Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Duetto dramatico

So ging es eine Weile recht angenehm dahin. Auch der fatale Brief, der den dicken schwarzen Strich unter seine Offizierslaufbahn setzte, störte sein Wohlbehagen nicht. Dieser Abschnitt seines Lebens war für ihn nun auch schon, gleich allen anderen, ein Intermezzo, auf das er kaum mehr zurückblickte. Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Henry Felix sagte Schicksal für Herr, aber im Grunde deckte sich seine Art des gläubigen Hinnehmens aller Lebenswendungen ganz mit der probaten Frömmigkeit, die er im Hause Kraker kennen gelernt hatte, und die sich wirklich nicht allzusehr von seinem Glauben an sein Schicksal unterschied. Der Faden war anders, der Einschlag derselbe. Ob Jeremias Kraker sagte: »Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen«, oder Henry Felix: »Was auch mein Schicksal über mich beschließen möge: ich liebe es, denn es kann mich nicht anders als recht führen«, – es lief auf eins hinauf: auf eine selbstgerechte Einbildung und auf eine Trägheit des Geistes.

Wenn in Berta nach und nach der Haß gegen ihren Vetter wieder hochkam, der jetzt ihr Mann war, so war nicht bloß die Erinnerung an Karl daran schuld, sondern etwas, das noch tiefer in ihr lebte als das Eigentliche ihres Wesens: ihr Selbstgefühl als geistige Potenz und tätiger Wille. Die Feindschaft, die zwischen die Geschwister Kraker und Henry Felix Hauart gesetzt war, war die Urfeindschaft, die immer und überall zwischen dem Geiste der Bewegung und dem Geiste der Schwere besteht, und diese Feindschaft wurde auf der Seite der Bewegung um so heftiger empfunden, als sich der Geist der Schwere in diesem Falle als Bewegung maskierte. Henry Felix hatte von allem Anfang an den Geschwistern nicht nur als Usurpator im Besitze des Vermögens gegolten, das nach ihrer Überzeugung ihnen gebührte, sondern auch als Usurpator von geistigen Rechten, die sie nur sich und ihresgleichen zugestehen wollten.

Je geistreicher sich Henry Felix gebärdete, um so fataler begann er nur, Berta auf die Nerven zu gehen.

Vor dem Denkmale Karls kam es zur ersten Szene zwischen ihnen.

Henry Felix hielt Ort und Gelegenheit für passend dazu, ein großes Brillantfeuerwerk aller der Ideen abzubrennen, die er sich im Laufe der Zeit angeeignet hatte, und er bemerkte, im Geströme seiner Phrasen wohlgefällig herumplätschernd, gar nicht, wie Bertas Züge sich mehr und mehr verdüsterten. Sie saß auf der Bank des Denkmals, ihre Ellenbogen auf die Mauer just dort gestützt, wo der letzte Kampf stattgefunden hatte.

Plötzlich richtete sie sich gerade auf, sah ihrem Manne bös ins Gesicht und sagte: »Alles das weiß ich besser, als du. Es sind Wahrheiten, die im Echo hohl und tot klingen. Du bist nichts, als eine Wand, von der sie widerhallen.«

Henry Felix sah sie entsetzt an und stammelte: »Wie... wie kommst du dazu, mir auf diese Weise...«

»Schweig!« rief sie aus und warf die Blumen, die er vorhin feierlich auf die Mauer gestellt hatte, zur Mauer hinab. »Habe wenigstens hier so viel Scham, zu schweigen. Es ist ekelhaft, dich an diesem Orte reden zu hören, wo du den ermordet hast, von dem alles das stammt, was du sprichst.« Sie sah ihn mit einem Blicke an, vor dem er die Augen schließen mußte.

Erst nach einer Weile raffte er sich auf und trotzte: »Du redest Unsinn. Ich halte ihn dem Schmerz zugute, der dich hier übermannt.«

»Schmerz?« sagte sie und kräuselte die Lippen. »Schmerzlich ist mir hier bloß deine Gegenwart.«

»Du brauchst nur zu befehlen,« höhnte Henry Felix, »und ich springe ins Meer.«

»Wenn dich das Gefühl deiner Leere und Erbärmlichkeit noch nicht bewogen hat, deinem überflüssigen Leben ein Ende zu machen, so wird es ein Wort von mir nicht vermögen,« klang es kalt entgegen.

Ihm war, als griffe wer mit eisigen Fingern nach seinem Hals. Diese Augen hatte er hier schon einmal gesehen. Es kam ihm blitzschnell der Gedanke, das beste sei, jetzt zu reagieren, wie damals. Er sprang auf und sah sich wild um.

Berta setzte sich ruhig wieder nieder und sagte schneidend: »Glaubst du, ich fürchte mich vor dir? Du wagst an diesem Orte nicht das gleiche zum zweiten Male.«

Er erschrak.

– Liest sie mir die Gedanken vom Gesichte, wie sie die Wahrheit dessen, was hier geschehen ist, mir damals vom Gesicht abgelesen hat? dachte er sich und begann einzulenken: »Du bist außer dir. Laß uns fortgehen. Wir dürfen so nicht weiter miteinander reden. Bedenke, daß wir zusammengehören. Denke nicht an den Toten.«

Sie biß die Lippen aufeinander und preßte zurück, was sie erwidern wollte.

Und sie sagte tonlos: »Du hast recht. Man muß die Toten vergessen, um leben zu können.«

Sie fuhren schweigend nach Sorrent zurück.

Die Nacht ging hin wie immer.

– Das Leben triumphiert, dachte sich Henry Felix der Starke.

 

Sie reisten weiter, Ort für Ort besuchend, wo damals Karl mit Henry Felix gewesen war. Berta wußte überall Bescheid, und es bereitete ihr ein grausames Vergnügen, Ort für Ort die Worte zu wiederholen, die ihr Mann hier schon einmal gehört hatte, und die sie aus Karls Tagebuch kannte.

Es war, als ob Karls Gespenst sie begleitete.

Äußerlich ertrug es Henry Felix ruhig, mit Stimmen aus dem Grabe gepeinigt zu werden, aber im Innern stieg Wut auf. Und, da er keine andere Möglichkeit hatte, sich zu rächen, als nachts, so begann er, den Kalten zu spielen. Der Effekt war nicht so, wie er erwartet hatte. Es schien durchaus nicht, als ob sie etwas entbehrte. Er blieb halbe Nächte weg. Sie schlief oder stellte sich schlafend, wenn er kam. Eine Weile noch, und er hatte den Eindruck, als sei es ihr eher angenehm, wenn er sie abends allein ließ.

Und er begann, sich auf seine Weise auswärts schadlos zu halten.

Er hoffte, daß sie es merken und eifersüchtig werden möchte.

Sie merkte es und wurde gar nicht eifersüchtig.

Diese Ehe begann, ihr wahres Gesicht anzunehmen.


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