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Vorstoß ins Innere

Mitternacht war schon vorüber, als wir Abau erreichten, eine auf einer winzigen Insel gelegene Regierungsstation. Von hier aus wollte ich mit Trägern in das unbekannte gebirgige Hinterland vorstoßen. Doch die Nachrichten lauteten so ungünstig als möglich. Vor wenigen Monaten hatte längs der Küste eine Influenzaepidemie gewütet. Überdies kam fast gleichzeitig aus dem Norden quer durch das ganze Land eine schwere Dysenterieepidemie gezogen. Bevor noch die Regierung eingreifen konnte, ja bevor man die ersten Nachrichten erhielt, waren schon Tausende der Eingeborenen daran zugrunde gegangen.

Da die Inlandsdörfer seit jeher nur aus wenigen Hütten bestanden, schien es unter diesen Umständen aussichtslos, Träger in den Dörfern aufzutreiben. Benötigte ich doch bei größter Einschränkung mindestens acht bis zehn Mann. Doch ich wollte unter allen Umständen mein Glück versuchen.

Der Distriktsbeamte stellte mir einen schwarzen Korporal zur Verfügung, der mir bei der Anwerbung von Trägern behilflich sein sollte.

Doch gerade in der Nähe von Abau hatten die Epidemien besonders arg gewütet. Daher zog ich es vor, weiter nach Westen zu fahren, und hoffte dort eine günstigere Basis für meine Expedition ins Innere zu finden.

Endlich landeten wir in Domara, einem kleinen Dorf. Die Ebbe hatte eben eingesetzt, und wir mußten daher unser schweres Fahrzeug in dem seichten Wasser vorwärts stoßen. Schließlich sprang ein Bursche über Bord, um anzuschieben. Da vernahm ich einen Entsetzensschrei und sah ihn nach dem Ufer laufen, wie wenn ihm der Teufel im Nacken säße. Ein mächtiges Krokodil lag gerade auf der Lauer, und der Junge hatte es nur einem glücklichen Zufall und seiner Geschwindigkeit zu danken, daß ihm seine Rettung gelang. Tatsächlich erfuhren wir später, daß es hier von großen »Menschenfressern« wimmelte und alle Augenblicke Hunde und Schweine in den Mägen der gefräßigen Bestien verschwanden.

Domara ist das letzte Dorf nach Westen, das von denselben Eingeborenen besiedelt ist wie die Insel Mailu. Ich nahm daher an, daß sich meine Mannschaft, die ich an der Küste zurücklassen mußte, unter ihren Volksgenossen recht wohl fühlen würde und ich auch leichter Träger auftreiben könnte.

Der Korporal ließ den Dorfpolizisten kommen. Da wurde ich mit einer Sitte vertraut, die mir von Afrika her in übler Erinnerung ist. In jedem Dorf lebt ein von der Regierung ernannter Polizist, der nach dem Rechten zu sehen hat. Während aber in gewissen nichtbritischen Teilen Afrikas z. B. diese Polizisten grundsätzlich einem anderen, meist sogar feindlichen Stamm entnommen werden, begnügen sich hier die Engländer damit, einen Ortsansässigen zu wählen, der sich schon vor seiner Ernennung bei seinen Volksgenossen eines besonderen Ansehens erfreut. So kommt es denn, daß diese Vertrauensleute der Regierung in Afrika ihre verhaßten Untergebenen in unerhörtester Weise ausbeuten und drangsalieren, während sie in Papua als geachtetes Bindeglied zwischen Regierung und Eingeborenen eine wichtige Rolle spielen und dies keineswegs zum Schaden ihrer Untergebenen, deren Interessen sie oft vertreten können.

Ich hatte gehofft, Träger für die ganze Dauer meines Inlandsmarsches anwerben zu können, doch scheiterte mein Plan an der geradezu panischen Angst der melanesischen Dorfbewohner vor ihren Todfeinden, den papuanischen Inlandstämmen. Eine Angst, die allerdings nicht unbegründet ist. Alles, was ich erreichen konnte, war, daß sich die Leute gegen gute Bezahlung bereit erklärten, mir die Lasten zwei Tagereisen weit bis ins erste Buschdorf zu bringen.

Wir brachen auf, und bald umschloß uns dichter Urwald. Die Lasten waren leicht, so liefen denn die Träger mit unglaublicher Geschwindigkeit vor mir her. Im Eilschritt ging es über zahllose schlingenbildende Lianen, mit Stechpalmen bewachsene Windbrüche und durch Flüsse hindurch.

Abends lagerten wir am Ufer eines schäumenden Gebirgsbaches.

Einer der Träger, der englisch sprach, erzählte mir, daß er von den Weißen gelernt habe, Gold zu schürfen. Er habe im Innern einen reichen Claim gefunden, den er zusammen mit einigen seiner Hausgenossen eben ausbeute. Einen Sack des Edelmetalls hätten sie bereits in Port Moresby verkauft, und nun sei er dabei, zu seinem Claim zurückzukehren. Er forderte mich auf, ihn zu begleiten. Ich erkundigte mich, wie lange wir marschieren müßten. Achtzehn bis zwanzig Tage war die Antwort. Sollte ich dieses Abenteuer wagen? Einen Augenblick lang lockte das Gold. Doch die Regenzeit stand bevor. Überraschte sie mich im Innern, so mußte ich ihr Ende abwarten, bevor ich an die Küste zurückkehren konnte. Dies aber bedeutete den Verlust meiner Ausrüstung und vor allem meines exponierten, noch unentwickelten Negativmaterials, das eine so lange und feuchte Lagerung nicht vertragen würde. Und wie konnte ich wissen, ob es wirklich Gold war, was der Eingeborene gefunden hatte? Geradezu unverantwortlich wäre es unter solchen Umständen gewesen, mich auf das gewagte Abenteuer einzulassen. So lehnte ich denn ab und sah mit etwas gemischten Gefühlen den Eingeborenen im Busch verschwinden.

Aber ich sollte nochmals von ihm hören. Als ich mich viele Monate später in Port Moresby bei den hilfreichen Regierungsbeamten verabschiedete, sprachen wir zufällig über die neuesten Goldfundberichte aus Deutsch-Neuguinea. Da sagte ein Beamter: »Viel Gold muß auch in Papua zu finden sein. Hören Sie, was ich selbst vor nicht langer Zeit erlebt habe. Es kam ein Eingeborener mit einem Sack voll Gold und erzählte mir, er habe es im Innern gefunden. Er bat mich, es für ihn einzuwechseln, und verschwand wieder im Busch, ohne mir zu sagen, wo er das Vermögen gefunden hatte.« Es war derselbe Eingeborene, der mich zu seiner Fundstelle führen wollte!

Im ersten Buschdorf angekommen, verabschiedeten sich meine Träger, die Salzwasserleute, wie sie hier im Gegensatz zu den im Innern wohnenden Buschleuten genannt werden, und schon begannen die Schwierigkeiten. Das Dorf war klein, einige Männer waren Epidemien zum Opfer gefallen, und ich konnte nicht genügend Träger auftreiben. Ich mußte einen Boten ins nächste Dorf schicken und bis zur Rückkehr der Männer warten.

Außer den Trägern waren mir nur zwei Burschen von der Küste her gefolgt. Mein Koch und der jüngere Bruder des Kapitäns, der sich freiwillig erbötig gemacht hatte, mich die ganze Zeit über zu begleiten.

Nun hatten die guten Domaraleute dem Jungen derartige Schaudergeschichten über die grausamen Buschleute erzählt, daß er plötzlich den Mut verlor und mir erklärte, er wolle mir um keinen Preis weiterhin folgen, sondern zusammen mit seinen Volksgenossen umkehren. Mit nur einem Jungen aber, dem Korporal und acht Trägerlasten ohne Träger wäre der Vorstoß ins Innere aussichtslos gewesen. Sollte ich unter diesen Umständen umkehren? Doch ich wollte nicht schon am zweiten Tage die Flinte ins Korn werfen.

Zuerst schlug ich dem Jungen in strengem Ton sein Verlangen rundweg ab und erinnerte ihn daran, daß er sich mir freiwillig angeboten hatte. Dann warnte ich ihn davor, auszureißen, da dies sowohl ihn als auch den anderen, die sich unterfangen würden, ihm zur Flucht zu verhelfen, teuer zu stehen kommen könne. Dann machte ich dem Eingeschüchterten klar, daß eine Flucht allein für ihn den sicheren Tod bedeute, da sich die wilden Papuas gewiß ein Vergnügen daraus machen würden, einen so gut genährten Burschen am Spieße zu braten. Außerdem bewachte ich ihn aufs schärfste, auch nachdem uns die Domaraleute schon längst verlassen hatten. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen, er dachte nicht mehr an Flucht. Er wich nicht von meiner Seite, fühlte er sich doch nur in meiner unmittelbaren Nähe vor einem Hinterhalt der Buschleute einigermaßen sicher. Der auf dem Schiff so heitere Knabe war von nun an völlig verändert. Kein Laut kam mehr über seine Lippen, und sein Gesicht war wie versteinert. Kein Lächeln bewegte seine Mienen, solange wir von seinen Gefährten an der Küste getrennt waren.


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