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Als Karl mit Berta in Wien eintraf, teilte er Henry nicht sogleich mit, daß er die Schwester aus Hamburg geholt hatte. Er mußte sie erst, unter feinster Ausnutzung seiner Studien in Lianens Garderobe, so anziehen, daß ihre nun aufs köstlichste zur Blüte gelangte Schönheit den Rahmen erhielt, ohne den sich Karl eine volle Wirkung nicht versprechen konnte, da er Henry nach sich selbst beurteilte, den an einem weiblichen Wesen zuerst die Toilette faszinierte.
Aber die großen Wiener Mode- und Wäscheateliers, deren Leiter er durch seine Detailkenntnisse so verblüffte, daß sie glaubten, es mit einem Konkurrenten zu tun zu haben, waren kaum imstande, das Tempo einzuhalten, das er zur Bedingung machte. Denn seine erste Zusammenkunft mit Henry seit seiner Rückkehr hatte es ihm klargemacht, daß kein Tag mehr zu verlieren war. Der zukünftige Jesuit zeigte bereits im Schnitt seiner Kleider klerikalisierende Tendenzen und hatte auch schon sein Schnurrbärtchen dem künftigen Berufe geopfert. Es war kein Zweifel: er sehnte den Moment herbei, wo er sich eine Tonsur scheren lassen durfte. Seelisch tonsuriert war er bereits, und seine Ausdrucksweise verriet deutlich, daß Pater Cassian einen gelehrigen Schüler an ihm gefunden hatte. Auch konnte er gleich diesem schon recht merkwürdig lächeln, milde und überlegen zugleich. Karl hätte ihm ins Gesicht schlagen mögen, so zuwider war ihm das.
Die unglücklichen kleinen Wiener Schneidermamsells mußten Tag und Nacht arbeiten, mit Bertas Toiletten fertig zu werden, und Berta selbst hatte jede Stunde mit Anproben besetzt.
Aber dafür entsprach der Effekt auch den aufgewendeten Mühen vollkommen. Berta sah hinreißend aus in ihren neuen Toiletten, die aufs raffinierteste alles enthielten, was den Reiz höchsten demimondänen Geschmackes ausmacht, ohne doch kokottenhaft zu wirken.
Karl war direkt selig. Er berauschte sich an der Erscheinung seiner Schwester. – O, dieses weibliche Wesen einmal an seiner Seite, in solchen Kleidern, solcher Wäsche, irgendwo in einem alten Schlosse Italiens, zwischen Zypressen, Kamelien, Rosenterrassen, Meisterwerke der Kunst und das Höchste der Literatur um sich, in hohen Sälen, üppigen Salons, dazu Küche und Keller auserlesen bestellt, reichlich Dienerschaft zur Verfügung, Wagen, Pferde, alles im höchsten Train, – da sollte sich wohl die gewisse Lücke in seinem Wesen schließen und dieses immer doch als widrig empfundene Begehren verschwinden, das ihn nicht erhob und anspornte, sondern demütigte und drückte.
Wie glücklich war er, daß Berta keine Gêne vor ihm empfand und ihn bei der Toilette gegenwärtig sein ließ, als verstünde sich das zwischen ihnen von selbst. Er half ihr wie eine Kammerjungfer und fand in dieser Beschäftigung einen Genuß, der ihm mit nichts vergleichbar schien. Er nahm sich vor, frisieren zu lernen, um auch dieses Geschäft besorgen zu können, das ihm wahrhaftig nicht geringer erschien, als etwa die Abfassung eines Gedichtes, dafür aber um so wollustvoller. Er strömte über von Laune, Witz, Phantasie, wenn er ihr so bis ins Kleinste beim Ankleiden behilflich war, und er dehnte diese Beschäftigung geflissentlich aus, als sei es das Auskosten eines unerhörten Genusses.
Schwelgerischer, das fühlte Berta, konnte auch der zärtlichste Geliebte die Reize ihrer Schönheit nicht genießen.
»Ich glaube, wir sind richtig verliebt ineinander, Karl!« sagte sie plötzlich einmal, als er ihr ein neues Korsett anprobierte.
»Wie Adam und Eva vor dem Sündenfalle,« antwortete der; »und es stimmt völlig, denn wo du bist, da ist das Paradies, und du bist ein Stück von mir: Meine Schwester, meine Tochter, meine Geliebte, mein Weib, mein Mehr-als-Ich, mein Mit-Ich. Es gibt kein Glück, das größer ist, als unsere Liebe, – auch für dich nicht.«
Es war sehr schmerzlich für Karl, daß er sich diesem Fühlen nicht ganz hingeben konnte, vielmehr genötigt war, immer wieder auf den Zweck von Bertas Wiener Aufenthalt zurückzukommen.
»Diesen greulichen Menschen soll ein anderer Irrglaube so selig machen, daß er den Verstand völlig verliert,« sagte Karl; »er soll an dich glauben und an ein Glück, zu dem er dennoch nie gelangen soll: das schwör ich dir. Aber wir werden auf diesem Wege zu unserem Glück gelangen, koste es – ihm, was es wolle.«
Als Henry Bertas ansichtig wurde, wie er, nichts ahnend, in Karls Zimmer trat, überkam ihn selbst äußerlich das Gefühl, als wanke er. Und das Dämmerlicht in seinem Innern wich mit einem Schlage einem blendenden Glanze, dessen Lichtkern Berta war.
– »Du..!..?«
Er stürzte auf sie zu, die in einem bauschigen seidenen Theatermantel vor ihm stand wie eine Königin, das goldrote Haar hochtoupiert und mit einer Perlenkette durchwunden.
Er blieb stehen und sah sie groß an.
– »Ja, ich mußte wohl kommen, da es schien, daß du mich vergessen wolltest.«
– »Ich? Dich?«
Henry erschrak bis ins Innerste bei dem Gefühle, daß er sie wirklich vergessen hatte. Er empfand mit einem Male, daß er in einem seltsamen Zustande des Allesvergessens gelebt hatte, und es kam ihm vor, als habe er bereits auf der Schwelle zu einem dunklen Raume gestanden, der sein Kerker werden sollte.
Blitzartig durchfuhr es ihn: Aber es war die Ruhe dort, die Ruhe... Dagegen hier...
Er sah vor sich nieder. Auf dunkelblauem Grunde war ein Durcheinandergeranke von grünen Stengeln, gelben Blättern, purpurroten Malvenblüten, – wirr, endlos, labyrinthisch. Ein Teppichmuster, aber in diesem Momente für ihn wie das aufgeschlagene Buch der tiefsten Geheimnisse seines Lebens. Es kam ihm ein Wort Pater Cassians in den Sinn: »Niemand kann im Buche seines Lebens lesen; keine Wissenschaft lehrt diese Hieroglyphen deuten; nur der Glaube ahnt den Sinn; wer aber das Kreuz ergriffen hat, wandelt mit Klarheit durch die dunklen Geheimnisse dieser Schattenwelt zum Lichte Gottes, in dem sich alles erhellt. Ex oriente lux.«
Henry blickte auf. Es war wieder dunkel in ihm geworden.
– Aber da waren zwei Leuchten vor ihm, ein blaues Licht voller Wärme und Liebe, die Augen des Lebens, das gekommen war, ihn wieder in die Arme zu nehmen.
– Das Leben war da: das Weib.
Er empfand in einem Überschwall seines ganzen, zugleich nach Lust und nach Ruhe, nach Herrschaft und Andacht, nach Genuß und Traum drängenden Wesens, daß für ihn nur ein Weib alles sei, und daß seine Anbetung Lebendigem gelten müsse, das unterworfen werden kann.
Wieder einmal richtete sich vor Berta auch das Edlere seiner Natur mit dem Sinnlichen auf, und es war ihm ein Moment großen Fühlens und Erkennens beschieden. Der ein Mönch hatte werden wollen und nichts als ein Lüstling gewesen war, wurde für diesen Moment Poet und Seher. Leben.. Weib.. Schönheit.. Kraft.. Kampf.. Höchstes Empor aus tiefstem Versinken...
Berta, die kühle, die nicht leicht innere Vorgänge dieser Art spürte und sie übrigens bei dem geringgeschätzten Vetter auch nicht voraussetzte, erschrak fast über den Ausdruck seiner Züge, und sein langes, ergriffenes, ringendes Schweigen war ihr unheimlich. Sie warf einen Blick zu Karl hinüber, der totenbleich und mit ganz starrem Antlitz dastand, keinen Blick von Henry wegwendend.
Sie hielt Henry die Hand hin.
– »Komme ich dir ungelegen?«
Henry ergriff die Hand mit Heftigkeit, zog Berta plötzlich an sich und küßte sie wild und lange auf den Mund.
Sie erschauerte unter diesem Kusse in einem Gefühle von Schrecken und wollüstiger Benommenheit. Ihre Blicke richteten sich dabei starr zur Seite auf Karl hin.
Der ergriff ein Buch, das vor ihm auf dem Tische lag, riß es mit einem Ruck auseinander und ging zur Tür hinaus.
Henry merkte von alledem nichts. Sein Mund berührte noch immer den ihren. Er atmete tief, keuchte fast.
»Was tust du! Was tust du!« hauchte Berta, drängte ihn aber nicht von sich ab.
Sie fühlte sich willenlos an Henrys Brust und empfand ihn als etwas Starkes, Reiches, als eine Gewalt, der sie sich nicht entziehen konnte und wollte.
Plötzlich schlang sie beide Arme um ihn, daß der Mantel von den Schultern glitt und küßte ihn lange, fest, gierig.
Henry glitt vor ihr nieder und umfaßte ihre Knie, gegen die er seinen Kopf preßte. Sie kam ins Wanken und fiel in einen breiten Stuhl zurück.
Henry wühlte seinen Kopf in ihren Schoß. Sie beugte sich tief über ihn herab und flüsterte fast unhörbar: »Laß mich jetzt... Ich liebe dich... Ich... liebe dich... Aber laß mich... Laß... mich... Karl...«
Henry hob den Kopf und sah sich um.
– »Wo ist er? Warum ist er gegangen? Wir haben keine Geheimnisse vor ihm... Oder will er sich zwischen uns stellen? Er soll es sich überlegen!...«
– »Leise! Leise! Um Gottes willen leise! Er darf nicht hören. Er darf uns nicht so...«
– »Er soll mich hören! Als Freund oder als Feind! Dieser Augenblick verbindet uns gegen jedermann.«
– »Ja doch, ja... Aber ich bitte dich, sei klug! Wir müssen noch warten. Er darf... nicht alles wissen. Noch nicht jetzt. Nicht gleich. Aber er ist auf unserer Seite.«
– »Wir brauchen niemand auf unserer Seite.«
Henry stand auf und ging zur Tür: »Bitte, Karl!«
Karl erschien mit dem Aussehen eines völlig niedergebrochenen Menschen.
– »Was ist!«
– »Wir haben uns verlobt.«
– »Sehr schön.«
– »Es sieht aus, als ob du etwas dagegen hättest.«
– »Ich? Was gehts mich an!?«
»Aber Karl!« bat Berta.
– »Er soll seinen Pater Cassian um Erlaubnis fragen.«
Karl war wirklich seiner nicht mehr Herr, wagte kein Nein und ermutigte sich zu keinem Ja, hatte nichts als fruchtlosen Spott und krümmte sich förmlich im Gefühle, von dem fest zugreifenden Vetter völlig aus dem Felde geschlagen zu sein. Berta sah es mit Schaudern, wie er hilflos in sich zusammensank, während Henry sich, wie vor ihr, so in ihr, in die Höhe reckte: nicht mehr bloß ein Wollender, sondern ein Gebietender.
Karl sah, an Henry vorüber, Berta mit einem Blicke an, der sie im Tiefsten traf. Es war die qualvollste Eifersucht, fürchterlichstes Mißtrauen, Haß und Verzweiflung darin.
»Karl! Ich bitte dich!« rief sie flehend und erwiderte seinen Blick ihrerseits mit einem, der zu viel auf einmal ausdrücken wollte, als daß er hätte verstanden werden können. Aber plötzlich, wie unter einer Eingebung, wechselte der Blick. Sie wandte ihn von Karl ab und sah auf Henry (der immer noch Karl anstarrte) mit dem Ausdrucke heftigen Ekels und haßvoller Verachtung hinüber. Dieser Blick war so unverstellt, daß Karl seine wahnsinnig schmerzlichen Befürchtungen sofort als Ausgeburten seiner erregten Phantasie erkannte und wie von einem Alpdruck befreit aufatmete.
Er ging auf Henry zu und gab ihm die Hand, indem er ganz ruhig, geschäftsmäßig sprach: »Es kam zu schnell.... Ich hatte immer geglaubt, Berta und ich würden beieinander bleiben. Ich habe die Sache nicht für ernstlich gehalten, obwohl Berta mich vorbereitet hatte. Aber, da ich nun sehe, daß Berta sowohl wie du... Na, kurz: ihr habt meinen Segen.«
Er lächelte.
Dann fuhr er fort und lächelte dabei immer fröhlicher: »Aber was wird die Gesellschaft Jesu dazu sagen, die sich schon so auf deine Millionen gefreut hat?«
Henry erwiderte das fröhliche Lächeln nicht. Er steckte wieder einmal den allzu seriösen Kopf auf, der immer etwas ungewollt Komisches hatte. Und er sprach: »Ich brauche keine alleinseligmachende Kirche mehr, und das Wort Bertas steht für mich über dem Wort Gottes. – Das ist Sünde. Mein katholisches Herz weiß es. Und ich werde es vor meinem geistlichen Freunde nicht verantworten können. Aber ich verantworte es vor mir und fühle mich stark genug dazu, solange ich der Gnadengüter Bertas sicher sein kann. Ich opfere ihnen viel, denn es war auch Heimweh, das mich antrieb, in den Schoß der alleinigen Kirche zurückkehren zu wollen. Die Zeit wird kommen, da Berta dies versteht. Erst dann wird sie mich ganz verstehen.«
Karl und Berta wechselten Blicke.
»Oh, ich weiß,« sagte Karl, »du hast ein großes Geheimnis in dir. Deinem geistlichen Freunde hast du es sicherlich vertraut. Warum nicht auch deiner... warum nicht Berta?«
»Meinem Seelenrate brauchte ich es eigentlich nur zu bestätigen. Er, der um so viele hohe Geheimnisse weiß, schien auch das meine bereits zu kennen. Es war fast mehr, als bestätigte er es mir. Nun, ich begreife das, obwohl es fast unbegreiflich erscheinen konnte. Aber Berta darf es erst im Augenblicke unserer völligen Vereinigung erfahren«, antwortete Henry. »Ich bitte, das nicht als Mißtrauen aufzufassen. Ich halte mich mit Gewalt zurück, weil erst noch in mir selbst sich manches klären muß. Auch will ich, obwohl es gegen gewisse Gebote verstößt, die mit meinem Geheimnis zusammenhängen, einige Nachforschungen anstellen. Zu diesem Zwecke werde ich nach München reisen. Hoffentlich begleitest du mich auch weiterhin.«
– »Gewiß. Wenn dir daran liegt. Obwohl du ja jetzt keinen Mentor mehr brauchst.«
– »Du bist mir jetzt mehr als dies. – Die Gesellschaft Jesu sollte meine Familie sein. Ich habe sie aufgegeben zugunsten einer Familie, die ich mir selbst gründen will. Außer Berta gehörst nur du zu ihr, denn von euren Eltern trennt mich eine Welt.«
»Sie gehören auch in der Tat nicht zur Familie,« sagte Karl in einem Tone, bei dem nur ganz wenig Ironie mitklang. »Übrigens fragt es sich auch noch, ob sie einwilligen werden, da du offenbar innerlich schon ganz katholisch bist, selbst den Fall angenommen, daß du nicht bereits heimlich in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückgekehrt bist.« Darin war schon deutlichere Ironie.
Aber Henry spürte sie nicht. Er sagte: »Ich bin noch nicht übergetreten, und ich werde es nun auch kaum mehr tun. Meine Madonna steht dort. Aber im Herzen werde ich immer Katholik sein – ob auch ein ausgestoßener. Die Einwilligung der Eltern brauchen wir nicht, sobald es so weit ist. Und ich denke, auch Berta wird nicht darunter leiden.«
»Gewiß nicht«, sagte Berta ruhig.
Aber Karl bemerkte: »Einige kleine Unannehmlichkeiten wird es doch zur Folge haben. Z. B. Enterbung.«
»So wirst du ihren Teil miterhalten,« entschied Henry gleichmütig, »und Berta wird ja nicht darauf angewiesen sein.«
Er machte eine nachdenkliche Pause. Dann fuhr er fort: »Das Schicksal, dessen Walten ich mehr und mehr als etwas Deutliches und durchaus nicht Zufälliges spüre und empfinde, hat auch diesmal nicht unterlassen, sich mir anzuzeigen. Für morgen hatte ich einen Notar bestellt, um ein Testament zugunsten der Societas Jesu aufzusetzen für den Fall, daß ich vor meiner Aufnahme in diesen mächtigsten Bund der Christenheit sterben sollte. Ich werde nun statt ihrer Berta zu meiner Universalerbin einsetzen.«
In diesem Momente empfanden und spürten auch Karl und Berta das Walten des Schicksals als etwas Deutliches und durchaus nicht Zufälliges.
– Jo triumphe! dachte sich Karl und war schon dabei, sich die Hände zu reiben, wie er es unter dem Einflusse besonders angenehmer Empfindungen zu tun pflegte, als es ihm noch rechtzeitig zum Bewußtsein kam, daß diese Zufriedenheitsäußerung sich in diesem Augenblicke nicht empfehle.
Berta lächelte bloß, und das nahm sich so anmutig aus, daß man den nicht ganz liebenswürdigen Triumph in diesem Lächeln wohl übersehen konnte.
Henry aber fühlte sich sehr erhaben als ein vom Schicksal in seinen Entschlüssen wieder einmal sichtbarlich Geleiteter.
Henry Felix Hauart war sehr glücklich.
Nur vor dem nächsten Tage fürchtete er sich etwas, denn er mußte Pater Cassian davon Mitteilung machen, daß die wichtigste Stelle in seinem Testamente eine wesentlich andere Fassung zu erhalten bestimmt sei.
Aber auch bei dieser Unterredung verließ den Pater sein elegant mildes und weltmännisch erfahrenes Lächeln nicht. Es schien fast, als sei er vorbereitet auf diese Überraschung.
»Ich hätte vielleicht Ursache, Sie zu tadeln, mein Sohn,« sagte er, »oder Anlaß und, gewissermaßen, Pflicht, Sie abzumahnen von einem Schritte, der Sie aus den Gebreiten der Ruhe und des Friedens in ein Land des Trubels und der Gefahren führt. Indessen, ich tue es nicht. Wir Jesuiten kennen nicht bloß, wie andere Ordensgeistliche, die höchste Wahrheit und ihre Gesetze, sondern auch die Welt und das menschliche Herz, denen beiden nach unerforschlicher Fügung so leicht die Wahrheit und ihr Gesetz abhanden kommt. Wir heißen dies nicht gut, denn es ist böse, aber wir sperren uns nicht heftig dagegen, sondern wir lassen, Fälle ausgenommen, wo intensiver Widerstand innere Notwendigkeit ist, der Welt ihren Lauf. Denn wir wissen: Im allgemeinen und schließlich kehrt sie sich nicht gegen Gott. Sie ist nur zuweilen verwirrt und taumelt. Dem Bösen ist bis zu einem gewissen Grade Macht gegeben über sie. Von wem anders aber, als von Gott? Auch das Gift ist von ihm. Aber jedes Gift kann auch Heilmittel sein. – Sie, mein Sohn, sind von denen, die erst den Kelch leeren müssen, um an der hefigen Neige zu erkennen, daß Sie Gift getrunken haben. Ich hätte Sie gern davor bewahrt gesehen, denn ich kenne die ganze Tiefe der Gefahr, in die Sie sich begeben wollen, und weiß auch, was alles in den Augen glimmt, die Sie dorthinunter locken, und das tut mir weh, denn Sie haben ein katholisches Herz. Aber ich weiß auch, daß ein solches Herz nicht im Rausche verloren gehen kann. Sie kommen später, aber Sie kommen zu uns. Es kann nicht anders sein. Merken Sie sich das wohl! Vergessen Sie es nie! Lesen Sie täglich in den Büchern, die ich Ihnen gegeben habe. Nachts, ehe Sie sich zur Ruhe legen, unterlassen Sie das ja nicht, sollen Sie zu diesen Büchern greifen, wie zu etwas Geweihtem. Drücken Sie diese Bücher mit geschlossenen Augen an Ihre bloße Brust und sagen Sie laut zu sich selber: Mein Jesus, Barmherzigkeit! Diese Berührung wird es verhindern, daß der Böse auch in die letzte Tiefe Ihres katholischen Herzens dringt, und diese abendlichen Worte werden sich gleich unsichtbaren Gliedern einer Kreuzeskette aneinanderfügen, die Sie eines Tages leise aber wunderbar mächtig doch dorthin führt, wo allein Reinheit und Ruhe, Klarheit und Frieden ist: Gottes Wollust. Und vergessen Sie auch unseren Brentano nicht! Sie, der Sie selbst ein Dichter sind und gerade darum ein Irrender, aber ein schließlich zu Gott Irrender, Sie werden in seinem Schicksale mehr und mehr das Ihre erkennen, wenn Sie nur im Gelärme des Tages immer wieder seine tiefen Glockentöne in sich nachhallen lassen, die vielleicht auch er nur finden konnte, weil er sich so tief verstricken ließ:
O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!« |
Der so merkwürdig auch über Bertas Augen orientierte Pater Cassian verstand sich auf Amulettwirkungen.