Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Die erste Etappe

Felix war mit seinem Viererzug nach Deutschland mehr zurückgerast, als gefahren. Die Meinung des Prinzen, daß seine Gäule zu beneiden seien, bestätigte sich dabei nicht. Er fuhr ein gutes Dutzend zuschanden, und wenn es nicht italienische Pferde gewesen wären, die ans Ausgepumptwerden gewöhnt sind, so würden noch mehr halblahm zurückgeblieben sein.

Felix wußte wohl, daß das kein gutes Fahren, sondern ein scheußlicher Unfug war, und er hatte sich das Heimkutschieren anfangs auch anders gedacht. Aber seit ihm die Uniform des prinzlichen Regimentes winkte, war Italien für ihn nur eine Strecke Landes, die er so schnell als möglich hinter sich lassen mußte. Je heftiger, hastiger die fegenden sechzehn Hufe vor ihm spektakelten, je krachender das Eisen der Radreifen über Stock und Stein polterte, je dicker der Staub hinter ihm aufwirbelte, je höher er selbst auf seinem Bocke hin und her geschleudert wurde, um so wohler, frischer, belustigter fühlte er sich. Mochten die vierbeinigen Kreaturen, die ja doch seinem Gaulideale nicht entsprachen, die Kränke kriegen, mochten John und der Kutscher hinten zerscheuert und zerschunden werden, – was tats! Er schonte sich auch nicht. Seine Arme wurden wie aus Holz, alle Muskeln und Knochen schmerzten ihn, abends sank er ins Bett wie ein Ding aus Blei. Nichts interessierte ihn. Fort, fort, fort! Weiter! Nach Deutschland! In die Uniform!

 

Nun hatte er sie an und befragte mehr als einmal täglich den Spiegel an der Wand, wer der Schönste sei im ganzen Land.

Zwar der Stalldienst war nicht süß und auch nicht dekorativ, das frühe Aufstehen kam bitter an und sauer der Schweiß beim Gedrilltwerden. Auch war fürs erste schmählich wenig freie Zeit zum Glänzen auf der Straße übrig, und der Umstand, zwar Reiter, aber nicht Reiteroffizier zu sein, den er ursprünglich allzuwenig mit in Rechnung gezogen hatte, machte sich nun oft genug bemerklich. Seine Durchlaucht sah er kaum; die übrigen Offiziere behandelten ihn streng dienstlich, und kasinoreif war er noch nicht. Doch gefiel ihm im Grunde auch der jetzige Zustand schon. Die feste Leitung und bis ins einzelne genaue Regelung, unter der sein Leben stand, dieses ganze seelische und körperliche Training tat ihm wohl. Es war ihm angenehm, daß Regiment und Eskadron ihn der Notwendigkeit überhoben, darüber nachzudenken, womit er seine Zeit ausfüllen sollte. Er, der »geborene Herr«, fühlte sich wie geborgen im Zwange des Dienstreglements.

Manchmal, wenn er an dienstfreien Tagen sich die Wollust gönnen durfte, angetan mit seinem seidenen Schlafrocke auf dem Diwan zu liegen, fragte er sich selbst, wie das eigentlich kam, daß er die Freiheit gar nicht vermißte. Er fand nur die Antwort: Abwechselung. Den Umstand, daß die rein körperliche Tätigkeit, ob auch unter Kommando, ihm ersichtlich wohltat, übersah er aber doch nicht als einen weiteren Grund für sein Wohlgefallen an dieser Unfreiheit. Er tat sich sogar etwas zugute darauf, indem er sich sagte, daß es im Grunde eine sehr vornehme, ja die eigentlichst ritterliche Tätigkeit sei. Auch wußte er, obwohl es ihm noch nicht von den Vorgesetzten ausdrücklich zugestanden war, daß er gut ritt. Die Aussetzungen, die ab und zu beim Dienste gemacht wurden, waren offenbar nicht so sehr wirklicher Unzufriedenheit mit seinen Leistungen entsprungen, als dem Prinzip, einen Rekruten nicht übermütig zu machen. Wie wirklicher Tadel klang, das zu bemerken hatte er oft genug Gelegenheit, wenn er die Donnerwetterworte auffing, mit denen der andere Einjährige in der Eskadron bedacht wurde, ein Herr von Herzfeld, der trotz Taufe und Adel nicht in der Lage war, es zu verbergen, daß seine Ahnenreihe in orientalischem Dunkel verschwand.

Kurt von Herzfeld war der Sohn eines sehr reichen Mannes, der am Hofe dieser kleinen Residenz in höchster Gnade stand und den erblichen Adel für unbestreitbare Verdienste um die Ordnung der fürstlichen Finanzen erhalten hatte.

Herr von Herzfeld senior (nach Luther Martin genannt) hatte geglaubt, daß sein Sohn in diesem Regiment unbedingt avancieren müsse, aber Herr von Herzfeld junior (Kurt genannt, weil dieser Name in alten Ritterromanen häufiger ist als jeder andere) hätte reiten können, wie der alte Zieten, und ein militärisches Genie sein können, wie Napoleon, er wäre doch nicht avanciert. Gerade nicht. Erst recht nicht. Denn es galt, zu zeigen, daß »diesen Leuten« wenigstens eins nicht offen stehe: ein altadeliges Offizierskorps.

Gleich von Anfang an ging es dem armen Kurt schlecht im verschnürten Rocke. Er wurde nicht nur körperlich, sondern auch seelisch kujoniert. Obwohl er keineswegs schlecht ritt und auch in allem übrigen des Dienstes durchaus seinen Mann stellte, bürgerte es sich doch als Regel ein, daß er, wie nach einem Naturgesetze, immer nachreiten, immer nachexerzieren mußte. Zumal im Stalldienst schien man von ihm Leistungen von einer Vollkommenheit zu erwarten, die man im allgemeinen Einjährig-Freiwilligen sonst nicht zuzumuten pflegt, und die Art, wie man bestrebt war, ihn zu einem konkurrenzlosen Meister in der Handhabung der Lanze auszubilden, ließ von vornherein den Schluß zu, daß man nicht vorhatte, ihn in Grade aufrücken zu lassen, die die Lanze nicht führen.

Dies ertrug Herr von Herzfeld mit Gelassenheit. Obwohl körperlich keiner von den kräftigsten, riß er sich bis zum Äußersten zusammen und gönnte seinen Peinigern nicht den Triumph, ihn schwach zu sehen.

Fast unerträglich aber waren die psychischen Demütigungen, die er auszustehen hatte: der feinere Hohn der Offiziere, der schon aus der Art zu fühlen war, wie sie ihn mit spöttischer Betonung »Einjähriger von Herzfeld« nannten, und die groben Direktheiten der Unteroffiziere.

Die Situation des jungen Mannes war um so qualvoller, als er auch im Elternhause auf Tadel stieß, statt Trost zu empfangen. Der alte Herzfeld, dem es nicht beschieden gewesen war, die Uniform zu tragen, erklärte ihn mit Empörung für einen unmilitärischen Menschen, der nicht wisse, was er dem Rang seiner Familie schuldig sei.

Kurt hatte in der Tat keinen militärischen Ehrgeiz. Er wollte Literaturgeschichte studieren und interessierte sich für die Romantiker. Wozu mußte er Reserveleutnant in einem Kavallerieregimente werden, er, dessen ganzer Ehrgeiz nach einem Lehrstuhle der deutschen Literarhistorie stand? Wär ich doch lahm oder bucklig geboren, dachte er sich manchmal. Diese Leute, die so unedel sind, daß sie einen Wehrlosen zu beleidigen vermögen, was eine Art Feigheit ist, wenn man es näher betrachtet, diese Leute stammen von meinen herrlichen alten Rittern ab, diesen prachtvollen Menschen, die edel, tapfer, großmütig und in den schönsten Zeiten ihres Standes gar Dichter waren.

Der junge Sinnierer, der in seiner Familie nicht zu Hause war und in der Welt erst recht nicht, hätte sich gern an Felix angeschlossen. Er empfand durchaus keinen Neid und Ärger darüber, daß der der Bevorzugte, ihm oft als Muster Vorgehaltene war, denn er sah es ja selber, daß Felix besser ritt und soldatischer aussah, als er. Er sagte ihm das auch unumwunden und selbst mit einem Tone von Bewunderung. Denn er bewunderte gerne.

Felix seinerseits hatte zwar die deutliche Empfindung, daß sein Kamerad klaftertief unter ihm stehe und schon deshalb kein Umgang für ihn war, weil die Offiziere ihn nicht achteten, aber seiner Eitelkeit tat jede Bewunderung wohl, gleichviel aus welchen Tiefen sie kam. So ließ er es sich also halb gönnerhaft gefallen, daß Kurt von Herzfeld Verkehr mit ihm suchte.

Sie tranken zusammen Tee, Kurt klagte sein Leid, schwärmte von seinen Romantikern und wurde nicht müde, zu wiederholen, daß Felix sein einziger Trost in dieser schrecklichen Zeit sei, während dieser aufs großartigste Weltanschauung ertönen und an dem verblüfften jungen Mann seine Lebenserfahrungen vorbeipassieren ließ.

– Was für ein Mensch! dachte sich Kurt: Lebemann, Dichter, Ritter, Philosoph!

Und er fing an, ihn zu lieben, obwohl Felix kein Hehl daraus machte, daß er (»ich kann nun mal nicht anders; es steckt im Blute«) eigentlich Antisemit sei: »Aber, natürlich, das schließt nicht aus, anzuerkennen, daß es auch anständige und sympathische Juden gibt.«

»Ach,« meinte Kurt, »dann darf man aber auch nicht Antisemit schlechtweg sein und höchstens sagen: Ich bin nicht Philosemit. Und das ist ja eigentlich auch ein Unsinn, wie alles, was in Bausch und Bogen für oder wider ist.«

»Nein,« erklärte Felix, »Antisemitismus ist Instinktsache, Sprache des Blutes. Zwischen den Ariern und den Semiten ist Feindschaft gesetzt von Bluts wegen.«

»Wenn das richtig wäre,« entgegnete Kurt, »so müßte ja ich Anti-Arier sein, und ich bin es so wenig, daß ich mich durchaus als Deutscher fühle, obwohl ich mich meiner jüdischen Abkunft nicht etwa schäme.«

Felix lächelte und dachte sich: Zu dünnes Blut; geschwächte Instinkte; Gelehrtennatur. Und er sagte: »Vielleicht sind Sie nicht rein semitischer Abstammung. Ich habe mir sagen lassen, daß Halbjuden deutscher Nationalität zuweilen geradezu krampfhaft teutonisch empfinden. Was, nebenbei gesagt, meine Sache keineswegs ist. Ich fühle rein arisch, nicht germanisch. Bin arischer Kosmopolit. Übrigens auch von Bluts wegen.«

– »Sie sind nicht aus rein deutscher Familie?«

Felix lächelte wiederum. Am liebsten hätte er gesagt: Bitte im Brockhaus unter Habsburger nachzuschlagen. Aber er begnügte sich, seine Unterlippe vorzuschieben und leichthin zu erklären: »Die Familie, der ich entstamme, ist zwar ursprünglich deutscher Herkunft, hat aber keinen Wert darauf gelegt, sich nur mit deutschen Geschlechtern zu versippen. Sie ist durchaus international. Überdies war meine Mutter Spanierin. Ich möchte fast meinen, daß der erlauchte Grande Don Juan zu ihren Vorfahren gezählt hat.«

»Daher also Ihr südliches Aussehen!« rief Kurt aus. »Ich habe immer so etwas vermutet. – Was mich aber doch wundert, ist, daß Sie kein deutsches Nationalgefühl haben. Ich habe immer gemeint, Sie haben die Absicht, Offizier zu werden, und ohne Nationalgefühl geht das doch kaum.«

– Aufdringliche Judenlogik, dachte sich Felix und erwiderte aigriert: »Ich hoffe, es bleibt unter uns, was ich da gesagt habe. Wenn ich einmal deutscher Offizier sein werde, werde ich es natürlich mit Leib und Seele sein, genau so wie die Herren mit hochadeligem Namen, die auch allesamt nicht rein deutschen Geblütes sind.«

»Wie es sich ja auch mit der Abstammung der deutschen Fürsten verhält, die aber trotzdem das Nationalgefühl geradezu repräsentieren,« pflichtete Kurt bei.

»In der Tat gerade so,« schloß Felix die Unterhaltung, deren Verlauf er bereits bedauerte.

Als er die Gefreitenknöpfe erhalten hatte (mit denen Kurt von Herzfelds Kragen sich nicht schmücken durfte), erschien, endlich, der Prinz bei ihm. Felix war eben vom Dienst zurückgekehrt, hatte das gewohnte Bad genommen und pflegte in seinem seidenen Schlafrock einer wohlverdienten Ruhe, indem er mit Wohlgefallen an die lobenden Worte dachte, mit denen der Rittmeister seine erste militärische Beförderung begleitet hatte. Der Prinz, der knapp nach eben erfolgter Anmeldung eintrat, mußte lachen, wie Felix in dieser äußerst unmilitärischen Bekleidung militärisch Stellung nahm. Er reichte ihm die Hand und sagte lächelnd: »Bitte rühren! Endlich mal wieder n bißchen plaudern. Mensch zu Mensch. Dienst Sache für sich. Komme zu gratulieren. Immerhin ersten Schritt gemacht. Alles der Reihe nach bei Militär. Hoffentlich gefällt Ihnen in Uniform?«

Felix beteuerte, daß er sich nie wohler gefühlt habe.

– »Nie daran gezweifelt. Geborener Reiter. Darf es Ihnen sagen, Mensch zu Mensch, außerdienstlich: alle Kameraden weg. Sitz, Schneid, Haltung, Gäule, alles tipp-topp. – Bloß eins unangenehm vermerkt: Umgang mit, äh, Dingsda von Herzfeld. Offen gestanden: selber perplex. Gutmütigkeit muß Grenzen haben bei Militär. Sonst ja schöner Zug. Geht aber nicht überall. Müssen Jüdchen unbedingt abwimmeln.«

Felix beteuerte, daß er diesen Entschluß bereits gefaßt habe, ihn aber nun mit besonderer Beschleunigung ausführen werde. Selbstverständlich sei nicht er es gewesen, der diesen Umgang gesucht habe.

– »Persönlich nie daran gezweifelt. Mehrzahl Kameraden auch nicht. Einige aber doch kopfscheu geworden. Beinah demonstrativ gefunden. Na, nichts verloren, wenn gleich Schluß machen. Dann Kasinoverkehr nichts im Wege. Alles andere später gleichfalls arrangeabel. Können sich auf mich verlassen.«

Felix beteuerte, daß er immer danach streben werde, sich der Gönnerschaft Seiner Durchlaucht würdig zu erweisen, und daß er nie anders, als nach den Ratschlägen Seiner Durchlaucht, zu handeln gedenke, die für ihn Befehle seien.

 

Er brach den Umgang mit dem mißliebigen Kameraden so schroff ab, daß der arme Kurt ganz trübsinnig darüber wurde, und er ging, in der Beflissenheit, zu zeigen, daß er auch an antisemitischer Gesinnung nicht hinter dem Offizierkorps zurückstehe, so weit, daß er im Kasino zutrauliche Äußerungen des »Jüdchens« in offenbar sehr belustigend chargierter Form zum besten gab, denn man schüttelte sich vor Lachen darüber und wünschte immer aufs neue, Äußerungen des Herrn von Herzfeld über altdeutsche Ritterlichkeit zu vernehmen. Nur wenn der Oberstleutnant Graf Pfründten zugegen war, durfte man Felix nicht ermuntern, seine Spezialität zu produzieren. Dieser Offizier, der enragierteste Judenfresser von allen, hatte nämlich, als er einmal bei solchen Äußerungen Felixens zugegen war, gesagt: »Lassen Sie das, Einjähriger Hauart; Sie treffen den Tonfall zu gut.«

Felix hatte das wie einen Schlag ins Gesicht empfunden, ohne selbst zu begreifen, warum. Es war einer der Momente gewesen, in denen ein Mensch den andern als Feind erkennt, ein jäher Augenblick, der in wilder Hitze Haß gebiert.


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