Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Finale

Es war eine feucht laue, sehr finstre Nacht und zehn Uhr vorüber, als die Schwarze zu Frau Sara ins Zimmer gestürzt kam und hastig hervorkeuchte: »Schnell! Komm! Komm schnell! Es ist die Zeit da! Jetzt! Jetzt! Die Rote ist krank geworden, und der Doktor muß bei ihr sein. Er gab ihr zu schlafen. Sie stöhnt. Wenn sie aber schläft, wird er zum Master gehn, wie die Hyäne sich an die Hütte des Sterbenden schleicht. Denn er weiß und will, daß er heute sterben muß. Und er wird von seiner Hand sterben, wenn der Doktor sieht, daß er ihn betrogen hat. Denn der Doktor spielt nicht.«

Sara legte einen Theatermantel aus violettem Samt mit schwarzem Spitzencapuchon an und begab sich eilig in die gräfliche Villa, auf dem Wege dahin von Lala alles Nähere erfahrend. Sie sagte nichts dazu, aber wie sie die Villa betrat, war ihr Gesicht sehr ernst, und um den Mund lag ein strenger Zug, der ihren Ausdruck völlig veränderte. Alles, was sie in der letzten Zeit gehört hatte, ließ sie ahnen, daß sie einen anderen sehen würde, als den, dessen Bild sie in sich trug. Was sie jetzt von ihrer Getreuen erfuhr, erschreckte sie, als sei es bereits die Bestätigung ihrer Ahnung. Sie fürchtete nichts für ihn – sie fürchtete für sich. Zum ersten Male fürchtete sich diese Frau vor der Wahrheit.

Lala öffnete ihr die Tür zu Henry Felixens Zimmer und riegelte sie zu, als sie eingetreten waren. Ihrem Blicke entging es nicht, daß der Graf bei ihrem Eintritte für einen Moment die Augen ein klein wenig geöffnet hatte, und sie war sich ganz sicher, daß er nun wußte, wer in seinem Zimmer war. Indessen blieb er regungslos liegen wie ein Mensch in der Agonie. Sah auch ganz wie ein Sterbender aus, fast grünlich bleich, scharfe Schatten im Gesicht.

Aber das war ein ausgeklügelter Beleuchtungseffekt, arrangiert wie alles übrige. Er hatte sich, während der Doktor bei Berta beschäftigt war, ein Lager in seinem Bibliothekszimmer aufrichten lassen, dessen Wände auf seinen Befehl mit schwarzen Tüchern verhängt worden waren. Auch das Bett war ganz schwarz wie eine Bahre, und an seinem Kopfende standen auf schwarzen Säulen zwei Becken, in denen mit Salz vermischter Spiritus grünlich brannte, das einzige Licht in dem dadurch doppelt düster, ja unheimlich wirkenden Raume.

Sara stand betrogen. Widerwillen ergriff sie.

Sie empfand es mit einem Schlage ganz klar, daß die Komödie dieses Menschen in einem Augenblicke verhängnisvollen Ernstes nicht einem souveränen Kraftgefühl, nicht dem grimmigen Humor eines starken Willens entsprang, der es sich erlauben durfte, die feindlichen Mächte burlesk zu verhöhnen, weil er auch im Gewande des Narren als Held handelte, sondern lediglich einer albernen Lust an selbstgefälliger Schauspielerei, die zum Hintergrunde nichts hatte, als kindisch leere Einbildung und die Unfähigkeit, den Ernst und die Überlegenheit eines fremden Willens zu erkennen.

Das war es wahrlich nicht gewesen, was sie hatte fördern wollen, indem sie ihrem Sohne den Glauben an eine geheimnisvolle Verknüpfung mit einer hohen Schicksalsmacht einflößte. Sie hatte an die Kraft der Phantasie geglaubt, den Willen zu befruchten, und sah nun, daß sie ihn verkümmert hatte. Ihr Ziel war schließlich sein Glück gewesen, aber nicht dieses billige gemeine Glück im Nebel eigener Dumpfheit. – Es graute ihr vor diesem Menschen, in dem sie die einzige Illusion ihres Lebens vernichtet vor sich liegen sah.

– Das beste wäre, ich überließe ihn seinem Schicksale, dachte sie. Er ist mir nicht bloß fremd, sondern feind.

Sie wandte sich um und drückte auf die Klinke. Wäre die Tür nicht verriegelt gewesen, sie wäre gegangen. – Eine vorgeschobene Stahlzunge kann über das Schicksal eines Menschen entscheiden.

Ihre Hand tastete nach dem Riegel.

Da flüsterte Lala: »Master! Die helle Schwester ist da. Nun geschieht alles recht.«

Er aber, selbst jetzt an nichts denkend, als an sein gutes Spiel, lallte: »Ich sterbe, ich ersticke. In meinen Eingeweiden wühlt eine eiskalte Hand.«

Die Schwarze warf einen Blick auf Sara, erschrak vor deren angeekeltem Ausdruck und sagte nun lauter: »Nicht doch, Master! Laß das! Es ist jetzt keine Zeit mehr, zu spielen.« Und, um vielleicht durch Schreck zu wirken: »Ich höre schon den Schritt des Doktors auf dem Korridor.«

Aber Henry mimte weiter: »Er soll kommen! Soll mich retten! Soll mich töten! Ich ertrage es nicht länger. Er soll kommen, mein lieber Heiland! Mein Jesus, Barmherzigkeit!«

Da schritt Sara hastig zum Bette und rüttelte den Komödianten an der Schulter. Und sie sagte laut und herrisch: »Hör auf! Ich bin nicht gekommen, dich als Schauspieler zu bewundern. Werde ernst, oder ich gehe! Und wenn ich gehe, ist dein Ende da!«

In diesem Augenblicke richtete sich Henry Felix auf und sah sie wütend an: »So laß mich doch! Bring mich nicht aus der Rolle! Verdirb mir, bitte, meinen Schlußeffekt nicht! Bleib meinethalben da und versteck dich hinter den Büchergardinen, daß du meinen Triumph mitansehen kannst. Aber misch dich nicht ins Spiel! Ich hab es angelegt, ich allein, und ich führ es durch. Ich brauche auch keinen Souffleur. Niemand brauch ich, niemand! Ich habe mich schon zu viel gängeln lassen. Jetzt bin ich frei, will ich frei sein!«

– »Auch von mir? Hast du vergessen, wer ich bin?«

Er aber, grillig und höhnisch zugleich: »Nein doch, nein: du bist meine schöne Schicksalsdame, und ich verehre dich, aber ich habe keine Lust mehr, mich von irgendwem führen zu lassen, außer vom Schicksal selber. Frei will ich sein, ganz frei! Heut geb ich, auf meine Manier, meiner Frau und ihrem Liebhaber den Laufpaß. Nicht grob! O nein! Ich bin galant. Lachend mach ichs, mit einem Witz. Dann aber beginnt mein Leben. Mein Leben, ganz bloß mein Leben! Und das soll mir niemand mehr verpfuschen mit Dreinreden und Dreinfahren. Niemand! Ich bin es satt, immer die Figur zu sein, die andere schieben. Ein halbes Jahr lieg ich im Bett und spiele Theater, und dieses halbe Jahr hat mich gelehrt, was ich kann und was ich soll. Ja, starre mich nur an und hör es! Hör es! –: Ich kann die Komödie meines Lebens selber spielen, und ich soll der Freieste aller Freien sein. Ich habe nur einen Herrn über mir: das Schicksal. Ich brauche keine Vermittlung zwischen ihm und mir, und es kommt vielleicht der Tag, da es sich herausstellt, daß dieser Herr in mir selber sitzt. Und, wer ist er dann, wenn nicht ich selbst!? Aber nur die Freiheit bringt mir diesen Tag. Erst, wenn ich alles von mir weggestoßen habe, was nicht ich bin, bin ich stark genug, mein innerstes Ich in die Gewalt zu bekommen, Herr meines Schicksals zu sein.«

Er war in seine andere Rolle gefallen und gefiel sich in ihr womöglich noch besser, als in der vorherigen.

Aber Sara entgegnete geringschätzig: »Du phantasierst. Du bist krank. Nun, ich weiß das Mittel, dich von dieser Krankheit zu heilen. Vorher aber muß ich noch einmal dein Schicksal in die Hand nehmen. – Schweig! Jetzt rede und handle ich! Es ist keine Zeit mehr für Albernheiten. Der Moment ist ernst. Erbärmlich genug, daß du seinen Ernst nicht fühlst. Vielleicht verlohnt es sich nicht, dich zu retten. Aber es ist meine Pflicht. Erinnere dich an unsere früheren Unterredungen! Ich spreche jetzt anders zu dir, weil es sein muß. Aber ich spreche aus demselben Rechte, wie früher. Zum letzten Male vielleicht rede ich heute zu dir. Und gewiß ist, daß ich zum letzten Male für dich handle.«

Es war eine Macht im Tone und Sinne ihrer Worte, daß Henry Felix sich vor ihr duckte wie ein eben noch bissig belfernder Hund, der einen Faustschlag zwischen die Augen bekommen hat.

Sara wandte sich an die Schwarze: »Geh und hole den Doktor! Die Frau wird nun wohl schlafen. Nimm die Papiere, die du unter ihrem Kopfkissen weißt; wenn es sein muß, nimm sie mit Gewalt; und bringe sie mit den anderen, die du schon an dich genommen hast, schnell hierher.«

Lala wandte sich zum Gehen. Sara rief sie zurück: »Noch eins! Stell den Portier ans Haustor! Er soll niemand hinauslassen. Rufe die Diener, daß sie sich hier im Korridor aufstellen. Erst wenn dies geschehen ist, hole den Doktor!«

Und zu Henry Felix: »Hast du eine Waffe im Zimmer?«

Der Graf holte verdrossen, aber höhnisch lächelnd, unterm Kopfkissen einen Revolver hervor.

»Daran hast du also doch wenigstens gedacht«, sagte Sara. »Immerhin ein Zeichen dafür, daß du noch nicht ganz wahnsinnig bist. Vielleicht wirst du auch weiterhin der Vernunft zugänglich sein. Und nun: schreib, was ich dir diktiere!«

Henry Felix, gehorsam, halb wider Willen, doch halb auch schon in dem angenehmen Gefühle, daß eine starke Hand ihn sicher lenkte, griff wiederum unter das Pfühl, brachte sein Tagebuch hervor und riß, fetzend, wie es noch immer seine Art war, ein Blatt heraus.

– »Was soll ich schreiben?«

– »Schreib: ›Hiermit bekenne ich mich als den Verfasser der im Besitze des Grafen Hauart befindlichen Schriftstücke, aus denen hervorgeht, daß ich die Absicht gehabt habe, diesen langsam mit den Mitteln zu vergiften, auf die die, gleichfalls im Besitze des Grafen befindlichen, von mir ausgestellten Rezepte lauten. Ich erkläre, daß ich den Tod des Grafen im Einverständnis mit der Gräfin Hauart herbeiführen wollte, um in den Besitz des gräflich Hauartschen Vermögens zu gelangen, indem ich nach seinem Tode die Gräfin, meine Geliebte, die mit einem Kinde von mir schwanger geht, zu heiraten gedachte. Ich verpflichte mich, um die Scheidung zu beschleunigen, mit der Gräfin innerhalb 24 Stunden nach Unterzeichnung dieses Schriftstücks Berlin zu verlassen, und zwar unter Hinterlassung eines weiteren Schriftstückes, das als Bekenntnis des Ehebruches den Gerichten übergeben werden kann.‹ – Das dürfte zu deiner Sicherheit genügen. Sie werden sich nicht mehr an dich heranwagen, wenn wir ihnen kund tun, daß diese Erklärung nebst den anderen Papieren versiegelt bei einem Notar niedergelegt werden wird, der im Falle, daß du eines gewaltsamen Todes sterben solltest, beauftragt ist, die Siegel zu lösen und das Konvolut der Staatsanwaltschaft zu übergeben.«

Henry Felix sah Frau Sara groß an, überlas das Geschriebene nochmals und sagte: »Ausgezeichnet. Prachtvoll. Musterhaft. Aber ich fürchte, die beiden werden mir nicht den Gefallen tun, sich mir auf Gnade und Ungnade mit gebundenen Händen zu überliefern.«

– »Das laß meine Sorge sein.«

– »Gerne. Aber sie werden sich töten.«

– »Mögen sie! Um so sicherer wirst du vor ihnen sein.«

»Aber es wäre schade«, sagte der Graf mit einem unangenehmen Grinsen. »Ich hätte die Vögelchen gerne am Faden... Hm... Wie wärs, wenn man noch etwas hinzufügte? Etwas, das sie entweder bestimmt zwänge, sich umzubringen, oder, wenn sie die Courage dazu nicht haben, direkt zu meinen Gefangenen machte?«

– »Was denn?«

– »Etwa dies« (er rieb sich die Hände): »Der Doktor muß sich auch noch verpflichten, die Madame zu heiraten und mit ihr dauernden Aufenthalt an einem Orte zu nehmen, den ich bestimme. Zum Beispiel in... ah, das ist famos!... z. B. in Sorrent... Des süßen Karls wegen... Wie?«

Er lachte laut auf. Häßlich. Heimtückisch.

Sara blickte vor sich hin. Dann sah sie ihn an, als suchte sie nach irgend etwas in seinen Zügen, und sagte: »Es ist nicht vornehm, einen besiegten Gegner zu quälen. Es ist Barbarenart.«

– »Aber praktisch und subjektiv angenehm.«

»Tu, was du willst«, sagte sie kurz, und er schrieb. Selbst das Kreischen der Feder klang in Saras Ohren gemein und tückisch.

Plötzlich lachte er neuerdings laut und sagte: »Ich hab noch was! Das schärfste Gift kommt zuletzt. Ich habe vom Doktor gelernt. Sie muß mir auch das Tagebuch Karls ausliefern.«

Er schrieb, ohne eine Antwort Saras abzuwarten, mit wütender Hast. Dann, dicke Striche darunter fegend, daß die Tinte spritzte: »So! Und wenn sie daran krepiert! Das erst ist der volle Triumph! O! Du hast recht gehabt! Ich war wahnsinnig, sie so leichten Kaufes fortlassen zu wollen. Unter die Erde soll sie getreten sein. Unter die Erde! In ein Verlies, zusammengekettet mit einem Scheusal. – Vielleicht besuch ich das junge Paar einmal in der Stadt des heiteren Golfes, wo das ganze Jahr Apfelsinenernte ist.«

Wieder ein abscheuliches Lachen.

Sara wandte sich weg, von fürchterlichstem Ekel erfüllt.


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