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Der Hai und ich

Der von uns so sehr propagierte Sport – der Wille zur Bestleistung – ist den Eingeborenen unbekannt, doch körperliche Geschicklichkeit ein von allen erstrebtes und erreichtes Ziel. So wird auch der Weiße erst dann für »voll« genommen, wenn er ihnen beweist, daß er körperlich etwas leisten kann. Alles übrige, was an uns ihre Neugier erregt, wird meistens einfach als »Zauber« gewertet.

Als ich nun die laufenden, schwimmenden und springenden Eingeborenen sah, wollte auch ich eine meiner Künste zeigen, und zwar das Rückenschwimmen, das den Melanesiern unbekannt ist. Schon in Afrika hatte ich oft Heiterkeit damit erregt. Das Lachen war aber dann auf meiner Seite, wenn die Eingeborenen, meine Bewegungen nachahmend, dabei mit dem Kopf unter Wasser gerieten, so daß das salzige Naß ihnen in Nase und Rachen drang und wenn sie dann prustend und schimpfend neben mir auftauchten.

Vorsichtig erkundigte ich mich nach Haifischen. Die Eingeborenen beruhigten mich aber mit der Versicherung, daß Haie hier zwischen den Riffen niemals eindrängen. So schwamm ich denn hinaus in die hohe Brandung und ließ mich, bewegungslos liegend, von den schäumenden Wogen zwischen den spitzen Korallenfelsen dahintragen. Es war ein wohliges Gefühl, der drückenden Schwüle für kurze Zeit entronnen und scheinbar von allen Gesetzen der Schwerkraft entbunden zu sein.

Die Eingeborenen saßen inzwischen am Ufer und folgten mir aufmerksam mit bewundernden Blicken. Da schreckte mich ein Ruf aus meiner Ruhe auf. Es war nur ein Wort, doch dieses Wort ließ meine Glieder vor Schreck erstarren. »Pagewa!« hatten sie gerufen, d. h. »Hai«, und mich umwendend, sehe ich, kaum zehn Meter vor mir, die Rückenflosse eines mächtigen Haies bewegungslos aus dem Wasser ragen. Die Flosse stand spitz auf mich zu, der unheimliche Riese schien mich zu beobachten.

Welch eigenartige Gedanken einem doch in einem solchen kurzen Augenblick durch den Kopf schießen. Ich erinnerte mich an die Schilderung eines Tiefseeforschers, der zufolge Haie so friedliche Tiere waren, daß man meinen könnte, sie liebten es, von den badenden Menschen gestreichelt zu werden. Im nächsten Augenblick wieder dachte ich an einen Mann, der vor meinen Augen von einem solchen liebenswürdigen Tierchen zerrissen worden war. Dann ging mir durch den Kopf, daß die Eingeborenen hier ihre Toten nicht den Haien vorzuwerfen pflegen, wie dies auf andern Inseln üblich ist, sonst hätte mich der Hai vor einem Angriff bestimmt nicht so lange forschend angesehen. Da ich bewegungslos auf dem Wasser lag, wußte das Scheusal augenscheinlich nicht recht, welches seltsame Meerungeheuer es vor sich hatte. Mit aller Willenskraft unterdrückte ich den Wunsch, rasch davonzuschwimmen. Die ersten Bewegungen meiner Beine, die, weiß wie die Unterseite eines kranken Fisches, durch das kristallklare Wasser schimmerten, hätten den Hai veranlaßt anzugreifen, und in wenigen Sekunden hätten seine dolchscharfen Zähne meinen Körper zerrissen.

Das Wasser war tief und ich vom nächsten Felsen mindestens doppelt so weit entfernt wie der Hai von mir. So hatte ich keinerlei Aussicht, bei einem Fluchtversuch mit dem Leben davonzukommen. Ich blieb ausgestreckt auf dem Wasser liegen und begann nur mit den Händen rasche vibrierende Ruderbewegungen zu machen, die mich langsam, geradezu entsetzlich langsam, gegen das Riff trieben. Gespannt beobachtete ich dabei mein Gegenüber: Die Rückenflosse des Hais schien etwas kleiner geworden zu sein, der Abstand zwischen ihm und mir aber vergrößerte sich nicht. Es war kein Zweifel – der Hai folgte mir. Die Entfernung zum Ufer schien sich zu dehnen, jede Sekunde dauerte eine Ewigkeit. Doch schließlich erreichte ich das Riff. Gerade vor mir aber erhob sich der Felsen einige Meter hoch senkrecht aus dem Wasser, die schweren Brecher hätten mich bei einem Landungsversuch in Stücke zerschlagen. So mußte ich denn meinen Leidensweg um endlose Minuten verlängern, bis mir eine flachere Stelle ein Landen erlaubte.

Ich wartete eine besonders hohe Welle ab, warf mich auf ihren Rücken, und schon fühlte ich mich weit über das Riff hinausgeschleudert. Nun mußte ich rasch tauchen und unter Wasser einen Vorsprung des Korallengartens erfassen. Messerscharf zerschnitten die Kieselspitzen meine Haut, doch ich hielt eisern fest. Die Welle strömte zischend und klatschend zurück und gab mich einen Augenblick lang frei. Ich sprang ans Land und war gerettet. Und der Hai? Mich umwendend sehe ich die Rückenflosse und seinen ganz scheußlichen Riesenkörper langsam das stahlklare Wasser durchpflügen, gerade dort, wo ich vor wenigen Sekunden mich entschlossen hatte, meine Rettung zu versuchen!


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