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Siebentes Kapitel.


Clarissa blieb mittlerweile fern. Ihre Freundin schien nach Verlauf eines Monats dem Grabe nur wenig ferner zu stehen, wie zuvor. Meine Ungeduld wollte mir nicht erlauben, auf ihren Tod zu warten. Ich besuchte sie, mußte aber wieder allein zurückkehren. Ich kam spät in der Stadt an, und da ich sehr ermüdet war, so begab ich mich sogleich in mein Zimmer.

Als Sarsefield von meiner Ankunft hörte, besuchte er mich eilig. Er kam an mein Bett, und die Wichtigkeit der Nachricht, welche er mir mitzutheilen hatte, war seiner Ansicht nach so groß, daß er sich nicht bedachte, mich aus meinem tiefen Schlafe zu wecken.

Bei diesem Punkte seiner Erzählung hielt Clithero inne; seine Farbe ging die verschiedenen Stufen des Erbleichens durch; sein Geist schien von einer schweren Last bedrückt zu werden, und er bat mich, ihm einige Minuten die Fortsetzung zu erlassen. Er erholte sich nach kurzer Zeit von diesem Anfalle, und setzte seine Erzählung, Anfangs mit bebender Stimme, fort, fand aber nach und nach die Festigkeit und Kraft wieder.

Als ich erwachte, fand ich meinen Freund neben meinem Bette und sein Gesicht zeigte vielfältige Spuren der Unruhe. Sobald ich bemerkte, wer es war, fuhr ich auf und rief, »was giebt es?«

Er seufzte.

»Verzeihen Sie diese Belästigung zu so unpassender Zeit,« sagte er; »eine geringfügige Veranlassung würde sie nicht herbeigeführt haben. Ich habe seit zwei Tagen mit tödtlicher Ungeduld auf Ihre Rückkehr gewartet; zum Glück sind Sie endlich da. Ich bedarf Ihres Rathes und Ihres Beistandes im höchsten Grade.«

»Gütiger Himmel!« rief ich, »dies ist eine furchtbare Einleitung. Sie dürfen natürlicherweise auf meinen Rath und meinen Beistand rechnen. Was haben Sie mir mitzutheilen?«

»Am Dienstag Abend,« antwortete er, »war ich hier. Es wurde spät, ehe ich nach meiner Wohnung zurückkehrte. Ich stand im Begriff, nach der Klingel zu greifen, als mein Blick durch eine Person angezogen wurde, die in der Entfernung von ungefähr zehn Schritten dicht an der Mauer stand. Ihre Stellung war die eines Menschen, der sich damit beschäftigte, mich zu beobachten; sein Gesicht war mir zugewendet, und wurde in diesem Augenblick durch die Strahlen einer Kugellampe, welche über der Thüre hing, vollständig beleuchtet. Ich erkannte sofort seine Züge. – Ich wurde versteinert – ich hatte nicht die Kraft, meine Absicht auszuführen, oder mich auch nur zu regen, und stand einige Secunden mit auf ihn gerichteten Blicken da. Er gerieth über die Schärfe meiner Beobachtung durchaus nicht in Erstaunen; er schien vollständig gleichgültig gegen die Folgen des Erkanntwerdens zu sein. Endlich wendete er die Augen langsam nach einer andern Seite, aber ohne seine Stellung oder seine düstere Miene zu verändern. Ich kann die Erschütterung, welche dieses Zusammentreffen in mir hervorbrachte, nicht beschreiben. Endlich ging ich in das Haus, und bin seitdem fortwährend außerordentlich unruhig gewesen.«

»Ich finde keinen Grund zur Unruhe.«

»Sie ahnen also nicht, wer diese Person ist?«

»Nein.«

»Es ist Arthur Wiatte.«

»Großer Gott, das ist unmöglich! Wie, der Bruder Mylady's?«

»Derselbe.«

»Es ist nicht möglich! Man hat uns versichert, daß er todt sei – daß er bei einer Meuterei auf dem Schiffe umgekommen wäre, auf welches er zur Deportation gebracht worden war.«

»So lautete das Gerücht, das sich leicht irren kann. Meine Augen können sich in diesem Falle nicht täuschen. Ich würde eben so leicht seine Schwester, wenn ich sie zum ersten Male träfe, nicht verkennen, wie ihn. Dies ist der Mann, mag er nun einmal todt gewesen sein, oder nicht, jetzt lebt er und befindet sich in dieser Stadt.«

»Aber hat sich seitdem etwas ereignet, was Ihren Verdacht bestärkt?«

»Allerdings. Sobald ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte, fing ich an, über die Maßregeln nachzudenken, welche ergriffen werden müßten. Dies war der nämliche Arthur Wiatte – Sie kennen seinen Charakter; es stand nicht zu erwarten, daß irgend ein Zeitraum die Grundsätze eines solchen Menschen verändert haben werde. Aber sein Aeußeres verrieth die Unheilbarkeit seiner Gewohnheiten hinlänglich – auf seinem Gesicht standen die nämlichen, abscheulichen Leidenschaften, wie früher geschrieben. Sie erinnern sich, welche Rache Wiatte seiner Schwester geschworen hat. Von seiner Bosheit ist Alles zu fürchten. Wie ich die Gefahr abwenden soll, weiß ich nicht, ich habe jedoch an ein Mittel gedacht; es könnte für den Augenblick nützen und bei Ihrer Rückkehr bot sich vielleicht etwas Besseres dar. Ich kam am folgenden Tage zeitig hierher. Der alte Gowan, der Portier ist mit der Geschichte Wiatte's wohl bekannt; ich theilte ihm mit, daß ich Grund habe, zu glauben, daß er zurückgekehrt sei. Ich schärfte ihm ein, ein wachsames Auge auf jeden, der an die Thür klopft, zu haben, und diese Person, wenn sie kommen sollte, unter keiner Bedingung einzulassen. Der alte Mann versprach meiner Anweisung treulich nachzukommen, ja seine Furcht war größer wie die meine, und er wußte, wie wichtig es sei, Wiatte von diesen Mauern auszuschließen.«

»Haben Sie die Dame nicht hiervon benachrichtigt?«

»Nein. Auf welche Weise konnte ich es ihr mittheilen? Was konnte es ihr nützen? Warum sollte ich sie unruhig machen? Aber ich bin noch nicht fertig. Gestern früh nahm mich Gowan auf die Seite und benachrichtigte mich, daß sich Wiatte am vorigen Tage an der Thüre gezeigt hatte. Er sagte, er habe ihn auf den ersten Blick gekannt. Er fragte nach der Dame, aber der Alte sagte ihm, daß sie Gesellschaft habe und nicht zu sprechen sei. Er nahm eine gebieterische, stolze Miene an und behauptete, seine Geschäfte seien von solcher Wichtigkeit, daß sie keinen Augenblick Aufschub ertrügen. Gowan blieb bei seiner ersten Weigerung. Er entfernte sich mit großem Widerwillen, sagte aber, er werde Morgen wiederkommen und darauf bestehen, bei der Dame vorgelassen zu werden. Ich habe mich erkundigt und gefunden, daß er seinen Besuch nicht wiederholt hat.«

Ich war in eben so großer Verlegenheit wie mein Freund. Was stand von der schändlichen Verworfenheit Wiatte's nicht zu fürchten? Seine Rachedrohungen gegen seine Schwester tönten noch vor meinen Ohren – eine Maßregel zu deren Verhinderung war unvermeidlich. Konnten wir das Gesetz um Beistand anrufen? Gegen ein solches Uebel ist keine gesetzliche Vorkehrung getroffen. Seit seiner Deportirung waren neun Jahre verflossen – seine Verbannung hatte sieben Jahre dauern sollen und er daher durch seine Rückkehr kein Verbrechen begangen. Seine Person konnte auf gesetzlichem Wege nicht belästigt werden, und wir hatten nur das Recht, einen Angriff zu vereiteln. Aber wenn wir uns auch an das Gesetz wendeten, so konnte dies doch nicht ohne Vorwissen und Mitwirkung seiner Schwester geschehen. Sie würde es nie gestattet haben; ihr Herz war der Furcht vor einer Gefahr von dieser Seite unfähig; sie hätte den Gedanken an Vorsichtsmaßregeln gegen den Haß ihres Bruders mit Verachtung von sich gewiesen, und ihre Unruhe würde um seinetwegen erwacht sein.

Ich war in der größten Verlegenheit. Wenn man ihn aufsuchte, und durch die Bekanntschaft mit seiner Lage und seinen Absichten zu einem Urtheil über die von ihm zu fürchtende Gefahr kam, wurde dadurch irgend ein Hülfsmittel geboten.

Aber wie war sein Schlupfwinkel zu entdecken? Dies war leicht; er hatte die Absicht ausgesprochen, nochmals die Zulassung zu seiner Schwester zu verlangen. Wir konnten Jemand in der Nähe aufstellen, der mit einer genügenden Beschreibung seiner Person versehen war, ihn beobachtete wenn er kam und ihm folgte, wenn er sich entfernte, und uns sofort die Auskunft in dieser Beziehung mittheilte, welche er zu erlangen vermochte.

Mein Freund billigte meinen Plan. Es war für jetzt kein besserer vorzuschlagen und unsere Conferenz endete hier.

Jetzt hatte ich einen neuen Gegenstand des Nachdenkens; er war geeignet, meinen Geist mit düstern Ahnungen zu erfüllen. Die Zukunft war nicht mehr ein Schauspiel der Sicherheit und Freude, und es würde denen, welche unsere Erfahrung nicht besaßen, schwer geworden sein, unsere Befürchtungen zu theilen. Das Dasein Wiatte's war der Krebs, welcher das Glück meiner Gönnerin vernichtet hatte; in seinem Widererscheinen auf der Bühne lag etwas Bedeutungsvolles: es schien Folgen von der höchsten Wichtigkeit in sich zu schließen, ohne daß ich im Stande gewesen wäre, zu entdecken, was diese Folgen sein konnten.

Daß auf Sarsefield so schnell sein Todfeind folgte, daß sie zusammen, ohne vorherige Andeutung auf ganz unerwartete Weise und zu gleicher Zeit wieder auf den Schauplatz traten, gab den Anschein, als ob unter diesen Vorfällen eine furchtbare Bedeutung lauere, welche der menschliche Scharfsinn nicht entdecken konnte. Mein Muth sank, wenn ich daran dachte, daß dies der Vater Clarissa's sei – derjenige, durch dessen Grausamkeit ihre Mutter dem Genuß unbefleckter Ehre entrissen und der Schande und einem frühen Grabe zugeführt worden war, derjenige, von dem sie selbst in ihrer Kindheit der Hülflosigkeit überlassen und dem Schicksal preisgegeben worden war, die Beute herzlosen Geizes und ein Opfer der Schurkerei zu werden, die einen Handel mit der jungfräulichen Unschuld treiben, der Alles gethan hatte, was in seiner Macht stand, um ihre Jugend dem Laster und dem Elend zu weihen. Wo hörte seine Macht auf? Wie konnte er die väterlichen Rechte ausüben?

Es war mir unmöglich zu schlafen, so lange mich diese Bilder verfolgten. Ich verbrachte die Nacht in unaufhörlicher Bewegung, ich ging unausgesetzt in meinem Zimmer auf und ab; mein Geist war in größerer Aufregung, wie sich sie je zuvor gefühlt hatte. Die Veranlassung war, genau betrachtet, weit davon entfernt, die bedeutungsvolle Unruhe zu rechtfertigen, welche ich damals fühlte, aber wie sollte ich sie dann erklären?

Sarsefield erfreute sich vermuthlich seines gewohnten Schlafes; seine Ruhe war vielleicht nicht ganz ungestört, aber wenn er über drohende oder mögliche Unglücksfälle nachdachte, so klebte ihm die Zunge nicht am Gaumen, sein Hals wurde nicht durch unauslöschlichen Durst vertrocknet, er fühlte sich nicht fortwährend angetrieben, seine überflüssige Fruchtbarkeit der Gedanken in Thätigkeit zu erhalten. Wenn ich für diejenige zitterte, die ich liebte, und deren Sicherheit dadurch gefährdet wurde, daß sie die Tochter dieses Bösewichts war, so hatte er doch eben so viel Grund, für diejenige zu fürchten, welche er gleichfalls liebte, und die als die Schwester dieses Schurken von den schlimmsten Gefahren umringt war. Aber er war vermuthlich unruhig, während ich von Besorgniß gepeinigt wurde.

Ach, der Unterschied ließ sich leicht erklären! Dies war der Anfang einer Folge von Ereignissen, welche die Bestimmung hatten, mich schnell der Vernichtung zuzutreiben, dies waren die ersten Zeichen der Gegenwart jener Macht, durch deren höllische Ränke ich fallen sollte. Sie erstaunen über diese Erklärung; sie ist der Art, wie sie wenige gewöhnt sind; vielleicht sehen Sie dieselbe nur für einen Ausbruch des Wahnsinns an.

Ich weiß was ich sage; ich baue nicht auf die Vermuthungen und Voraussetzungen fort – ja, ich kümmere mich nicht um Ihre Zweifel, und Sie können Ihre Schlüsse nach Belieben ziehen. Wollte Gott, daß mein Glaube unbegründet wäre, und daß ich nicht Grund zu der Ueberzeugung hätte, daß mein Verstand durch teuflische Antriebe verderbt worden wäre.

Ich konnte in dieser Nacht keinen Schlaf finden. Nach der Entfernung Sarsefield's legte ich mich nicht einmal nieder, es war mir, als ob ich die Wohlthat der Ruhe nicht anders erlangen könne, als wenn ich meine Gebieterin über die Möglichkeit der Gefahr stellte.

Ich traf Sarsefield am folgenden Tage. In Folge des Planes, welchen wir am Abend vorher angenommen hatten, wurde eine Person ausgewählt und beauftragt, das Erscheinen Wiatte's zu beobachten. In Bezug auf die Dame verfloß der Tag wie gewöhnlich – am Abend war sie von einigen Fremden umgeben. Ich wurde jetzt unter dieselben zugelassen; Sarsefield und ich bildeten einen Theil der Gesellschaft. Es wurde über verschiedene Gegenstände unbefangen und lebhaft gesprochen. Ihre Gesellschaften waren aus beiden Geschlechtern zusammengesetzt und schienen den ganzen Scharfsinn und Witz in Anspruch genommen zu haben, den es in der Hauptstadt gab.

Die Gesellschaft trennte sich nach einem leichten Mahle. Diese Trennung fand in Folge eines unbedeutenden Unwohlseins der Mrs. Lorimer früher wie gewöhnlich statt. Sarsefield und ich gingen zusammen aus. Wir benutzten die Gelegenheit dazu, unsern Beauftragten zu befragen, und da wir nichts Genügendes von ihm erfuhren, so entließen wir ihn für diese Nacht, nachdem wir ihm befohlen hatten, sich bereit zu halten, den Versuch am anderen Tage zu wiederholen. Mein Freund schlug den Heimweg ein, und ich wollte einen Auftrag ausführen, den ich über mich genommen hatte.

Vor einigen Tagen war eine Summe für meine Gönnerin bei einem Banquier niedergelegt worden; sie bildete den Betrag einer Schuld, die vor Kurzem eingegangen und hier abgegeben worden war, um auf ihr Verlangen an sie oder ihre Beauftragten ausgezahlt zu werden. Meine Absicht war jetzt, dieses Geld in Empfang zu nehmen; ich hatte die Besorgung dieses Auftrages wegen gewissen, nothwendigerweise zu erledigenden Vorbereitungen bis auf eine so späte Stunde aufgeschoben.

Nachdem ich dieses Geld in Empfang genommen hatte, schlug ich den Heimweg ein. Die durch die Nachricht Sarsefield's herbeigeführte Unruhe hatte mich nicht unfähig gemacht, meine gewöhnten, täglichen Beschäftigungen zu verrichten. Es war ein Gegenstand, zu welchem ich in jedem freien Augenblicke zwischen den Geschäften oder dem Gespräche zurückkehrte. Dann beschäftigte ich mich damit, die Sache von allen Seiten zu prüfen, eigenthümliche Fälle vorauszusetzen und mir das für jeden geeignete Verfahren vorzuzeichnen. Meine Gedanken am Tage flößten mir keineswegs so viel Furcht ein, wie es das Nachdenken der Nacht gethan hatte.

Sobald ich die Schwelle des Banquiers überschritt, schlugen meine Gedanken diese Richtung ein und ich überschaute nochmals die Ereignisse der letzten Tage und berechnete die Folgen, welche möglicherweise daraus hervorgehen konnten. Meine Schlüsse waren bei dieser Gelegenheit nicht sehr beunruhigend, die Rückkehr der Dunkelheit hatte meine Befürchtungen nicht erhöht. Ich betrachtete Wiatte nur als Jemand, gegen dessen Bosheit es weise sei, die sorgsamsten Vorsichtsmaßregeln anzuwenden, und während ich über diese Vorsichtsmaßregeln nachsann, fiel mir nichts Neues ein. Die Gefahr erschien mir ohne ungewöhnliche Vergrößerung und die Hülfsmittel, welche sich mir zur Wahl darboten, wurden weder in sanguinischerer noch niedergeschlagenerer Stimmung wie vorher, überschaut.

In diesem Geisteszustande trat ich meinen Gang an, und setzte ihn fort. Die Entfernung zwischen meiner Wohnung und dem Hause, welches ich verlassen hatte, war bedeutend. Mein Weg führte hauptsächlich durch bevölkerte und stark besuchte Stadttheile; an einer Stelle blieb es jedoch der Wahl des Gehenden überlassen, entweder auf der breiten Straße zu bleiben, oder den Weg dadurch abzukürzen, daß er in ein dunkles, krummes, enges Gäßchen einbog.

Da ich mit jedem Theile der Stadt vertraut war, und es für rathsam hielt, den kürzesten und dunkelsten Weg einzuschlagen, so wendete ich mich in das Gäßchen. Ich kam ohne Unterbrechung bis an die nächste Ecke; ein Polizeibeamter, der seine gewöhnlichen Abzeichen trug, war der einzige Mensch, welcher an mir vorüber kam. Ich war drei Schritte weiter gegangen, als ich einen Mann neben mir bemerkte; ich hatte kaum Zeit, diesen Umstand zu beachten, als eine rauhe Stimme rief, »hol Dich der Teufel, Schurke – Du hast am längsten gelebt!«

Im nämlichen Augenblick wurde eine Pistole abgeschossen und es folgte ein Knall, dies brachte jedoch weiter keine Wirkung hervor, als daß er auf kurze Zeit meine Sinne betäubte. Ich taumelte zurück, fiel aber nicht.

Die Kugel hatte, wie ich später bemerkte, meine Stirn gestreift, aber keine gefährliche Wunde verursacht. Als der Mörder bemerkte, daß sein Schuß wirkungslos geblieben sei, murmelte er in grimmigem Tone, »das soll Dir den Rest geben,« und zog dabei ein Messer hervor.

Ich konnte dies bei dem Scheine einer entfernten Lampe sehen, deren Schimmer auf die Klinge fiel. Dies Alles trug sich in Zeit von einem Augenblicke zu. Der Angriff war so plötzlich geschehen, daß ich meine Sinne nicht sogleich aus der Verwirrung zurückrufen konnte, in welche sie gestürzt worden waren, meine Anstrengungen fanden mechanisch statt, man hätte von meinem Willen sagen können, daß er passiv sei, und ich wurde nur durch den Rückblick und die Betrachtung der Folgen vollständig mit der Scene bekannt.

Wenn mein Angreifer verschwunden wäre, sobald er das Pistol abgeschossen hatte, so würde mein Zustand des höchsten Erstaunens vielleicht allmählig der Entschlossenheit und Thätigkeit gewichen sein, aber unter den jetzigen Umständen waren meine Sinne nicht sobald von dem Widerschein der Klinge berührt worden, als auch meine Hand wie mit unwillkürlicher Energie in meine Tasche fuhr. Ich zog ein Pistol heraus, er schwang die Waffe um zuzustoßen, aber sie entsank seinen kraftlosen Fingern; er fiel und sein Stöhnen überzeugte mich, daß ich meine Waffe mit größerer Geschicklichkeit wie mein Gegner gehandhabt habe.

Der Lärm dieses Kampfes brachte bald Zuschauer herbei; man brachte Licht und fand meinen Gegner blutend zu meinen Füßen. Ich erklärte so kurz wie möglich das Schauspiel, welches sie erblickten. Der Gestürzte wurde von zwei Männern aufgehoben und in ein nahes Wirthshaus gebracht. Ich hatte die Geistesgegenwart nicht verloren. Ich gewahrte sogleich, daß es angemessen sei, dem Verwundeten Beistand zu leisten und ich schickte daher einen der Umstehenden nach einem ausgezeichneten Arzte, der in geringer Entfernung lebte, und der mir wohl bekannt war. Der Mann wurde in einen Hintergrund geschafft und an die Erde gelegt. Erst jetzt hatte ich Gelegenheit, mir zu betrachten, wer derjenige sei, mit welchem ich gekämpft hätte. Ich blickte ihm jetzt in das Gesicht. Die Blässe des Todes konnte seine wohlbekannten Züge nicht entstellen – es war Wiatte selbst, der zu meinen Füßen seine letzten Seufzer aushauchte.

Der Arzt, welchen ich hatte rufen lassen, kam, erkannte aber sofort, daß der Zustand seines Patienten hoffnungslos sei. Nach Verlauf einer Viertelstunde verschied er. Während dieser Zeit blieb er unempfindlich gegen seine Umgebung. Ich war dem Arzte, dem Wirth und einigen Zeugen bekannt. Der Fall bedurfte nur einiger Erklärung: das Unglück bürdete mir keine Schuld auf. Man übergab dem Wirthe die Obhut über die Leiche bis zum folgenden Morgen und gestattete mir, ohne weiteres Hinderniß nach Hause zurückzukehren.


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