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Das Leben der Eingeborenen ist aufs engste mit der Religion verbunden. Der Glaube dieser Menschen ist so stark, daß wir mit unserem kritischen, nach Erkenntnis strebenden Geist sein Wesen gar nicht erfassen können. Wir nennen ihn Aberglaube, Suggestion oder verderbliche Zauberei. Und doch spendet dieser intensive, unbeirrbare Glaube den primitiven Menschen ethische und moralische Kräfte, die allein es ihnen ermöglichen, den schweren Kampf mit der Natur zu bestehen.
Er ist es auch, der die Eingeborenen veranlaßt, mit ihren primitiven Steinwerkzeugen die prachtvollen Kunstgegenstände zu Ehren der Götter zu schaffen, die die Bewunderung jedes Kenners erregen. Die Religion formt den gesamten sozialen Aufbau der Klane, ihr entspringt das Häuptlingswesen, und sie allein gibt den Festen Form und Sinn. Ohne religiöse Opfer gibt es keinen Fischfang, keine Jagd, keine Feldarbeit, kein Kanu wird gebaut, ohne die Unterstützung der Geister anzurufen, es gibt keine Meerfahrt, die nicht dem Willen der Götter anheimgestellt wird.
Da bedeutet ein Glaubenswechsel eine Veränderung des gesamten Lebens, einen Zusammenbruch des sozialen Gefüges, die schwerste Erschütterung für Leib und Seele, der sich die Eingeborenen nur allzuoft nicht gewachsen zeigen.
Die Menschen von Owa Raha glauben an ein Fortleben nach dem Tode. Der Tod hat für sie nichts Erschreckendes, nichts Befremdendes. Sie sehen ringsumher das Sterben der Natur, jedes Lebewesens, warum sollte der Mensch an das Leben auf der Erde gebunden sein? Sie feiern den Tod, er ist heilig.
Wenn ein alter, einflußreicher Mann sein Ende herannahen fühlt, ruft er seine Verwandten zu sich, denn sie sollen ihn sterben sehen. Er wird festlich gekleidet, über und über mit kostbarem Muschelschmuck behangen, den er von seinen Vorfahren ererbt hat.
Mit dem letzten Atemzug des Menschen entweicht seine Seele und schwebt unsichtbar im Totenhaus umher. Die Angehörigen des Toten stellen sich zu beiden Seiten seines Lagers auf, der Priester tritt an sie heran und bestreicht ihre Stirnen mit Kalk. Dann nimmt er eine grüne Kokosnuß, öffnet sie und hängt sie an der Liegestatt des Toten auf. Lautlos lassen sich nun die Gäste auf die Erde nieder. Der Priester aber beginnt die Ahnen des Toten zu beschwören. Er kündet ihnen an, daß bald einer der Ihren zu ihnen kommen werde, und bittet sie, den neuen Ankömmling in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Er wendet sich an die Zuschauer und fordert sie auf, von der Seele des geliebten Toten Abschied zu nehmen. Dann beginnen seine Beschwörungen. Er gerät in große Aufregung, und plötzlich ruft er den Leuten mit gebietender Gebärde zu: »Seht auf die Kokosnuß, der Geist spricht zu euch!« Die Anwesenden blicken wie gebannt auf die sakrale Nuß und sehen eine menschliche Gestalt darauf zukommen. Aber diese Gestalt sieht dem Toten nicht ähnlich. Es ist die Seele eines schlafenden Menschen, der, durch die mächtigen Beschwörungen des Priesters gezwungen, auf die Kokosnuß zugeht, um von ihrem Inhalt zu naschen.
Doch nur den Seelen der Toten ist es gestattet, von der heiligen Frucht zu kosten. Wagte es die Seele eines Schlafenden, so würde in diesem Augenblick der ruhende Leib sterben.
Sache des Priesters ist es, nun das Unglück zu verhindern. So tritt er denn auf die fremde Seele zu und verwehrt ihr den Zugang. Neuerlich ertönen seine monotonen Beschwörungen, und die fremde Seele verschwindet. Immer eindringlicher werden die uralten Zauberformeln, die den Beistand der Ahnen herbeirufen, und plötzlich wird die Seele des Toten allen sichtbar. Sie geht auf die Kokosnuß zu und trinkt ihren Inhalt. Es ist das erste- und das letztemal, daß die Verwandten und Freunde die Seele ihres lieben Toten erblicken. Sie nehmen Abschied von ihr und wünschen ihr Glück auf ihrer Wanderung. Da verschwindet sie wieder, bleibt jedoch in der Nähe des Leichnams. Es ist ihr noch unheimlich zumute in dem für sie neuen Schattenreich. Sie erblickt die vielen bösen Geister, die die Wohnstätten der Menschen bedrohen, und die Seelen der Ahnen, die sich in der Nähe ihrer Lieben aufhalten, um ihren Anteil an den Opfern zu erhalten und den Lebenden zu helfen. Noch weiß die ängstliche Seele nicht, daß sie von den bösen Geistern nichts zu fürchten hat, daß sie unsterblich geworden ist. So folgt sie denn dem toten Körper unter die Erde ins dunkle Grab.
Aber am fünften Tage fühlt sie sich durch eine sonderbare Macht langsam, doch unwiderstehlich an die Oberfläche gezogen. Es ist die Sonne, die die Seele aus dem Grabe lockt.
Sobald die Dunkelheit hereingebrochen ist, wandert sie an den Meeresstrand. Hier wird sie von einem Fährmann aus dem Geisterreich mit einem Kanu erwartet. Schweigend läßt sie sich in dem Boot nieder, das sie im Dunkel der Nacht nach der fernen Insel Malau Alite bringt. Hier steht am Eingang einer großen Höhle ein weiblicher Ataro. Bis zu den Hüften hinab hängen seine welken Brüste. Kafafarisubarisu ist sein Name. Er nimmt die Seele in Empfang und betrachtet sie genau. Der Geist steht hier als Wächter und hat zu prüfen, ob die Frauen vorschriftsmäßig tatauiert und Nasenscheidewand und Ohrläppchen, wie es die Sitte erfordert, durchbohrt sind. Sie sieht nach, ob Häuptlinge und Priester die besonderen Zeichen ihrer Würde auf der Stirn eingeschnitten haben.
Wehe der unglücklichen Seele, die nicht allen Anforderungen der strengen Untersuchung entspricht! Hohnlachend schleudert sie Kafafarisubarisu in die Höhle, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Vergeblich erwarten sie dann die Klangenossen auf der Erde.
Hat der strenge Hüter der Sitten aber alles in Ordnung gefunden, so darf die Seele nach Malafa fliegen, einer kleinen Insel südöstlich von Guadalkanar, es ist das Paradies. Hier führen die Seelen ein sorgloses Dasein. Sie treffen die früher verstorbenen Klanangehörigen, sie pflanzen Taro und Jam und mühelos erbeuten sie wilde Schweine und Fische. Das Gelände ist fruchtbar, es ist nicht nötig, erst den Urwald zu roden, bevor ein Garten angelegt werden kann. Ohne Arbeit wächst und gedeiht alles im Überfluß. Schöne Frauen und Burschen gibt es hier zum Lieben, es walten nur Freude und Glück.
Die Seelen können auch jederzeit die Insel verlassen und in ihre Heimatdörfer fliegen, um ihre Lieben zu sehen. Sie kommen als hilfreiche Geister, und je mehr Opfergaben ihnen dargebracht werden, um so günstiger gestalten sie das Leben ihrer Angehörigen.
So ergeht es der Seele des Verstorbenen, der Leichnam aber ruht im Grabe. Nach etwa drei Monaten werden die Gebeine der einflußreichen Männer des Nachts ausgegraben, gereinigt, in Baumbast gewickelt und auf das mittlere Gestell des heiligen Hauses gelegt. Dann wird ein Schwein geschlachtet, um den über das Ausgraben erzürnten Geist zu besänftigen. Der Priester des Klans, dem der Verstorbene angehörte, schneidet aus dem Nacken des Schweines ein Stück Fleisch und röstet es auf den heiligen Steinen in der Mitte der Aofa, so daß der Duft der Speise das ganze Haus durchzieht. Müssen doch alle die großen hölzernen Fische, in denen die Schädel der Verstorbenen aufbewahrt sind, vom rauchigen Duft umspielt werden! Da wissen die Ahnen, daß man ihrer gedacht, und ihre Seelen wachen über die Menschen.
Während der Priester Beschwörungsworte murmelt, verzehrt er langsam und feierlich das geröstete Fleisch. Erst dann wendet er sich an die anderen Männer und gibt Erlaubnis, mit dem Totenmahl zu beginnen.
Im Verlaufe der nächsten Monate wird nun von den besten Künstlern des Dorfes ein großer hölzerner Fisch geschnitzt und mit Muschelschalen eingelegt. Gehörte der Tote zum Haifischklan, d. h. glaubte er von diesem Fisch abzustammen, hat der Holzfisch die Gestalt eines Hais. Sonst ist es meist ein hölzerner Thunfisch.
Hat die Familie aber nicht mehr die Mittel, eine solche Kostbarkeit herstellen zu lassen, so bereitet sie ein Bündel oder einen Korb aus Bambus vor.
Wieder sechs Monate später, womöglich zur Zeit der reichsten Ernte, wird ein großes Fest veranstaltet, in dessen Verlauf die Gebeine des Toten endlich ihren vorgeschriebenen Platz in der Aofa erhalten, den sie nun nicht mehr verlassen. Der Schädel und die Kinnladen werden in den Fisch, in das Bündel oder den Korb gelegt und auf dem Gestell in der Aofa aufgehängt. Die übrigen Gebeine legt man in einen Sarg, der aus zwei übereinandergeklappten Spitzen eines Kanus des Verstorbenen besteht. Auf einer Plattform des Gestells wird der Knochensarg aufgestellt.
Die ersten Früchte des Gartens, die ersten Nüsse aus dem Walde werden dem Fisch in den Rachen gesteckt. Und oft sieht man auch bei schweren Krankheitsfällen und Epidemien kostbares Muschelgeld um den hölzernen Leib des Fisches geschlungen. Dies alles sind Gaben an die Ahnen, an die sich die Klangenossen wenden, um Erntesegen, Regen, Gesundheit oder Heilung von Liebeskummer zu erflehen.
So ist das Leben der Eingeborenen mit ihren Toten eng verbunden. Kinder und Enkel verehren die Schädel und Gebeine ihrer Vorfahren und opfern ihnen. Unsterblich aber ist die Seele der geliebten Toten.
Außer den Seelen der Ahnen gibt es aber noch viele Geister, die Meer, Riff und Busch bevölkern und die Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Mein Freund, der Priester, erzählte mir von den geheimnisvollen Kakamora, den seltsamen Zwergen, die tief im Walde in Felshöhlen wohnen, von den guten Meeresgeistern, die den Menschen beim Fischen helfen, von bösen auch, die auf die Menschen Jagd machen und Leichen fressen. Die Namen überstürzten sich, mein Bleistift konnte kaum seinen Schilderungen folgen.
Wir saßen auf einem Baumstamm am Strande, und plötzlich sah ich, wie Pirinisau, so hieß der Priester, ganz in Gedanken versunken, mit seiner großen Zehe einen Fisch in den Sand zeichnete. Blitzschnell fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, und ich sagte zu ihm: »Du erzählst mir gerade vom Ataro ni Matawa, dem Seegeist, kannst du mir auf diesem Blatt nicht zeigen, wie dieser Geist aussieht?« Dabei hielt ich ihm ein Blatt Papier und einen Bleistift hin. Ich glaube nicht, daß er je in seinem Leben eines von beiden gesehen hatte, doch er wunderte sich nicht im geringsten über mein seltsames Begehren. Er umklammerte den Bleistift mit seiner sehnigen Faust, legte das Papier auf seinen Oberschenkel und gab mir nach wenigen Sekunden das Blatt zurück. Die Zeichnung übertraf bei weitem meine Erwartungen. Der Geist hatte sichtbare Formen angenommen. Nun holte ich aus meiner Mappe einen ganzen Stoß von Blättern hervor und sagte: »Hier hast du viele solcher Blätter. Zeichne mir die Geister auf, die du kennst, und ich will mich durch ein schönes Geschenk erkenntlich zeigen.«
Nach einigen Tagen schon kam Pirinisau daher und brachte zu meiner Freude die über und über vollgezeichneten Blätter, und ich sehe entzückt die ganze Geisterwelt vor mir auf dem Papier. Wohl weiß die Wissenschaft, was wir uns unter »Animismus« vorzustellen haben, doch wie die Götter dieses Geisterglaubens gemäß der Vorstellung der Melanesier aussehen, dies festzustellen war mir nun gelungen.
Ich holte aus meiner Kiste ein schönes Messer hervor, dessen Griff mit Kupfer und Messing eingelegt war. Aus meiner Heimat hatte ich es mitgebracht, um einem Häuptling eine besondere Freude zu bereiten. Wer wäre dieses Geschenkes wohl würdiger gewesen als mein Freund, der Priester?
Nun strahlte er über das ganze Gesicht, und als er nicht einmal den Haufen Tabakblätter sah, nach denen sonst immer sein Verlangen stand, wußte ich, daß ich mit dem Messer das Richtige getroffen hatte. Lange schwieg er ergriffen und betrachtete es von allen Seiten, dann sagte er: »Du nimmst so regen Anteil an unserem Leben, ich habe dich unseren Glauben gelehrt. Gib mir noch solche Blätter, und ich will versuchen, dir darauf zu zeigen, was ich sehe, wenn ich in Gedanken die Welt der Geister besuche, um die Wahrheit zu erforschen und die Zukunft zu künden.«
Abbildung 11. Ein Mädchen aus Natagera in Alltagstracht mit ihrem kleinen Freund. Mädchen und Frauen gehen bis zur ersten Entbindung völlig unbekleidet. Nach diesem Ereignis tragen sie einen schmalen Schurz aus Bastfasern. Die Ohrläppchen sind durchbohrt, und in der stark erweiterten Lücke werden Muschelscheiben und Holzpflöcke als Schmuck befestigt. Die Eingeborenen halten eine besondere Rasse von Hunden, welche sie sehr schätzen.
Abbildung 12. Die Gäste ziehen in voller Kriegsbemalung das schwere Wanderboot auf den Strand. Insel Owa Raha, Dorf Hupuna. Die Eingeborenen veranstalten mit ihren großen Wanderbooten oft weite Fahrten über das offene Meer und besuchen Freunde und Verwandte, die auf anderen Inseln leben. Das Bild zeigt das Eintreffen eines solchen Bootes am Strande von Hupuna. Die Eingeborenen haben Kriegsbemalung und Kriegskleidung angelegt.
Abbildung 13. Heck eines Wanderbootes von innen gesehen. Diese Boote gelten als sakral, beim Bau derselben muß jeweils eine größere Anzahl von Opferfesten zu Ehren der Ahnen und Geister abgehalten werden. Der Bau ist deshalb eine sehr kostspielige Sache. Die Planken sind zusammengefügt und werden mit einer Masse aus zerriebenen Nüssen eines bestimmten Baumes abgedichtet. Die Außenseite des Bootes ist reich mit Darstellungen von Geistern, Menschen, Tieren und Ornamenten bemalt. Im Bug und Heck sind besondere Wasserzauber untergebracht. Insel Owa Raha.
Abbildung 14. Junges Mädchen von Owa Riki mit Hibiskusblüten im Haar. Auffallend sind die hellen, nicht krausen Haare des Kindes.
Abbildung 15. Zwei kleine Freunde begrüßen sich. Insel Owa Riki. Das eine Kind links hat den Kopf, als Schutz gegen Läuse, mit gelöschtem Kalk eingepudert, der andere Knabe hält eine charakteristische Tasche aus geflochtenen Palmblättern in der Hand.
Abbildung 16. Alter melanesischer Drillbohrer zum Durchbohren von Steinen und Muscheln. Als Schwungrad dient ein flacher, runder Stein, als Bohrer ein Steinsplitter. Es ist erstaunlich, daß die Eingeborenen mit diesem primitiven Werkzeug Ornamente von solcher Feinheit aus Muschel und Stein herzustellen vermögen. Insel Owa Raha.
Abbildung 17. Eine Mutter schützt ihr Kind vor den sengenden Strahlen der Sonne. Sie verwendet hierzu eine Matte aus Pandanusblättern. Das Kind sitzt in einer Trage von geflochtenem Bast. Der Blätterschurz ist bereits durch das australische Missionswesen beeinflußt und auf Owa Raha nicht bodenständig.
Abbildung 18. Narbentatauierung im Gesicht eines Eingeborenen. Insel Owa Raha. Bei beiden Geschlechtern wird das Gesicht in der Kindheit mit Hilfe eines zugespitzten Vogelknochens tatauiert, wie es die Abbildung zeigt. Die Prozedur ist sehr schmerzhaft, doch die Kinder ertragen die Schmerzen geduldig, da der religiösen Vorstellung nach nur derjenige im Paradies Eingang findet, der tatauiert ist, wie es die Sitte vorschreibt.
Dies ließ ich mir nicht zweimal sagen, wortlos übergab ich ihm alle Blätter, die ich bei mir hatte.
Wiederum dauerte es einige Tage, und abermals brachte er mir vollgezeichnete Blätter. Diesmal waren es nicht nur Abbildungen der Geister, sondern ihr ganzes Sein und Leben rollte sich vor mir ab.
Das erste Blatt (Abb. 7) zeigt böse, männliche Geister, die im Meer und auf den Riffen leben. Die beiden mit Bogen bewaffneten Geister sind ataro saulokofatara und ataro parasan. Die mittlere Figur ist der Geist ataro livuimanu. Dieser hat nichts ahnend mit dem Speer das Riff nach Fischen abgesucht. Überraschenderweise wurde er von den beiden anderen Geistern überfallen. Das Bild zeigt, wie er getötet wurde, um nachher gefressen zu werden. Rechts und links sind die Kämme zweier großer Brandungswellen sichtbar, die den Mördern das unbemerkte Heranschleichen an das Opfer ermöglichten.
Zur nächsten Zeichnung (Abb. 8) gab mir Pirinisau folgende Erklärung: Von links nach rechts die Geister ataro soulalani matawa, ataro ogamagama ni mei, ataro soulia matawa und ataro eiapola. Es sind dies alles böse, männliche Geister, die auf den Riffen leben und hier auf fischende Menschen Jagd machen. Sie kehren gerade von einem Ausflug nach Star Harbour (Süd-San-Christoval) zurück, haben einen Menschen erbeutet und tragen ihn wie ein Schwein an eine Stange gebunden nach Hause, um ihn zu fressen.
Auf einem anderen Blatt gab mir Pirinisau einen reizenden Einblick in das Familienleben der Geister. – Das Bild (Abb. 9) zeigt lauter gute Geister des Riffes, welche den Menschen beim Fischen behilflich sind, ataro rarofey ist an den Strand gegangen, um für seine Familie Fische zu fangen. Seine drei Kinder, ataro kamalavelave, ataro kototopanepane und ataro ngeletalau, begleiten ihn und helfen nach bestem Können mit. Der Geist-Vater hat eben einen Hai gefangen und die Kinder bemühen sich, mit Lanzen und Keulen das Untier zu töten.
Noch viele andere vollgezeichnete Bogen brachte mir der Priester, und mit ernster Beflissenheit deutete er mir die Gestalten und den Sinn seiner Zeichnungen.
Mit der Zeit lernte ich die Häuptlinge der verschiedenen Klane und die anderen Priester kennen, die von den Weißen oft verächtlich »Zauberer« genannt und verdächtigt werden, ihre Untertanen zu betrügen und materiell auszunützen. Wie falsch ist doch diese Vorstellung, wie europäisch! Diese Greise sind, von seltenen Ausnahmen abgesehen, gute und edle Menschen, die felsenfest an ihre übernatürlichen Fähigkeiten glauben und alles tun, was in ihrer Macht steht, um den gläubigen Klangefährten zu helfen und sie zu beraten. Dürfen wir so sicher sein, daß sie unrecht haben? War ich doch selbst Zeuge mancher Dinge, die wir uns mit unserer Schulweisheit nicht erklären können!
Ein Eingeborener in Afrika wußte von dem Unglück seiner Familie im Augenblick des Geschehens, obwohl er viele hundert Kilometer von ihr getrennt war. Ein andermal sagte mir ein Priester eine Begegnung mit einem Beamten voraus, von der er bestimmt nichts wissen konnte. Auch auf Owa Raha spielten sich ähnliche Dinge ab.
Die Bonitofische waren mehrere Jahre lang ausgeblieben. Es sind dies die heiligen Fische, mit deren Blut die Jünglinge geweiht und feierlich in den Stamm aufgenommen werden. Ohne dieses Blut bleiben sie Namenlose, denen es verwehrt ist, die Lanze zu führen oder einen eigenen Hausstand zu gründen. Es ist daher erklärlich, daß die Eingeborenen in höchste Bestürzung gerieten, als sich keine Bonitos zeigten.
Da starb eines Tages ein besonders beliebter Häuptling. Es kam zum Begräbnis, dann zur feierlichen Beisetzung des Schädels in der Aofa. Nun beschloß der greise Priester des Klans, die Seele des Verstorbenen um Hilfe anzurufen und um erfolgreichen Fischfang zu bitten. Er verfiel in Trance. Sein Körper zuckte, stoßweise preßten seine Lippen zwischen den krampfartig zusammengebissenen Zähnen einzelne Worte hervor: Es sprach eine Stimme, von der es hieß, es sei die des Toten: »Fahret gegen Sonnenaufgang über das Meer. Am dritten Tage werdet ihr am frühen Morgen viele Waiau (Bonitofische) sehen.«
Es war die Zeit der Nordweststürme. Drohend hingen schwarze Wolken am Himmel, und die weite, ölige Brandung kündete das Nahen eines Taifuns. Die Eingeborenen hatten wenige Stunden vorher im Hinblick auf die äußerst bedrohliche Wetterlage nicht gewagt, zum Fischfang auszufahren. Nun rissen sie ohne Zaudern die Bonitokanus aus der heiligen Aofa, jene Boote, die, da sie leicht gebaut, zwar außerordentliche Geschwindigkeit entwickeln können, aber nicht imstande sind, auch nur einem mittelschweren Seegang zu trotzen.
In aller Eile wurden die Boote bemannt, und schon ging es dahin über das dräuende Meer. Der erste Tag verging. Von Bonitofischen war keine Spur zu erblicken. Der zweite folgte, und eine gleichmäßige Dünung schaukelte die Boote auf und ab, doch keine Möwen und Fregattvögel, diese untrüglichen Zeichen für Bonitoschwärme, tummelten sich in der Luft über dem schäumenden Wasser. Der Morgen des dritten Tages brach an. Kaum war die Sonne aufgegangen, da gerieten die Fischer in einen Schwarm von vielen Tausenden von Bonitofischen und kehrten mit übervollen Booten ohne Zwischenfall nach Owa Raha zurück.
Wie konnte der Priester wissen, wo sich mitten im Meere die Fische befanden? Wir leben im Zeitalter des Flugzeuges und Radios. Ist es so unwahrscheinlich, daß das so kunstvoll arbeitende menschliche Hirn mehr vermag als ein einfacher Radiosender?