Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Frühstücksgespräche

Als am nächsten Morgen die beiden Gatten beim Frühstück saßen, das, nach Hamburger Art reichlich bestellt, Herrn Jeremias angenehm berührte, meldete ein Diener, daß der junge Herr krank sei und nicht aufstehen könne. Es sei dies nach Anfällen wie dem gestrigen immer so und habe nichts weiter auf sich. Nur möchte man den Kranken ungestört im verdunkelten Zimmer lassen. So habe es in allen früheren Fällen der Arzt angeordnet. Sonst wiederhole sich der Anfall leicht, während sich der Kranke erfahrungsgemäß im Laufe eines Tages völlig zu erholen pflege, wenn er sich ganz überlassen bleibe und durch nichts an den überstandenen Anfall erinnert werde.

So der Diener nach genauer Anweisung Henrys, der ihn auch über die Art der Antworten auf etwaige Fragen wohl instruiert hatte.

Er hatte die Fragen ganz richtig vorausgesehen.

Ob solche Anfälle schon öfter vorgekommen seien?

Ja, zumal um diese Zeit, im Frühjahr.

Ob bei bestimmten Gelegenheiten?

Ja, nach Aufregungen. Z. B. wenn er heftig getadelt worden sei, was aber nur selten geschehen sei, da der junge Herr sich durch Freundlichkeit viel leichter leiten lasse.

Welche Aufregungen also sonst?

Der junge Herr könne direkten Widerspruch manchmal durchaus nicht vertragen. Es sei krankhaft, meinte der Arzt, nervös. Auch sehr angestrengtes Studieren disponiere zu den Anfällen. Dem jungen Herrn sei vieles Sitzen nicht gesund. Er bedürfe nach der Meinung des Arztes viel körperlicher Bewegung, zumal Reiten und Kutschieren.

Henry hatte die Grundlagen seiner pädagogischen Behandlung noch weiter ausgeführt, aber Herr Jeremias hielt es für angebracht, seine Fragen einzustellen. Daß der Diener auf Instruktion antwortete, ahnte er zwar nicht, aber er begriff, daß er nur noch weitere Maximen einer Erziehungspraxis zu hören bekommen würde, nach denen sich zu richten ganz außerhalb seiner Pläne lag.

Die Krankheit Henrys und seine Ausschaltung für diesen Tag war ihm angenehm. So durfte er die Szene von gestern pathologisch nehmen und sich ein Eingehen darauf ersparen. Auch war er ja eigentlich als Sieger aus diesem Zweikampf hervorgegangen, eine Überzeugung, die auch für den entschiedensten Christen etwas Angenehmes hat.

– Gut.- – Fertig damit! – Er schob die Sache erleichtert beiseite und ging nun an die Disposition für sein Tagewerk.

– »Ich werde reichlich bis zum Essen zu tun haben. Laß es auf vier Uhr richten, du kannst dich ja inzwischen in der Stadt oder im Hause umsehen.«

– »In der Stadt?! Wo denkst du hin? Selbst vor dem Hause graut mir. Ich werde an Minna schreiben, daß sie das Zimmer für den Jungen richtet.«

– »Gut. Ich bin auf das Testament gespannt.«

– »An uns hat er gewiß nicht gedacht.«

– »Gewiß nicht, dafür aber vielleicht noch an eine ganze Reihe von Bastarden. Denn, Sanna, das ist mir jetzt klar: Henry ist der Sohn Henrys.«

– »Schrecklich!«

– »Ich werde, wenn es deren gibt, auch Freunde des Verstorbenen aufsuchen.«

– »Womöglich gar Freundinnen?!«

– »Sanna!«

– »Oder diesen Hermann!?«

– »Je nachdem.«

– »Was wirst du alles erfahren! In welche Verhältnisse wirst du blicken müssen!«

– »Ich werde nichts unterlassen, was zu meiner Orientierung nötig erscheint.«

So, grimmig entschlossen, begab sich Herr Jeremias in die Stadt. Die Hauartsche Equipage gewann das Aussehen einer Mietskutsche, wie der kümmerliche Bratenrock in ihr saß, und der Kutscher verriet viel Stilgefühl, indem er zu dieser Fahrt die älteste Livree hervorsuchte.


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