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Ein freundlicher Häuptling

An der Küste erwartete mich mein herrliches Orou (so nennen die Eingeborenen von Mailu ihre großen Doppelkanus). Aber die Regenzeit blieb uns auch treu, als wir die Küste entlang nach Westen fuhren. Traurig liefen zwei kleine Känguruhs, die mir die Buschleute geschenkt hatten, über die regennassen Planken.

Doch mit der Zeit gewannen wir vor der Regenzeit, die langsam von Osten nach Westen vorrückte, einen Vorsprung von einigen Tagen. Nur die schweren Wetterwolken, die die Gebirge im Innern verhängten, und das rotglühende Wetterleuchten des Nachts führten mir eindringlich vor Augen, welchem Schicksal ich nun glücklich entronnen war, als ich die Meeresküste noch im letzten Augenblick erreichte.

Ich besuchte nun ein Dorf nach dem anderen und freundete mich mit den verschiedensten Eingeborenen an. Bis Domara reicht die Kultur der Insel Mailu. Von dort bis Kerepuna ist zwar die Sprache der Eingeborenen eine andere, aber die materielle Kultur dem Wesen nach die gleiche. Nur die geschnitzten Holzvögel, die bis hierher die Straßenfront der Häuser verzieren, verschwinden, je weiter man nach Westen kommt. Von Kerepuna bis Kapa-Kapa (ausschließlich des letztgenannten Dorfes, das schon ein reines Motudorf ist) herrscht eine Mischkultur, die manchmal die schönsten Blüten treibt. Von Kapa-Kapa aber bis Hanubada wird die Küste Neuguineas von den Pfahlbauern, den Motu, bewohnt.

In Kerepuna hielt ich mich längere Zeit auf, um die Mailu-Motu-Mischkultur zu studieren. Viele Eingeborene dieses Dorfes waren vor kurzem einer Epidemie zum Opfer gefallen. Und merkwürdigerweise war es ein Tanz, der mir diese Tatsache vor Augen führte. Eigentlich war es auch kein Tanz, den die Leute aufführten, sondern ein Trauerspiel. Jedenfalls war an allen Bewegungen der Tänzer zu erkennen, daß die überstandene Schreckenszeit den Menschen noch auf der Seele lastete. Ihre Mienen spiegelten Trauer, ihre Gebärden Schrecken wider. Einmal legte sich sogar ein Tänzer zwischen zwei Reihen Burschen auf die Erde nieder und mimte unter herzzerbrechendem Klagegeheul der Umstehenden eine sterbende Frau. Als ich schüchtern um Wiederholung des Tanzes bat, um photographieren zu können, wurde mir die Bitte mit der Bemerkung, daß die Frau nun leider schon gestorben sei, höflich aber bestimmt abgelehnt.

Im übrigen war das Völkchen überaus gastfreundlich und nett, und als mir eines Abends gar eine Reihe hübscher Mädchen bei Mondschein und flackernden Lagerfeuern ein Ständchen darbrachte, fühlte ich, daß mir trotz aller Strapazen der Sinn für die Romantik der Südsee noch keineswegs verlorengegangen war.

Der Häuptling schien mich besonders in sein Herz geschlossen zu haben. Eines Tages meinte er bedauernd: »Wie tut es mir leid, daß ich dir nicht meine Tochter schicken kann, damit du die Nächte nicht so einsam verbringen mußt, doch leider ist sie noch zu klein.« Ich glaube, er hatte recht, denn tatsächlich war die Tochter erst vier Jahre alt.

Wenige Tage später landete ich in Gaili. Dieses Motudorf sieht ganz phantastisch aus. Kräftig und widerstandsfähig erscheinen die Häuser und Stege, die da ins Meer hinausragen. Ihre Bauart ist wohlbedacht, sie schützt die Bewohner vor den heimtückischen Überfällen der Buschleute, die das Meer fürchten.

Hier hatte ich ein heiteres Erlebnis. Die Frauen und Mädchen von Gaili sind wegen ihrer besonders kunstvollen Tatauierungen berühmt. Ich wollte daher einige Aufnahmen von den Mustern machen, die wissenschaftlich von großer Bedeutung sind. Da sich dieselben über den ganzen Körper erstrecken, wäre es nötig gewesen, daß die Schönen ihren Schurz für kurze Zeit abgelegt hätten. Der Sitte gemäß trug ich einem alten Mann mein Anliegen vor. Das ließe sich schon machen, meinte er, doch koste dies ein reichliches Trinkgeld. Als ich mich mit diesem einverstanden erklärte, erkundigte er sich, wann er die Mädchen schicken solle. »Gegen 10 Uhr morgens, da habe ich die beste Sonne«, meinte ich. »Das geht nicht«, war die Antwort, »bei Tage schämen sich die Mädchen, das ist nur nach Sonnenuntergang möglich.« Ich überlegte, daß ich ja schlimmstenfalls die Aufnahmen bei Blitzlicht machen könne und war auch damit einverstanden. Nach Sonnenuntergang wartete ich – doch vergebens. Dann legte ich mich schlafen. Gegen Mitternacht weckte mich ein leises Kratzen an der Außenwand meines Zeltes. Es waren tatsächlich die zwei versprochenen Mädchen; sie waren jung, sie waren hübsch … doch leider nicht tatauiert. Der gute Alte hatte sich nicht vorstellen können, daß ich verrückter Weißer die Mädchen tatsächlich photographieren wollte.

Mein Mailuboot brachte mich bis Port Moresby. Der Abschied von meinem braven Kapitän und seinen Gefährten war zugleich der Abschied von der »wilden Insel« Neuguinea, von all den guten Kindern dieser Wildnis, die ich hier gefunden hatte. Und als die riesige Hummerschere des zweizackigen Mattensegels am Horizont verschwand, stand ich noch immer im Hafen von Port Moresby, wo weiß gekleidete Herren spazierengingen und Autos hupten, und sah betrübt dem Boote nach. Ich war wirklich traurig, Neuguinea verlassen zu müssen. Wie anders war doch das Gefühl der Erleichterung gewesen, als ich die Salomonen verließ. Nicht nur das tödliche Klima, nicht nur die Krankheiten hatten mir den Abschied leicht gemacht. Ich war dort schon zu spät gekommen, und der lähmende Eindruck von einer hingemordeten Kultur, das abstoßende Äußere der eben erst eingedrungenen oberflächlichen Zivilisation waren kein Erlebnis, nach dem man sich zurücksehnt.

Doch die Zeit am oberen Purari, die Tage, die ich allein in den Urwalddörfern Neuguineas verbracht habe, werde ich nie vergessen.

Einige Tage später trug mich ein schmucker holländischer Dampfer nach Westen. Spielend meisterte er die hochgehende See, und bequem war es für mich, in einem Liegestuhl zu sitzen, das Spiel des Windes und der Wellen zu betrachten und nichts mit der Navigation zu tun zu haben. Immer wieder mußte ich an mein Orou denken und an die Wikinger der Südsee, die so viele Wochen lang Freud und Leid mit mir geteilt und mir eine neue Welt erschlossen hatten. Die wilde Fahrt mit ihnen war doch schöner gewesen.


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