Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Die kurze Wichs

Welches Glück für Henfel, daß er während der Fahrt nicht neben seinem väterlichen Lehrmeister, sondern auf dem Bock neben Christoph saß, der nicht das Recht hatte, immerzu den Mund aufzutun, und sich nur ab und zu erlaubte, eine elegante Wendung oder ähnliche Beweise von Henfels Kutschierkunst mit einem Tone von Bewunderung klug beflissen anzuerkennen.

Es war eine köstliche, frische, lustige Fahrt, und Henfel hatte das Gefühl, als bliese sie alles aus ihm hinaus, was ihn in der letzten Zeit beengt hatte. Es ging an der dicken Bavaria vorbei, und dann auf dem Höhenweg über und entlang der Isar durch Wälder, Wälder, Wälder: immer den Bergen zu, die im Lichte eines wolkenlosen Maitages klargezackt als Ziel winkten, eine herrliche Linie voll Kraft und Schwung und Ausdruck. Henfel, dem nie das Glück beschieden gewesen war, an Märchen zu glauben, schuf sich an diesem himmlischen Tage selber welche. Aber ach, es war ihm das kindliche Sichselbstvergessen versagt, das sich an uralte Gestalten aus der sagenzeugenden Kindheit des Volkes hingeben kann: immer war er in diesen erfabelten Darstellungen die Hauptperson. Es waren Übersetzungen seiner Selbstbespiegelung ins Phantastische, und schließlich liefen sie darauf hinaus, daß er als Waldkönig durch die Wälder ritt, mit einem Wink seines Armes die dicksten Baumstämme fällte, mit einem Blitz seines Auges Gletscher zum Schmelzen brachte, mit einem Hauch seines Mundes Wolken zerriß.

Der Abend dämmerte schon, als sie in Kochel einfuhren. So müde seine Arme und Hände waren, ließ es sich Henfel nicht nehmen, die Zügel selbst zu führen, denn, wenn es auch bloß Bauern waren, denen er damit imponieren konnte, es war doch Publikum. Kurz vor dem Bären, wo die Zimmer bestellt waren, traf man auch auf einen Trupp zwar einfach, jedoch städtisch gekleideter junger Leute, die Arm in Arm, Efeu an den Schlapphüten, singend einherzogen. Henfel klatschte herrisch mit der Peitsche, daß sie Platz machten. Der Trupp teilte sich, blieb aber nicht bewundernd an den Seiten stehen, sondern zog singend weiter, ohne dem Viergespann mehr als einen kurzen Blick zu schenken. Nur einer blickte erstaunt musternd auf und zog seinen Hut. Es war Hermann.

Henfel hatte wohl seine pathetischen Distichen längst vergessen, denn er bedachte seinen Freund und Meister und Herzog nur mit einem leichten Nicken des Kopfes. Frau Klara aber winkte ihm mit beiden Händen herzlich zu und freute sich innig, wie munter und kräftig der junge Student ausschritt, den Rucksack auf dem Rücken und einen derben Stock in der Hand. Auch Herr Hauart hob den Hut, aber mit fast abgewandtem Gesicht. Es war, als wollte diese Begegnung seine Laune verderben. Seit dem Berichte, den ihm damals Frau Klara von Hermanns Abschied hatte geben müssen, war auf seinen Wunsch der Name seines Sohnes nicht mehr genannt worden. Die Mitteilungen seiner Frau hatten ihn fatal berührt. Es wäre ihm erwünschter gewesen, wenn Hermann seine Herkunft nicht geahnt hätte. Henfels wegen hätte er das gewünscht, der nach seiner Absicht gerade Hermanns Beziehungen zu ihm nicht erfahren sollte. Denn er befürchtete, es möchte sich dadurch ein Verhältnis zwischen den beiden bilden, wodurch Henfels beziehungsloses Selbstherrlichkeitsgefühl beeinträchtigt werden könnte.

Daher wirkte diese Begegnung wie ein Stoß auf den alten Herrn, wie eine unerfreuliche plötzliche Mahnung an eine unangenehme Notwendigkeit. Er nahm sich vor, am folgenden Tage Henfel selbst aufzuklären, damit die Aufklärung nicht etwa eines Tages von Hermann käme und, nach Herrn Hauarts Meinung, dann um so verhängnisvoller wirkte.

Für diesen folgenden Tag war eine Besteigung des Herzogstandes durch Vater und Sohn angesetzt, während Frau Klara am Kochelsee Spaziergänge unternehmen wollte.

Mit großem Wohlgefühl tat Henfel die »Kurze Wichs« an, die gemsledernen schwarzen Kniehosen über den Wadenstrümpfen aus derber Wolle, unter denen aber doch, vorsichtshalber, Trikotstrümpfe ihren Platz gefunden hatten, die die Knie schützten. Diese Stilwidrigkeit beeinträchtigte die Kostümwirkung erheblich, doch war Henfel weit davon entfernt, sich dessen bewußt zu werden. Er empfand es vielmehr als auszeichnende Nuance und erblickte auch in der allzu deutlichen glänzenden Neuheit seines Anzuges keinen Grund, ihn darum weniger schneidig zu finden. In Wahrheit sah der Junge ziemlich theaterhaft aus, und die echten Gebirgler, die es da oben so gut verstehen, mit dem Zusammenkneifen eines Auges eine stumme aber vernichtende Kritik an kostümierten »Stadtfrackn« zu üben, konnten nicht umhin, bei seinem Anblick sogar noch eine Schulter zu heben, womit Henfels Erscheinung vollkommen gerichtet erschien, ohne daß zur Begründung des Urteils auch nur eine Silbe nötig gewesen wäre.

Der alte Hauart, der selbst freilich genug Geschmack besessen hatte, sich nicht zu kostümieren, fand sein Idol auch in der Maskerade schön, und Frau Klara unterdrückte nach ihrer gütigen Art jede Kritik, weil sie dem Jungen sein offenbares Vergnügen an seinem ungewohnten Exterieur nicht beeinträchtigen wollte. Im Innern aber bestätigte sich ihr wiederum das Gefühl: Wie vieles wird dem Jungen genommen, weil ihm immer zu viel gegeben wird!


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