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Geister gegen Crotonöl

Wenige Tage später war Owa Raha in Aufruhr. Ein Raunen ging von Mund zu Mund, bis endlich auch ich die schandbare Neuigkeit erfuhr: Einem Knaben waren, während er schlief, vier Faden roten Muschelgeldes vom Halse gestohlen worden. Diebstahl gilt bei den Insulanern als das größte Verbrechen, und mit Eifer gingen die Eingeborenen daran, den Schuldigen ausfindig zu machen. Bald hatten sie festgestellt, daß sich zur kritischen Zeit nur eine Frau in dem Hause des Knaben aufgehalten hatte. Obwohl sie hartnäckig leugnete, verdächtigte man sie allgemein des Diebstahls. Schließlich forderte sie eine Frau auf, mit ihr gemeinsam noch einmal das ominöse Haus zu durchsuchen. Hierbei meinte die Verdächtigte plötzlich: »Sieh doch einmal in dieser Ecke nach!« Und richtig fand man dort die Hälfte des Diebesgutes. Überflüssig zu sagen, daß sie sich damit selbst verraten hatte, denn wie wäre sie denn sonst auf die Idee gekommen, daß gerade in dieser Ecke das Geld versteckt liege. Außerdem fehlte noch immer die Hälfte des Geldes. Wo war nun diese hingekommen? Die Gemüter erregten sich außerordentlich, die Sippengenossen ergriffen Partei. In früherer Zeit wäre es ohne Zweifel zum Kriege zwischen den verschiedenen Klans gekommen.

Am nächsten Tage gab es eine neue Sensation. Die verdächtigte Frau erschien über und über mit Schmuck und Muschelgeld behangen und verkündete öffentlich: »Wie könnt ihr euch unterstehen, mich des Diebstahls zu verdächtigen: Seht her, was ich an Schmuck und Geld besitze, wie sollte ich, die ich so reich an allem bin, auf einen derartigen Gedanken kommen?«

Doch sie hatte die Rechnung ohne ihre Gegner gemacht. Nach kurzer Zeit erschien ein alter Mann mit seiner Frau, beide nahe Verwandte des bestohlenen Knaben, ebenfalls über und über mit all ihrem Vermögen behangen. Es war ein eindrucksvolles Bild, die würdigen alten Leute in blendendem Festschmuck, der sich jahrhundertelang von einer Generation zu andern vererbt hatte, vor den versammelten Dorfbewohnern stehen zu sehen. Auch die Verdächtigte befand sich unter der Menge. Der Alte ergriff das Wort. »Diesen Schmuck«, begann er, »habe ich von meinem Urgroßvater Tassi geerbt.« Er hielt seinen breiten Leibgurt in die Höhe, der aus fünfzehn Reihen Nisi, den kostbarsten und kleinsten Muschelplättchen, bestand, zeigte ihn der Versammlung und legte ihn vor sich auf den Boden. »Dies habe ich von meinem Großvater erhalten«, und er breitete seinen mächtigen Brustschmuck aus Perlmutter vor sich aus. So legte er ein Stück nach dem andern vor sich auf den Boden und nannte seine Herkunft. Seine Frau tat das gleiche mit ihrem Schmuck. Alle Zuschauer hörten aufmerksam zu, obwohl jedem die Kostbarkeiten ja bekannt waren, genau so, wie in Europa besondere Schätze von Königen und Fürsten nicht nur den Kennern geläufig sind. Dann richtete sich der Alte hoch auf und wandte sich an die Verdächtigte: »Nun hast du gehört, von wem ich meinen Schmuck erhalten habe, und ich möchte jetzt auch erfahren, woher dein Reichtum stammt.« Nun saß die Verdächtigte in einer bösen Klemme. Sie hatte ihren ganzen Schmuck kleinweise im Verlauf der Jahre zusammengestohlen oder von Burschen als Entgelt für genossene Liebesfreuden empfangen. Das wußte natürlich jeder der Anwesenden genau, und so stieg die Spannung aufs äußerste. Die Verdächtigte begann zu stottern, wechselte die Farbe, wurde erst schwarz, dann fahl im Gesicht, brach plötzlich in Tränen aus und lief wie von Furien gepeitscht davon.

Zwei Tage lang ließ sie sich nicht blicken, dann aber erfuhr man, daß sie sich in ihrem Heimatdorf an den dortigen Mwane Apuna (Zauberpriester) gewandt hatte, um ein Gottesurteil gegen ihre Verleumder zu erwirken. Da nun dieser Priester ihrem Klan angehörte und nach dem Ehrenkodex der Melanesier ein Klanmitglied das andere unter allen Umständen zu schützen hat, auch wenn es gilt, ein offenkundiges Verbrechen zu decken, so war es kein Wunder, daß die Angehörigen aller anderen Klane diesem Gottesurteil skeptisch entgegensahen. Es wurde sogar das Gerücht laut, der Priester habe des Nachts statt des giftigen Taro (Knollenfrucht), der zu dem Ordal verwendet wird, einen genießbaren Taro vorbereitet.

Da beschloß Küper, der Oberzauberer, dem alle gehorchen mußten, einzugreifen. Er schickte nach dem Priester und teilte ihm mit, daß er ihn töten würde, wenn er sich zu einem Schwindel hergebe. Dann ließ er den Eingeborenen verkünden, daß nach dem Gottesurteil des Priesters noch ein zweites, von ihm persönlich, werde angerufen werden.

Der Tag des Gerichtes brach an. Alle Einwohner des Dorfes und eine Menge Gäste hatten sich auf dem Dorfplatz versammelt. Zuerst trat der Mwane Apuna (Priester) in ihre Mitte. An einem kleinen Stamm befestigte er vier Faden roten Muschelgeldes und erklärte mit erhobener Stimme der Versammlung den Tatbestand. Dann wandte er sich ab und murmelte seine Beschwörungen an die Ataros (Geister). Totenstille herrschte unter den vielen Menschen, die mit gespannter Aufmerksamkeit die Dinge verfolgten. Nun trat die Verdächtigte, die hier die Rolle der Klägerin (als Verleumdete) innehatte, vor, wiederholte mit fester Stimme ihre Unschuldsbeteuerung und nahm mit geschlossenen Augen das Tarostück vom Priester entgegen, schluckte es und zerkaute daraufhin eine Betelnuß mit Kalk. Von ihren zahlreichen Klangenossen hatten sich nur zwei gefunden, die, ähnlich den Eideshelfern im alten deutschen Recht, für sie einstehen wollten und ihrerseits das angebliche Gift nahmen. Dann wiederholte sich der Vorgang bei der Gegenpartei.

Daraufhin trat Küper vor und verkündete sein Gottesurteil: Alle Beteiligten hätten ein Stück Zucker zu schlucken. Wer die Unwahrheit spräche, werde von argen Leibschmerzen befallen werden und, falls er sich nicht eines Besseren besinne, am Tage darauf eines elenden Todes sterben. Selbst er als Priester werde sich der Probe unterziehen und den verzauberten Zucker essen.

Nun wurde mir sein Vorgehen klar. Hatte doch der kluge Oberpriester vor der Zeremonie von mir verlangt, ein Stückchen Zucker mit fünf Tropfen Crotonöl (eines der stärksten Abführmittel, das die Medizin kennt und dessen Wirkung als unfehlbar gilt) zu tränken.

Feierlich legte er sieben Zuckerstückchen allen sichtbar hin, um zu zeigen, daß sie einander glichen. Einer nach dem andern trat vor und nahm aus seiner Hand ein Zuckerstückchen entgegen. Als die Verdächtigte an die Reihe kam, vertauschte er mit taschenspielerischer Geschicklichkeit ihren Zucker mit dem von mir präparierten Stückchen und steckte es ihr in den Mund. Alle beobachteten genau, ob die sieben Prozeßgegner auch wirklich den ominösen Zucker hinuntergeschluckt hatten, und zerstreuten sich dann in alle Winde. Wir warteten äußerst gespannt auf die Folgen des Gottesurteils.

Vielleicht hatten sich die Ataros doch der Sache angenommen, vielleicht hatten sich die Ahnen der Frau ins Mittel gelegt, oder hoben auch nur Kalk und Betelnuß die Wirkung des Crotonöls auf, es trat ein, was ich noch nie erlebt hatte – die Wirkung des sonst immer unfehlbaren Mittels blieb aus, und die Frau ging rein wie ein frischgebadeter Engel aus dem Giftordal hervor.


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