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Sechstes Kapitel.


Mein Benehmen bei einem so sehr ersehnten und so ganz unerwarteten Zusammentreffen war das eines Wahnsinnigen. Der erstarrende Einfluß des Erstaunens wich dem Gefühl der Leidenschaft, ich schloß ihn in meine Arme – ich weinte an seiner Brust – ich schluchzte in Folge einer Bewegung, die mein Herz zerbrochen haben würde, wenn sie nicht einen Ausgang durch meine Augen gefunden hätte. Es schien, als ob ich, der dem Tode entgangen war, welcher mir vorher in so mannigfaltiger Gestalt gedroht hatte, dazu bestimmt sei, eine solche Scene dadurch feierlich zu machen, daß ich vor Freude starb!

Die ernsteren Gefühle und die gewohnte Ruhe meines Gefährten verhinderten ihn, dieses Zeugniß für seine Empfindungen abzulegen – sein Geist neigte sich in der That mehr zum Erstaunen und Unglauben, wie es der meine gethan hatte. Er erkannte mich nicht sofort; er schrak vor meiner Umarmung zurück, als ob ich ein Gespenst oder ein Betrüger sei – er machte sich schnell aus meinen Armen los, trat einige Schritte zurück und blickte mich an, wie Jemand den er noch nie zuvor gesehen habe.

Ich schrieb dieses Zurückstoßen dem Verluste seiner Liebe zu – ich dachte nicht an die abstoßende Gestalt, in welcher ich vor ihm stand und durch welche man mit Recht veranlaßt werden konnte, mich für einen Räuber oder einen Wahnsinnigen zu halten. Meine Thränen flossen jetzt aus einer andern Ursache und ich stammelte mit gebrochener schwacher Stimme.

»Mein Lehrer! Mein Freund! Haben Sie mich vergessen, – haben Sie aufgehört, mich zu lieben?«

Der Klang meiner Stimme ließ ihn zusammenschrecken und entriß ihm den Ausruf: »Lebe ich – wache ich? – Ich bitte Sie, sprechen Sie noch einmal und geben Sie mir die Ueberzeugung, daß ich nicht träume, oder den Verstand verloren habe!«

»Können Sie noch eines Beweises bedürfen,« antwortete ich, »daß es Edgar Huntley – Ihr Schüler, Ihr Sohn ist, der mit Ihnen spricht?«

Jetzt lenkte er die Augen von mir ab und schlug sie nieder. Nach einer Pause fuhr er in nachdrücklichem Tone fort.

»Nun, ich habe bis zu diesem Tage im Unglauben gelebt! Es war meinem Geiste fremd, an eine wunderbare Einwirkung zu glauben, aber jetzt zweifle ich nicht länger. Rufen Sie mich vor die Schranken irgend eines Gerichts und fordern Sie von mir einen Eid, daß Sie zweimal todt gesehen worden und zweimal wieder in das Leben zurückgekehrt sind – daß Sie unsichtbar umhergehen und Ihren Ort nicht durch die Kraft und Muskeln, sondern durch die des Gedankens verändern, so werde ich ihn ablegen.

Wie sind Sie hierher gekommen? Sind Sie durch die Mauer gedrungen? Sind Sie durch die Dielen emporgestiegen?

Aber es ist sicher ein Irrthum – Sie können nicht derjenige sein, von dem zwanzig Zeugen behaupten, daß sie ihn als leblose, verstümmelte Leiche haben an der Erde liegen sehen – den meine eignen Augen in diesem Zustande erblickten.

Als ich den Ort wieder aufsuchte, um Ihnen ein Begräbnis zu geben, waren Sie verschwunden – ich traf Sie wieder – Sie sprangen in einen reißenden Fluß von einer Höhe, die es unmöglich machte, daß Jemand von ihr herabstürzen und leben bleiben konnte; aber wie um den Grenzen der Natur zu trotzen und mit der menschlichen Voraussicht zu spielen, erhoben Sie sich an die Oberfläche, schwammen und erhielten sich oben. Dreißig Kugeln wurden von Schützen, die durch die Genauigkeit ihres Auges berühmt sind, auf Ihren Kopf abgeschossen; ich selbst gehörte zu der Zahl und ich habe noch nie gefehlt, wenn ich treffen wollte.

Meine Erwartungen wurden durch die Folgen bestätigt – Sie hörten auf zu schwimmen, Sie sanken unter, um nicht wieder aufzustehen und doch erscheinen Sie nach so vielfältigem Tode wieder in diesem Zimmer, so weit von dem Schauplatz der Catastrophe über einen Raum hinweg, der in so kurzer Zeit, wie seitdem verflossen ist, nur von Wesen zurückgelegt werden konnte, die Flügel haben.

Meine Augen und meine Ohren legen jetzt eben so Zeugniß für Ihr Leben ab, wie sie mich früher von Ihrem Tode überzeugt haben. Was soll ich denken? Welchen Beweisen soll ich glauben?«

Jedes Wort seiner Rede erhöhte die Verwirrung meiner Gedanken. Die Andeutungen, welche mein Freund gegeben hatte, waren nicht unverständlich – ich erhielt einen Einblick in die verwickelten Täuschungen, durch welche wir Beide irre geleitet worden waren. Ich war auf dem Platze vor der Hütte Deb's ohnmächtig geworden. Sarsefield hatte mich in diesem Zustande gefunden und mich für todt gehalten.

Den Mann, welchen ich auf dem Vorgebirge gesehen hatte, war kein Indianer. Er gehörte zu einem zahlreichen Trupp von Verfolgern, die mein hastiges, feindseliges Benehmen veranlaßte, mich zu verfolgen. Diejenigen, welche von dem Felsen hinabschossen, waren Freunde gewesen. Der Zufall, welcher mich vor so vielen Kugeln beschützte, war in der That merkwürdig. Es war ein Wunder, daß mein freiwilliges Untersinken, um ihren Schüssen auszuweichen, für den Tod gehalten wurde und daß sie, nachdem sie die Vernichtung diese Feindes vollbracht hatten, ihre Verfolgung gegen Andere fortsetzten. Aber woher wußte Sarsefield, daß ich es sei, der in den Fluß gesprungen war? Kein nachfolgendes Ereigniß konnte ihn möglicherweise von der unglaublichen Wahrheit überzeugt haben.

Es folgte von beiden Seiten eine Pause. Endlich wiederholte Sarsefield seinen Ausdruck des Erstaunens über dieses Zusammentreffen und bat mich, zu erklären, warum ich bei Nacht aus dem Hause meines Onkels verschwunden sei und durch welche Reihe unerhörter Ereignisse dieses Zusammentreffen herbeigeführt worden wäre. War es wirklich Huntley gewesen, den er an der Schwelle der Hütte Deb's gesehen und beweint, den er in jedem Gebüsch und in jeder Höhle in dem weiten Umkreise von Norwalk und Chetasco gesucht hatte, den er in der Strömung des Delaware hatte umkommen sehen?

Ich achtete nicht auf seine Fragen. Mein Geist wurde von Befugniß über das Schicksal meines Onkel und meiner Schwestern durchwühlt. Sarsefield konnte mir die Nachrichten mittheilen, welche über mein zukünftiges Schicksal entscheiden oder mein Glück oder Elend feststellen würden. Aber ich hatte nicht den Muth, es auszusprechen, meine Hoffnung schwand und es war mir, als ob ein einziges Wort zu deren Vernichtung genügen würde. Endlich sprach ich den Namen meines Onkels aus.

Das einzige Wort drückte meine Befürchtungen hinlänglich aus und diese Befürchtungen bedurften keiner Bestätigung durch Worte, bei diesem theuren Namen verbreitete sich der Ausdruck des Kummers über das Gesicht meines Gefährten.

»Ihr Onkel,« sagte er, »ist todt.«

»Todt! Barmherziger Himmel! Und meine Schwestern auch? – Beide?«

»Ihre Schwestern sind am Leben und wohl.«

»Nein,« fuhr ich mit bebender Stimme fort, »spielen Sie nicht mit meinen Gefühlen – seien Sie in Ihrem Mitleid nicht grausam – sagen Sie mir die Wahrheit.«

»Ich habe die Wahrheit gesagt, sie befinden sich wohl und sind bei Mr. Inglefield.«

Ich glaubte gern an die Wahrheit dieser Nachrichten. Mein besseres Theil war also in Sicherheit – aber wie waren sie dem Schicksal entgangen, das meinem Onkel zustieß? – Aus welche Weise entronnen sie der vernichtenden Axt und der nächtlichen Feuersbrunst? Ich theilte meinem Freunde diesen Zweifel in stürmischen, unklaren Ausdrücken mit, kaum hatte er sie ganz verstanden, so blickte er mich mit einiger Verwunderung und Unruhe an.

»Huntley!« sagte er, »sind Sie wahnsinnig? Was hat Sie mit diesen entsetzlichen Gedanken erfüllt? Es ist allerdings in Chetasco und in der Wildniß großer Schade angerichtet und in Solebury eine Blockhütte durch Zufall oder Absicht niedergebrannt worden, aber das ist Alles. Ihr Haus ist weder vom Feuer noch vom Tomahawk angegriffen worden, es ist Alles in Sicherheit und in seiner alten Ordnung. Der Herr ist allerdings todt, aber er fiel als Opfer seiner eignen Unbesonnenheit und Kühnheit. Es ist dreißig Jahre her, daß er sich mit drei Wunden vom Schlachtfelde von Braddock zurückzog, aber diese Zeit hatte seinen abenteuerlichen, kriegerischen Geist durchaus nicht geschwächt. Bei dem ersten Lärm rief er seine Nachbarn zusammen und führte sie zur Verfolgung der Eingedrungenen dem Feinde entgegen. Er war der Erste, der sie angriff, und der Einzige, der im Kampfe fiel!«

Diese Worte wurden auf eine Weise gesprochen, welche mir keinen Raum für einen Zweifel an ihrer Wahrheit ließ. Ich hatte, meinen Onkel bereits beweint und die Erkenntniß der Art seines Todes, die meinen Ahnungen so sehr widersprach, und die Sicherheit meiner Schwestern erfüllte meinen Geist eher mit Triumph und Freude wie mit Schmerz und Bedauern.

Aber wie hatte ich mich getäuscht! War nicht meine Flinte in der Hand eines Feindes gefunden worden? Wo konnte sie anders geraubt worden sein, wie in meinem eignen Zimmer? Sie hing an der Wand eines Schrankes, aus welchem sie kein Fremder, außer mit Gewalt, nehmen konnte. Meine Verwirrung und meine Zweifel waren nicht zu ändern, diejenigen, welche mir die größte Qual bereiteten, jedoch beseitigt. Ich schenkte den Bitten meines Freundes, ihm die Veranlassung zu meiner Flucht und die Vorfälle zu erzählen, welche mit dem gegenwärtigen Zusammentreffen geendigt hatten, Gehör.

Ich fing mit dem Bericht über meine Rückkehr und das Bewußtsein auf dem Boden der Grube an – ich erzählte meine Anstrengungen, mich aus diesem furchtbaren Gefängniß zu befreien – die entsetzlichen Handlungen, zu welchen ich durch den Hunger getrieben worden war, und ihre schmerzlichen Folgen – wie ich den Ausgang der Höhle erreicht hatte – das verzweifelte Mittel, durch welches ich das Hinderniß für mein Entkommen beseitigt hatte, und die Befreiung des gefangenen Mädchens – den Kampf, welchen ich vor Deb's Hütte bestanden hatte – meine späteren Wendungen – das Mahl, welches mir die Gastfreundschaft bereitet hatte – mein Gang nach dem Flußufer – mein Nachdenken über die Möglichkeit, die Straße zu erreichen – die Gründe, aus welchen ich mein Leben gewagt hatte, indem ich mich in den Fluß stürzte und meine späteren Gefahren und Befürchtungen, bis ich die Schwelle dieser Wohnung erreichte.

»So,« fuhr ich fort, »habe ich Ihren Wunsch erfüllt und Ihnen Alles erzählt, was ich selbst weiß. Welche Ereignisse sich zwischen meinem Einschlafen bei Inglefield und meinem Erwachen in der Tiefe des Berges zugetragen – durch welche Mittel oder durch welche übernatürliche oder menschliche Einwirkung diese Veränderung herbeigeführt worden ist, bin ich nicht im Stande, zu erklären, ich kann nicht einmal eine Vermuthung aufstellen.

Was meinem Scharfsinn entgangen ist, wird vielleicht nicht über den Bereich eines Andern hinausgehen; Ihr Nachdenken über meine Erzählung dieser Thatsachen, welche Sie bemerkt haben, kann Sie in den Stand setzen, eine Lösung zu geben. Aber wie soll ich inzwischen Ihr Erscheinen an diesem Orte erklären? Dieses Zusammentreffen ist unerwartet und plötzlich für Sie gewesen, aber in nicht geringerem Grade für mich – unter allen Menschen war Sarsefield meinen Gedanken am weitesten entfernt, als ich diese Zeichen eines Reisenden und eines Fremden erblickte.

Sie waren unvollkommen mit meinen Wanderungen bekannt. Sie sahen mich an der Erde vor der Hütte Deb's – Sie sahen mich in den Fluß springen – Sie bemühten sich, mich zu tödten, während ich schwamm, und Sie wußten, ehe Sie meine Erzählung gehört hatten, daß Huntley der Gegenstand Ihrer Feindseligkeit gewesen sei – welches war die Veranlassung Ihres Suchens in der Wildniß und wie sind Sie mit meinem Zustand bekannt geworden? Diese Dinge sind nicht weniger wunderbar wie irgend etwas von dem, was ich bereits erzählt habe.«

Das Gesicht Sarsefield's verkündete während meiner Erzählung die tiefste Aufmerksamkeit und seine Augen wurden keinen Augenblick von meinen Zügen verwendet. Alle meine Gefahren und Ahnungen standen mir noch frisch im Gedächtniß – sie waren kaum vorüber – ihre Spuren blieben so zu sagen noch sichtbar. Es ist kein Wunder, daß meine Beredtsamkeit lebhaft und eindringlich war, daß ich die Vergangenheit malte, als ob sie die Gegenwart sei, und daß nicht allein meine Zunge, sondern auch jede Muskel und jedes Glied sprach.

Mich meine Erzählung geendigt hatte, versank Sarsefield in Nachdenken. Aus diesem raffte er sich nach kurzer Zeit wieder auf und sagte:

»Ihre Erzählung ist wahr, Huntley, aber wenn ich Sie nicht vor mir sähe, wenn ich nicht mit der Kunstlosigkeit und Redlichkeit Ihres Charakters bekannt wäre – und vor Allem, wenn nicht meine eigne Erfahrung während der letzten drei Tage jeden Umstand bestätigt hätte, so würde ich an deren Wahrheit zweifeln. Sie haben meine Neugier vollständig befriedigt und verdienen, daß der Ihrigen ebenso vollständige Genüge geleistet werde. Hören Sie mir zu.

Es ist viel geschehen, seitdem wir uns getrennt haben, was jetzt keine Erwähnung finden soll. Ich versprach, Sie durch Briefe von meinem Wohlergehen zu benachrichtigen und habe das Schreiben auch nicht unterlassen, aber ob Ihnen meine Briefe zugegangen sind, oder ob Sie Antworten darauf geschrieben haben, oder ob sie, wenn sie geschrieben wurden, jemals abgegangen sind, kann ich nicht sagen. Es ist mir nie einer zugekommen.

Ich bin vor einigen Tagen mit einer Dame, die meine Gattin ist, in Amerika angekommen. Sie sind von mir nie vergessen worden; ich wußte, daß Ihre Lage nur wenig mit Ihren Wünschen übereinstimmte und eine der Wohlthaten, welche mir das Schicksal in der letzten Zeit erwiesen hat, ist die Macht, Sie einem Leben der Dunkelheit und der Mühseligkeiten zu entreißen, dessen spärliche Genüsse unsicher und vorübergehend sind, und Ihnen die angemessene Mühe und die Mittel zur Befriedigung des Geistes und zur Ausbildung zu gewähren.

Ihr Schweigen ließ mich einige Zweifel in Bezug auf Ihr Wohlergehen und selbst Ihr Leben hegen; um diese zu lösen, eilte ich nach Solebury. Einige Verzögerungen auf dem Wege verhinderten mich, meine Reise bei Tageslicht zu vollenden – es war Nacht, ehe ich den durch Norwalk führenden Weg betrat, aber meine früheren Streifzüge mit Ihnen hatten mich mit demselben vertraut gemacht und ich fürchtete nicht auf Hindernisse zu treffen oder mich zu verirren. Als ich eben den südlichen Ausgang erreichte, sah ich einen Fußgänger mit schnellen Schritten auf mich zukommen. Der Umstand war von keiner Wichtigkeit und doch veranlaßte mich die Zeit der Nacht, die anscheinende Hast des Wanderers, die Erinnerung an das Labyrinth und die Hindernisse, auf welche er treffen würde, und eine unklare Ahnung, daß er vielleicht mit den Hindernissen unbekannt sei, welche ihn erwarteten, ihn aufmerksam zu betrachten, als er vorüber ging.

Er kam näher und ich glaubte in diesem Wanderer einen Freund zu erkennen – die Gestalt, die Haltung und die Größe hatten eine große Aehnlichkeit mit denen Edgar Huntley's; diese Aehnlichkeit war so groß, daß ich stehen blieb und ihn, nachdem er vorüber war, bei Ihrem Namen rief. Da er auf meinen Ruf nichts äußerte, so bewies dies, daß ich mich in der Person getäuscht habe, aber es überraschte mich einigermaßen, daß er, selbst wenn er ein Anderer war, bei einem Anruf, der, wie er wohl sehen wußte, ihm wenn auch irriger Weise galt, nicht einmal zögerte oder sich umdrehte. Ich wiederholte meinen Ruf nicht; sondern ging weiter.

In dem Hause Ihres Onkels hatte sich Jedermann zur Ruhe begeben. Ich bedachte mich nicht, Sie zu wecken und wurde mit liebevollen, freudigen Begrüßungen empfangen. Daß Sie Ihren Onkel aufstehen ließen, bildete einen weitern Gegenstand für mein Nachdenken. Auf meine Fragen nach Ihnen erhielt ich Antworten, die meinen Wünschen entsprachen: man sagte mir, daß Sie sich wohl befänden und im Bett lägen. Man sprach mit Verwunderung davon, daß Sie mein Klopfen nicht gehört hätten und in Folge dessen aufgestanden wären, aber Ihr Onkel erklärte Ihre Trägheit dadurch, daß Sie sich während der letzten Woche dadurch ermüdet hatten, bei Nacht und bei Tage umherzuschweifen, um einen Wahnsinnigen oder Träumer aufzusuchen, von dem man glaubte, daß er sich nach Norwalk zurückgezogen habe.

Ich bestand darauf, daß ich Sie selbst wecken wolle – ich sah der Wirkung dieses plötzlichen, unerwarteten Zusammentreffens sowohl mit Gefühlen des Stolzes wie des Vergnügens entgegen – ich dachte mir, daß es Sie in eine ergreifende Lage bringen werde, wenn Sie beim Aufschlagen Ihrer Augen Ihren alten Lehrer an Ihrem Bett stehen und Ihnen in das Gesicht blicken sehen würden.

Ihre Zimmerthür stand offen, aber ihr Bett war leer. Ich theilte Ihrem Onkel und Ihren Schwestern den Umstand mit: ihr Erstaunen wich der Vermuthung, daß Ihr ruheloser, romantischer Geist Sie von dem Schlafe hinweggelockt habe, daß Sie zu einem phantastischen Unternehmen hinausgeschweift wären und vermuthlich vor Anbruch des Tages zurückkehren würden. Ich stimmte dieser Ansicht gern bei und da meine Gefühle zu lebhaft aufgeregt waren, als daß sie mir gestattet hätten, zu schlafen, so nahm ich Besitz von Ihrem Zimmer und erwartete geduldig Ihre Rückkehr.

Der Morgen kam, aber Huntley erschien nicht. Ihr Onkel wurde etwas unruhig über dieses unerklärliche Ausbleiben. Man stellte vielfach Vermuthungen und Fragen über die mögliche Ursache Ihrer Flucht auf. Bei meinem Umschauen in Ihrem Zimmer bemerkte ich, daß nur ein Theil Ihrer Kleidung neben Ihrem Bett zurückgeblieben sei. Der Rock, der Hut, die Strümpfe und Schuhe lagen an dem Orte, wohin sie wahrscheinlich geworfen worden waren, als Sie sich entkleideten; aber die Beinkleider, welche der Aussage Mr. Huntley's nach zu Ihrem Anzuge gehörten, waren nirgends zu finden. Es war fast unglaublich, daß Sie in einer so kalten Nacht so wenig bekleidet hinausgehen würden – Ihr Verstand oder Ihre Sinne mußten Sie verlassen haben, ehe Sie an eine so unbesonnene Handlung denken konnten.

Jetzt erinnerte ich mich der Person, die ich in Norwalk getroffen hatte: seine Aehnlichkeit mit Ihrer Gestalt – seine Bekleidung, bei welcher Rock, Hut, Strümpfe und Schuhe fehlten, und Ihre Abwesenheit aus Ihrem Bett um diese Stunde bildeten ein merkwürdiges Zusammentreffen. Aber warum hatten Sie nicht auf meinen Ruf geachtet? Ihr Name, wenn er von einer Stimme ausgesprochen wurde, die Ihnen nicht unbekannt sein konnte, war doch gewiß genügend, Ihre Schritte zu hemmen.

Jede Stunde erhöhte die Ungeduld der Ihrigen. Ich hörte auf ihre Erinnerungen und Vermuthungen in der Absicht, in ihnen eine Lösung des Räthsels zu finden; endlich wurde eine Geschichte erwähnt, daß man in der vergangenen Nacht Jemanden in dem langen Zimmer habe umhergehen hören; hieran schloß sich die Erzählung von Ihrer, durch den Verlust gewisser Manuscripte verursachte Besorgniß und Verwunderung.

Während ich über diese Umstände nachsann und versuchte, aus dieser Nachricht einen Faden zur Erklärung Ihrer jetzigen Lage zu ziehen, hellte ein einziges Wort, welches Ihr Onkel zufällig fallen ließ, die Dunkelheit für mich augenblicklich auf und beseitigte meine Zweifel.

»Es ist am Ende doch Zehn gegen Eins zu wetten,« sagte der Greis, »daß Edgar derjenige war, den wir haben umherziehen hören, aber der Bursche schlief und wußte nicht, was er that.«

»Dieser Schluß ist gewiß richtig,« antwortete ich; »seine Manuscripte konnten durch keine andern Hände wie seine eigenen fortgebracht werden, da die übrige Menschheit nicht allein mit ihrem Aufbewahrungsorte, sondern auch mit ihrem Vorhandensein unbekannt war. Nur ein Wahnsinniger oder Schlafender konnte so leicht gekleidet fortgehen und nur ein Schlafender würde meinen Ruf unbeachtet gelassen haben.«

Diese Ansicht wurde allgemein angenommen, aber sie erfüllte meinen Geist mit unendlicher Unruhe. – Sie waren nach Norwalk hinausgegangen, einem Schauplatz voll Unebenheiten und Vertiefungen, indem Sie so Ihrer Sinne beraubt, kaum dem Schicksale entgehen konnten, Ihren Tod zu finden oder sich wenigstens unwiderbringlich zu verirren. Ich malte mir die Gefahren aus, denen Sie ausgesetzt waren. Ihre rastlosen Füße werden Sie in einen Wirbel oder an den Rand eines Abgrunds führen, eine innerliche Umwälzung oder eine äußerliche Erschütterung konnten Sie in einem gefährlichen Augenblick zum Bewußtsein zurückrufen; die Ueberraschung und die Furcht würden Sie unfähig machen, rechtzeitige Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen und Ihr Tod mußte gewiß sein.

Der Verlauf jeder Stunde, die keine Nachricht von Ihnen brachte, erhöhte diese Befürchtungen. Endlich dachten wir daran, daß es angemessen sein werde, Sie zu suchen. Mr. Huntley und ich beschlossen, diese Nachforschung zu unternehmen sowie Andere damit zu beauftragen. Es wurde ein Plan entworfen, in Folge dessen jeder zugängliche Theil von Norwalk, die Wildniß jenseits der Ebenen von Solebury und das Thal von Chetasco durchschritten und untersucht werden sollten.

Kaum hatten wir uns zu diesem Unternehmen ausgerüstet, als ein Bote ankam, der die unheilvolle Nachricht brachte, daß die Indianer in dieser Gegend gesehen worden seien, daß sie vergangene Nacht einen Farmer auf seinem Felde erschossen, eine Wohnung in Chetasco niedergebrannt und den Bewohner ermordet oder in die Gefangenschaft geschleppt hätten. Das Gericht und die Nachforschungen waren thätig gewesen und man hatte annehmbare Vermuthungen über den Weg und die Anzahl der Feinde aufgestellt; man sagte, daß sie sich in mehrere Trupps getheilt hätten und im Ganzen aus dreißig bis vierzig Kriegern beständen. Dieser Bote war gekommen, um uns vor der Gefahr zu warnen, welche uns drohen konnte, und uns aufzufordern, an der Verfolgung und Vernichtung dieser verabscheuten Feinde Theil zu nehmen.

Ihr Onkel, dessen Gewandtheit und Kraft das Alter nicht vermindert hatte, ergriff diesen Plan mit Eifer. Ich war nicht abgeneigt, meine Kräfte zu einem solchen Zwecke herzugeben – der Weg, welchen wir vorher zur Aufsuchung meines entflohenen Schülers einzuschlagen beabsichtigt hatten, war der nämliche, auf welchem wir die Wilden verfolgen oder ihnen den Rückzug abschneiden mußten. Diese beiden gleich wichtigen Zwecke wurden durch die nämlichen Mittel erreicht.

Mr. Huntley bewaffnete sich mit Ihrer Flinte – Inglefield versah mich mit einem Gewehr, das Haus wurde während unser Abwesenheit verschlossen und verrammelt und Ihre Schwestern unter dessen Schutz gestellt, den sein Alter und seine früheren Gefechte zu einem beschwerlichen und blutigen Unternehmen untauglich machten. Es wurde ein Trupp Landleute gesammelt, von denen die Hälfte zurückblieb, um Solebury zu durchstreifen, und die anderen, welche Mr. Huntley und ich begleiteten, eilten nach Chetasco.


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