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Wir waren kaum eine halbe Stunde gewandert, da lag das erste Flußbett vor uns. Als ich es beim Hinmarsch durchwatet hatte, war mir das Wasser kaum bis an die Knöchel gestiegen, jetzt aber mußte ich alle meine Kräfte einsetzen, um nicht von den Fluten fortgerissen zu werden. Mit einigem Bangen sah ich, wie die viel kleineren Träger mit den Fluten kämpften, doch erreichte einer nach dem anderen wohlbehalten das andere Ufer. Als letzte kamen die Frauen. Und, o Schreck, mitten im Strom begann die Frau, der ich meinen kostbarsten Apparat und einen Teil meiner unersetzlichen Negative anvertraut hatte, zu schwanken und wurde im nächsten Augenblick von den Fluten hinweggerissen. Neben ihr schwamm ein kleines Bündel, es war der Apparat, den die in seinem Gummisack enthaltende Luft vor dem Untergehen bewahrt hatte. In einigen Sätzen hatte ich beide erreicht. Mit der einen Hand erwischte ich das Bündel, mit der anderen die Haare der Frau. Ich leistete der Strömung keinen Widerstand, sondern trachtete stromab eine Landungsmöglichkeit zu finden, und wirklich konnten wir beide etwa hundert Meter weiter unten unversehrt landen. Unversehrt? Die gerettete Frau wurde von einem schweren epileptischen Krampf geschüttelt, und Schaum quoll zwischen ihren zusammengepreßten Kiefern hervor. Augenscheinlich war sie mitten im Fluß von dem Anfall überrascht worden. Der Apparat und das kostbare Agfamaterial aber waren unversehrt, der Gummisack hatte alles Wasser abgehalten.
Die Eingeborenen umstanden schnatternd die Kranke, die langsam wieder zu sich kam; sie waren sichtlich an derartige Zufälle gewöhnt. Die Frau weigerte sich, in ihr Dorf zurückzugehen, und alles, was ich erreichen konnte, war, daß sie den Apparat einer kräftigeren Gefährtin überließ. Sie aber packte sich dafür zwei Hunde und ein Schwein auf den Rücken.
Doch die Abenteuer dieses Rückmarsches waren noch nicht zu Ende. Das Waten in tiefem Morast, das Überqueren der reißend gewordenen Flüsse, die brennende Haut, kleine giftige Blutegel, die überall aus ihren Schlupfwinkeln hervorkamen und sich den Eingeborenen in ganzen Klumpen an die Füße und mir an die nackten Knie setzten, stechendes Dorngestrüpp, mächtige Baue von Megapodushühnern, in die man, da die Erde völlig durchweicht war, bis an den Leib einbrach, Wolken von Moskitos infolge der Feuchtigkeit, der häufige Mangel an Feuer – das alles konnte mich nicht abhalten, in Eilmärschen der Küste zuzustreben.
Eines Tages gelangten wir noch zu guter Letzt an das Ufer eines hochgeschwollenen Flusses, der schon in der trockenen Jahreszeit viel Wasser führte. Wurzelstöcke, ganze Baumstämme trieben mit Blitzesschnelle über Gischt und Strudel dahin. Die Buschleute, die schnatternd das Schauspiel betrachteten, waren sich sofort darüber einig, daß wir das Ende der Regenzeit abwarten mußten, um ihn überqueren zu können. Das konnte noch sechs Monate dauern. Ich war daher anderer Meinung. Ich mußte einen Ausweg finden. Während sich die Eingeborenen gleichmütig am Ufer niederhockten und ihre Yamsknollen verzehrten, band ich ein langes dünnes Tau um meinen Leib und befestigte das andere Ende an einem Baumstamm. Dann versuchte ich, den Fluß an der zwar reißendsten aber engsten Stelle zu durchschwimmen. Sobald ich spürte, daß ein Wirbel mich in die Tiefe zu reißen drohte, legte ich mich flach auf das Wasser und ließ mich treiben. Doch plötzlich kam ein schwerer Baumstamm auf mich losgeschossen, ich tauchte unter, und er sauste knapp über meinem Kopf hinweg. Als ich eben auftauchen wollte, erfaßte mich ein Wirbel. Ich kämpfte mit aller Kraft, schon wurde mir die Luft knapp, es gelang mir aber trotzdem noch, die Oberfläche zu erreichen. Kaum aber hatte ich Luft geschöpft, als sich ein Wurzelstock in das Seil verhängte. Ich kämpfte mit der Kraft der Verzweiflung, konnte das Seil aber nicht frei machen. Völlig erschöpft wurde ich wieder an das Ufer zurückgetrieben, von dem ich ausgegangen war. – Ich wiederholte den Versuch, abermals mußte ich zurück, erst beim drittenmal erreichte ich endlich, vollkommen ermattet, das andere Ufer. Die Einleitungsarbeit war nun getan. Mit Hilfe meines dünnen Seiles spannte ich nun ein dickes Tau von einem Ufer zum anderen und kehrte nach kurzer Rast, mich am Seil rasch vorwärts hantelnd, zu meinen Trägern zurück. Diese hatten mein Unternehmen mit Aufmerksamkeit verfolgt und zeigten nicht die geringste Lust, das gleiche Kunststück zu wagen. Erst als ich jedem eine Axt versprach, gelang es mir, ihren Widerstand zu besiegen. Ich hieß sie aus den biegsamen und zähen Lianen Taue flechten und richtete eine Art Fähre ein. Von einem Floß konnte allerdings nicht die Rede sein, es wäre ja von den treibenden Baumstämmen sofort zerrrissen worden. Um vom Treibholz nicht beschädigt zu werden, mußten die an Schnüren befestigten Gepäckstücke bis auf den Flußgrund hinabgelassen werden. Den in Blechbüchsen verlöteten Dingen konnte das Bad nicht schaden, und Zelt und Bettzeug waren ohnehin so naß, als hätte man sie eben aus dem Wasser gezogen. Sorge machten mir nur Negative und Photoapparate. Würden die Gummisäcke dieser enormen Beanspruchung gewachsen sein?
Ein Stück nach dem anderen wurde den Fluten anvertraut und vorsichtig am gespannten Seil entlang ans andere Ufer gezogen. Als letztes kam die Kiste mit den exponierten Filmen. Da verwickelte sich ein Baumstamm, dessen Wucht genügt hätte, um vier Seile wie Zwirnsfäden zu zerreißen, in das Förderseil. Das Tau spannte sich wie die Saite eines Instrumentes – ich hielt den Atem an –, da begann der Baumstamm, auf einer Seite festgehalten, langsam, ganz langsam sich zu drehen, und der Knoten löste sich von selbst.
Zum Schluß mußte ich noch die Eingeborenen hinüberschaffen, doch dies ging leichter, als ich erwartet hatte. Mit geradezu affenartiger Behendigkeit zog sich einer nach dem anderen an dem Seil durch das tiefe Wasser.
In der kommenden Nacht brauste neuerlich ein Wolkenbruch auf uns herab.
Am Morgen war der Fluß fast um das Doppelte gestiegen und sprudelte wie ein Wasserfall an uns vorbei. Ein Überqueren wäre nun unmöglich gewesen.
Bald umfing uns wieder dichter Urwald, und wir sollten nun zum letztenmal das Lager aufschlagen, bevor wir die Küste erreichten. Jeder Anfänger weiß, daß man im Urwald niemals unter einem mächtigen Baum lagern darf, will man dem lästigen Besuch verschiedenen Ungeziefers entgehen, das sich die Urwaldriesen zum Wohnsitz auserkoren hat. Als ich nach langem Suchen endlich eine Stelle fand, die nur mit Stangenholz schütter bewachsen war, gab ich Befehl zum Lagern.
Mitten in der Nacht erfüllte plötzlich ein Brausen und Zischen die Luft. Mich überkam das beklemmende Gefühl eines nahenden großen Unheils – und schon krachte mein Zelt über mir zusammen. Wohl an die dreißig Meter seitab hatte ein mächtiger, altersschwacher Urwaldriese gestanden. Vom Zahn der Zeit innen zernagt, war er nun mit donnerähnlichem Getöse gegen unser Lager hin niedergebrochen. Eine mächtige Astgabel zerriß einen halben Meter von meinem Kopfe entfernt die Zeltschnüre, ein anderer Ast zerschmetterte auf der anderen Seite die Holzversteifung des Zeltes. – Gefahren des Urwaldes!
Rasch ging es nun der Küste entgegen. Mein englisch sprechender »Kopfjäger« hatte mich bis ins letzte Lager begleitet, doch nun war er nicht dazu zu bewegen, mir bis an die Küste zu folgen. Er lehnte meine Aufforderung höflich, aber bestimmt ab, was ich ihm nach seinen Erfahrungen auch nicht verübeln konnte, und verschwand eiligst im Urwald.
Auch von meinen anderen Buschleuten, die mich in den gefährlichsten Augenblicken nicht im Stich gelassen hatten, mußte ich Abschied nehmen. Ihre Augen leuchteten, als ich ihnen außer den versprochenen Arten noch Tabak und einen Sack voll Salz überreichte. Ich gab ihnen den Rat, das Salz erst zu Hause untereinander aufzuteilen. Doch das wollten sie nicht; jeder war neugierig, zu sehen, wieviel von dieser Kostbarkeit auf ihn entfallen würde. Unter großem Gedränge verteilte einer das Salz, und beglückt hielt jeder seinen Teil in der Hand. So machten sie sich auf den Heimweg. Wie mag wohl das Salz ausgesehen haben, als sie ihr einsames Bergdorf erreichten?