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XIX.
Tropengespenst.

Auf 144 Grad östl. Länge und 2 Grad südl.

Das war doch wirklich seltsam. Die reizende junge Dame stieg einfach über Bord, während das Schiff in voller Fahrt war. Nein, es mußte eine Täuschung sein, eine Ausgeburt der feuchten Treibhaushitze, die das stechend blaue Meer, das zitternde Schiff, das brühheiße Verdeck wie ein dampfender, klebriger Teich einhüllte. Mit Aufopferung entreiße ich mich meiner Trägheit, verlasse den Liegestuhl und trete an den Rand der Reling.

… Heiliger Himmel, es ist keine Täuschung … das reizende Mädchen klettert außen an der Schiffswand hinab, ohne abzustürzen – und jetzt sehe ich auch zu meinem Staunen, daß unten eine Leiter aus dem Wasser emporragt, die irgendwie am Schiff befestigt sein oder frei mitschwimmen muß, denn sie gleitet ebenso rasch vorwärts wie der Dampfer. Im Nu war das Mädchen unten, gewann die Leiter und stieg ins Wasser hinab.

Als die Fluten ihr schon bis an die Brust gingen, sah sie lachend zu mir, der sich weit über Bord neigte, empor und winkte. Jetzt stieg sie noch tiefer, die Wellen schlugen über ihrem schönen Kopfe zusammen, und nun winkte sie mir wie aus einer blauen Glasvitrine. Mich mußte eine Art Wahnsinn erfaßt haben, denn ich verlor den Kopf, schwang mich ebenfalls über die Reling und begann vorsichtig, die Köpfe der großen Eisennieten als Stützpunkte benutzend, an der Schiffswand hinabzuklettern. Ganz leicht ging es, obgleich man, wenn das Schiff etwas überholte, in der Luft zu hängen meinte. Dicht über dem Wasserspiegel kam mir mit einem Zusammenschrecken meine Lage zum Bewußtsein … War ich auf dem Wege zum Selbstmord? –

Gleichsam als Antwort auf meine innere Frage tauchte meine schöne Reisegefährtin noch einmal über die Flut empor und rief mir zu, daß das Wasser in dieser tropischen Region gar nicht naß und überdies so von Sauerstoff durchsetzt sei, daß man bequem darin atmen könne.

Da stieg ich ohne weiteres Besinnen ganz auf die wogende Wasserfläche hinab, erreichte die Leiter und stieg langsam in das beinahe heiße Element. Sobald die Flut sich über meinem Kopfe schloß, ward es kühler um mich her; kein Wasser drang in meine Lungen, ich konnte ganz frei atmen. Einen Augenblick sah ich noch an der gewaltigen Schiffswand und an der an ihr befestigten Leiter empor, dann fuhren Schiff und Leiter über mich hinweg – die wirbelnde Schraube sandte einen starken Luftstrom herab, und dieser Strom von Luft drückte mich sanft in die Tiefe …

Auf einer elastischen Wiese von Seegras landete ich, das schöne Mädchen wartete schon und deutete auf einen ragenden Wald von roten Korallen, auf den es zuschritt. Ein wunderliches Weib. Sprechen konnte man nicht, denn dann schluckte man wirklich Wasser. Sah man empor, dann schweifte der Blick in ein transparentes Blau, in dem bunte, seltsame Vögel hin- und herschwebten. Aber es waren keine Vögel, sondern Fische mit langen strahlenden Flossen und großen smaragdgrünen, funkelnden Augen.

… Plötzlich erstarrte mein Blut – ich stand wie angewurzelt. Aus einem Korallenfelsen streckte sich eine ungeheure Hummerschere und packte meine Führerin. Sie sah sich mit Augen voll unendlichen Wehs nach mir um, dann war sie schon mitten durchgeschnitten. Der grauenhafte Kopf des Ungeheuers, eines vielleicht tausendjährigen Krebses, so groß wie ein Pferdekopf, schoß hervor, packte den an der Taille abgeschnittenen Oberkörper und zerrte ihn in die Korallenhöhle, während der Rumpf mit den sich noch spasmodisch bewegenden Beinen – ein schrecklicher Anblick – auf dem Boden lag.

Ich wollte fliehen und konnte nicht, ich wollte schreien, aber das Wasser drang in meine Lungen, da faßte mich bleiches Entsetzen, mein Herz krampfte sich zusammen … und ich erwachte.

*

Natürlich! Ein wüster Traum! Schon wieder! Ich saß auf meinem Liegestuhl und das schöne Mädchen, dessen Gesicht ich so deutlich gesehen hatte, war überhaupt gar nicht an Bord. Die furchtbare Tropensonne war einfach herangekrochen, während ich schlief, und schien mir auf den Kopf. Rasch bedeckte ich mich. Ich war aber zu träge, den Schatten aufzusuchen. Da stand ja auch wieder dieser aufdringliche Mensch, der nicht von mir abließ, trotzdem ich ihm deutlich genug zu verstehen gegeben hatte, ich wünsche seine Gesellschaft nicht. Eine dunkle Ahnung von Gefahr ließ mich den Menschen meiden. Einmal hatte er mir eindringlich erklärt, man dürfe auf Reisen seine Barschaft nicht mit sich umhertragen, sondern müsse sie, zumal auf Schiffen, im verschlossenen Koffer lassen. Wer sollte sie da stehlen? Es könne ja niemand aussteigen. Da sagte ich mir: der Mensch will dich einfach eines Tages von deiner Kabine weglocken und dann deinen Koffer aufbrechen. Ich trug also meine Barschaft an meinem Körper, ihm aber sagte ich, daß ich seinen Rat befolgt hätte.

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Der große Daibutsu in Kamakura 2. Pagode in Nikko 3. Emitsu-Tempel in Nikko

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1. Junge Japanerin 2. Ein Shinto-Priester 3. Japanische Visitenkarte des Verfassers

Als es endlich Abend und ein wenig kühler geworden war, suchte der widerliche Mensch mich wieder auf. »Kommen Sie! Unbedingt müssen Sie das Meeresleuchten sehen!«

Das mußte ich nun allerdings unbedingt sehen. Darin hatte er recht. Ich folgte ihm nach dem Hinterteil des Schiffes; es war schon ziemlich spät und auf dem Verdeck alles leer und still. Da lag die See in grünem lichten Glanze; wie Silbertropfen ohne Zahl sprühte es aus ihr hervor – Andacht ergriff die Seele. Ich schaute nur und schaute und vergaß die Gegenwart meines Begleiters …

Er hatte darauf gewartet. Ehe ich wußte, was geschah, hatte er mich von hinten gepackt, mir ein Tuch in den Mund gestopft und mich emporgehoben. Mit kraftvollem Schwung schleuderte er mich ins Meer.

Keinen Augenblick war mein Geist getrübt. Ich empfand keine Angst, nur Wut darüber, daß ich mich trotz der inneren warnenden Stimme hatte überlisten lassen. Ehe man mich vermißte, würde er in meine Kabine stürzen und meinen Koffer aufbrechen – – ah! wie ein wilder Galgenhumor kam es über mich, ich trug ja meine Barschaft bei mir – der Ueberlistete war am Ende er!

In dem Augenblick, als ich den Meeresspiegel berührte, lockerte sich das Tuch in meinem Munde, ich riß es heraus und schrie gellend um Hilfe. Fast im gleichen Augenblick hörte ich schon die Stimme des Matrosen im Mastkorb, fern, aber deutlich: »Mann über Bord!« Mit Händen und Füßen ruderte ich, das Schicksal hatte meinen Untergang noch nicht bestimmt, nicht auf so unrühmliche Art – – der Dampfer stoppte, ein Boot wurde ausgesetzt, und eine halbe Stunde später brachte man mich, zwar zu Tode erschöpft, aber lebend, an Bord.

Unter den ersten Gesichtern, die ich sah, war seines. Ich hätte auf ihn deuten und ihn auf der Stelle in Ketten legen lassen können – allein, war es Schwäche, war es Feigheit? Ich wagte es nicht, ihn zu denunzieren. Auch verlor ich alsbald infolge der übermäßigen Anstrengung das Bewußtsein.

An dem ersten Tage meiner Rekonvaleszenz indes, an dem ich mich etwas kräftiger fühlte, teilte ich dem Kapitän die wahre Geschichte meines Unfalls mit. Er war empört, sagte aber, er könne gegen den Betreffenden leider nichts machen, da er ihm von hoher Stelle empfohlen sei. Er glaube auch kaum, daß der Betreffende, der der Neffe eines Ministers sei, es so schlimm gemeint habe. Wenn ich wieder ganz gesund sei, könne ich ja eine Gelegenheit herbeiführen und den Betreffenden ebenfalls ins Meer werfen. So was käme ja vor, man dürfe diese Sachen nicht so genau nehmen. Ich sei überhaupt eine viel zu grüblerische Natur und nehme jede Kleinigkeit viel zu ernst. Was sei denn, wenn man's genau bedenke, schließlich dabei los, mal ins Wasser geworfen zu werden! Jeder anständige Mensch könne doch heutzutage sozusagen schwimmen. Früher, als das gegenseitige Inswasserwerfen noch zum guten Ton gehörte, sei er selbst mal bei Ceylon ins Meer geschmissen worden und ohne weiteres direkt bis Danzig geschwommen. Danzig, sage er, und davon lasse er nicht einen Buchstaben ab. Uebrigens heiße er Wobling –, das genüge hoffentlich für die Glaubwürdigkeit seiner Angaben.

Im übrigen tat der Kapitän das Aeußerste zu meiner Erheiterung. Eines Tages kam er in meine Kabine und zog an einem Strick eine Kuh hinter sich her. Ich hatte keine Ahnung davon gehabt, daß eine Kuh sich an Bord befand. Und mit dieser Kuh, die natürlich fast die ganze Kabine ausfüllte, führte der Kapitän die merkwürdigsten Boxerkämpfe auf. Mit gesenktem Kopf rannte er auf sie los, wie ein Ziegenbock, klatschend stießen die beiden Köpfe zusammen, aber die Kämpfer schienen sich daraus nichts zu machen. Einmal lachte die Kuh laut auf, wodurch ich auf den Gedanken kam, es sei gar keine richtige Kuh, sondern vielleicht nur ein verkleideter Steward. Als aber der Kapitän sich ein großes Glas hereinreichen ließ und die Kuh melkte, worauf er mir ein Glas mit frischer, schäumender Milch kredenzte, da sah ich, daß es doch eine richtige Kuh sein müsse. Schließlich machte sich das seltsame Ding so klein wie ein Hund und sprang durch das offene runde Fenster der Kabine ins Freie. Der Kapitän lachte hierüber so fürchterlich, daß die Fensterscheibe aus dem Rahmen fiel und am Boden klirrend zersplitterte. Ein Steward räumte die Scherben hinweg, schließlich setzte sich der Kapitän, noch immer lachend, auf die Handschaufel und ließ sich mit hinaustragen.

Ich hatte gar keine Zeit, über diese merkwürdigen Vorgänge nachzudenken, denn was ich jetzt sah, als ich wieder allein war, ging mir denn doch über die Hutschnur. Die Beine des Tisches in meiner Kabine knickten auf einmal ein, sie bekamen gleichsam Gelenke, und der Tisch begann wie ein Pferd in der Kabine umherzugaloppieren. Nicht genug damit, schwang sich der Schemel auf den Tisch, setzte sich aufrecht hin und ritt ein richtiges Hindernisrennen. Wohl sechsmal sprang der Tisch mit seinem sonderbaren Jockey über meinen Kopf hinweg. Da klopfte es vernehmlich an die Tür und im Nu standen Tisch und Schemel wieder an ihren Plätzen, als ob nichts geschehen sei. Eine solche Frechheit von Tischen und Schemeln hatte ich denn doch noch nicht erlebt!

Gleich darauf trat ein richtiger, unverfälschter deutscher Gerichtsvollzieher in das Zimmer, der gar keine Notiz von mir nahm, und einfach anfing, alle Gegenstände mit großen, gezackten Papiersiegeln zu bekleben. Als ich ihm wütend zurief, diesen Unfug in meiner Kabine gefälligst bleiben zu lassen, trat er lächelnd auf mich zu und klebte mir gelassen eine Siegelmarke mitten auf die Stirn. Welch ein seltsamer, unverfrorener Mensch? Ich wurde ganz ungeheuer grob. Aber es rührte ihn nicht im geringsten. »Regens Ihnen net auf,« sagte er, »ich tue nur meine Pflicht, der Deibel hat es so angeordnet!«

Nein, dies ging als Scherz entschieden zu weit! Schließlich wußte man ja überhaupt nicht mehr, was man aus all diesem Unsinn machen sollte. Außerdem war mir entsetzlich heiß. Eiswasser! Eiswasser schien mir die einzige Rettung. Ich stürzte mich förmlich auf die elektrische Klingel. Im nächsten Augenblick öffnete sich auch die Tür – aber kein Steward trat herein, sondern ein Briefträger, der aus einem gigantischen Postbeutel einen ungeheuren Berg von Briefen vor mir ausschüttete. Mein Kopf wirbelte. Wo sollte ich die Zeit hernehmen, alle diese Briefe zu lesen! Sind sie zu Hause denn alle verrückt geworden? Der Berg von Briefen war bis zur Decke angeschwollen …

Während ich noch auf das Gebirge von Briefen schaue, faßt mich kaltes Grauen. Da hinten bewegt sich etwas! Ich ahne, was das zu bedeuten hat. Der Hund ist es, der mörderische Hund! Er hat sich zu mir hereingeschlichen. Wart, Bürschchen, diesmal bin ich nicht wehrlos, diesmal gilt es nicht mein, sondern dein Leben – und wenn du zehnmal der Neffe eines Ministers bist! Und ich greife nach meinem Revolver, der neben mir liegt, und ziele auf die Stirn des Eindringlings und schreie ihn an: »Du Hund … du Hund … ich schieß dich tot …!«

*

Da packt jemand meine Hand und schüttelt mich. Aus bleiernem Schlaf schlage ich die Augen auf. Es ist der Schiffsarzt, der meine Hand hält. »Ruhe,« sagt er, »hier ist niemand, nach dem Sie zu schießen brauchen.«

Verwirrt blicke ich in die blendende Helle des Nachmittags. Ich sitze auf der Sonnenseite des Verdecks, just da, wo das Segeldach zu Ende ist. »Und der Schuft hinter den Briefen?« frage ich. »Und der Gerichtsvollzieher? Und der Kapitän mit der Kuh? – und das Mädchen im Wasser?«

»Na,« lacht der Arzt, »Sie scheinen sich ja einen netten Kohl zusammengeträumt zu haben.«

»Außerdem habe ich furchtbare Kopfschmerzen.«

»Kann ich mir denken. Und das will ich Ihnen sagen, wenn Sie noch einmal hier mitten in der Sonnenglut einschlafen, noch dazu mit unbedecktem Schädel, haben Sie den niedlichsten Sonnenstich weg. Einen Anlauf haben Sie jetzt schon genommen. Kommen Sie mit, ich will Sie gleich mal nach allen Regeln der Kunst verarzten.«


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