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Wieder Kriegsschauplatz

Trotz dieses Zwischenfalls forderten uns die Eingeborenen bald darauf auf, ihr Dorf zu besuchen. Wie gewöhnlich folgten uns Hunderte von Neugierigen. Im Dorf umstanden sie uns wie eine Mauer und erschwerten mir das Photographieren in unliebsamer Weise. Aber nicht nur mich brachten sie zur Verzweiflung. Da das Dorf für eine solche Fülle von Besuchern viel zu klein war, kam ein findiger Kopf auf den Gedanken, die Hüttendächer als Beobachtungsstände zu benutzen, und im Nu waren dieselben von den schwarzen Gestalten wie von einem Bienenschwarm behangen. Doch hierfür waren die Häuser nicht gebaut. Sie drohten einzustürzen, und ein wütender Streit entspann sich zwischen den Eigentümern und den Gästen. Einige Dorfbewohner baten uns, die wir ungewollt die Ursache dieses Streites waren, ernst und eindringlich, unseren Besuch abzukürzen. Auch unsere Polizisten hatten bereits bemerkt, daß sich die Lage zuzuspitzen begann und rieten zum Aufbruch. So entschlossen wir uns, unsere Untersuchungen abzubrechen.

Wir hatten vor, von hier aus im Bogen durch die Ebene zum Flugplatz zurückzukehren. Doch die uns begleitenden Eingeborenen waren durchaus nicht zur Durchführung dieses Vorhabens zu bewegen. Warum? Nach langen vergeblichen Bemühungen stellte es sich heraus, daß wir gerade auf diesem Wege zwischen zwei sich bekämpfende Dörfer geraten würden. Uns schreckte das nicht mehr, doch für unsere Führer war das Gebiet zu gefährlich, und sie blieben daher zurück.

Tatsächlich sahen wir nach mehrstündigem Marsch die Hügelketten um uns dicht von Kriegerabteilungen besetzt, die langsam vorgingen. Wir konnten von unserem Standort gut eine der Gruppen beobachten. Die Krieger krochen wie in einer Schwarmlinie vor. In ihren Reihen bemerkte ich acht- bis zehnjährige Knaben in vollständiger Kriegsbemalung. Der Federnschmuck und die Waffen in ihren Händen ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß sie wirklich schon von selbst zu kämpfen verstanden. Noch etwas Merkwürdiges fiel mir auf. Einige Krieger trugen zwei- bis dreijährige Knaben auf dem Rücken. Sie nahmen ihre Kinder mit in den Krieg, um sie beizeiten an das rauhe Handwerk zu gewöhnen. Hinter der Front schlug ein Bursche eine Felltrommel, und noch weiter rückwärts folgte eine Gruppe von Frauen, die den Männern Reservewaffen und Lebensmittel nachtrugen. Sobald man uns entdeckte, wurde der kriegerische Vormarsch abgebrochen, und wenige Minuten später waren wir von den Kriegern umringt. Doch nicht etwa in feindlicher Absicht! Diese wildaussehenden Männer, vor kurzem noch von Kampflust erfüllt, waren zu neugierigen Kindern geworden. Staunend betrachteten sie unsere weiße Haut und konnten sich nicht genug tun, sie mit ihren Händen zu befühlen und darüber zu streichen. Wir benützten die Gelegenheit, Kriegsschmuck und Bemalung näher in Augenschein zu nehmen, und so vertrugen wir uns recht gut.

Plötzlich fiel mir auf, daß einige unserer »Affen« vor Schreck geradezu grau geworden waren und vor Angst zitterten. Es stellte sich heraus, daß die Bewohner des Dorfes, aus welchem die »Affen« stammten, vor einigen Monaten eines der Nachbardörfer geplündert hatten. Die Krieger, die uns umringten, gehörten ausgerechnet diesem feindlichen Dorf an und waren eben auf dem Wege, das Heimatdorf unserer »Affen« zu überfallen und niederzubrennen. Diese fürchteten nun die Rache der Feinde und erwarteten jeden Augenblick erschlagen zu werden. Aber daran schienen die Krieger nicht zu denken. Sie musterten zwar die Kleinen mit höhnischem Grinsen, ließen sie aber ungeschoren. Wir Weißen waren doch viel interessantere Objekte.

Wir durften uns leider nicht lange aufhalten, denn der Himmel begann sich in drohender Weise zu verfinstern. Trotzdem ließen es sich die Krieger nicht nehmen, uns das Geleit zu geben. Nach einigen Stunden zeigten sie uns einen vorzüglichen Lagerplatz. Es war nicht leicht, einen solchen in dem baumarmen Gelände zu finden, waren wir doch bei der Art der australischen Stangenzelte auf Bäume angewiesen. Sie halfen uns sogar beim Aufstellen der Zelte, während der Regen in Strömen vom Himmel herabstürzte. Als die armen Kerle dann in ihrem triefenden Federschmuck und der verwaschenen Kriegsbemalung vor Kälte schlotternd um unser Feuer saßen, sahen sie recht jämmerlich aus.

Von hier aus gelangten wir ohne weitere Abenteuer auf den Flugplatz zurück. Ich konnte mit dem Ergebnis unserer Expedition zufrieden sein. Es war mir gelungen, die gesamte materielle Kultur eines Volkes sicherzustellen, das heute noch in der Steinzeit lebt und mit europäischer Zivilisation noch in keiner Weise in Berührung gekommen war.

Es hieß nun Abschied nehmen von diesen Eingeborenen, deren Sitten und Gebräuche uns Menschen der Kultur und Zivilisation oft in höchstem Maße unverständlich erscheinen mögen. Hier, in den Gebirgstälern Neuguineas, stand die Zeit still. Keine Entwicklung hat das Dasein der Menschen verändert, die nichts ahnen von dem Weltgeschehen, das andere Völker vernichtet und emporblühen läßt.

Wieder war es der blonde Germanentyp von unserer Herfahrt, der nun neben mir das Höhensteuer erfaßte. Mit hellem Klang sprang der Motor an, lief sich warm, und bald rollten wir mit immer größerer Geschwindigkeit vorwärts. Da ereignete sich ein Zwischenfall. Ich sah eine Gruppe von eingeborenen Frauen, schwer mit Yamsknollen beladen, quer über das Feld wandern. Es war stark abfallend, es wäre daher ein Versuch, das Flugzeug aufzuhalten, aussichtslos gewesen. Auch ein Ausweichen war bei der geringen Breite des Platzes nicht möglich. In sausender Fahrt näherten wir uns den Frauen. Diese hatten uns im letzten Augenblick gesehen und stoben nach allen Seiten auseinander. Nur eine Frau konnte sich nicht entschließen. Sie lief vor, dann wieder zurück, um nach der anderen Seite zu fliehen, und zum Schluß wählte sie doch die zuerst eingeschlagene Richtung. Wie oft habe ich am Volant meines Autos Ähnliches mit Europäerinnen erlebt! Schon war es zu spät. Pfeilschnell brausten wir auf sie zu, und ein grauenvolles Unglück schien unvermeidlich. Da warf sich die Eingeborene mit dem Instinkt des verfolgten wilden Tieres auf den Boden, und das Fahrgestell sauste kaum einen Meter hoch über ihren Kopf hinweg und schwang sich in die Lüfte.

Ein Zusammenstoß hätte auch uns gefährlich werden können, und ich muß gestehen, mir stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Bewundernd blickte ich auf das unbewegte, ich möchte fast sagen heitere Gesicht des Piloten. Welche Nerven mußte dieser Mensch doch haben, daß ihm der überstandene Schrecken so gar nicht anzumerken war! Erst Tage später stellte es sich heraus, daß er, geradeausschauend und auf den Motor achtend, von der gefährlichen Episode, die sich in meiner Sehrichtung abgespielt, überhaupt nichts bemerkt hatte.

Wir landeten am oberen Ramufluß und in Wau und gelangten nach Port Moresby. Die Sonne stand bereits tief am Horizont, und wie in einer Vollmondnacht hoben sich die Pfahlbauten der Motu, dieses melanesischen Küstenstammes, von der silberglänzenden Wasserfläche ab. Dieses Bild durfte ich mir nicht entgehen lassen, und ich beugte mich weit vor, um ein freies Blickfeld für meine Kamera zu gewinnen. Das Meer unter uns wurde von einem heftigen Südost aufgewühlt. Da ging plötzlich das Flugzeug, von einer heftigen Bö gedrückt, seitlich nieder. Ich hatte mich mit den Ellenbogen gegen die Wände verspreizt, und mein Körper wurde mitgerissen. Der schwere Photoapparat aber, den ich leicht in den Händen hielt, flog, allen Gesetzen der Schwerkraft scheinbar spottend, in die Höhe und hätte mir um ein Haar den Kiefer zerschlagen. Der nette Mechaniker, der es versäumt hatte, sich im Innern der Kabine anzuschnallen, stieß mit dem Kopf mit aller Gewalt an die Decke, und nur seinem harten Schädel war es zu verdanken, daß er nicht ernstlich Schaden nahm.


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