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Dritter Teil.
Bali


Bali, die Wunderinsel

Die Wogen hatten sich längst geglättet, und eintönig eilte das Schiff nach Westen. Nachts durchkreuzten wir das gefährliche Gebiet der Torresstraße, dann zog eine Insel nach der anderen an uns vorbei. Bald lag Timor, die große portugiesische Kolonie, vor uns, und dann erschienen am Horizont die Vulkane der Insel Bali, Niederländisch-Indiens letztes Paradies. Hier wollte ich noch bleiben, bevor mich Europa mit seinen vielen Sorgen wieder aufnahm.

Im unbewohnten, trockenen Nordwesten dieser Insel verbrachte ich einige genußreiche Jagdtage, die mich auch mit dem König der indischen Tierwelt, dem Tiger, zusammentreffen ließen. Dann fuhr ich nach Süden.

Bali ist seit einigen Jahren dem internationalen Touristenverkehr zugänglich gemacht, und im Süden der Insel sorgen komfortable Hotels für die Bequemlichkeit der verwöhntesten Reisenden. Doch ich lernte diesen Teil der Insel nicht von seiner besten Seite kennen.

Wer auf der schönen Autostraße von Norden nach Süden fährt, wird durch herrliche Fernsicht auf Vulkane und Kraterseen in Entzücken versetzt.

Mitten in dieser großartigen Landschaft erschreckte mich aber ein Dorf durch seine unschöne Nüchternheit. Es war der Platz, wo noch vor wenigen Jahren eines der schönsten Altbalidörfer gestanden hatte, das einem Vulkanausbruch zum Opfer gefallen war. Jetzt erinnerten die schäbigen Wellblechhäuser mit den von Drahtgittern eingezäunten Gärten an die schlimmsten Vorstadtbilder europäischer Großstädte. Überall sah man Konservenbüchsen und alte Benzinkannen als Ersatz für die alten Tonkrüge und holzgeschnitzten Gefäße. Ich mußte mir doch auch das Innere eines solchen Hauses ansehen. Da waren die Holzwände hinter den vermessingten Eisenbetten mit Bildern amerikanischer Filmdarsteller gepflastert. Ein lächelnder Jüngling machte mich noch besonders auf kolorierte Ansichtskarten aufmerksam, die in der Ecke des Raumes aufgestellt waren: »Der Rauchfangkehrer und die Köchin«, »Der Kuß« und viele andere schöne Dinge, wie sie eben europäische Vollkultur auch hervorbringt.

Dann langte ich in Den-Pasar, der Hauptstadt des Südens, an. Hier wurden mir holzgeschnitzte Figuren zum Kauf angeboten. Sie waren schlecht ausgeführt, und ein allzu schöner Glanz erregte meine Aufmerksamkeit. Ist doch das Polieren von Schnitzereien hier im Lande eine besondere Kunst, und tagelang wird gerieben und gearbeitet, bis ein zarter Seidenglanz das Kunstwerk überzieht. Nun hat ein weißer »Kitschier« den Schnitzern gezeigt, daß man sich lange Arbeit ersparen kann, wenn man die Figuren mit Lack anstreicht. Sie glänzen dann sogar noch etwas mehr … Und die Touristen kaufen wahllos alles zusammen. Vor wenigen Jahren noch billig und gut, dann billig und schlecht, und heute teuer und schlecht.

»Wie kannst du solche Scheußlichkeiten verkaufen?« sagte meine in Bali ansässige Begleiterin vorwurfsvoll zu einer Händlerin, »seid ihr denn schon so tief gesunken, daß ihr das Kunst nennt?« »Keineswegs«, war die Antwort, »für die Touristen muß es aber scheußlich sein, sonst kaufen sie es nicht«, antwortete die Frau schlagfertig und leider sehr richtig.

Auch der balische Adel hat manches auf dem Kerbholz. Wohl gibt es noch Geschlechter, die treu an den Sitten ihrer Vorfahren festhalten und an dem Ererbten mit Liebe und Verständnis hängen, doch die überwiegende Mehrzahl bewundert die Lebensgewohnheiten der weißen Herrscher und sucht sich diese kritiklos anzueignen. Die wundervolle Schönheit alter Architektur verschwindet, und Steinbauten in protzigem Kolonialstil treten an ihre Stelle.

Ich lernte alte Herrscherfamilien kennen, deren Stammbäume sich in mythische Zeiten verlieren. Wo aber waren all ihre herrlichen Schätze geblieben? Auf europäischen Stühlen wurde mir ein »Drink« angeboten, und die guten alten Plastiken hatten längst wertlosen europäischen Öldrucken Platz gemacht. Derartige Öldrucke stehen überhaupt in hohem Ansehen. »Herrlich ist das Bild, das Sie da geschaffen haben«, sagte in meiner Gegenwart ein in Java zum Laffen erzogener Aristokrat einem genialen europäischen Maler. »Man sieht es ihm gar nicht an, daß es mit den Händen gemacht ist, es ist fast so schön wie Fabrikarbeit!«

Die sozialen Verhältnisse haben sich durch die Kolonisation nicht zu ihrem Vorteil verändert. Ein Teil des Adels ist heute völlig verschuldet. Er begnügt sich aber nicht damit, von der Bank so viel Geld aufzunehmen, bis er die Zinsen nicht mehr zahlen kann, sondern auch seine Untertanen, die armen Teufel, die tagaus, tagein fleißig wie die Bienen auf den Reisfeldern arbeiten, müssen herhalten. Sie, die noch wie in alter Zeit mit aller Liebe an den Fürstengeschlechtern hängen, werden veranlaßt, Hypotheken auf ihre Felder zu nehmen, wenn es dem Herrn an Geld fehlt. Kann es für einen armen Kuli etwas Beglückenderes geben, als seinem Herrn eine Gefälligkeit zu erweisen? Er bezahlt es meist mit dem Verlust von Grund und Boden, der von der Bank später rücksichtslos versteigert wird. Die hohen Herren aber können wieder eine Zeitlang tun, was ihnen beliebt. Whisky, Autos und Kattune kaufen, vielleicht langt es sogar für einen scheußlichen Steinbau. Zum Ausbessern der herrlichen alten Tempel reicht das Geld jedenfalls nicht, da genügt Wellblech vollkommen. Es soll billiger sein als die alten Dächer aus den Fasern der Zuckerpalme.

Ich besuchte auch die von der Regierung erbaute Schule und lernte den Lehrer kennen. Er war Balier, doch völlig europäisch gekleidet, und wohnte in einem rein europäischen Heim. Auch hier fehlten weder die Öldrucke, noch die Ansichtskarten mit den Abbildungen von Filmschauspielern an den Wänden. Er hatte die Schulen auf Java absolviert und galt als ein besonders tüchtiger Beamter. »Ja, ich habe ein schweres Leben«, sagte der Erzieher der Jugend seufzend. »Ich bitte Sie, gar keinen Verkehr …« Überrascht erwiderte ich, daß er doch im dichtest besiedelten Gebiet der Insel lebe. »Aber ich bitte Sie, ich kann doch bei meiner Bildung nicht mit dem gemeinen Balier verkehren!« Dann nach einiger Pause: »Ich habe nicht einmal etwas zum Lesen, können Sie mir nicht aushelfen?« Das käme darauf an, was er lesen wolle. »Ach, das ist mir ganz gleichgültig, nur irgendwelche Bücher, am liebsten Detektivromane …«

Es war bekannt, daß dieser Mann, bevor er nach Java kam, einer der besten Gamelangspieler der Insel war. Mehr um den peinlichen Eindruck zu verwischen, als aus wirklichem Interesse, fragte ich ihn, ob er noch immer diese schöne Volksmusik betreibe. »Ach, Gamelang, wo denken Sie hin, jetzt spiele ich Gitarre und Violine.« Bei diesen Worten nahm er eine Violine, die nur mit zwei Saiten bespannt und kaum zwei Gulden wert war, zur Hand und entlockte ihr ganz erschreckliche Töne. Die Gitarre hing an der Wand. Auch sie war nur mit zwei Saiten bespannt, doch mehr seien auch nicht nötig, erklärte mir stolz der Eigentümer.

Die Hauptstadt des Südens, Den-Pasar, ist eine eigentümliche Stadt. Schon am ersten Abend meines Aufenthaltes machte ich die Erfahrung, daß sich die Sitten des indischen Festlandes auch hier auf Bali eingebürgert hatten. Es boten sich mir auf der Straße eine ganze Reihe von halbwüchsigen Knaben an und waren sehr überrascht, daß ich die längste Zeit hindurch nicht verstand, um was es sich eigentlich handelte. Es scheinen die Balier zu einem wesentlichen Teil »bisexuell« veranlagt zu sein. Die Weißen dagegen sind allem Anschein nach eindeutig monosexuell. »Heute habe ich etwas Merkwürdiges gesehen«, sagte ein alter Balier. »Ein weißes Kind. Wie machen denn das die weißen Männer, daß sie Kinder bekommen, die schlafen doch nur mit Burschen zusammen?« fragte er treuherzig weiter.

Im Süden von Bali, in Gyanyar, fand eine Leichenverbrennung statt. Das Fest, das den Fürsten gute Gelegenheit bot, ihren ganzen indischen Prunk zu entfalten, dauerte sechs Tage und Nächte, und von weither waren Rajahs und hohe Regierungsbeamte herbeigeeilt, um das tatsächlich phantastisch schöne Schauspiel mit anzusehen.

Doch auch hier gab es kleine Mißklänge. Während der Leichenverbrennung schritten neben den opfertragenden Mädchen in alter goldstrotzender Kleidung, Knaben einher, die wie Affen auf europäischen Jahrmärkten ausstaffiert waren. Diese Unglückswürmer, die sich stolz »Pfadfinder« nannten, begleiteten sogar die alte Priesterin zum heiligen Wasser.

Der Fürst hatte es der dekadenten, geschmacklosen Hofhaltung eines javanischen Rajah gleichtun müssen. Dort gab es Pfadfinder … nun, die Gäste aus Java sollten sehen … die hatte ein Fürst in Bali auch!

Ja, er konnte noch mehr! Als der Zug alter Tradition gemäß mit den Opfergaben die Runde machte, tauchten darin Figuren auf, die der Aristokrat wohl in irgendeinem Magazin abgebildet gesehen hatte. Oder war er vielleicht selbst während eines Karnevals in Nizza gewesen?

Mir selbst brachte die Leichenverbrennung Glück. Ich lernte während der Feierlichkeiten zwei europäische Familien kennen, die sich hier aus Bali, weit weg vom »Kulturkreis des roten Goldes«, zu dauerndem Aufenthalt niedergelassen hatten. Es waren zwar weder »Europäer« noch »Familien« im eigentlichen Sinne, sondern ein junges amerikanisches Ehepaar und ein in Rußland aufgewachsener Deutscher. Von allen »Weißhäuten«, die ich auf meinen Reisen angetroffen habe, waren sie die einzigen, die nicht inmitten der schönen Tropenlandschaft in Baracken hausten, sich auch nicht – obwohl es ihnen ihre Mittel erlaubt hätten – Häuser in protzigem Kolonialstil erbaut hatten. Es waren echte Künstlernaturen, deren ganzes Bestreben danach ging, die guten Eigenschaften und Anlagen, die die Balier in so reichem Maße besitzen, zu fördern und zu erhalten. War es unter diesen Umständen ein Wunder, daß ich mich rasch mit ihnen anfreundete und die Einladung, in einem der beiden Häuser Aufenthalt zu nehmen, mit Freude annahm? Stets hatte ich es in den Tropen vermieden, Einladungen von Pflanzern und anderen Weißen Folge zu leisten. Ich hatte meine guten Gründe dafür, dieses »Prinzip« einzuhalten. Doch Grundsätze sind dazu da, um gebrochen zu werden, und in diesem Falle hatte ich es jedenfalls nicht zu bereuen. Meine neuen Freunde waren gute Kenner des Landes und stellten mir ihre Kenntnisse auf das liebenswürdigste zur Verfügung. So lernte ich in wenigen Wochen das Land in vorzüglicher Weise kennen, und aus dem geplanten achttägigen Aufenthalt sind viele genußreiche Wochen geworden.


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