Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Mit Henry nach Hamburg

Henry wurde durch die Mitteilung, daß er schon am nächsten Tage mit Tante Sanna nach Hamburg abreisen werde, sehr überrascht, aber er ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken, sondern sagte einfach: »Schön!«, aber in einem Tone voll grimmiger Resignation mit einem Ausdrucke von Ekel um die Mundwinkel.

Er war also in die Hände dieser Philister gegeben. Denn, das war ihm zweifellos, dieser Onkel und diese Tante waren Exemplare der Menschengattung, die sein Papa immer als Philister bezeichnet und von denen er gesagt hatte, daß der vornehme Mensch jede Beziehung zu ihnen peinlich vermeiden müßte; selbst Verbrecher seien ein ziemlicherer Umgang für ihn, als sie. – Daß der Verstorbene es trotzdem nicht hatte hintanhalten können, daß er zwei typischen Vertretern dieser verächtlichen Kaste in die Hände fiel, war ihm unbegreiflich, aber es hing dies wohl damit zusammen, daß es sich mit dieser Vormundschaft um eine staatliche Einrichtung handelte, und der Staat war ja nach Papas Erklärung eine Philister-Institution geworden, seitdem er aufgehört hatte, der Machtausdruck souveräner Herrschernaturen zu sein. Nur schade, daß diese ihm beigebrachte Wissenschaft jetzt von gar keinem Nutzen für ihn war. Überhaupt: was nützten ihm jetzt alle diese glatten und klaren Erkenntnissätze Papas? Sie hatten offenbar nur Geltung für Leute mit Geld. Und er, Henry, das wußte er nun, besaß nur die Anwartschaft darauf, in einer Reihe von Jahren Geld, sein Geld zu erhalten. Er, der immer wie ein Erwachsener behandelt worden war, war mit einem Male ein Knabe, ein Kind geworden, etwas Willenloses, eine Art lebendiges Ding, mit dem man nicht viele Umstände machte.

»Man«: dieser Onkel, diese Tante.

Henry verzerrte das Gesicht, wenn er sich das vorstellte. Aber er fühlte doch auch, daß er sich dareinfügen mußte, daß jeder wirkliche Widerstand Unsinn gewesen wäre und daß es nun nur darauf ankam, sich das Verhältnis zu dem gebietenden »Man« nach Möglichkeit zu erleichtern.

Nun gut: abwarten! Und: Vorsicht! Schlau sein!

Das hatte er nun auch glücklich heraus, daß er mit Lehrsätzen aus der Hauartschen Schule kein Glück haben würde. Eher mit dem Gegenteil. Auf alle Fälle: Mund zu! Es gab vielleicht andere Dinge, als Worte, mit denen er imponieren konnte.

Und so nahm Henry ein düsteres Schweigen an, das in der Tat zumal für Frau Sanna etwas Beängstigendes hatte. Sie ahnte Hochmut, Hohn, Drohung dahinter und ging daher sanfter mit ihm um, als es ihr nach dem Herzen war.

Schon beim Einpacken wagte sie es nicht, zu verhindern, daß auch seine Fechtutensilien einen Platz erhielten. Sogar die Madonna aus glasiertem Tone konnte sie nicht ausschließen. Denn, als sie bemerkte, für solche Götzenbilder sei in einem evangelischen Hause kein Platz, rollte Henry die Augen mit so entschlossenem Grimme, daß sie eine Explosion befürchtete und aufseufzend schwieg. Der seidene Schlafrock, der Kosak, die Münzensammlung und das Halsband erhielten ihren gemeinsamen Platz in einem besonders schönen Koffer, dessen Schlüssel Henry demonstrativ an sich nahm.

Die Dienerschaft beschenkte Henry fürstlich, und Frau Sanna war nicht wenig entsetzt darüber, daß in seiner Brieftasche trotzdem noch ein dickes Paket Banknoten verblieb.

Sie beratschlagte mit Jeremias, ob man dem Jungen das Geld nicht einfach konfiszieren sollte, aber Jeremias fand, daß, bei allem Rechte, ja auch eigentlich Pflicht dazu, es doch geratener sei, von dieser Aktion Abstand zu nehmen.

Als aber das sehr hübsche Kammermädchen Zenzi dem jungen Herrn aus überströmendem Danke für den gespendeten Hundertmarkschein die Hand küßte, konnte sich Frau Sanna doch nicht enthalten, streng auszurufen: »Lassen Sie das!«

Henrys Abschied von den Pferden erschien ihr gleichfalls abscheulich, und sie erklärte scharf, es sei sündhaft, eine unvernünftige Kreatur zu umarmen und dabei Tränen zu vergießen. Aber Henry wandte nur den Kopf geringschätzig nach ihr um und fuhr fort, die Tiere mit Kosenamen anzureden und aufs zärtlichste, mit innigster Rührung, von ihnen Abschied zu nehmen, recht als ob er zeigen wollte, wieviel näher sie seinem Herzen standen, als die vernünftige Kreatur hinter ihm.

 

Die Reise verlief im allgemeinen ohne Zwischenfälle. Aber ein paarmal war Frau Sanna doch nahe daran, die Notleine zu ziehen. So einmal, als Henry eine eben geöffnete Flasche mit Rotwein, die nach seiner Erklärung nach dem Korke schmeckte, zum Fenster hinauswarf, und ein andermal, als er vor einem Kruzifix, vor dem sie vorüberfuhren, den Hut abnahm.

»Weißt du nicht, daß das gegen die gereinigte Lehre verstößt,« fragte sie strenge.

Henry, der es in der Hauptsache nur getan hatte, um sie zu ärgern, antwortete, wieder in derselben Absicht: »Ich nehme nur Abschied von meiner Heimat!«

»Deine Heimat wird von jetzt ab ein christliches Haus sein,« erwiderte pastoralen Tones Frau Sanna.

»Ich werde auch vor ihm den Hut abnehmen,« versicherte Henry.

Unter derlei anmutigen Gesprächen, in der Hauptsache jedoch unter beiderseitigem Schweigen, verlief die Reise. Selbst die Mitteilungen über seinen zukünftigen Bruder Karl und Berta, die zukünftige Schwester, die ihm Frau Sanna machen zu müssen glaubte, nahm Henry mit fast unmutigem Gesichtsausdruck auf. Er hörte dabei aber wohl hin, denn, sowenig es ihn sonst interessierte, was seine jetzige »Mutter« aus dem Gehege ihrer spitzigen Zähne ließ, so interessant war ihm alles, was diese beiden anging.

Viele Hoffnung setzte er ja nicht auf die Sprößlinge »dieses Onkels und dieser Tante«, denn er dachte sie sich als Abbilder der beiden in verjüngtem Maßstabe, aber er fühlte wohl, daß das Bestimmende für seine nächste Zukunft in dem Verhältnisse lag, das sich zwischen ihm und ihnen herausbilden würde.

Was ihn betraf, so war sein Programm kurz und klar: er wollte ihnen imponieren und sie sich untertan machen. Daran, daß ihm dies gelingen werde, zweifelte er nicht im geringsten. Diese Zuversicht war sein einziger Trost für die kommenden Zeiten der Prüfung.

Frau Sanna entfaltete schon geraume Zeit vor der Einfahrt in den Bahnhof ihr umfangreiches schwarz gerändertes Taschentuch und ließ es zum Fenster hinauswimpeln. Auch Henry sah zum Fenster hinaus, als der Zug in die Halle fuhr, aber er nahm nicht einmal den Hut ab, als er des Geschwisterpaares ansichtig wurde.

Sie sind genauso schlecht angezogen, wie ihre Eltern, dachte er bei sich. Man wird sich mit ihnen kaum auf der Straße sehen lassen können.

In der Tat sah Karl in seinem ehemaligen Konfirmandenanzug, der jetzt Trauerdienst hatte, recht kindlich aus, denn er war aus ihm herausgewachsen, und das dicke Gesangbuch, das er in Händen hatte, weil sie gerade aus dem sonntäglichen Festgottesdienst kamen, verlieh ihm das etwas komische Ansehen eines verkleinerten Theologiekandidaten. Berta dagegen hätte eigentlich Anspruch darauf gehabt, günstiger kritisiert zu werden, denn, wenn ihr schwarzes Wollkleidchen auch nicht elegant geschnitten war, es saß doch gut auf dem wohlproportionierten geschmeidigen Körper, dessen angehende Rundungen es nicht ganz unterschlagen konnte. Die zierlichen Waden, von der holdesten Schlankheit und mit einer entzückend feinen, kraftvoll federnden Fessel zu einem etwas langen, dafür aber um so schmaleren und sehr hochristigen Fuß übergehend, hätten allerdings der von Karl herbeigesehnten seidenen Strümpfe bedurft, um ganz zur Geltung zu kommen; doch auch in Baumwolle wirkten sie entzückend. Das Köpfchen der Kleinen aber nahm sich schlechterdings süperb aus mit seiner wunderbar reinen Hautfarbe und der goldenen Haarflut unter dem reizend backfischhaften Barett.

Indessen: Henry war wohl nicht in der Stimmung, derlei zu sehen; er bemerkte nur die mangelnde Eleganz und die schwarzen Stoffhandschuhe, die er kindermädchenhaft fand.

So fiel denn auch seine Begrüßung der Geschwister etwas von oben herab aus, und Berta fühlte das wohl, obgleich noch niemals jemand eine so förmliche Verbeugung vor ihr gemacht hatte, den Hut in der Linken und mit den Fingerspitzen der Rechten ihre Fingerspitzen berührend. Sie kam sich dabei zu ihrem Ärger recht wie ein kleines Mädchen vor und errötete flammend. Karl dagegen wurde noch blässer, als er ohnehin war, wie ihn Henry auf ähnliche Art, nur mit weniger tiefer Verbeugung und bedeckten Kopfes, begrüßte. Er wurde sich angesichts dieses tadellos gekleideten jungen Gentlemans der ganzen Schuljungenhaftigkeit seines an den Gelenken schon etwas glänzenden Konfirmandenanzuges mit brennendem Schmerze bewußt und empfand bitterste Demütigung.

Ähnliches hatte er ja erwartet, aber doch nicht diese vollkommene und sichere Überlegenheit in allen Dingen des Äußeren. Denn es war nicht bloß der Anzug Henrys, der den seinen überstrahlte, auch das Auftreten des Vetters, diese ruhige, etwas hochnäsige Förmlichkeit, war so sicher und vornehm gemessen, daß Karl nicht, wie er gehofft hatte, etwas Lächerliches daran entdecken konnte, sich vielmehr mit Neid gestehen mußte, daß er selbst stark kleinbürgerlich und schülerhaft daneben wirkte. Dies um so mehr, als Henry fast einen Kopf höher als er und entschieden eleganter gewachsen war, ganz abgesehen davon, daß das Gesicht des reichen Vetters, wenn auch nicht an sich, so doch im Vergleich zu dem seinen, hübsch zu nennen war. Ihm selbst mißfiel es zwar auf den ersten Blick. Zumal die etwas hervorstehenden Augen und die scharfe Hakennase waren ihm direkt zuwider, und die allzu üppigen Lippen hatten alles andere eher als seinen Beifall. Aber er ahnte, daß die meisten anderen über diese Züge anders denken würden, als er. Er ahnte schon jetzt, dank seiner außerordentlich entwickelten Gabe der Intuition, daß dieser Henry nicht bloß das viele Geld vor ihm voraus hatte, sondern auch in allem Körperlichen ihm gegenüber bevorzugt war.

Dabei sagte er sich ebenso schnell und mit vollkommenem Sicherheitsgefühle: inwendig haben Seine Hoheit nicht gar viel, das der Rede wert wäre.


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