Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Selma mit dem Brustpanzer

Obwohl in seiner Gegenwart nie davon gesprochen wurde, fühlte es Felix doch sehr wohl, daß sein Geheimnis auf Frau Famas Flügeln die Residenz durchrauschte.

Die Offiziere, Graf Pfründten immer ausgenommen, wurden zusehentlich kordialer und beglückwünschten ihn, als er nach Ablauf seines Dienstjahres den Entschluß kundgab, als Fahnenjunker der Offizierslaufbahn zuzustreben, so herzlich dazu, daß er an ihrem guten Willen, ihn einmal als Regimentskameraden zu begrüßen, nicht zweifeln konnte.

Felix, hierin recht feinfühlig, hatte es mit guter Witterung bemerkt, wie etwas, das einer atmosphärischen Schicht verglichen werden mochte, die ursprünglich zwischen ihm und dem Offizierskorps lag, sich mehr und mehr verflüchtigt hatte. Frau Famas Flügelrauschen hatte das verweht; er wußte das wohl. Und er fand das ganz in der Ordnung, indem er für sich die Lage eines großen Herrn in Anspruch nahm, der unter einem bürgerlichen Inkognito aufgetreten war, es aber zuließ, daß dieses Inkognito von anderer Seite gelüftet wurde.

Es bereitete ihm natürlich innige Genugtuung, so ohne direktes eigenes Zutun – erkannt zu werden. Er hatte sich längst in das Gefühl eingewöhnt, eben immer nur inkognito aufzutreten.

Aber hier, in diesem Kreise, dem er durchaus angehören wollte, wirkte ein Mensch ohne Wappen ungefähr so, wie ein Mann, der die Frechheit hätte, einen Ball in Badehosen mitzumachen. Und überhaupt: es ging zweifellos nicht an, ewig alle Menschen von Gesellschaft in peinliche Beklommenheit zu versetzen durch Nennung eines Pseudonyms, das sich nicht durch das geringste Ornament von der großen Müller-und-Schulze-Herde abhob. Es war geschmacklos und also unmöglich.

Auf den Prinzen machten Äußerungen Felixens in diesem Sinne einen vortrefflichen Eindruck. Zumal die Nachlässigkeit, mit der Felix die Angelegenheit behandelte, gefiel ihm, denn sie war ihm ein neuer Beweis für angeborene Vornehmheit.

Aber er hatte doch darauf bestanden, daß auch Felix selber etwas dazu tue.

– »Müssen von zwei Seiten aus operieren. Höchster Herr zuweilen sonderbar. Echappiert gerne plötzlich. Für Militär jetzt gar kein Interesse mehr. Fahnenjunker gänzlich egal. Millionen schon weniger. Müssen aber, äh, vorsichtig nahegebracht werden. Kann ich nicht tun. Nee. Scheue Konkurrenz mit gewissen Managern. Kann bloß leise andeuten, was nicht, äh, direkt finanzieller Natur. Wird auch wirken. Höchsten Ortes viel Sinn für natürliche Söhne vorhanden. Überdies Romantiker. Aber nicht bloß. Na ja. – Sicherstes Mittel immer einschmeichelnde Stimme von Vorleserin. Wissen doch: Wappenspruch geadelter Singedame: vis in voce.«

Felix lächelte verständnisvoll, aber nicht ganz reinlich.

Der Prinz fuhr fort: »Scherz beiseite. Meine s ernst. Müssen sich an letzt gewesene ranmachen. Augenblicklich regierende natürlich streng zu meiden. Aber letztgewesene immer Stein im Brette. Finde rührender Zug. – Augenblicklich letztgewesene übrigens recht reizvoll!«

– »Selma mit dem Brustpanzer?«

Felix zeigte sich etwas erschrocken:

– »Die Dame ist mir zu dick, Prinz. Auch liebe ich diese idealistischen Kuhaugen nicht.«

– »Gibt sich mit der Zeit. Können ja wegsehen. Mensch nicht bloß zum Vergnügen auf der Welt. Begreife Abneigung gegen Fülle übrigens nicht. Hemigloben unten und oben, der Mensch soll Gottes Gaben loben.«

– Gott behüte und Gott bewahre! dachte Felix bei sich, ich will keine Fettflecke kriegen.

Aber Prinz Assi (wie Seine Durchlaucht im Kasino nach seinem Namenspatron hieß) unterstützte seinen auf so massiger Basis errichteten Plan mit so vielen Argumenten, daß Felix sich schließlich sagen mußte, es sei ein soliderer kaum zu finden.

Erstens bewies Serenissimus dieser Gewesenen eine besonders deutliche Anhänglichkeit über das Grab seiner Liebe hinaus, und dann war es bekannt, daß die ehrgeizige Selma sich nicht auf die sonst übliche Art abfinden lassen wollte. Das obligate Chalet besaß sie bereits, an Geld fehlte es ihr auch nicht, aber sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, Direktorin einer Pflanzschule für junge dramatische Talente zu werden, die natürlich vom Hofe zu gründen war. – Gute Seelen fanden das sehr ideal, böse Menschen erklärten es sich damit, daß Selma, nachdem sie die Liebe des Alters genossen, den begreiflichen Wunsch hegte, diesen Genuß nun auch in mehr jugendlicher Form kennen zu lernen. Doch dachte sie, meinten dieselben boshaften Leute, dabei nicht bloß an sich, sondern auch an den gnädigsten Herrn. Ihr die Eleven, ihm die Elevinnen.

Selma würde, das war dem Prinzen unbedingt klar, einer Annäherung Felixens gewiß keine Schwierigkeiten entgegensetzen, ihn vielmehr mit kräftigen Tragödinnenarmen so innig ans liebevolle Herz pressen, daß nur dessen üppige Polsterung ein Unglück verhüten konnte. Wenn dann Felix gleichfalls Kraft, Feuer und einige Ausdauer bewährte, gleichzeitig aber aus unwiderstehlicher Leidenschaft zur dramatischen Kunst eine recht ausgiebige Stiftung für die zu gründende Pflanzschule machte, dann war an hohem Lohn für hohe Leistung nicht zu zweifeln. Für einen glänzenden jungen Mann, der so in jeder Hinsicht ihren Wünschen genugtat, wurde Selma zweifellos mit dem ganzen Feuer ihrer Künstlerseele und mit dem ganzen Timbre ihrer bestrickenden Stimme beim höchsten Herrn wirken, und dieser würde, gleichzeitig vom Prinzen auf das romantische Mexiko hingewiesen, ebenso zweifellos den vereinten Bemühungen einer großen Dame der Kunst und eines großen Herrn der Geburt ein geneigtes Ohr schenken. Dies um so mehr, als er dadurch auf die angenehmste Manier zur Gründung eines Kunstinstituts kam, das dem geliebten Theater zu dienen bestimmt war.

 

So war es geschehen, daß Felix in der Tat Selma mit dem Brustpanzer zu seiner »Geliebten« erkoren hatte.

Es wäre ihm aber recht unangenehm gewesen, hätte er erfahren, daß gerade Graf Pfründten davon Wind bekommen hatte. Es mußte das geradezu durch Spionage geschehen sein, denn Felix frequentierte die Dame seiner Interessen nur im Dunkel der Nacht und bemühte sich peinlich, keine Kunde dieser Liaison aufkommen zu lassen, die ihm weder sehr wohlgefällig war, noch besonders dekorativ erschien.

Trotzdem mußte er monatelang Nacht für Nacht in dieser ihm unausstehlichen Villa bei dieser ihm ganz und gar ungemäßen Dame zubringen.

Hier war es, wo er erst fühlte, was er einmal besessen hatte: Liane.

Sehnsucht kannte er nicht; weder vorwärts noch rückwärts gewandte; und auch die Gabe, in Erinnerungen zu schwelgen, war ihm nicht eigen. Aber hier drängten sich Vergleiche mit solcher Stärke auf, daß er mehr als einmal das kleine Pariser Haus und seine Herrin leibhaft vor sich zu sehen vermeinte, wenn er vor gegenwärtigen Reizen die Augen verschloß.

Selmas Boudoir war grauenhaft: eine Folterkammer des Geschmacks. Die hochgestimmte Seele der Künstlerin, im Grunde massiv wie ihre Körperlichkeit, hatte es verschmäht, diesen Raum mit imitiertem Rokoko auszustatten, wie es ihre Kolleginnen zu tun pflegten. Ihrem dramatischen Elan konnte nur das entsprechen, was sie im Sinne ihrer Zeit für Renaissance hielt. Hochrenaissance versteht sich. Balkiges Getäfel, nach den Ausmessungen eines Riesensaales, drückte eichenklotzig ein mittelgroßes Zimmer, das keine Türen, sondern Portale aus Nußbaumholz hatte, dem alle möglichen Schändlichkeiten angetan worden waren. Löwenköpfe sperrten daran die Rachen auf, so daß man sehen konnte, wie die großen Bronzeringe (aber es war eigentlich keine Bronze) an den Zähnen hingen. Unverschämt dicke Fruchtkränze bepflasterten das übrige, und in einigen schaukelten sich noch dazu gräßlich eingezwängte Putten mit Wasserköpfen. Rechts und links aber traten mühsam und daher mit ingrimmigen Blicken Landsknechte aus dem Holze hervor, die ungemein schön geringelte Bärte, aber an diesem Orte eigentlich keine Daseinsberechtigung hatten. Die großen, bogigen Fenster waren mit zahllosen flaschengrünen Butzenscheiben von deutlicher Fabriksherkunft bedeckt, mußten aber auch noch daran befestigte Glasmalereien ertragen, die rührende Szenen aus dem Trompeter von Säckingen in Farben wiedergaben, denen nur ein abgehärteter Magen widerstehen konnte. Die Papiertapete heuchelte braungenarbtes Leder mit Goldornamenten, die ein Stilleben von Helmen, Schilden, Spießen, Säbeln, Trompeten, Pauken und Kronen zu bedeuten hatten. Zum Glück war dieser papierlederne Kriegslärm zum großen Teile von Lorbeerkränzen mit gewaltigen goldbedruckten Bändern bedeckt, die meistens die Farbe des Herrscherhauses trugen, dem die begnadete Künstlerin ihre höchsten Triumphe verdankte. Möbel standen in diesem dräuenden Raume keine, sondern gewaltige Gebäude, die sich nur herabließen, als Schränke, Tische, Stühle, Sofas zu figurieren. Was Holz an ihnen war, war bis an die Grenze der Möglichkeit geschnitzt, und zwar dermaßen, daß man hätte glauben können, diese wild vorgereckten Kanten, Knäufe, Zacken, Zinken, Wülste seien nicht zum Schmucke, sondern zum Schutze dieser Holzbefestigungen bestimmt. Wo sich Stoff an dieses Holz ansetzte, ornamental ausgeschorener Plüsch von unappetitlich braungelblicher Farbe, war dieser Umstand unmäßig betont durch gewaltige Knöpfe aus bronziertem Metall. Auch gab es hier wiederum aufgesperrte Löwenrachen mit Ringen. Der persische Teppich aus Wurzen mußte höchst kostbar sein, denn er war von vielen Bärenfellen bewacht, deren aufgerissene innen rot bemalte und zähnefletschende Köpfe im Kampfe mit dem Schuhwerk der Besucher dieses Kabinetts der Schrecken ihre Nasen eingebüßt hatten. Inmitten eines Erkers, der von einer Palastterrassenbalustrade aus knolligen Säulen wie ein Altar abgeschlossen war, stand, zwischen blechernen, aber sehr sauber auf Natur lackierten Palmen, auf einem trotzig gekanteten Untersatze aus naturfarbenem Eichenholze mit eingelassener Bronzeinschrift die Büste Selmas als Jungfrau von Orleans. Nach ihr, die so glatt und glänzend war, daß man auf die Vermutung kommen mußte, sie sei vom Seifensieder aus weißer Glyzerinseife gegossen worden, führte die gefeierte Tragödin den Namen Selma mit dem Brustpanzer. »Kein Busen wars, ein Bollwerk wars zu nennen.«

Hier, vor diesem Erkeraltar stehend, angetan mit einem Schlafrock aus himmelblauem Flanelle, der nach ihrer Meinung vom Schnitte eines griechischen Priesterinnengewandes, in Wahrheit aber doch eben nur ein ganz gewöhnlicher Schlafrock war, pflegte die üppige Heroine, à la Germania auf dem Niederwalde frisiert, mit glühenden Bäckchen und gewaltig einherwogendem Busen Verse der Klassiker zu deklamieren, indessen Felix auf einem schauderhaft unbequemen Stuhle sitzen mußte, dessen gebuckelte und gekerbte Knöpfe sich ebenso schmerzhaft in seinen Rücken eingruben, wie die hohl scheppernden Wortrouladen der begeistert Wimmernden in seine Ohren. Ursprünglich hatte ihm die skrupellose Selma zugemutet, auf diesem Stuhl der Qualen einen im Hause der Vorleserin allergnädigst zurückgelassenen Schlafrock des höchsten Herrn zu tragen, aber Felix, obwohl er sonst Order zu parieren hier nicht weniger als in der Kaserne sich zur Pflicht gemacht hatte, war in diesem Punkte denn doch nicht gefügig gewesen. Er hatte sich darauf hinausgeredet, daß der Schlafrock Serenissimi für ihn nie und nimmermehr ein Gebrauchsgegenstand, sondern immer nur ein Objekt der Verehrung sein dürfe. Dafür mußte er nun als Orestes hier sitzen, die bloßen Füße in Theatersandalen und auf dem nackten Leibe eine grüne Theatertunika mit rotem Mäander an der Saumlinie. Er kam sich wie ein Statist vor, der der Heroine ihre Rollen abhören darf.

O, diese Rollen, diese rollenden, hallenden Rollen! Felix bekam einen unauslöschlichen Haß gegen den fünffüßigen Jambus, und in der wabernden Umplätscherung dieser von heftigen Atemstößen gehobenen Rhythmenwogen fühlte er innerlich eine Wut aufsteigen, die er nur durch rastloses stummes Wiederholen eines gegensätzlichen, gewissermaßen als Gegengift wirkenden Rhythmus bemeistern konnte. Am besten bewährte sich das Anapästgehüpf: Wenn der Mops mit der Wurst übern Spucknapf springt.

Dabei aber doch ein entzücktes Mienenspiel zu unterhalten, war indessen schwer, und es war um so schwerer, weil er wohl wußte, daß Selmas idealistische Atemgymnastik nur das Vorspiel zu einer sich immer gleich bleibenden, reizlosen realistischen Liebesszene war, der jede Gliederung, jeder Geist, jedes Raffinement, jede Glut, jede Überraschung fehlte. Mäßiges Naturprodukt, durch keine Kunst geadelt und verfeinert.

O, lieber, viel lieber noch Friedrich Schiller in Selmaschen Rouladen!

Oft, wenn die vor Begeisterung Keuchende schon Anstalten machte, zu dem Tragödienschritte anzusetzen, der ihm die Zerreibungszone ihrer Umarmung näherte, sprang er hingerissen auf und zurück und rief:

»O, bitte, einmal noch von der herrlichen Stelle an:

In rauhes Erz sollst du die Glieder schnüren,
Mit Stahl bedecken deine zarte Brust,
Nicht Männerliebe darf dein Herz berühren
Mit sündgen Flammen eitler Erdenlust.«

Aber, wie bedeutsam er auch die zwei letzten Verse betonen mochte, es kam doch immer zu der unvermeidlichen Katastrophe, die mehr dem Wesen der Voltaireschen Pucelle, als der Schillerschen Jungfrau entsprach, und unter deren Entladungen sich Felix mehr als einmal fragte: Wann ist diese furchtbare Person eigentlich echt: wenn sie Schiller, oder wenn sie mich notzüchtigt?

Hätte er sich eingehender mit Selmas Charakter beschäftigt, so würde er darauf gekommen sein, daß sie es das eine wie andere Mal war, im tieferen Sinne aber nie.

Doch Felix dachte nicht daran, sich mit Selmas Charakter zu beschäftigen; er hatte gerade genug mit ihrer Leiblichkeit zu tun.

Wenn die Griechenpriesterin in ihrem himmelblauen Flanell ihren Orestes unter schallenden Küssen zwischen den grimmigen Landsknechten hindurchbugsiert und zu ihrem geräumigen Lager geschleppt hatte, das in einem himbeerlimonadefarbenen Lichte schwamm, weil eine von zwei an Drähten schwebenden Tauben gehaltene Rosaglasmuschel es so wollte, dann lernte Felix die große, aber bittere Wahrheit des prinzlichen Wortes kennen, daß der Mensch nicht bloß zum Vergnügen auf der Welt ist. Der Begriff der Arbeit ging ihm auf, und, wenn es auch Arbeit auf einem Gebiete war, wofür er hinreichend Talent, und auf dem er reiche Erfahrung besaß, so gehörte doch viel Selbstüberwindung, gewaltige Energie und der beharrliche Gedanke an den Lohn der Mühe dazu, sie zu leisten.

Als ihn der Prinz eines Tages beinahe aufgeregt mit der Meldung beglückte: »Höchster Herr in Anerkennung besonderer Verdienste um dramatische Kunst Graf gemacht!« da atmete er tief auf und sagte: »Gott sei Lob und Dank! Das hab ich mir redlich und sauer verdient. Es war die höchste Zeit.«


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