöhen und tiefen Schluchten darbietet. Die Hohlwege liegen einzeln und von Felsen umgeben, deren Gestalt und Höhe eine stetige Mannigfaltigkeit darbietet, da und stehen selten in sichtbarer Verbindung mit einander. Diese Vertiefungen haben jeden möglichen Umfang, von der Enge und Tiefe eines Brunnens an bis zu einer Ausdehnung von Hundert Schritten. Man findet oft im Hochsommer in ihnen den Winterschnee. Die Bäche, welche aus jedem Spalt hervortropften, werden durch die Unregelmäßigkeit der Oberfläche in zahllose Wasserfälle vertheilt, verschwinden oft in Nebel oder in Spalten, kommen aus unterirdischen Kanälen hervor und verschwinden endlich entweder in Seen, oder schlängeln sich ruhig durch die tieferen und flacheren Strecken.

Wo die Natur eine ebene Stelle übrig gelassen hat, wird sie stets durch riesige, umgestürzte Baumstämme rauh und fast ungangbar gemacht, die durch die Stürme von Menschenaltern aufgehäuft sind, und durch ihr langsames Verwittern einen moosbedeckten Boden bilden, der den Kaninchen und Eidechsen zum Aufenthalt dient. Diese Stellen werden durch den melancholischen Schatten der Fichten verdüstert, deren ewiges Rauschen im Einklange mit der Oede und Einsamkeit, mit dem Brausen der Bäche und dem Pfeifen des Windes steht. Die weißen Wallnußbäume und Pappeln, welche im flachen Lande reichlich vorhanden sind, finden hier kein nährendes Element.

Eine Art sich schlängelndes, steiles, fortlaufendes Thal führt in die Mitte dieser Region und durch sie. Dieses Thal dient als Straße; es ist ein mühseliges, fortwährend aufsteigendes Labyrinth und fordert von dem Reisenden einen vorsichtigen, sichern Fuß. Zuweilen zeigen sich auf beiden Seiten Oeffnungen und aufsteigende Stellen, die einen Zugang nach dem Innern zu versprechen scheinen, aber immer früher oder später in unüberwindlichen Schwierigkeiten am Rande eines Abgrundes, oder am Fuße einer steilen Felswand endigen.

Es gab wohl Niemand, der besser mit dieser Wildniß bekannt gewesen wäre, wie ich. Aber meine Bekanntschaft war höchst unvollkommen. Ich war in früher Jugend in verschiedenen Theilen derselben auf der Jagd nach Nüssen oder Beeren, oder von der Neigung zum Umherstreifen geleitet, umhergewandert – später vergrößerte sich der Umfang meiner Spaziergänge, und sie erhielten einen andern Zweck. Als Sarsefield zu uns kam, wurde ich sein Liebling und war sein Begleiter bei allen seinen Ausflügen zu Fuße. Er liebte es, in diese Tiefen zu dringen, theils aus Wohlgefallen an malerischen Schauplätzen, zum Theil um ihre botanischen und mineralischen Erzeugnisse zu untersuchen, und zum Theil die Erziehungslehren, welche er in Bezug auf mich angenommen hatte, und welche hauptsächlich aus moralisirenden Erzählungen oder sympathetischen Raisonnements bestand, mit größerer Wirksamkeit zu verfolgen. Diese Ausflüge hatten mich mit ihren Umrissen und zugänglichsten Theilen bekannt gemacht, aber es gab noch viele Stellen, die ohne Flügel nie zu erreichen waren, und viele, bei denen ich die wenigen Pfade, welche dazu führten, stets übersah.

Jeder neue Ausflug fügte allerdings meiner Kenntniß etwas bei; es wurden neue Wege verfolgt, neue Aussichten entdeckt und neue Gipfel erstiegen. Meine Streifereien führten unaufhörlich Neues vorbei, obgleich sie stets mit dem Anblick von Schranken endigten, die nicht überstiegen werden konnten. Aber keiner derselben hatte mich weiter von meinen gewohnten Pfaden hinweggeführt, wie derjenige, welchen ich bei der Verfolgung Clithero's einschlug. Ich erinnerte mich unklar an das Thal, in welches ich ihm hinabgefolgt war, aber bis zu dieser Zeit hatte ich es aus der Ferne beobachtet und es für unmöglich gehalten, den Grund anders zu erreichen, als indem man von einem einige hundert Fuß hohen Felsen hinabsprang. Die gegenüberliegende Felswand schien nicht weniger unzugänglich zu sein und der Hohlweg im Grunde blieb bei jeder Aussicht, welche mir meine früheren Stellungen gestattet hatten, undurchdringlich für das Auge.

Meine Absicht, diese Höhle nochmals zu untersuchen und mich zu überzeugen, wohin sie führte, war aus verschiedenen Gründen eine Zeit lang aufgeschoben worden, jetzt erwachte sie mit größerer Stärke wie vorher. Ich überlegte, daß sie früher von Clithero bewohnt worden sei, und möglicherweise der Schauplatz der Handlungen der Verzweiflung gewesen sein könne, die er vor hatte – wenigstens verbarg sie vielleicht Spuren seines früheren Daseins. – Sie konnten ihn zu noch unbesuchten Räumen und zu Gipfeln führen, von wo aus ausgedehnte Landschaften zu erblicken waren.

Ich machte mich eines Morgens auf den Weg, um diese Gegend zu erforschen. Der Weg, welchen Clithero eingeschlagen hatte, war mühselig und weitschweifig. Bei der Rückkehr von seiner Verfolgung stieg ich die Felsen in der nämlichen Richtung wieder hinauf, stieß aber bald auf die betretene Straße, welche ich bereits beschrieben habe. Dies setzte mich in den Stand, tausend Hindernisse zu vermeiden, die sich vorher vor mir aufgethürmt hatten und eröffnete mir einen leichten Zugang zu der Höhle.

Ich verfolgte diesen Weg nochmals. Der Kamm des Berges war erreicht; die Absätze aus welchen er bestand, gewährten genügenden Halt, obgleich sie, aus der Ferne gesehen, zu diesem Zwecke zu schmal geschienen hatten. Als ich die rauhe Treppe hinabstieg, konnte ich nicht umhin, mich über die Kühnheit und Schnelligkeit zu wundern, womit früher dieses Herabsteigen stattgefunden hatte – es schien mir, als ob das Tageslicht und die sorgsamste Vorsicht mich kaum in den Stand setzen würde, es zu vollbringen, und doch war es damals in rasender Eile und ohne andere Führung wie das ungewisse Licht des Mondes geschehen.

Ich erreichte die Mündung der Höhle. Bis jetzt hatte ich vergessen, daß vielleicht eine Lampe oder eine Fackel nothwendig sein würden, um meine Schritte unter der Erde zu leiten. Ich wollte den Versuch nicht aufgeben. Es war möglicherweise Licht, wenn die Höhle keinen anderen Ausgang hatte. Er konnte im Innern etwas darbieten, was mich wieder fern hielt, aber ich war immer geneigt, sie eher für einen Zugang zu halten, der auf den Gipfel des Felsens oder auf die andere Seite des Berghanges führte. Die Vorsicht ersetzte vielleicht das Licht, aber wenn ich die Höhle für jetzt so weit wie möglich untersucht hatte, konnte ich später, besser für die Nachforschung ausgerüstet, zurückkehren.

Ende des ersten Bandes.



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