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Beim deutschen Zauberer auf Owa Raha

Es war kein Zufall, daß ich gerade auf dieser ewig schwankenden Insel mit meiner Arbeit begann. Eines der schwierigsten Dinge im Verkehr mit den Eingeborenen ist die Verständigung. Wohl ist es möglich, mit Hilfe des Pidgin, jenem Gemisch von Englisch und den verschiedensten anderen Sprachen, das fast alle Eingeborenen sprechen, die im Verkehr mit den Europäern leben, etwas einzukaufen oder Befehle zu erteilen. Doch sich in dieser Sprache über abstrakte Dinge, wie zum Beispiel Religion, mit den Eingeborenen zu unterhalten, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Daher war für mich die Nachricht, die ich in Europa erhalten hatte, daß auf einer der Salomoninseln schon seit vielen Jahren ein weißer Mann in engster Verbindung mit den Eingeborenen lebe, von großer Bedeutung. Dieser Mann mußte mein Dolmetsch werden. Man hatte mich zwar gewarnt, eine Landung auf seiner Insel zu versuchen, denn wiederholt sollte er den Europäern das Gastrecht verwehrt haben. Den Erzählungen nach schien er ein recht unheimlicher Geselle zu sein; einer jener Schiffbrüchigen, die sich aus den fernen Inseln des Großen Ozeans eines schrankenlosen Despotendaseins erfreuen.

Doch ich hatte alles zu gewinnen und nichts zu verlieren, und so entschloß ich mich, trotz alledem Owa Raha aufzusuchen, wo der weiße Mann leben sollte.

Ausnahmsweise war mir Fortuna gnädig gestimmt. Kurz nach meiner Ankunft, von der ich bereits erzählte, erkrankte mein unbekannter Gastgeber und wenige Tage später auch seine Frau. Mit Hilfe meiner Tropenapotheke gelang es mir bald, Linderung und Heilung zu schaffen. Zum Dank dafür stellte er mich den Eingeborenen als seinen Sippengefährten vor und bot mir sich und seine Frau als Dolmetsch und Gewährsmann an.

Er war Zauberer des Stammes geworden, und zu seiner Sippe zu gehören, war eine Empfehlung, welche die Zungen auch der mißtrauischsten und verschlossensten Eingeborenen löste. Häuptlinge und Priester enthüllten mir ihre Weisheit, und so gelang es mir, in Leben und Sitten der Eingeborenen einzudringen.

Kaum weniger interessant aber waren die Dinge, die mir der weiße Zauberer aus seinem eigenen Leben erzählte und das, was ich später in Tulagi von den Regierungsbeamten über ihn erfuhr.

Er war der Hamburger Seeoffizier Heinrich Küper und kam lange vor Beginn des Weltkrieges in die Südsee. Auch ihn gelüstete es, wie so vielen, das romantische Leben ursprünglicher Eingeborener kennenzulernen. Er siedelte sich auf der Südostspitze von San Christoval an und begann Kokospalmen zu pflanzen.

Dies war damals in der Südsee ein aussichtsreiches Beginnen, denn jeder, der nur mit einiger Ausdauer an seiner Plantage arbeitete, konnte mit Sicherheit damit rechnen, in wenigen Jahrzehnten ein reicher Mann zu sein.

Doch fehlte dem jungen Ansiedler eine Frau, und er ging daran, ein schwarzes Mädchen zu erobern. Es ist in diesem Teil Melanesiens nicht schwer, die Gunst eines Mädchens zu erlangen. Man muß sich nur an ein älteres Mitglied der Familie der Auserwählten wenden und entsprechende Geschenke in Aussicht stellen.

Da war eine Schöne, die Küper ganz besonders gefiel. Doch durch Unachtsamkeit verletzte er ihre Eitelkeit, die Kleine schmollte und wollte von ihm nichts mehr wissen. Da gab ihm ein Alter, der zur Familie des Mädchens gehörte, den Rat, bei Neumond, wenn die Mädchen mit Fackeln nach Langusten suchen, an den Strand zu gehen und zu versuchen, die Gekränkte umzustimmen.

Das ließ sich Küper nicht zweimal sagen, und in der nächsten mondlosen Nacht legte er sich auf die Lauer. Mit Freude sah er, wie das Mädchen, nur von einer Freundin begleitet, das Dorf verließ. Stundenlang verfolgte er den Schein der beiden Fackeln, bis sich die Fischerinnen auf den Heimweg machten. Der Pfad führte an einem Felsen vorüber. Hinter diesem verbarg er sich und wartete. Die Freundin ging voraus, und er ließ sie unbehelligt vorbeigehen. Als die Auserwählte in seine Nähe kam, griff er plötzlich nach ihr und umschlang sie von rückwärts. Doch er hatte nicht bedacht, daß die Fischerinnen auf dem Rücken Netze tragen, in denen sie ihre Beute verwahren. Die spitzen Stacheln der Langusten und anderer Kerbtiere drangen ihm tief in die Haut. Das Mädchen glaubte, ein böser Buschgeist habe sie ergriffen und wolle sie töten. In ihrer Todesangst erstarb der Hilferuf auf ihren Lippen zu einem schwachen Seufzer. Die Eingeborenen aber hören gut. Augenblicklich drehte sich die Freundin um und meinte im Halbdunkel eine Geistergestalt zu erkennen. Trotzdem ließ sie ihre Gefährtin nicht im Stich, wie Küper es erwartet hatte, sondern stürzte sich heldenmütig mit ihrer Fackel auf den durch die Langustenspitzen halb betäubten Schwerenöter. Sobald nun das bedrohte Mädchen Hilfe herannahen sah, erwachte auch in ihr der Wille zur Verteidigung. Die Fackel war ihren Händen entglitten, aber nicht verlöscht, und im Nu gingen die Tapferen wie gereizte Löwinnen auf den enttäuschten Küper los. Sie schlugen ihm die Fackel über den Kopf, verbrannten ihm Kleider und Haare, und nur schleunige Flucht rettete ihn vor schweren Verletzungen.

Die Mädchen liefen laut schreiend ins Dorf, erzählten, sie seien von einem bösen Ataro überfallen worden und alarmierten die Krieger. Die Männer ergriffen Kriegskeulen und Speere und machten sich auf die Verfolgung des bösen Geistes. Küper mußte sich, zerkratzt, zerschunden und am Körper verbrannt, während der ganzen Nacht versteckt halten, um nicht in der Dunkelheit als Teufel erschlagen zu werden. Tags darauf gab es allerdings ein großes Gelächter, und der Weiße bildete den Gesprächsstoff für die Eingeborenen von nah und fern.

Küper sah ein, daß er die Sache nicht richtig angefangen hatte, und nahm sich vor, bei seinem Liebeswerben künftighin die Ratschläge alter Männer nicht zu befolgen. Als er eines Tages zwei Mädchen am Strande von Owa Raha baden sah, ging er keck auf sie zu und fragte die eine, die ihm besonders gut gefiel, ob sie mit ihm gehen wolle.

Das Mädchen musterte den schmucken Burschen, nickte und folgte ihm in sein Haus. Lange aber sollte die Freude nicht dauern. Zwei Tage später erschien ein mächtiges vollbemanntes Kriegskanu. Die Eingeborenen forderten die Rückgabe des Mädchens und drohten im Falle der Weigerung mit Krieg. Die Lage Küpers wurde gefährlich, der Sprecher, ein Sohn des Häuptlings, hob die Lanze. Da riß der Weiße sein Gewehr an die Backe und schoß … bäng, machte die Flinte – sie war nicht geladen, doch die erschrockenen Eingeborenen flohen. Nun steckte Küper rasch eine Menge Patronen zu sich und stürmte ans Ufer.

Es gab nur eine einzige schmale Passage durch das Riff. Das schwere Kriegsboot mußte hindurch, wollte es nicht an den spitzen Korallenfelsen zerschellen. Küper nahm hinter einem Baum Deckung und schoß. Die Eingeborenen ruderten so rasch sie konnten, das Entsetzen steigerte ihre Kräfte, doch Schuß um Schuß spritzte daher und riß ein Loch nach dem andern in die Perlmutterverzierung des Bootes, Küper aber war klug genug, es nicht zu einem Blutvergießen kommen zu lassen, denn dann wäre eine Versöhnung nicht ohne schwerste Opfer möglich gewesen.

Wenige Tage später erschien ein anderes Kanu, und in ihm erkannte das Mädchen, das zu Küper hielt, ihren Vater. Dieser war Häuptling des mächtigsten Klans. Er ging auf seine Tochter zu und fragte sie, ob sie mit ihrem Los zufrieden sei und bei dem weißen Manne bleiben wolle. Als sie die Frage lächelnd bejahte, ward der alte Mann milde gestimmt und segnete den Liebesbund. Nur weil es die Sitten heischten, verlangte er einige eiserne Kochtöpfe als Kaufpreis, die ihm von Küper auch richtig geliefert wurden. Er hatte nun eine Frau und lebte auch mit den Eingeborenen in Frieden. Sie gebar vier Kinder, die wie sonngebräunte Europäerkinder aussehen. Nach dem Tode ihres Vaters erbte die Frau die Häuptlingswürde und hielt ihr ganzes Leben lang treu zu ihrem Mann. Niemals hat sie ihn im Stich gelassen. Küper vergrößerte sein Haus, und Owa Raha wurde ihm seine zweite Heimat.

Doch mit der Rolle eines Prinzgemahls gab sich der Weiße nicht zufrieden. Bewog ihn sein Ehrgeiz oder seine Schlauheit – jedenfalls brachte er es zum wohlbestallten Oberzauberer der Insel. Zwar bediente er sich hierbei einiger Mittel, die uns Europäern nicht unbedenklich erscheinen mögen. Doch sie führten zum Ziele.

Es war zur Zeit eines großen Erdbebens. Die Eingeborenen glaubten, das Ende der Welt sei hereingebrochen und die ergrimmten Geister hätten beschlossen, sie mit Kindern und Kindeskindern auszurotten. Da sagte Küper in prophetischen Worten das baldige Ende der Katastrophe voraus. Als nun wirklich am nächsten Morgen die Sonne in strahlendem Licht über den Horizont aufging und zarte weiße Wölkchen die schwarzen Gewitterwolken der Sturmflut verdrängt hatten, glaubten die verschüchterten Eingeborenen, der Weiße habe dies Wunder kraft seiner übernatürlichen Fähigkeiten zustande gebracht. Welch ein mächtiger Zauberer mußte er doch sein!

Doch zu Küpers Ehre sei gesagt, daß er seine »übernatürlichen Kräfte« niemals zum eigenen Vorteil ausnützte, wie dies viele andere tun, die sich in der Südsee angesiedelt haben. Er gebrauchte im Gegenteil die Macht, die ihm das Geschick über seine schwarzen Untertanen eingeräumt hatte, dazu, diesen nach bestem Können zu helfen.

Nur allzuoft werden durch die Schiffe der Missionen und Händler todbringende Epidemien auf die Salomonen eingeschleppt. Krankheiten, die für den Weißen kaum gefährlich sind, da er im Verlauf von Generationen eine hochgradige Immunität erworben hat, können für die Eingeborenen im höchsten Maße unheilvoll sein. Wer stirbt bei uns noch an Keuchhusten oder Influenza? Die Eingeborenen sind an derartige Krankheiten nicht gewöhnt und werden von ihnen dahingerafft. Sie, die recht gute medizinische Kenntnisse besitzen, wenn es sich um Behandlung gewisser einheimischer Krankheiten handelt, stehen den eingeschleppten Seuchen völlig hilflos gegenüber.

Küper, von Natur aus sehr intelligent, erhielt Anweisungen und Ratschläge vom Arzt der Regierung. Die Eingeborenen vertrauen ihm, dem Zauberer, viel mehr als dem unheimlichen Arzt, der die Insel alle heiligen Zeiten einmal in seinem Schifflein besucht. Heute sterben überall auf den Salomonen die Eingeborenen mit erschreckender Schnelligkeit aus, nur so weit der Einfluß des weißen Zauberers reicht, scheint die Gefahr gebannt.

Noch eine andere Wohltat erweist er seinen Schützlingen: Die Zivilisation, oder sagen wir besser, ihre Auswüchse von seinem Gebiet fernzuhalten. Chinesische Händler erschienen und versuchten den Eingeborenen europäischen Tand im Tausch gegen ihre kostbaren Kokosnüsse aufzuschwatzen. Voll Entrüstung sieht Küper, wie schmutzige Kattunfetzen, Glasperlen und Tabak eine Bresche in das alte Volkstum zu schlagen beginnen. Da macht er einen großen Zauber und verkündet den Eingeborenen, daß jeder in Hinkunft sterben müsse, der sich von einem der Gelben schlechte Waren aufdrängen ließe. Als die Chinesen das nächste Mal erschienen, waren sie sehr überrascht, daß ihr Schiff nicht wie das erstemal von vielen Kanus der Eingeborenen umlagert wurde. Sie schickten Boten in die Dörfer – vergeblich –, kein Kunde ließ sich blicken. Als es ihnen auch bei ihren nächsten Versuchen nicht besser erging, blieben sie aus. Und die Eingeborenen sind vor der Zivilisation, die chinesische Händler verbreiten, bewahrt geblieben.

Die folgende Begebenheit nun hat mir bezeichnenderweise nicht Küper selbst erzählt, sondern ein englischer Beamter der Regierungsstation Tulagi.

Zur Zeit des Weltkrieges wurde Küper von den Engländern gefangengenommen und in Tulagi dem höchsten Distriktsbeamten vorgeführt. Sehr kurz angebunden fragte ihn dieser: »Was sind Sie?« »Ein Deutscher«, antwortete Küper. Darauf der Beamte etwas milder: »Das ist richtig, doch Sie haben Frau und Kinder auf Owa Raha, und die Insel ist ihre Heimat geworden. Was würden Sie tun, wenn ein deutsches Kriegsschiff in Ihrem Hafen ankerte?« »Dasselbe, was Sie an meiner Stelle täten«, war die Antwort des Deutschen. Durch die Schar der versammelten englischen Offiziere ging ein Ruck, und der Distriktsbeamte sagte: »Dann muß ich Sie leider internieren.« Küper wurde abgeführt, der Engländer aber wandte sich an seine Offiziere mit den Worten: »Einmal ein tapferer Mann!«

1. Die Kinder beglückwünschen freudig den jungen Häuptling (rechts) bei der feierlichen Übergabe seines ersten Kanus.

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2. Jubelnd trägt der junge Häuptling an der Spitze der Kinder sein Kanu ins Wasser.

Abbildung 1-2. Damit ein junger Häuptling dereinst die Würde seines Vaters übernehmen kann, muß dieser eine Reihe großer Opferfeste veranstalten, deren Mittelpunkt der junge Häuptling ist. Bei einem dieser Feste wird dem Knaben in feierlicher Weise sein erstes Kanu übergeben. Die Abbildung zeigt, wie die festlich geschmückten Kinder dem jungen Häuptling Glück wünschen. Im Hintergrund sieht man ein Stück des auf einem Festgerüst aufgestellten Kanus. Abbildung 2. Das Kanu des jungen Häuptlings wird jubelnd ins Wasser getragen, die Muscheln, mit welchen es verziert ist, sind für die Eingeborenen wertvolles Geld. Insel Owa Raha.

3. Ein glückliches Brautpaar im Hochzeitsschmuck.

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Abbildung 3. Ein Brautpaar im Hochzeitsschmuck. Der Bursche trägt ein aus Tridacna geschnittenes Häuptlingszeichen in der durchbohrten Nasenscheidewand. Der Schmuck besteht aus kleinen, in mühseligster Weise rund geschliffenen Blättchen seltener Muscheln und den Zähnen von Hunden, fliegenden Hunden und Tümmlern. Der Schmuck dient gleichzeitig als Geld, ist sehr kostbar, vererbt sich von Generation zu Generation weiter und ist heutzutage äußerst selten geworden. Insel Owa Raha.

4. Das Werfen von Kriegsspeeren wird mit Ausdauer geübt.

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Abbildung 4. Werfen von Kriegsspeeren. Um nach dem Abwurf nicht wehrlos zu sein, wird stets ein zweiter Speer in der Linken gehalten. Die Speere sind aus hartem Holz hergestellt und mit schönen Ornamenten verziert. Insel Owa Raha.

5. Szene aus einem historischen Drama in Natagera.

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Abbildung 5. Aufführung eines historischen Dramas in Natagera, Insel Owa Raha. Die Eingeborenen führen hie und da ein Drama auf, das die Eroberung der Insel durch die heute hier lebenden Melanesier vor Augen bringt. Es treten zwei Gruppen von Eingeborenen auf. Die eine stellt die Urbewohner dar, die andere die eindringenden Melanesier. Die Darsteller der Urbewohner färben ihren Körper mit hellem Lehm lichtgelb, tragen eine Maske und sind mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Sie trachten bei der Aufführung möglichst klein zu erscheinen und klettern auf den Bäumen umher. Die Darsteller der Melanesier geben ihrem Körper durch das Einreiben von Holzkohlenstaub eine schwarze Farbe. Sie tragen Speere (die Bewaffnung der Melanesier) und nehmen im Lauf des Spieles von der Insel Besitz. Diese Aufnahme zeigt, wie sich die beiden Anführer der Gruppen, links der Melanesier, rechts der Ureinwohner, zögernd umkreisen.

6. Der mächtige Schutzgeist der Bonitofische im sakralen Kanuhaus auf Owa Riki.

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Abbildung 6. Der Schutzgeist der Bonitofische im sakralen Kanuhaus auf Owa Riki, Dorf Mamako. Bonitofische sind eine Thunfischart, die von den Eingeborenen für heilig gehalten werden. Sie stehen nach deren Vorstellung unter besonderem Schutz von Geistern und sakralen Haien. Die Abbildung zeigt die Darstellung eines Schutzgeistes der Bonitofische, der die Zierfigur vom Bug eines sakralen Bonitofischkanus (bestehend aus einem Fregattvogelkopf mit einem Bonitofisch im Schnabel) auf den Armen hält.

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7-9. Zeichnungen des Priesters Pirinisau aus dem Dorfe Natagera. Erklärungen zu denselben siehe Seite 57.

Abbildung 7-9. Zeichnungen des Priesters Pirinisau aus dem Dorfe Natagera, Insel Owa Raha. Es ist das erstemal, daß es gelungen ist, einen melanesischen Priester zu bewegen, Darstellungen aus seiner Ahnen- und Geisterwelt eigenhändig zu Papier zu bringen. Die Zeichnungen sind daher wissenschaftlich von größter Bedeutung.

10. Innenaufnahme des sakralen Kanuhauses von Natagera. In den holzgeschnitzten, mit Tridacnamuscheln ausgelegten Fischen sind die Schädel der Häuptlinge und Adeligen bestattet.

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Abbildung 10. Innenaufnahme des sakralen Kanuhauses von Natagera, Insel Owa Raha. In den holzgeschnitzten und mit Tridacnamuschelschalen schön ausgelegten Fischen sind die Schädel von Häuptlingen und Adeligen bestattet. Die menschliche Plastik stellt einen Ahnen des Häuptlings dar, welcher das Kanuhaus seinerzeit erbaut hat.

Heinrich Küper hatte sein männliches Verhalten nicht zu bereuen. Die Engländer brachten ihn nach Friedensschluß wieder auf seine Plantage zurück, und heute lebt er wie vor dem Kriege auf Owa Raha im Kreise seiner Familie.

Immer unvergeßlich werden mir die deutschen Weihnachten sein, die ich auf seiner einsamen Insel, inmitten des Großen Ozeans, verbracht habe. An einem Tisch saß Heinrich Küper mit seiner Frau Kafagamurirongo (der Name bedeutet das rote Muschelgeld, das nach einem Fest gegeben wird), umringt von seinen Kindern, die zum festlichen Anlaß weiße Kleidchen anhatten. Am Nachbartisch war die Familie der Frau versammelt. Mit nackten Oberkörpern, über und über mit Muschelschmuck behangen, saßen Männer und Frauen an dem ihnen ungewohnten Tisch und wußten nicht, was sie mit so seltsamen Dingen, wie Tellern und Gabeln, beginnen sollten.

Nach dem Mahl folgte die Bescherung. Ein kleines Christbäumchen, das Küper aus den Blättern exotischer Bäume angefertigt hatte, wurde mit Kerzen aus Kokosnüssen besteckt, und leuchtende Kinderaugen betrachteten die auf dem Gabentisch ausgebreiteten Geschenke. Schmuck aus Perlmutter und Schildpatt, Messer und Muschelpuppen erfreuten gewiß ebenso wie bei uns die Erzeugnisse europäischer Spielwarenindustrie. Vollends beglückt war der Älteste über einen mächtigen Haken zum Fangen von Haifischen, und zur größten Überraschung der anwesenden Verwandten erhielt das kleinste Mädchen ein sich durch Federwerk fortbewegendes europäisches Spielzeug, das Küper – niemand wußte woher – »gezaubert« hatte.

Wie eine dichte Mauer umgaben uns die Eingeborenen in ihrem uralten Festschmuck. Lautlos, mit weitgeöffneten Augen, starrten sie den weißen Zauberer und das leuchtende Bäumchen an und nahmen einen Funken des Mysteriums des Christentums in sich auf.


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