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Auf kleinen, zähen Gebirgspferdchen, auf Saumpfaden zu Fuß, im Einbaum über Kraterseen, durch mächtigen Urwald an halbverfallenen Tempeln, an rauchenden Vulkanen vorbei ging es nun mit den Zelten meines Gastgebers in das gebirgige Innere der Insel, wo ich, weitab vom Getriebe der Vergnügungsreisenden, eine neue Welt kennenlernte, deren Zauber mich völlig gefangennahm.
Begonnen hatte diese seltsame Reise mit einem Besuch bei Gusti Bagus, dem Fürsten von Saba. In einem prächtigen Palast lebt er und seine zahlreichen Familienmitglieder noch ein Leben nach alter Tradition.
Auf schweren Teppichen nahmen wir, auf dem Boden sitzend, eines jener köstlichen balischen Mahle ein, das die Mutter des Fürsten selbst zubereitet hatte. Auf dem Dorfplatz aber, unter einem mächtigen heiligen Baum, tanzten kleine zarte Mädchen in prächtiger uralter Tracht mit der Leichtigkeit spielender Vögelchen den »Legong«, den Lieblingstanz des Volkes. Mit unnachahmlicher Grazie meisterten sie die schwierigsten Figuren, und den Ruf, daß die Tänzerinnen des Fürsten von Saba die besten der ganzen Insel seien, hatten sie gewiß mit Recht erworben.
Nicht weniger interessant aber war es für mich zu sehen, wie Erwachsene die kleinen Mädchen zum Tanz herrichteten. Wie die zarten Körper gesalbt und gepudert, ihre Augenbrauen rasiert und gefärbt, wie ihr Gesicht geschminkt und die Krone aus vergoldetem Pergament mit wohlriechenden tropischen Blumen reich geschmückt wurde.
In einem andern Dorfe sah ich eine größere Anzahl junger Burschen »Ketjak Sangiang«, eine Art Gruppentanz, aufführen. In ihrer Mitte brachten zwei besonders gute Schauspieler ein ganzes Epos zur Darstellung. Welcher Leidenschaft, welcher Selbstbeherrschung und welchen Ausdrucks waren doch diese geschmeidigen braunen Körper fähig! Ich konnte es verstehen, daß diese Gruppentänze bei Epidemien dazu verwendet werden, die Trancetänzerinnen zu unterstützen, welche die bösen Geister bannen sollen. Ganz überrascht war ich von dem Rhythmus, den diese Eingeborenen beherrschen und der denjenigen gewisser Bewohner der Südsee, der Trommelsprachenkundigen, an Eindringlichkeit weit übertrifft. Wie zischende und knatternde Raketen schnalzten die zusammengepreßten Lippen blitzschnell kurze Silben hervor, ohne daß auch nur einer in der großen Gruppe seinen Einsatz verfehlt hätte. »Ketschak, ketschak, ketschak, ketschak«, knallte es mit der Präzision eines Maschinengewehres von allen Seiten an mein Ohr.
Auch die traditionellen Hahnenkämpfe bekamen wir zu Gesicht. Mit den an die Sporen gebundenen, mit Gold eingelegten, wellenförmig geschwungenen Klingen aus Stahl zerfleischten sich die aufgereizten Tiere. Einer der Kämpfer aber hatte genug, er wollte nicht sterben. Daß sein Gegner der Stärkere war, hatte er schon nach einigen Sekunden erfaßt; so zögerte er denn nicht lange und – riß aus. Der Sieger aber verschmähte es stolz, den unterlegenen Feind zu verfolgen. Dies ging jedoch gegen jede Tradition der stolzen Balier. Rasch wurde der unglückliche Feigling eingefangen. Mit dem Federnstoß seines Schwanzes wedelte einer der Eingeborenen vor den Augen des Siegers hin und her, um diesem einen nicht vorhandenen Kampfwillen vorzutäuschen. Sobald er nun von neuem von blinder Wut erfaßt wurde, stülpte man einen Korb über die beiden Hähne, der unbarmherzig ein Entweichen verhinderte.
Abbildung 59. Tempel der Altbalier im Dorfe Soyan am Batursee, Insel Bali. Der See liegt am Fuße des höchsten Vulkanes der Insel. Die im Zentralgebirge lebenden Altbalier unterscheiden sich in Sitten und Hausbau wesentlich von den übrigen Bewohnern der Insel.
Abbildung 60-61. Einleitung zu den Trancetänzen im Dorfe Bedulu, Südost-Bali. Die Eingeborenen nennen das feierliche Einleitungsgepränge zu diesen Tänzen » ketyak sangiang«. Diese Zeremonien werden zur Abwehr gegen Dämone abgehalten, die nach Vorstellung der Eingeborenen Unglück über ein Dorf gebracht haben. Man veranstaltet dabei lang andauernde Aufführungen, die meist Szenen aus dem Leben Buddhas darstellen.
Abbildung 62. Junge Weberin aus Kloengkoeng. Südost-Bali. Die wertvolle, einheimische Baumwollwebe wird leider in immer steigendem Maße von europäischer Kommerzware verdrängt. Heutzutage sieht man nur mehr in wenigen abgelegenen Teilen der Insel das Weben als Gewerbe ausgeübt.
Abbildung 63. Riesenpuppentanz in Südost-Bali. Ein Riesenadeliger macht einem Riesenfräulein eine Liebeserklärung. Die Spieler gehen nicht auf Stelzen, sondern bewegen, unter der Maske versteckt, die Riesenpuppe an einer Stange.
Abbildung 64. Zum Rennen geschmücktes Stierpaar. Bei Singaradya, Nord-Bali. – Auf den abgeernteten Feldern werden alljährlich Stierrennen veranstaltet, bei welchen die Eingeborenen hohe Wetten abschließen. Die Stiere sind mit prächtigem gold und rot gefärbtem Schmuck aus Pergament, mit Fahnen und riesigen Holzglocken geschmückt und ziehen paarweise einen kleinen Schlitten hinter sich her, auf welchem der Sitz des Fahrers angebracht ist.
Abbildung 65. Tänzerin des Rafah von Saba wird zum Legongtanz geschmückt. Südost-Bali. Die Augenbrauen des Mädchens werden rasiert und sorgfältig schwarz nachgezogen, das Gesicht wird gepudert und das Haar gesalbt. Man hüllt seinen Körper dann in prächtige, goldstrotzende Gewänder und drückt ihm an Schluß eine Krone aus Blumen und echt vergoldetem Pergament auf das Haupt.
Abbildung 66. Trancetänzerin, eben in Schlaf versetzt. Insel Bali, Dorf Kuya-Kapas, Zentralgebirge. Text Seite 221.
Wie hieß es doch im alten Rom: » Morituri te salutant!« An das letzte aber dachte niemand, am wenigsten der sterbende Hahn, dessen Herzblut den Sand der Arena färbte.
Es ist dies übrigens die einzige »Grausamkeit« dieses Volkes, dessen Lebensprinzip darin besteht, zu leben und zu lieben und leben und lieben zu lassen. Bei den Grillenkämpfen geht es schon wesentlich »menschlicher« zu, obwohl die Zuschauer sich ebenso aufgeregt gebärden wie bei den blutigsten Hahnengefechten. Schon Tage vorher werden die Grillen mit in Arrak getränktem Reis gefüttert, denn nicht nur die Menschen werden rabiat, wenn sie sich »einige Gläschen« zu Gemüte geführt haben. Dann wird jedes Tierchen in seinem kleinen Bambusbehälter mit Hilfe von Reisbüscheln umhergewirbelt und geärgert. Man stelle sich vor, aus den süßesten Träumen des Alkohols durch Stechen und Zwicken eines borstigen Besens geweckt zu werden! Auch der friedlichsten Grille wird es dann rot vor den Augen. Während die Zuschauer diese Vorbereitungen verfolgen, schließt man auch hier hohe Wetten ab.
Mein Gastgeber übersetzte mir leise die halblaut hingeworfenen Worte aus der Zuschauermenge. »Sieh mal, diese da mit dem dicken Kopf muß siegen!« »Nein, die andere, ihre Hinterbeine sind kräftiger und ihre Gestalt ist so geschmeidig!« Ich versuchte den dicken Kopf von der geschmeidigen Gestalt mit den kräftigen Hinterbeinen zu unterscheiden. Vergebliche Liebesmüh, das konnte nur das Auge eines Baliers sehen. Für mich sind alle Katzen grau … in der Nacht – und alle Grillen schwarz, auch am Tage, wie die afrikanischen Neger für manche Europäer.
Inzwischen waren die Tierchen genügend in Wut geraten und stürzten ergrimmt gegen das scheinbar weichende Reisbündel los. Blitzschnell wurde die Zwischenwand, die beide Käfige trennte, fortgezogen, und unverhofft standen sich die erbitterten Liliputaner gegenüber. Doch ob Strohpinsel oder Artgenosse, das war ihnen, denen der Arrak das Hirn umnebelt hatte, ganz egal, und im nächsten Augenblick erfolgte der Zusammenstoß. Der Kampf währte nur den Bruchteil einer Sekunde, und schon gab es einen Sieger, vor dem der Unterlegene so rasch davonlief, als es »die kräftigen Hinterbeine« erlaubten, und … ein neuer Kampf begann.
In einem anderen Dorfe hatte uns eine ganz seltsam klingende Musik angelockt. Sie erinnerte wohl an ein Gamelang-Orchester, doch beim Näherkommen sahen wir, daß nur ganz primitive Instrumente verwendet wurden. Wir waren gerade zu einem Maskenspiel zurechtgekommen. Vor den am Boden hockenden Musikanten bewegten sich unbeholfene, seltsame Riesengestalten hin und her. Die eingeborenen Schauspieler gingen auf Stelzen und hatten sich in groteske Verkleidungen gehüllt. Mit langsamen Zitterbewegungen machte ein maskierter Riesenadeliger einer Fürstentochter eine Liebeserklärung. Sein Werben wurde erhört, und unter dem Jubel der Zuschauer schloß die Szene etwas allzu deutlich ab.
In Nordbali, wo das alte Volkstum schon längst ein Opfer geldgieriger Kulturzerstörer geworden ist, hatten wir Gelegenheit, ein Wettrennen von Ochsen mitanzusehen. Über die abgeernteten Reisfelder rasten die seltsam geschmückten Tiere, von ihren auf kurzen Kufen kauernden Lenkern getrieben, dahin. Wieder schlossen die leidenschaftlichen Zuschauer hohe Wetten ab, als die von gellenden Rufen der Masse angefeuerten Renner wie eine geschlossene Mauer an ihnen vorbeistürzten. Dann löste sich die Reihe langsam auf, und endlich gelangten die einzelnen Paare in Schweiß gebadet ans Ziel.
Leider war die Ernte vorbei und die Reisfelder, auf denen das Rennen stattfand, daher trockengelegt. Ein toller Anblick muß so ein Rennen im Frühjahr sein, wenn die Felder unter Wasser stehen und die wilde Jagd durch den schäumenden und spritzenden Morast dahingeht.
Am meisten aber genoß ich auf dieser herrlichen Insel die stillen Tage in den Altbalidörfern des Gebirges. Sie lagen an den Ufern des klaren Batursees, überschattet vom mächtigen Kegel des gefürchtetsten Vulkans von Bali. Auf karstigem Gelände weideten Rinder und Ziegen, die spärlichen Herden der genügsamen Dorfbewohner. Hier oben war die Luft erfrischend kühl, und voll ruhiger Freundlichkeit waren die Menschen, denen die Hast der Zivilisation noch fernlag.
Die Bergbewohner sind große, kräftige Gestalten, keineswegs so schlank wie die schwächlichen Javaner. Aus mächtigen Rundschädeln blicken charakteristische, sehr breit gestellte Augenpaare. Übermäßig stark treten die Jochbeinbögen hervor, und ganz eigenartig ist der Bau der Augenlider, denen die Mongolenfalte jenen Ausdruck verleiht, den man mit »schlitzäugig« bezeichnet. Jedenfalls ist hier in den Bergen das arische Element auffallend schwach vertreten.
Auch die Begräbnissitten sind anders als an der Küste. Hier begraben die Menschen noch ihre Toten in der Erde, und niemand denkt daran, sie später zu verbrennen; Sitten und Gebräuche, Hausbau, ja ein Großteil der materiellen Kultur unterscheidet sich erheblich von dem jüngeren Kulturbesitz der Küstenbalier. Ganz unerwartet stieß ich auf Plastiken, die in ihrer einfachen Formgebung fast frühgotisch anmuteten, und auf Holzschnitzereien, die Kunstgegenständen ähnlich waren, die ich in früheren Jahren in Westafrika gesehen hatte.
Eines Tages erlebten wir hier etwas ganz Eigenartiges. Es waren Trancetänze kleiner Mädchen, wie sie in alten Zeiten auf den geheimnisvollen Tempelfesten der Altbalier zur Aufführung gelangten und auch heute noch vereinzelt stattfinden.
Sorgfältig brachte der Hindupriester, in heiliges Weiß gekleidet, den Gottheiten Lebensmittel als Opfer dar und entzündete Räucherwerk auf alten getriebenen Silberschalen. Zwei braune Burschen hielten hölzerne Handgriffe in den Händen, deren obere Enden mit einer Rotangschnur verbunden waren. Auf dieser Schnur tanzten, durch rasche Bewegungen in Schwung gebracht, winzige geschnitzte Holzpuppen einander entgegen. Immer rascher wurden die Bewegungen der Holzprügel, immer rascher tanzten die Puppen. Daneben kauerten die kleinen Mädchen vor den Räuchergefäßen auf der Erde. Der Priester murmelte Gebete und Beschwörungen, die Kinder sahen mit seltsam starrem Blick vor sich hin. Ihre Augen verdrehten sich, so daß die Pupille hinter den halb geschlossenen Lidern verschwand. Auf einmal erfaßten sie wie auf Kommando die Handgriffe. Ihre Körper schienen sich in Krämpfen zu schütteln, die Puppen sprangen, wie von magischen Kräften gepeitscht, rasend hin und her und bewegten sich aufeinander zu, immer wilder und wilder … Dann gab eines der in tiefe Trance versenkten Mädchen in halblaut hervorgestoßenen Worten einen Befehl. Die seltsamen Musikinstrumente – uralte Vorgänger der verfeinerten Gamelang – setzten plötzlich aus. Als der eintönige, doch seltsam aufpeitschende Rhythmus schwieg, schwankten die Mädchen wie sterbensmüde langsam hin und her, und die Puppen entfielen ihren Händen. Räudige Hunde schlichen herbei und ließen sich die den Göttern zugedachten Opfergaben gut schmecken. Kein Mensch dachte daran, die elenden Tiere zu verjagen.
Plötzlich setzte wieder die merkwürdige Musik der Instrumente ein, und seltsame Flöten trillerten leise. Da strafften sich die Körper der schlafenden Mädchen, und sie begannen, zuerst noch wankend, dann fester und sicherer, ruckweise Bewegungen auszuführen. Ihre Gliedmaßen bewegten sich, als wären sie selbständige Wesen und nicht von der zentralen Leitung, dem Gehirn, geführt. Die Musik spielte immer lauter und eindringlicher, die zuckenden Tanzbewegungen der Mädchen wurden immer wilder, bis plötzlich eine nach der anderen jungen Burschen auf die Schultern sprangen. Die Männer liefen mit ihrer Last umher, während die Mädchen mit geschlossenen Augen und unbewegten Gesichtern in akrobatischen Verrenkungen ihre Glieder verzerrten.
Mein Begleiter flüsterte mir zu, daß er einmal gesehen habe, wie Mädchen in Trance auf glühenden Kohlen getanzt hätten, ohne auch nur die geringsten Brandwunden auf ihren Sohlen aufzuweisen!
Wie lange der Tanz gedauert hat? Waren es Stunden oder Minuten? Ich weiß es nicht. Es gibt Erlebnisse, die den Zeitbegriff völlig entschwinden lassen.
An den großen Tempelfesten auf Bali nimmt stets viel Volk teil. Es dankt seinen Gottheiten, die dafür gesorgt haben, daß es den Menschen nicht an Nahrung fehlt; daß auf den so kunstvoll terrassenförmig angelegten Reisfeldern, die jedes Stückchen Land bedecken, die sorgsam betreuten schweren Ähren in genügender Menge geerntet werden konnten. Die Balier verehren ihre Gottheiten, indem sie ihnen das Kostbarste und Schönste in verschwenderischer Freigebigkeit opfern.
Für mich war das Tempelfest, das ich in Sebatu sah, ein großartiges Erlebnis. Der Schutzgott des Dorfes wurde in feierlichem Zuge aus dem Tempel an das Ufer des Nahrung und Leben spendenden Flusses, der die Reisfelder bewässert, getragen und dort gebadet. Von allen Dörfern der Umgebung waren die braunen schönen Menschen in Massen herbeigeströmt, um ihren Göttern zu danken und ihnen zu geben, was der Götter ist: Blüten und Früchte der Erde. Viele Meter hoch waren Reis, Zuckerrohr, Nüsse, Mehl und andere Nahrungsmittel zu kunstvollen Türmen aufgebaut. Die herrlichsten wohlriechenden Blumen bildeten Girlanden, Berge und Arkaden. Jede einzelne dieser Opfergaben war ein phantastisches Kunstwerk, von unbekannten Künstlern erzeugt, an denen Bali so reich ist.
Meine Gastgeber waren unermüdlich, immer wieder bekam ich Neues zu sehen: Die Maler, die auf alten, selbstgewebten Stoffen die bildreichen Mythen im traditionellen Stil zu malen verstehen, die dann Tempel und Häuser der Vornehmen schmücken. Gold- und Silberschmiede, die so kunstvolle Treibarbeiten herstellen, daß diese den Erzeugnissen unserer Vollkultur nicht nachstehen. Auch Schnitzer, die zu Ehren der Götter aus härtestem Holz plastische Wunder schneiden, Weber, Eisenschmiede und Gerber konnte ich bei ihrer Arbeit beobachten. Ja selbst den Künstler, der aus der sorgfältig gegerbten Rinderhaut die kunstvollen Masken für die Schattenspiele schneidet und die Ausstattung für den »Barong« erzeugt.
Ja, dieser »Barong«, der vom Volke in tiefster Not veranstaltet wird, wenn alle Mittel gegen Heimsuchungen und Epidemien versagen! Gibt's ein ergreifenderes Erlebnis?
Wieder brachten die weißen Priester den Göttern reiche Opfergaben dar. Seltsame Figuren erschienen auf dem Platze. Der Geist der Hexe, die alles Unglück verschuldet, erschien in weißer Perücke, fratzenhaft verzerrtem Antlitz und langem, wirrem Haar. Sie zu bekämpfen, war der Schutzgeist des Dorfes da, der gute Drache, der Wohltäter aller bedrängten Kreaturen. Und wieder begann ein phantastischer Tanz zwischen dem Gott und der ihn verspottenden und beleidigenden Hexe.
Der gute Dämon errang den Sieg. Die Hexenmaske entfloh, ihr Geist war unterlegen. Die Eingeborenen glaubten nun durch diese Darstellung die Hexe wirklich überwältigt und getötet zu haben, die während des Spieles in ihrer Behausung unbeweglich am Boden lag. Sie war in Schlaf versunken, als ihr Geist zum »Barong« entfloh, um in der Maske der Hexe mit dem Schutzgeist der Menschen zu kämpfen. Nun war das Volk von ihr befreit!
Die Tempelstufen herab schritt nun eine Gruppe junger Männer. Sie trugen den eigenartig geschwungenen Kris (Dolch) in der Rechten. Die ruckweisen Bewegungen des Oberkörpers und der Arme standen in eigentümlichem Gegensatz zu den schleichenden Schritten, mit denen sie in den Kreis traten. Sie hatten die Weihe vom Priester empfangen und waren bereit, ihr Blut der grausamen Göttin Kali darzubringen. Paarweise traten sie zum Kultopfer an. Die Muskeln ihrer Körper waren wie Wülste gespannt, die Augen weit aufgerissen. Immer schneller und krampfhafter wurden die Zuckungen, die Gesichter erstarrten – die Männer überkam die Raserei der Trance.
Blitzschnell, bevor mir noch die Bedeutung der Vorgänge zum Bewußtsein kam, begannen diese Menschen sich mit ihren Dolchen zu zerfleischen. Schon stürzten einige zusammen. Mit geschlossenen Augen lagen sie bewußtlos da, aus ihren breiten Wunden rann das Blut. Man trug die Verwundeten beiseite, und der alte Priester legte blutstillende, zu einem Brei zerstampfte Kräuter auf ihre Wunden. Immer mehr wurden herangetragen, die alle ihr Blut geopfert hatten. Der Kristanz war zu Ende.
Wiederum wurde dem geheimnisvollen Wesen geopfert, das, halb Lindwurm, halb Drache, als Schutzgeist verehrt wird. Hochaufgerichtet, mit nackten, edelgeformten Brüsten schritten die Mädchen heran, Opfergaben in den Händen: Nahrungsmittel, Blumen und immer wieder wohlriechende Blumen. Dann neigte sich der Priester über die noch immer in tiefer Trance bewegungslos daliegenden Männer. Der süße Duft des Weihrauchs umfing die Bewußtlosen, während allein das Gemurmel des Priesters die Totenstille unterbrach. Langsam kehrte den Verwundeten das Bewußtsein wieder, einer nach dem anderen schlug die Augen aus, blickte wie verwundert um sich und verschwand verstohlen in der dichten Menge.
Mit wirrem Kopf und taumelndem Gang verließ ich die Kultstätte. Alle Willenskraft mußte ich aufwenden, um mich von dem unheimlichen Bann zu befreien, der von diesen in ihrem Glauben beseligten Menschen ausgegangen war … Oder hatte mich nur ihr Blutrausch erfaßt? Noch nach Wochen traten mir oft ganz plötzlich diese Ereignisse wieder vor Augen, wie von Scheinwerfern unwirklich grell beleuchtet.
Können diese Streiflichter ein Bild von der Welt ergeben, in die ich versunken war? Alles »da draußen« war mir auf einmal nichtig und wesenlos geworden, und wer weiß, ob ich sobald nach Europa zurückgekehrt wäre, wenn mich nicht Frau und Kind dort erwartet hätten. Fast schmerzhaft mußte ich mich losreißen, um meine Seele nicht in dem süßen Gift eines glückseligen und nie gekannten, wunschlosen »Nirwana« versinken zu lassen. Erst lange Zeit nachdem ich die Insel verlassen hatte fand ich mein früheres Gleichgewicht wieder und wurde der nüchtern denkende Mensch, zu dem uns Europa erzieht.
In jeder Lebenslage gibt es einen Höhepunkt, der nicht mehr übertroffen werden kann, dem zwangläufig ein Abstieg folgen muß. Ich hatte auf dieser Expedition viel Schweres, Bedrohliches zu überstehen. Nun bot mir das Schicksal das Schönste, was dem Menschen im Leben wie im Sterben beschert werden kann: Auf dem Höhepunkt abschließen!
Wohl hatte ich mir vorgenommen, auf der Rückreise noch einige Zeit in Sumatra zu verbringen. Nicht aus wissenschaftlichem Ehrgeiz – denn der wäre dort nicht mehr zu befriedigen gewesen –, sondern des allgemeinen Eindrucks wegen. Doch ich war nun gesättigt von all dem Schönen, das ich genossen, und fast wunschlos glücklich. Sollte ich nach dem Höhepunkt in Bali wieder eine Enttäuschung wagen? Ich überlegte nicht lange und entschloß mich, auf kürzestem Wege nach Europa zurückzukehren. Dort gab es gewiß Enttäuschungen genug; um sie zu überwinden, konnte ich wohl brauchen, was mir am Ende meiner Expedition gehortet hatte:
Den Glauben an das Leben und an Glück.
Abbildungsverzeichnis: in den Text zu den Bildern eingepflegt. Re. für Gutenberg
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