Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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736. Der grünende Pfahl

Nahe beim Dorfe Untermaßfeld erhebt sich der Hexenberg, so genannt, weil auf ihm die Hexen nicht etwa tanzten, sondern verbrannt wurden, und zwar sehr viele. So war auch ein armer Junge aus Leutersdorf namens Hans Schau der Hexerei angeklagt, wurde im Amt zu Maßfeld torquiert und mußte, wie sehr er auch seine Unschuld beteuerte, bekennen, daß er ein schädlicher Hex sei, und da kam es von Jena, daß er verbrannt werden sollte. Der Jüngling wurde zum Dorfe hinausgeführt, über die Werrabrücke, die Hexentreppe, davon noch Rudera sichtbar, und den Berg hinauf; viel Volk lief mit. Als der arme Sünderzug den Berg etwa halb hinauf war, kam man an eine Stelle, wo ein Bauer Pfähle einschlug, um junge Bäume daranzubinden. Da wandte sich bei einem dieser Pfähle der Jüngling weinend nach dem Volk, hob seine gefesselten Hände gen Himmel und rief: So wahr ich unschuldig zum Tode geführt werde, so wahr wird Gott ein Zeichen tun und geben, daß dieser dürre Pfahl ausschlagen und zum starken Baume werden wird! Die Richter und das Volk aber lachten sein, und oben ward er verbrannt. Wie alles wieder herunterkam, blieben einige bei dem Pfahl stehen, und siehe, da sproßten grüne Blättlein heraus und braune Zweiglein, aus denen Knospen brachen, und lebendiges Grün sprang aus dem toten Holz. Des wunderte sich jedermann und ging nachdenklich nach Hause. Und seitdem ist keine Hexe und kein Hexenmeister mehr im Henneberger Land verbrannt worden. Der Pfahl aber wurde eine starke Buche, die einzige am Hexenberg, der mit Nadelholz bewachsen ist, und steht noch im ehemaligen Köhlers Berggarten, wo jeder sie sehen kann.

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