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XXIX.
Wie man in Indien reist.

Unter die Götzen, die in Indien angebetet werden, zählt auch der weiße Mensch. Vielleicht ballt der vornehme Hindu die Hand in der Tasche, er haßt und verachtet vielleicht seinen Ueberwinder; äußerlich aber ist er ganz aus Hochachtung und Unterwürfigkeit zusammengesetzt. Die Engländer haben sich das furchtbare Kastenwesen klug zunutze gemacht und sich selbst, das heißt die ganze weißhäutige Rasse, an die Spitze aller Kasten gesetzt. Wie wäre es auch sonst möglich, fünfhundert Millionen Menschen mit einer Handvoll Soldaten, die überdies den unterworfenen Völkern entnommen sind, in Schach zu halten? In den Augen des Volkes ist der Weiße ein ganz anders geartetes Wesen mit seltsamen Eigenschaften. Seine Kaste verbietet ihm jede, auch die geringste körperliche Arbeit, die notwendige Bewegung verschafft er sich durch den Sport; in der freien Luft bewegt er sich in der Regel nur kurz nach Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang, aber nicht während der heißen Tagesstunden; zu Fuß zu gehen, wäre ihm eine Schande und würde sehr unliebsam auffallen, er erscheint in einem Wagen oder hoch zu Roß; viele Diener müssen ihn bedienen, sein Bad bereiten, die Luft mit Fächern kühlen und ihm bei den einfachsten Verrichtungen behilflich sein; die Speise der Eingeborenen wäre Gift für ihn, nicht einmal Brot kann er essen, wenn es zuvor nicht geröstet ist; wo er erscheint, sei es auf der Post, auf der Eisenbahn, bei Gericht, überall muß das farbige Element vor ihm zurücktreten. Selbst auf den weißen Landstreicher, der sich auf seiner Walze nach Indien verirrt, fällt ein Strahl dieser Herrlichkeit; in der letzten Wagenklasse, die er benutzt, wird ihm ein gesondertes Abteil angewiesen, in das kein farbiger Mensch eintreten darf, der Herr Stationsvorsteher selbst, gewöhnlich ein Eurasier, geleitet den Sahib in sein Appartement; hat er kein Geld, so müssen ihm die Regierungsbeamten freie Fahrt bis zur nächsten größeren Station geben, sogar Zehrgeld obendrein, auch die staatlichen Rasthäuser darf er unentgeltlich benutzen, und beträgt er sich schlecht, beschwindelt oder verhaut er die Eingeborenen, dann darf kein farbiger Polizist Hand an ihn legen, nur ein weißer Beamter darf ihn verhaften. Der Grund aller dieser Bevorzugungen, selbst dem mittellosen Strolch gegenüber, liegt auf der Hand: das Prestige der weißen Rasse muß aufrechterhalten werden.

Reist schon der Mittellose gleich einem Fürsten, der Begüterte braucht mit keinem König zu tauschen. Da die indischen Eisenbahnen aus wohlerwogenen Gründen, die sich im Verlaufe dieser Skizze von selbst ergeben werden, keine Schlafwagen führen, erhält jeder Reisende erster oder zweiter Klasse während der Nacht eine ganze Bank zugewiesen. Nicht der Schaffner, sondern der Stationsvorsteher weist die Plätze an, die überall vorher bestellt werden müssen. Der deutsche Reisende, an ein Beamtentum gewöhnt, das sich über das Publikum stellt, von dem es besoldet wird, fällt unaufhörlich von einem Erstaunen ins andere. Just ist man in einer Stadt angekommen, in der man sich, sagen wir zwei Tage, aufhalten will. Der Zeitersparnis halber begibt man sich sofort in das Bureau des Stationsvorstehers, um gleich den Platz für die Weiterreise zu belegen. Der Herr Vorsteher, ein großgewachsener, bildhübscher Eurasier (Abkömmling eines Engländers und einer Eingeborenen), ist gerade riesig beschäftigt, eine Schar von farbigen Beamten umgibt ihn, denen er Papiere auszufertigen hat. Der Weiße erscheint in der Tür und es ist, als ob die Sonne aufgeht. Mit ehrerbietigem, höflichem Lächeln tritt alles zurück, der Stationsvorsteher reißt die Mütze vom Kopf und springt auf, um sich vor dem Götzen zu verneigen. Schweigend schiebt er seinen Stuhl hin, er ist zu sehr von Respekt erfüllt, um den hohen Besucher anzureden, und erwartet unterwürfig dessen Anrede. Im Nu ist Name, Wagenklasse und Reiseziel in ein Buch eingetragen, und am nächsten Abend findet der Reisende unfehlbar eine ganze Bank im Zuge für ihn reserviert, an das Fenster des Abteils ist ein Zettel mit seinem Namen angeklebt.

Nur in wenigen indischen Großstädten gibt es Gasthäuser für Europäer, aber es ist dennoch für Unterkunft gesorgt. Die Regierung unterhält Rasthäuser, sogenannte Dák Bungalows, in denen man sich vierundzwanzig Stunden gegen geringes Entgelt aufhalten darf; ein Beamter ist vorhanden, der den Reisenden bedient und speist; an anderen Orten weist die Bahnhofsstation eine Anzahl von Betten für Europäer auf, und wo auch diese fehlen, hat jeder Reisende ohne weiteres das Recht, im Wartesaal zu übernachten.

Es scheint, daß Indien für den Reisenden ein Art Paradies ist, aber es scheint nur so, denn in Wirklichkeit ist es ein Paradies mit Fußangeln und Fallgruben. Zu den Eigentümlichkeiten des Wunderlandes mit seinen unvergleichlichen Bauwerken aus alter Zeit und seinem märchenhaften Volksleben gehören vier andere Erscheinungen, denen man weniger gern begegnet und dennoch nicht aus dem Wege gehen kann: die Pest, die Cholera, die Pocken und die Malaria. Die Pest wird durch Ratten und Wanzen verbreitet, die Cholera durch Feuchtigkeit in jeder Form, die Pocken durch unvermeidliche Begegnungen und die Malaria durch Stechmücken. Infolgedessen ist auf der Reise ungefähr alles tabu, was einem vorgesetzt wird. Wasser ist unter allen Umständen so gut wie Gift; da es auch in der Butter, im Tee, im Kaffee, kurz, in den meisten Speisen vorkommt, so weiß man nie, was man von ihnen zu halten hat. Der Tee, der serviert wird, ist nicht ganz heiß. Halt, sagt man zu sich selber, vielleicht hat das Wasser nicht ordentlich gekocht; lieber nicht, und man schiebt ihn zurück. Die Butter? Nein, ebenfalls lieber nicht. Ein für allemal von der Speisekarte verbannt. Selterwasser und Brause nebst anderen Limonaden sind trotz des nie schweigenden tropischen Durstes in Verruf erklärt, denn trotz des europäischen Zettels können sie doch im Lande hergestellt sein, und dann enthalten sie die Cholera. Man könnte sich zur Stillung des Durstes mit tropischen Früchten helfen, aber auch das geht nicht, denn die Dysenterie droht. Das Fleisch ist überall hundsmiserabel. Reis, Geflügel, Toast bleiben übrig, die man mit einiger Ruhe genießen kann. Man reist also als hochgeehrter Sahib wie ein Fürst und magert dabei zusehends ab. Am meisten tabu ist aber das Bett. Aus diesem Grunde sieht man in Indien jeden Europäer, der die Eisenbahnen benutzt, mit einem großen, wasserdichten, verschließbaren Sack bewaffnet. Ohne diesen Sack, der gewöhnlich aus grünem oder braunem Segeltuch hergestellt ist, kein Europäer. Der mysteriöse Sack enthält ein vollständiges Bett nebst Bezügen, Handtüchern und Reisedecke. Der Boy oder Bediente, ohne den ebenfalls kaum ein Sahib anzutreffen ist, trägt das Bett überall hinter seinem Herrn her. Wer ohne Boy reist, was selten vorkommt, ruft auf jeder Station zuerst mit durchdringender Stimme das Wort: » Coolie!«, worauf ein fast nackter Hindu niederer Kaste erscheint und den unvermeidlichen Sack auf den Kopf nimmt.

*

Was mich betrifft, so habe ich auf den Boy verzichtet, um die Berührung mit allen Zufälligkeiten des Lebens und Reisens nicht zu vermeiden. Es geht auch so, nur muß man sich daran gewöhnen, zuweilen sein Bett selbst zu machen und auch sonst für alle Bedürfnisse vorzusorgen. In den indischen Großstädten, wie Bombay und Calcutta, merkt der Reisende freilich kaum, daß er sich im Auslande befindet – das nervenaufreibende Klima natürlich abgerechnet. Die großen Hotels, wie das bekannte Taj Mahal in Bombay oder das Gall Face-Hotel in Colombo, sind mit großem Luxus ausgestattet und bieten dem Gaste alles, was sein Herz nur wünschen kann: exquisite internationale Küche, windgekühlte Räume mit unzähligen elektrischen Fächern, eine unabsehbare farbige Dienerschaft, Musik und den Ausblick auf das Meer.

Im Innern des Landes ändert sich das Bild. Die erste Nacht auf der Eisenbahn rückt heran. Der ungeheure Staub der sonnverbrannten Ebenen hat den ganzen Zug außen und innen mit einer gelben Kruste überzogen. Die primitiven Wascheinrichtungen genügen nicht, den Körper sauber zu halten. Bald sieht man aus wie ein Hindu. Aber man gewöhnt sich an das Unvermeidliche und auch daran, überall im Nu ein Heim aufschlagen zu können. Mit der größten Ungeniertheit entkleiden sich die drei oder vier Passagiere und schlüpfen in die Pyjamas, öffnen den mysteriösen Sack und verwandeln die lange Bank in ein Bett. Kissen und Decken werden bezogen, das weiche Unterbett, Razai genannt, aus die Bank gelegt, und ermüdet von der gewaltigen Hitze des Tages, schläft man trotz Rüttelns und Schüttelns bald den Schlaf des Gerechten. Allerdings darf man häufig nur mit einem Auge schlafen, nämlich dann, wenn man in der Nacht oder früh am Morgen aussteigen soll.

Als ich von der uralten Stadt Schajehanabad, die heute Delhi heißt, nach der berühmten rosenroten Märchenstadt Jaipur reiste, legte ich mich mit Besorgnis auf meine Schlafbank, denn in der Morgenfrühe zwischen vier und fünf Uhr mußte ich den gastlichen Zug verlassen. Zur Sicherheit zitierte ich den Herrn Stationsvorsteher, dieser wieder den Zugführer, der Zugführer den Wagenschaffner, der hoch und heilig schwor, den Sahib um vier Uhr des Morgens zu wecken. Nachdem er ein gutes Trinkgeld erhalten hatte, legte er die Hand an die Stirn und schwor noch einmal bei dem Andenken seines Vaters, die Stunde nicht zu versäumen. Als ich ihn aber fragte, ob er auch den Zug während der ganzen Nacht begleite, sagte er ganz naiv: nein, er ginge schon auf dieser Station ab, würde aber seinem Nachfolger einen heiligen Eid abnehmen, den Sahib nicht im Stich zu lassen. Nachdem die Wagentür geschlossen war, erhob sich mein einziger Mitpassagier, ein dicker, brauner Hindu hoher Kaste, von seinem Lager und sprach: »Herr, du hättest das Trinkgeld sparen können, ich werde dich wecken.« – »Und wenn auch du verschläfst?« meinte ich. – »Unmöglich,« erwiderte er, »seit meiner Jugend bin ich gewohnt, schon früh um vier Uhr mein Morgengebet zu sprechen, und mein Gehirn ist deshalb wie eine Weckuhr, ich wache ganz unfehlbar präzise um vier Uhr auf.« Trotz all dieser Versicherungen legte ich mich gestiefelt und im Khaki-Anzug nieder und schlief bald wie ein Toter.

Plötzlich erwache ich mit einem Ruck, wirre Geräusche umschwirren mich und ein kalter Hauch streift über das Gesicht. Als ich auffahre, sehe ich mit einem Blick das folgende Bild: die Coupétür ist offen, der Zug hält in einem Bahnhof, in der schwachen Beleuchtung rennen Eingeborene hin und her, mein dicker Hindu steht so gut wie nackt, nur mit einem bis an den Nabel reichenden Jäckchen bekleidet, in der Coupétür und wirft in überstürzender Hast seine Siebensachen auf den Bahnsteig hinaus – Bettzeug, Kissen, Decken, Koffer, Schachteln, alles fliegt hinaus.

» What's up?« rufe ich. – »Jaipur!« schreit er zurück. Im Nu bin ich auf, werfe auch meinen sämtlichen Krempel auf den Bahnsteig und springe nach. Hinter mir der Hindu. Im nächsten Augenblick fährt der Zug zur Halle hinaus. Da ich der einzige Weiße war, der in Jaipur abstieg, hatte der Hoteldiener, der mich erwartete, es leicht, mich zu finden. Angezogen war ich, der Wagen hielt vor der Tür, ein paar Kulis ergriffen mein Gepäck und ich schritt zur Halle hinaus. Das letzte, was ich von meinem dicken Hindu sah, war ein Bild für Götter. Er stand, von seinem Jäckchen abgesehen, im Adamskostüm mitten auf dem erleuchteten Bahnsteig; um ihn herum, am Boden wild verstreut, seine Kleider, Betten, Koffer und Schachteln.

Das erste, wofür in jedem Hotel oder Rasthaus gesorgt wird, ist immer das Bad. Das zweite Verlangen richtet sich auf die Kühlung. In dritter Linie erst kommt die Speise. Wo Zimmer in Bahnhofsstationen vorhanden sind oder in staatlichen Rasthäusern wird für die Kühlung auf sehr sonderbare Weise gesorgt. Quer über den Raum ist ein mächtiges Stück Velvet gespannt, die Punka, die während der ganzen Nacht in schwingender Bewegung gehalten wird und dem schlummernden Sahib Kühlung zufächelt. Aber es ist keineswegs eine Maschine, die acht bis neun Stunden den Riesenfächer in Bewegung hält; draußen an der Mauer sitzt ein armseliger Mensch, der Punka-Walla, ein Hindu niedrigster Kaste, der die ganze Nacht ununterbrochen an einem Tau zieht. Für diese fürchterliche Beschäftigung erhält er acht Annas, in unserem Gelde siebzig Pfennig. Häufig habe ich versucht, einem dieser Aermsten den doppelten Betrag in die Hand zu drücken, aber ich habe das Trinkgeld stets zurückerhalten; diese armseligen Menschen sind derart verschüchtert, daß sie sich sogar davor fürchten, von dem weißen Götzen ein Geschenk anzunehmen. Erheiternder ist das Uebernachten in Rasthäusern, wo ein wohlgeschulter Diener vorhanden ist. Er sorgt für das kühle Bad, legt das Bett des Gastes auf und umspannt es mit dem Moskitonetz, dann jagt er im Busch hinter irgend einem unglücklichen Huhn her, das er schlachtet, zurichtet und auftischt. Das Haus ist auf allen Seiten offen, so daß die kühlere Nachtluft freien Zutritt findet. Sobald das Licht gelöscht ist, beginnt ein seltsames Leben. Ein ganz leises Rauschen zeigt an, daß große Fledermäuse durch Fenster und Türen ein- und ausfliegen, Eidechsen huschen und balgen sich am Boden und stoßen gellende Lockrufe aus, in den Wänden klopft und raschelt allerlei kleines Getier.

Eines Abends kam ich in Cawnpore an. Eine Viertelstunde Aufenthalt. Aber der anschließende Zug ist total besetzt, einen Platz hatte ich einmal ausnahmsweise nicht belegt. Der Stationsvorsteher läuft mit mir den ganzen Zug ab, es bleibt nichts übrig, als auf der Station zu nächtigen. In dem Riesensaal stehen vier Holzpritschen, daneben ein gewaltiger runder Tisch mit Stühlen und an den Wänden ein paar Bänke. Zwei andere weiße Gentlemen sind bereits hier eingetroffen; einer, anscheinend ein höherer englischer Beamter, sitzt am Tisch und läßt sich aus einem großen Korb von seinem farbigen Boy das Abendbrot servieren; der andere ist damit beschäftigt, sein Bett auf einer der Pritschen auszulegen. Dieser Beschäftigung gebe auch ich mich hin und lege mich gleich nieder. Aber nur eine halbe Stunde, denn, da kein Moskitonetz vorhanden ist, beginnen diese blutdürstigen Insekten alsbald, mich aufzufressen. Die Lieblingsstelle der Moskitos sind die Fußknöchel. Spärlich bekleidet, wandle ich aus der weitgeöffneten Wartehalle hinaus und bleibe sofort wie gebannt stehen. Im silbrigen Mondschein liegt eine orientalische Feerie vor mir. Auf einem weiten Platze liegen Hunderte von Menschen auf dem Boden, zwischen ihnen gehen Kühe, Schafe und Esel spazieren; unter einer offenen Halle dem Bahnhof gegenüber liegen andere Hunderte, in Gruppen geordnet, zwischen sich kleine flackernde Lichter. Viele schlafen, nichts unter sich als ein buntes Tuch, andere unterhalten sich miteinander; in der Mitte der Halle sitzt ein Geschichtenerzähler und um ihn herum wohl zwanzig buntgekleidete Frauen und Mädchen, die andächtig zuhören und dann und wann in ein kurzes Lachen ausbrechen. Händler mit Süßigkeiten durchschreiten die Menge. Eintönige Lieder werden gesungen. Es kommen immer mehr Leute an, um die überheiße Nacht im Freien und in Gesellschaft zu verbringen. Kurz entschlossen, holte auch ich meine Decke und legte mich etwas abseits auf der Straße nieder, umfächelt vom lauen Hauch der Tropennacht, umklungen von uralten Gesängen, beschnuppert von Ochsen, Eseln und anderem Getier. Als ich in der Frühe erwachte, schien mir die Sonne ins Gesicht, der Platz war leer, aber ein halbnackter Hindu mit einer Peitsche in der Hand stand vor mir, machte, indem er die Hand an die Stirn legte, einen tiefen Salaam und sprach: »Herr, der Wagen ist bereit.« Wirklich stand ein mit zwei Pferden bespannter Wagen vor mir, und der findige Fuhrmann erhielt seinen Lohn dadurch, daß der Sahib wirklich sofort einstieg und eine Stunde lang durch die Morgenfrische dahinfuhr.

Ein anderes Bild. Im »Hotel Cecil« zu Delhi wird irgend ein großes Tier erwartet. Cook hat es avisiert und die weitestgehenden Vorbereitungen zur Unterhaltung des bedeutenden Mannes aus England sind getroffen worden. Aber das große Tier verspätete sich um einen Tag, ohne die Versäumnis telegraphisch anzuzeigen. Statt dessen kam ich, der von dieser ganzen Geschichte kein Sterbenswörtchen wußte. Auf dem Bahnhof tritt, nachdem ich kaum den Zug verlassen habe, ein sechs Fuß hoher indischer Lakai an mich heran, auf seinem Kopf strahlt ein bunter Riesenturban mit einer Feder, in der Hand hält er eine Karte, die er mir vor Augen hält. »Hotel Cecil« steht darauf. » That's all right!« sage ich. Darauf verbeugt sich der Mensch bis zur Erde und sagt: »Haben Eure Exzellenz die Gnade, mir zu folgen.« Kolossal höfliche Leute hier, denke ich und folge. Draußen steht ein elegantes Automobil mit zwei weiteren Dienern, alle beturbant und mit Federn geschmückt. Zwei Schutzleute stehen am Wagenschlag und legen mit tiefer Verneigung die Hand an die Stirn. »So was von Liebenswürdigkeit ist unerhört«, denke ich und steige ein. Im Hotel empfängt mich der Manager in eigener Person und geleitet mich in ein geradezu fürstliches Zimmer. Es ist morgens früh. Beim Frühstück steht der Manager hinter meinem Stuhl, alle Angestellten sehen verstohlen und respektvoll nach mir hin. Ebenso verstohlen ziehe ich mein Taschenspiegelchen hervor und schaue hinein. Ich kann nicht finden, daß etwas besonderes an mir zu sehen ist. Die Geschichte wird mir immer rätselhafter. Ehrfurchtsvoll bemerkt der Manager hinter meinem Stuhl: »Eure Exzellenz werden zuerst den Kutab Minar besichtigen, ein Reiseautomobil nebst Dienerschaft steht vor der Tür bereit.« »So etwas von Fürsorge ist noch nicht dagewesen,« sage ich zu mir selbst und trete hinaus. Als ich aber das Automobil sehe, wird mir die Sache doch zu bunt. Neben dem Chauffeur ein Diener. Vor dem Wagenschlag ein zweiter Diener, ein beturbanter Führer hoher Kaste und wiederum zwei Schutzleute. Ich drehe mich um und frage den Manager, was denn die Fahrt zum Kutab Minar kosten würde. Ganz erstaunt lächelt der Gefragte und erwidert, alles das würde durch Cook erledigt. »Zum Teufel,« sage ich, »was habe ich denn mit Cook zu tun?« Der Manager erschrickt. »Ja, sind Sie denn nicht The Right Honorable Sir Soundso, Bart. M. P. usw.?« »Keine Spur,« erwidere ich; »ich bin der ganz gewöhnliche Ph. B. aus Hamburg.« »Dann ists ein Irrtum,« sagt der Manager und richtet sich auf, und es kommt mir so vor, als ob seine Achtung um mehrere Meter sinkt. Etwas von oben herab bemerke ich: »Wenn Sie glauben, dies ist ein Irrtum, dann sind Sie im Irrtum, denn ich nehme das Automobil.«

Und so fuhr ich denn als Stellvertreter des nicht eingetroffenen großen Tieres mit meiner Dienerschaft, von deren Köpfen die Federn wehten, stolz nach dem Kutab Minar, während das Volk an beiden Seiten der Straße sich bis in den Staub verneigte. Wo der Motorwagen hielt, sprangen sehnige braune Schutzleute herbei, halfen Seiner Exzellenz beim Aussteigen und trieben die Gaffer zurück, vor den Tempeln standen die Priester in ihrem schönsten Ornat und erwarteten märchenhafte Trinkgelder, am Kutab Minar, dem höchsten Obelisken der Welt, warteten schon Hunderte von Eingeborenen, um den hohen Gast zu sehen. Es war eine Märchenfahrt. Welch' eine Summe von Rupien ich aber abends für den Scherz auszuspucken hatte, will ich lieber nicht verraten.


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