Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Ein solches Haus in solchem Garten hatte sich »der Russe«, wie er in der Gegend kurz genannt wurde, erworben und ganz nach seinem Sinne mit Möbeln aus der Zeit des ersten Kaiserreichs ausgestattet, die damals bloß als altmodisch, aber noch nicht für »antik« galten. Sie sagten ihm in ihrer strengen und etwas steifen Pracht viel mehr zu, als die mit Rokoko-Verzierungen recht oberflächlich spielenden Möbel des zweiten Kaiserreichs, die ihm den Eindruck von Unsolidität und Weichlichkeit machten. Er aber liebte die grade Linie, sparsamen, zurückhaltenden Schmuck aus echtem Material und eine gewisse Massigkeit. Das grazilere »Damen-Empire«, die feinbeinigen Tischchen und wie aus Gitterwerk zierlich konstruierten Sofachen fand man bei ihm nicht, wohl aber gewaltige, wenn auch durch die Kunst der Verhältnisse nicht plump erscheinende Tische und wahrhaft überlebensgroße Prachtkanapees. Die östliche Herkunft und den früheren Beruf des Besitzers verrieten kostbare persische Teppiche, turkestanische Vorhangstoffe und wertvolle Waffen der verschiedensten Art: Säbel, Degen, Pistolen, Gewehre, die, weit zahlreicher als Bilder, an den Wänden hingen. Doch fehlte es auch an Bildern nicht völlig, und diese ließen gleichfalls gewisse Schlüsse auf die Neigungen ihres Besitzers zu. Da waren bunte, edelsteinbeladene russische Heiligenbilder, byzantinische Madonnen neben tibetanischen Malereien auf Seide, die schauderhafte Götzen, überladen mit Attributen der Grausamkeit und Wollust, darstellten, aber es gebrach auch nicht an allerhand nackten Damen antikmythologischer und ganz und gar moderner Herkunft. Diese letzteren aber waren nicht so sehr durch klassische Schönheit wie durch Fülle ausgezeichnet. Auch plastische Kunstwerke waren vorhanden, doch gewahrte man weniger echte Bronzen, als Erzeugnisse des berühmten russischen Phosphor-Eisenwerkes bei Jekaterinburg, die nichts so gerne darstellen wie reitende Kosaken.

Auch von diesen Dingen war bereits in Gegenwart der Sixtinischen Madonna die Rede, und es war nicht bloß höfliche Vorheuchelung, wenn Madame Sara erklärte, daß alles Russische sie besonders interessiere.

– »Rußland, verzeihen Sie, Fürst, hat für uns Amerikaner den Reiz kostbarer Barbarei. Gilt uns Europa als die alte, schon etwas lahmgewordene Kultur, so Rußland als der große Rachen, der diese Kultur einmal verschlingen und, wenn er imstande ist, sie zu verdauen, aus ihr ein neues Gebilde von halb asiatischem Charakter erstehen lassen wird.«

– »Ich verstehe, Madame. Wir Russen sind für Sie die Europäer à la tartare. Ein bißchen Politur über dicker Roheit. Nun ja, gottlob, es ist etwas Wahres daran. Unsere Kraft liegt in Asien, im Urgebiet des Menschen, das schon mehr Kulturen sterben sah, als je in Europa entstanden sind. Dort ist viel verfault und daher, dank der Düngung durch Jahrtausende, der beste Humus für eine neue, für unsere Kultur. – Was Sie in Amerika verflucht schnell und, entschuldigen Sie, etwas oberflächlich gemacht haben, machen wir verflucht langsam, daher aber um so gründlicher. Sie haben auf ein neues Land den äußerst schnell alt gewordenen europäischen Liberalismus gepfropft, aber dieses Wunderkind wird wie alle Wunderkinder früher sterben, als es Nachkommen hervorbringen konnte. Wir aber gehen auf das echte Urwesen des Menschen zurück, das sich, wenn Sie wollen, barbarisch geworden, im Osten erhalten hat und zu alt ist, als daß es die Kinderei des Liberalismus hätte mitmachen können. Panslawismus heißt Asiatismus, heißt Mystizismus. Revanche für Marathon und Salamis ist das letzte Ziel der russischen Politik.«

– »Oh! Oh! Sie springen weit und überspringen viel, Fürst!«

– »Das kommt, weil wir Russen an große Ausdehnungen gewöhnt sind.«

– »Wie wir Amerikaner.«

– »Aber Sie springen an der Longe Europas in der Manege des Liberalismus. Zirkuskünste! Bei uns aber ist Freiheit und Größe! Nur bei uns!«

– »Freiheit? Existiert das Wort im Russischen?«

– »Nicht im Sinne der kümmerlichen Liberté, aus der die ruchlos idiotische Égalité hervorgegangen ist, aber im großen Ursinne der Brüderlichkeit eines ganzen Volkes, das sich als Familie fühlt und mit tiefem Instinkte den fürchterlichen Unsinn des Individualismus erkannt hat, den wir den griechischen Windbeuteln und den einzigen entarteten Orientalen verdanken: den Juden.«

Bei diesem Worte fühlte die kluge Sara, der dieses Gespräch ein seltsam aus Ärger und Respekt gemischtes Vergnügen bereitet hatte, daß jetzt der Moment gekommen war, wo es sich entscheiden mußte, ob sich mehr und Besseres aus ihm entwickeln sollte, als Gespräche.

Und sie sagte mit einem Lächeln, das schlechterdings bezaubernd war in seiner Mischung aus ein bißchen Demut mit viel Stolz: »Sehen Sie mir es nicht an, daß ich Jüdin bin, Fürst?«

Auch der Kommandör des Sankt-Georgsordens empfand blitzschnell die Bedeutung dieses Momentes. Er, der in der Tat längst und keineswegs mit Mißfallen die jüdische Herkunft seiner schönen Partnerin bemerkt hatte, ergriff ihre linke Hand und zog sie an die Lippen, indem er sprach: »Ich verstehe mich auf Frauenschönheit, Madame, und ich müßte nicht tatarisches Blut in mir haben, wenn ich sie nicht zu schätzen und – abzuschätzen wüßte. Meine Liebe für den Orient ist nicht bloß platonisch-politischer Natur. Mag ich auch die Juden für entartete Orientalen mit dem denkbar schlechtesten Einfluß auf die menschliche Kultur halten – die Jüdinnen sind mir immer besonders verehrungswürdig erschienen, und ich möchte mich ihrem Einflusse keineswegs entziehen – zumal, wenn er über ein Lächeln verfügt, wie Sie.«

Madame Sara hörte den Unterton von paschahafter Überlegenheit aus diesen Worten wohl heraus, aber er mißfiel ihr durchaus nicht. Im Gegenteil: Sie ahnte aus ihm etwas, das sie innerlich höchst angenehm aufschauern ließ.

Und sie wiederholte ihr Lächeln, indem sie die Demut darin zur Balance mit dem Stolze steigerte. Und sagte: »Auch die Ironie in Ihren Worten entzückt mich, Fürst, – nicht bloß die Schmeichelei. Sie haben eine mir sehr zusagende Manier der galanten Huldigung, und ich würde es vielleicht auf einen Versuch ankommen lassen wollen, zu erfahren, ob Sie jetzt bloß – höflich gewesen sind.«

 

Der Versuch wurde gemacht, wurde wiederholt, und es war bald kein Zweifel mehr daran erlaubt, daß Fürst Golkow eine mehr als platonische Neigung für schöne Jüdinnen hatte.

Schon nach wenigen Wochen war Madame Sara im buen retiro des Fürsten wie zu Hause, und sie lernte den Zusammenhang begreifen, der zwischen den byzantinischen Madonnen, den tibetanischen Verzückungsgreueln und den Kosaken aus russischem Weicheisen bestand. – –

Wie ihr das neu war nach ihren Erfahrungen mit dem seligen Asher und dem Intermezzo mit dem hübschen Leipziger Korpsburschen!

Sie lernte mit großem Interesse das erotische Gruseln kennen und entbrannte in heftigster Leidenschaft zu ihrem Tataren, wie sie nun den Fürsten gerne nannte. Indessen: Den Kopf verlor sie dabei doch nicht. Wie gerne sie auch ihrem erotischen Mystagogen auf den dämmerigen Wegen in das mystische Paradies folgte, und wie gelehrig sie sich auch aus angebornem Talente benahm, – sie verfiel ihm nicht so ganz, wie es den Anschein hatte, und wie er es nach dem Anschein gerne glaubte. Sie exaltierte sich nicht aus Berechnung; das hatte ihr Temperament nicht nötig. Sie spielte auch nicht aus Berechnung die Liebessklavin; diese Rolle war ihr im gegebenen Moment Natur. Aber beides, die Exaltation und die demütige Unterwerfung unter den Herrn der Liebe, nahm sie nicht dauernd ein; – sie blieb über der Sache, die für sie nicht Liebe, sondern Sensation war, aber sie wußte sich klüglich den Anschein zu geben, als sei sie nicht bloß in seinen Armen sein.

Auch beim Fürsten war es nicht Liebe im wahren mystischen Sinne des Wortes, nicht die ganze innere Verknüpfung seines Wesens mit dem ihren. Er entzückte sich an ihr zu Schwelgereien seiner wunderlich verstiegenen und Abgründe aufsuchenden Erotik. Er genoß in ihr – Asien und meinte in ihr – das Judentum zu unterwerfen. Aber es ging ihm wie manchen großen Herrn, die, gerade wenn sie am unumschränktesten zu herrschen glauben, um ihr eigentliches Herrschertum betrogen werden. Die schöne Jüdin wurde ihm zum Bedürfnis, und sie zwang ihm leise eine Monogamie auf, die ganz und gar nicht in seinem Wesen lag.

Ein solcher Zustand aus wirklicher Liebe ist Glück. Beim Fürsten war er eine Folge von Rauschzuständen, denen es am Intermezzo des Katzenjammers nicht fehlte. Trotzdem dachten beide nicht daran, die so intim gewordene Reisebekanntschaft durch eine Abreise zu lösen.

Madame Sara fühlte sich in Dresden durchaus und in jeder Richtung wohl. Sie war durch den Fürsten, soweit er selbst gesellschaftliche Beziehungen pflegte, in die Gesellschaft gekommen, – nicht so sehr in die der ansässigen Kreise, als in die der Fremden von Distinktion. Und, wo sie erschien, machte sie Aufsehen, gefiel sie. Das tat ihr wohl und machte ihr Vergnügen, zumal, da sie an Schönheit, Geist und Eleganz keine Rivalin fand.

Es dauerte nicht lange, und sie war umworben. Ein Attaché der französischen Gesandtschaft gefiel ihr, aber seine Gespräche waren zu pariserisch glatt. Sie war tiefere Paradoxe gewöhnt, als die, die Monsieur le Comte de Brottignolles aus dem Figaro schöpfte, den sie selber las. Auch ein junger sehr reicher Engländer, der immer vorgab, sich zum Studium der deutschen Sprache in Dresden aufzuhalten, aber nie ein deutsches Wort über seine wunderbar rasierten britischen Lippen brachte, machte in seiner blonden Gesundheit einen gewissen Eindruck auf sie. Er war nicht parfümiert und roch doch gut. Alles war gut ausgearbeitet und doch strotzend an ihm. Kurz: Ein Triumph der Hygiene. Aber er war gar zu englisch, zu insular, und man konnte mit ihm schlechterdings nur über Dinge reden, die augenscheinlich vernünftig waren. Und, um Leitartikel miteinander auszutauschen, dazu, meinte Madame Sara, unterhält sich eine junge Frau nicht mit einem jungen Manne. Überdies hatte sie die Empfindung, daß er grausam tugendhaft sei und sich darauf noch etwas einbilde.

Der Fürst, dem es nicht entgehen konnte, daß seine Sulamitin auch anderen gefiel, beobachtete mit großem Vergnügen das Vergebliche aller Versuche der anderen, ihr nahe zu kommen, und legte das wohlgefällig als Beweis seiner festen Alleinherrschaft aus. Irgendwie erstaunlich fand er es nicht, denn es gehörte zu seiner Überzeugung von den Vorzügen der östlichen Menschen, daß dort die Männer zwar polygam, die Weiber aber monogam veranlagt seien. »Sogar die Jüdinnen,« hatte er einmal zu Sara gesagt, »die überhaupt noch echte Orientalinnen sind, weshalb sie sich in ihren schönen Exemplaren auch überall gleichen, während der amerikanische Jude ganz wie ein Amerikaner aussieht, der französische Jude ganz wie ein Franzose.« Auch gegenüber solchen Reden hatte Sara das unterwürfige Lächeln der Favoritin, aber in ihrem Innern sah es dabei gar nicht unterwürfig aus, und im Tagebuche Lalas gab es eine Stelle, die lautete so: »Sprach die helle Schwester: je gescheiter ein Mann ist, um so leichter kann ihn eine Frau betrügen.«


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