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Mein Freund der Priester

Im Hause des weißen Zauberers hatte ich unter anderen schwarzen »Kollegen« auch den Mwane Apuna von Natagera kennengelernt. Er war es, der mich in tagelangen Gesprächen über Religion und Geisterglaube seines Stammes unterrichtete. Auch andere alte Männer nahmen an unserer Unterhaltung teil, die mir den verborgenen Glauben dieser seltsamen Menschen offenbarte.

Es ist selbstverständlich, daß die Eingeborenen die Ursachen einer Erdbebenkatastrophe zu ergründen suchen. Noch weniger verwunderlich ist es aber, daß sie bei ihrer religiösen Einstellung diese Ursache bei den Göttern und Geistern zu finden vermeinen.

Einem alten Priester war denn auch die Ursache der letzten Katastrophe nicht verborgen geblieben, und er verkündete dem Volke seine Weisheit.

Männer und Burschen hatten sich in der Aofa, dem heiligen Haus, versammelt. Das abendliche Feuer warf gespenstische Schatten über die heiligen Fische aus Holz, die beim Flackern der Flamme zu leben schienen. Alle lauschten andächtig den Worten des alten Mannes. Ich will hier seine Worte wiedergeben, so gut ich es vermag.

»Ihr alle kennt die Insel Bauru Arossi (der Norden von San Christoval). Blickt ihr von hier aus nach Sonnenuntergang, so seht ihr die kleine Insel Hau Nunu (Felsbeben) aus den Fluten ragen. Hau Nunu aber ist ein mächtiger Fels, der von einem Haifisch aus den Wogen gehalten wird. Die Menschen, die in der Gegend leben, bringen dem Hai regelmäßig Opfer dar, denn er ist ein Ataro (Geist), von dessen Gunst es abhängt, ob Hau Nunu und das benachbarte Bauru von Erdbeben heimgesucht werden oder nicht. So oft der Hai mit den Opfern nicht zufrieden ist, schüttelt er sich ergrimmt, und der Fels erbebt.

Da kamen weiße Männer und lehrten die Bewohner der Insel einen neuen Glauben. Sie behaupteten, unsere Ahnen seien Trugbilder und unsere Geister lebten nur in unserer Einbildung. Vorerst hörte niemand auf die Reden der Vermessenen, doch mit der Zeit gelang es ihnen, einen jungen Burschen umzustimmen, andere folgten, und immer seltener wurden die Opfer an den Hai, da die Weißen sie verboten.

Zu dieser Zeit wurde im Dorf Maneparapara ein Fest vorbereitet, das gerade an dem Tage stattfinden sollte, an dem das Unglück hereinbrach. Die Bewohner der ganzen Umgebung waren eingeladen worden; und auch aus Owa Raha erschienen die Männer in drei großen Kanus. Nun war der Häuptling von Maneparapara, der das Fest veranstaltete, vor einigen Wochen ebenfalls zum Christentum übergetreten, und aus diesem Grunde unterließ er es, das Fest mit den üblichen Opfern an den Ataro einzuleiten. Er dachte auch nicht an die vielen Meergeister, die die See ringsum beleben. Diese aber hatten schon viele Wochen hindurch die Eingeborenen bei den Vorbereitungen zum Fest beobachtet. Sie hatten sie gesehen, wie sie Feldfrüchte sammelten und schmackhafte Speisen bereiteten, wie sie Schweine einfingen, schlachteten und brieten. Die Geister wußten wohl, daß sie keine Opfer bekommen würden. Sie wären doch so bescheiden gewesen: ein bißchen Fleisch aus dem Nacken der Schweine, ein wenig Taro-Pudding, einige Betelnüsse, eine Handvoll Muschelgeld und ein paar Zähne von Tümmlern hätten genügt, sie in guter Stimmung zu erhalten.

Doch nichts dergleichen geschah. Auf das mächtigste erzürnt, schwammen die beleidigten Geister zum Ataro, dem Hai, der die Insel hält, beklagten sich über die Menschen und berieten mit ihm, auf welche Weise sie sich am wirksamsten rächen könnten. Sie trafen den Hai in übelster Laune an. Denn auch er hatte gesehen, daß die Eingeborenen zwanzig fette Schildkröten eingefangen hatten und in einer Umzäunung in der Nähe des Riffs gefangenhielten. Darüber war er besonders empört, denn diese Tiere kamen aus seinem Reich, sie wurden ihm einfach weggenommen, um bei dem Fest dieser Abtrünnigen, in Blätter gehüllt, zwischen heißen Steinen geröstet zu werden. Und Opfer sollte er keine bekommen? Das war des Guten zuviel. Die Nachricht der Geister hatte ihm gerade noch gefehlt. Grenzenlos erbittert, wollte er sofort die Insel, die er hielt, erschüttern. Doch es war Nacht, und die dienstbaren Geister des Meeres sind nachtblind und baten ihn daher, bis zum Morgen zu warten, damit auch sie die Bestrafung der geizigen Menschen mit ansehen könnten. Der Hai billigte ihren Wunsch. Aber gleich nach Sonnenaufgang begann er die Insel aus Leibeskräften zu schütteln. Nur von Zeit zu Zeit ruhte er für wenige Augenblicke aus, um dann seinen Zorn um so fürchterlicher wüten zu lassen. Immer heftiger stieß er die Insel hin und her, bis die Häuser zusammenstürzten und Tiere und Menschen unter den Trümmern begruben. Die Geister des Meeres aber zogen das Wasser zu sich herunter und warfen es mit aller Wucht ans Land hinauf. Immer wieder zogen sie es zu sich und türmten die Wogen zu einer hohen Mauer auf, die sie dann plötzlich weit ins Land schleuderten. Sie taten dies nicht nur, um die Menschen und ihre Behausungen zu vernichten, sie wollten auch die vielen schmackhaften Dinge zu sich herunterspülen, die die Eingeborenen für das Fest vorbereitet hatten. Und wirklich trugen ihnen die Sturzwellen bei ihrem Rücklauf alle guten Nahrungsmittel zu und befreiten auch mit Leichtigkeit die Schildkröten.«

So weit war der Priester mit seiner Erzählung gekommen, da ruhte er ein wenig aus und blickte versonnen in die Glut des verlöschenden Feuers. Andächtige Stille herrschte in der Aofa, bis der Greis von neuem begann. Wie zu sich selbst sprechend fuhr er fort: »Heute sagen die Weißen, daß wir dem Untergang der Welt entgegengehen. Es wird die gerechte Strafe für die ehrvergessenen Menschen sein, die sich von ihnen betören ließen und – das Wort ihrer Priester und Häuptlinge nicht achtend – die Sitten vergaßen.«


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