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Auf den Spuren der Osterinselkultur?

Auf meinen Streifzügen konnte ich feststellen, daß auf Choiseul sechs verschiedene Sprachen gesprochen werden. Ich nahm sie auf und legte eine Sprachkarte an. Dann machte ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Gewährsmann, der mir über die verschwundenen Inlandstämme und deren Sitten berichten konnte. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen – die Leute erwiesen sich als unzuverlässig – traf ich einen alten Häuptling, den letzten Überlebenden eines einst mächtigen Dorfes. Man hatte ihm die Erlaubnis gegeben, seinen Lebensabend auf einer Missionsstation zu verbringen unter der Bedingung, sich zu bekehren. Im Verlauf der Jahre soll er geradezu eine Stütze der Gemeinde geworden sein, erklärte mir der schwarze Lehrer.

Auch mir gegenüber erwies sich der Alte als ein anständiger und zuverlässiger Mann, der die Sitten und Gebräuche seines Stammes vor der Missionierung gut kannte. Auf sein Christentum hingegen würde ich keinen Eid ablegen.

Eines Tages versuchte ich, mir von ihm, ähnlich wie auf Owa Raha, die Geister seines Stammes aufzeichnen zu lassen. Der Versuch gelang, doch brachte er immer nur Buschgeister aufs Papier, und ich bat ihn daher, doch auch die Geister zu zeichnen, die Meer und Riffe bevölkern. Da sagte der Alte: »Die kann ich nicht zeichnen, denn ich habe sie noch nie gesehen. Ich glaube, es gibt gar keine solchen.« »Hast du denn die Geister des Busches mit eigenen Augen gesehen?« fragte ich überrascht. »Natürlich«, versicherte er, »die sieht doch jeder, der in den Wald geht. Frage nur die anderen Mitglieder der Gemeinde, die werden es dir bestätigen«, fuhr er unbeirrt fort, als er mein ungläubiges Gesicht sah.

Er hatte die Wahrheit gesprochen, auch alle übrigen Christen der Gemeinde sahen die Geister fast täglich, wenn sie im Busch arbeiteten!

Meine Methode, die Aussage eines Gewährsmannes zu überprüfen, indem ich dieselbe Frage an mehrere, nicht miteinander in Verbindung stehende Personen richte, konnte ich diesmal nicht in Anwendung bringen, da der Häuptling der einzige Überlebende war, der die Stammessitten kannte. So versuchte ich den alten Mann zu bewegen, mir Beweise für seine Angaben zu erbringen, indem ich mich ungläubig stellte.

Als er bei der Schilderung des alten Totenkultes erzählte, die Eingeborenen hätten ihre Toten in Steinurnen bestattet, widersprach ich ihm, worauf er beleidigt meinte: »Du scheinst mich für einen Lügner zu halten, komme mit mir, und du wirst sehen, daß ich die Wahrheit spreche, du mußt mir aber versprechen, mich dem Missionslehrer nicht zu verraten.«

Ich erklärte mich selbstverständlich einverstanden, und schon tags darauf machten wir uns auf, um im Innern der Insel einen nur noch ihm bekannten Opferplatz aufzusuchen.

Trotz seines Alters, der Greis war weit über sechzig Jahre, schritt er mir und den wenigen Trägern, die ich angeworben hatte, weit voraus. Auf dicht verwachsenem Buschpfad ging es vorwärts. Nach langer Wanderung erreichten wir einen kleinen Hügel, der von einem undurchdringlichen Pflanzengewirr überzogen schien. Der Häuptling streckte wie suchend den Arm aus, seine Hand verschwand unter den Pflanzen. Dann sagte er einfach: »Hier ist es.« Rasch ließ ich den Platz freilegen, und an der Oberfläche erschienen drei große Steinurnen, die auf einer mächtigen Opferplatte ruhten. Die Platte, aus gewachsenem Fels gehauen, und die Urnen waren reich mit seltsamen Reliefs verziert.

Gerne hätte ich das Alter der Urnen festgestellt, und wieder wußte der brave Alte Bescheid. Die eine der Urnen sei von dem Vater seines Vaters als »Mann in den besten Jahren« hergestellt worden, die zweite von Geschlechtern, die schon lange ausgestorben waren, als der Stamm, dem der Häuptling angehörte, die Insel besiedelte. Die dritte Urne aber hätten Geister gemeißelt, denn kein lebender Mensch sei imstande, solch feine Steinarbeit zu schaffen.

Ich begann die Graburnen näher zu untersuchen. Die vom Urgroßvater erzeugte war sehr roh gearbeitet und ohne Reliefs. Die mittlere Urne war besser ausgeführt und mit Reliefs versehen, die in der Formgebung an die seltsame Osterinselkultur erinnerten. Weitaus am eindruckvollsten aber war die Geisterschöpfung, deren vollendet ausgeführte Reliefs sich eng aneinanderreihten. In allen Urnen fanden sich Reste verbrannter Gebeine. Wie die Eingeborenen berichteten, sollen in früherer Zeit viele derartige Urnen auf Choiseul gefunden worden sein, doch alle seien auf Betreiben der Missionen als Teufelswerk zerschlagen oder ins Meer geworfen worden.

Ich begann in der Nähe der Opferstätte (um eine solche handelte es sich unzweifelhaft) zu graben. Und wieder wurde meine Mühe belohnt. Es fand sich eine Anzahl aus Muschelschalen geschliffener Armringe, wie sie heutzutage nicht mehr auf der Insel erzeugt oder getragen werden.

In diesem Teil der Südsee sind Steinplastiken unbekannt. Ich mußte einen Beweis für diese versunkene Kultur nach Europa bringen und versuchte die Urnen von dem Häuptling zu erwerben. Doch stieß ich unerwarteterweise auf starken Widerstand. Auf meine verlockendsten Angebote antwortete er immer wieder, er könne die Urnen nicht verkaufen, da die Seelen seiner Vorfahren sich darin befänden. Ich appellierte an sein Christentum. »Hast du denn nicht gelernt, daß die Seelen der Menschen im Himmel wohnen«, fragte ich verzweifelt. »Das kann schon sein«, meinte er unerschüttert, »doch vielleicht … sind sie doch in den Urnen.« Alles schien vergebens, da machte ich einen letzten Versuch und sagte: »Ich verstehe dich nicht. Du sagtest selbst, daß die Missionare die Urnen ein Teufelswerk nennen und sie zerschlagen. Bist du so sicher, daß sie diese hier nicht auch finden werden, zumal jetzt, wo ihr Vorhandensein meinen Trägern bekannt ist? Gib sie mir doch, ich will sie in meine Heimat bringen. Da sollen sie in einem schönen Hause aufgestellt werden, und Menschen meines Stammes werden ehrfürchtig vorübergehen und die Seelen deiner Vorfahren ehren.« Als ich bemerkte, daß meine Worte Eindruck auf ihn machten, verdoppelte ich meine Bemühungen und Angebote, und schließlich willigte er ein, mir die älteste und schönste, die Geisterurne, zu überlassen!

27. Der alte Häuptling Malekana von Singlomboro.

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Abbildung 27. Der alte Häuptling Malekana auf Singlomboro, im Nordosten der Insel Choiseul, der mich zu den Urnen führte. Er ist der einzige Überlebende seines ausgestorbenen Dorfes und verbringt im Junggesellenheim der Missionsstation Mamarana seine letzten Lebenstage.

28. Alte Graburne aus Stein. Die Eingeborenen nennen diese Urnen dolo. Nordost-Choiseul.

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Abbildung 28. Graburne aus Stein. Die Eingeborenen nennen diese Urnen dolo. Nordost-Choiseul. Dies ist die mittlere von drei Urnen, die nach Aussage des Häuptlings von Menschen hergestellt wurden, die schon lange ausgestorben waren, als der Stamm, dem er angehörte, die Insel besiedelte. Sie ist 1,20 m hoch (um 20 cm kleiner als die in der Buchausgabe des Bibliographischen Institutes abgebildete »älteste Geisterurne«). Ich fand die Urnen auf der verfallenen Begräbnisstätte des heute ausgestorbenen Dorfes Kombokale (Melanesische Küstenbevölkerung) im Nordosten der Insel.

29. Uralte Steingefäße aus Neu-Georgien.

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Abbildung 29. Gefäße aus Stein, Neugeorgien. Ich fand dieselben auf der Insel Namada im Dorfe Bukombuko. Der runde Kochtopf besitzt einen Durchmesser von 0,30 m. Das Gefäß rechts ist 50 cm lang und hat Schildkrötenform. Die Wandstärke des oberen Randes beträgt 4 cm und nimmt gegen den Boden zu. – Die Gefäße sind uralt, die heute lebenden Eingeborenen verwenden dieselben als Kochtöpfe, sind aber nicht imstande, sie herzustellen. Es scheint sich um Reste der alten Kultur zu handeln, welcher auch die Entstehung der Urnen von Choiseul zu verdanken ist.

30. Wunderbar eingebettet im Urwald liegt Dorf Kokonga, Ost-Choiseul.

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Abbildung 30. Dorf Kokonga, Ost-Choiseul. Ehemals Inlandsbevölkerung. Das Bild zeigt den typischen, hohen, geschlossenen Urwald, mit welchem fast die ganze Insel überwuchert ist. Im Vordergrund eine Bananenpflanzung der Eingeborenen.

31. Riesenkänguruh bei einem weiten Sprung, mit dem Schwanz steuernd. New South Wales, Australien.

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Abbildung 31. Springendes Riesenkänguruh. Neusüdwales, Australien. Der lange, muskulöse Schwanz wird während der viele Meter langen Luftsprünge als Steuer benützt.

32. Herrliche Palmen und Farne der tropischen Vegetation in Nord-Queensland.

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Abbildung 32. Tropische Vegetation im Norden von Queensland, Australien. In der tropischen Feuchtigkeit sprießen die verschiedensten Farne und Palmen empor, auf den Baumstämmen entwickeln sich prächtige Orchideen.

33. Koala, die netten australischen Beutelbären.

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Abbildung 33. Koala, die netten australischen Beutelbären. Die harmlosen Tiere waren noch vor kurzer Zeit über fast ganz Australien verbreitet. Da die Häute dieser Tiere zu einem begehrten Pelzwerk verarbeitet werden, sind sie heute infolge der rücksichtslosen Verfolgung dem Aussterben nahe.

34. Brausend stürzt das Wasser der Barron-Fälle in die Tiefe. Nördliches Queensland.

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Abbildung 34. Barron-Fälle im nördlichen Queensland, Australien. Während der überwiegende Teil von Australien infolge Wassermangels Wüstencharakter zeigt, ist der nördliche tropische Teil, vor allem Queensland, reichlich mit Niederschlägen gesegnet, und mächtige Flüsse erzeugen eine märchenhafte tropische Vegetation.

Ich war überglücklich und gab sofort Befehl zum Abtransport. Kaum aber hatten wir das schwere Ding mit vereinten Kräften umgekippt, als wilde Bienen, die sich im Innern der Urne häuslich eingerichtet hatten, über uns herfielen. Die Seelen der Toten setzen sich zur Wehr! Augenblicklich ließen alle »Christen« die Last zu Boden fallen und jagten, wie von Furien gehetzt, davon. Ich aber konnte doch nicht jetzt, so nahe am Ziel, die kostbare Urne im Stiche lassen. So versuchte ich, sie allein fortzuschleppen. Ich bewältigte diese schwere Arbeit, doch fügte ich mir dabei ernste körperliche Schäden zu, die mich leider zwangen, meine Arbeit für längere Zeit zu unterbrechen.

Als ich endlich in meinem Lager angekommen war, betrachtete ich zufrieden meine steinerne Beute. Ich erinnerte mich der Steingefäße, die ich auf den Choiseul benachbarten Shortlandinseln gefunden hatte und deren Ursprung und Herstellung den heute dort wohnenden Eingeborenen vollkommen unbekannt sind. Konnten diese nicht derselben Herkunft sein wie meine Steinurnen? Es schien sich hier um Überbleibsel einer längst verschwundenen Kultur zu handeln. Auch die Angaben des alten Häuptlings, aus denen sich ergab, daß sich die Kultur seines Stammes völlig von der der melanesischen Umwelt unterscheidet, sprachen dafür.

Bei seinem Volke, um nur ein Beispiel herauszugreifen, sei Mutterrecht und Totemismus unbekannt gewesen. Es habe durchweg Vaterrecht geherrscht, während doch sonst überall in Melanesien die beiden ersten Elemente die Basis des sozialen Gefüges bilden.

Auch bei der Aufnahme der Sprachen war ich wiederholt von zahlreichen nichtmelanesischen Worten überrascht worden. Sogar meine anthropologischen Untersuchungen ergaben einen gewaltigen Unterschied zwischen den Eingeborenen von Choiseul und ihren Nachbarn. Es besteht daher für mich kein Zweifel, hier die Spur einer unbekannten älteren höheren Kultur als die der Melanesier gefunden zu haben. Erst in Indonesien lassen sich ähnliche Elemente finden. Vielleicht hatte ich eine Brücke zu der heute noch unerklärten Osterinselkultur vor mir.

Jetzt erst bedauerte ich aus tiefstem Herzen, daß es mir nicht vergönnt war, Choiseul oder Lauru, wie die Eingeborenen die Insel nennen, zu besuchen, bevor noch die europäische Zivilisation die bodenständigen Kulturen vernichtet hatte. Wie wichtig wäre doch diese unscheinbare Insel für die Wissenschaft geworden. Doch ich war um wenige Jahrzehnte zu spät gekommen. Ob es bei der immerhin geringen Anzahl von Belegen, die ich sichern konnte, gelingen wird, das Dunkel aufzuhellen, ist leider ungewiß.


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