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Schildkrötenjagd

Im Südosten der Insel San Christoval, im Dorfe Funakuma war es, als mir Gore, mein braver Bursche, eines Abends mit vor Freude strahlenden Augen berichtete, daß die Bewohner der umliegenden Dörfer beabsichtigten, am nächsten Morgen draußen im Riff nach Riesenschildkröten zu jagen. Das Fleisch der Schildkröten ist ein beliebter Leckerbissen. Doch da es nicht so leicht ist, diese alten, weisen Gesellen zu fangen und es einiger besonders tüchtiger Burschen bedarf, gehört der Schildkrötenbraten nicht gerade zum täglichen Speisezettel. Das Schauspiel dieser Jagd durfte ich mir nicht entgehen lassen.

Was Gore in Erfahrung brachte, beruhte stets auf Richtigkeit. So machte ich mich denn am Morgen auf, um die nahe Küste zu erreichen.

Sobald das viele Kilometer breite Riff etwa drei Meter hoch von der Flut überspült war, erschienen die Eingeborenen in ihren kleinen behenden Kanus und suchten in weiten Abständen voneinander nach den vorsintflutlichen Tieren, die sich auf das Riff gewagt hatten, um von dem saftigen Meergras zu naschen. Plötzlich ertönten gellende Schreie – die Insassen eines Kanus hatten eine Schildkröte gesichtet und folgten ihr in sausender Fahrt, während die anderen Boote rasch wendeten und von allen Seiten sternförmig herbeieilten.

Die Jäger feuerten sich gegenseitig durch lautes Geschrei an und peitschten das Wasser mit ihren Paddeln, daß die Bugwellen hoch aufschäumten. Innerhalb ganz kurzer Zeit hatten sich die verfolgenden Boote vereint und rasten eines nach dem andern hinter der Schildkröte her, doch diese hatte sich nicht umsonst jahrhundertelang an den zarten Seegräsern gütlich getan. Sie war gut genährt und unglaublich kräftig. Minute auf Minute verrann. Die Verfolger ruderten mit aller Kraft, ihre schweißtriefenden Körper glänzten wie Bronze in der Sonne. Doch der Abstand zwischen Beute und Jägern verringerte sich kaum. Die Schildkröte versuchte einen Bogen zu machen, um an den Booten vorbeizugelangen, denn in der Richtung, in der sich jetzt die wilde Jagd bewegte, gab es für sie kein Entrinnen; das war ihrem moosgrauen Haupt genau so bekannt wie ihren Verfolgern. Stets gelang es einem der Boote, ihr den Weg abzuschneiden.

Schließlich begann der Schildkröte die Luft knapp zu werden; sie war schließlich weit über hundert Jahre alt, und ihre Glieder hatten nicht mehr die Spannkraft der Jugend. Langsam kam sie höher, um seufzend Luft einzuziehen. Kaum hatte sie den Kopf wieder unter Wasser gesteckt, als sie ihr Schicksal ereilte. Beim Luftschöpfen mußte sie einen Augenblick lang, vielleicht war es nur eine Sekunde, ihren Fortbewegungsmechanismus einstellen. Dieser Augenblick aber genügte ihren Verfolgern. Pfeilschnell kam das erste Kanu herangesaust, zwei Mann sprangen rasch wie der Blitz kopfüber in das Wasser und tauchten nach der Schildkröte. Die Männer der anderen Boote folgten ihnen. Im Nu waren alle Köpfe unter Wasser verschwunden. Noch war die Schildkröte in ihrem Element und wehrte sich mit Hilfe ihrer scharfen, gefährlichen Krallen. Aber schon nach einigen Sekunden leuchtete es weiß zu mir herüber. Es war einem der Schwimmer gelungen, sie am Genick zu fassen und mit Hilfe der übrigen Jäger auf den Rücken zu drehen. Nun war der Kampf gewonnen. Man hob das riesige Tier in eines der Boote. Zwei Kanus wurden durch querliegende Paddeln miteinander verbunden, um die Stabilität zu vergrößern, und das sich immer noch wehrende Tier wurde daran festgebunden. Im Triumph ging es dem Strande zu. Hier umtanzten die Jäger ihre Beute mit gellendem Kriegsgeschrei, wie sie es wohl noch vor wenigen Jahrzehnten bei einem Kannibalenopfer getan hatten. Dann stürzten sich alle ins Meer, um ihre Körper zu reinigen. Einige Burschen hatten inzwischen aus Mangrovenstäben eine kleine Umzäunung im Wattmeer errichtet, in die das viele Zentner schwere Tier gebracht wurde, um es frisch zu erhalten.

Zwei Tage darauf wurde die Schildkröte geschlachtet. Dann baute man am Ufer ein kleines, mit Blättern ausgekleidetes Gerüst. Der Feuerpflug entzündete Feuer, mit dem Steine erhitzt und auf dem Boden des Gerüstes ausgebreitet wurden. Dann folgte eine Lage Blätter, dann die Fleischstücke und wieder Blätter. Das Fleisch schmorte nun zwölf Stunden lang in seinem Fett. So zubereitet war es saftig und zart und schmeckte in der Tat vorzüglich.

Das Photographieren der aufregenden Jagd hatte mich zwar vollauf in Anspruch genommen, doch in den kurzen Augenblicken der Entspannung erlebte ich die Schönheit des Riffs.

Zwischen den durch die ewige Brandung zerrissenen Felsen blickte das kristallklare Wasser. Auf dem Grunde des Meeres dehnten sich, so weit man sehen konnte, Korallengärten aus. Die bizarren Formen dieser Tiere, ihre harmonisch abgestuften Farbtöne, die Quallen und Schwämme, die wie in Bewegung erstarrt unbeweglich ruhten, die tausendfältigen Fische des Riffs, die wie schimmernde Schmetterlinge in den verschiedensten Gestalten und Größen heraufleuchteten, dies alles war von unberührter Reinheit und Zartheit gleich einem verzauberten Märchenwald. Und doch wurden die Bewohner auch dieser seltsamen Welt von Liebe und dem Kampf ums Dasein geleitet. Es war wirkliches Leben.

Die Tiere und Pflanzen schienen dem Wasser Farbe zu geben. Hier schimmerte es braungelb herauf, dort blutrot und an den tiefen Stellen in zartem Blau. Ich bin in meinem Leben schon durch manches Riff gefahren, doch mit der Pracht, die sich hier unter mir ausbreitete, ließ sich nichts, gar nichts vergleichen.

Als ich an diesem Abend durch das Dorf ging, sah ich einen Knaben auf einer Matte liegen. Er wurde eben tatauiert. Ein alter Mann ritzte ihm mit einem zugespitzten Vogelknochen verschlungene Muster in die Haut. Die empfindlichsten Stellen des Gesichtes wurden erbarmungslos aufgerissen, das Blut floß in Strömen herab. Fliegen saßen auf den offenen Wunden. Das Kind mußte Höllenqualen auszustehen haben, doch es gab keinen Laut von sich und hielt unbeweglich still. Das Bewußtsein, daß er nur so ein würdiges Mitglied des Klanes werden konnte, gab ihm die Kraft.

Ich sah auf die kleine Gestalt, die, so zerbrechlich sie auch schien, schon ein so mächtiger Wille beherrschte. Und ich dachte an das stille, abgeschiedene Leben da draußen auf dem Meeresgrund. So nahe diese beiden Welten und doch so unendlich fern. An unergründliche Gewalten gebunden der Mensch, voll unbewußter Harmonie die Pflanzen und Tiere der geheimnisvollen Tiefe.


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