Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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499. Von einem Bergmann und einer Braut

Aus dem Dietzhäuser Grund geht ein Bergweg nach Benshausen; dort herum sind vor alters auch Bergwerke gewesen und wohnten Bergleute im Ort. Von denen ist einmal einer am Sonnabend zur Beichte gegangen, und am Sonntag darauf wollte er zum Abendmahl gehen. Nun ist alter Brauch, daß nach der Beichte niemand mehr arbeiten soll, sondern seine Gedanken all auf das fromme Vorhaben richten. Der Bergmann aber wollte sein bißchen Lohn nicht einbüßen und fuhr nach der Beichte dennoch wieder vor Ort. Aber kaum war er in der Grube, als der Schacht einstürzte und alle Spur von ihm verschwand. Erst nach hundert Jahren, da andere Bergleute dort einschlugen und ein Bergwerk bauten, fanden sie in einem Gang einen Bergmann, der hatte einen großen langen Bart und schien zu schlafen. Und da sie um ihn redeten, erwachte er und fragte gleich: Hat es schon zusammengeschlagen? Ich muß zum Nachtmahl gehen! – Da sprachen die andern: Es ist heute kein Sonntag und ist keine Kirche, es ist Werkeltag. – Doch, sprach er, nächten bin ich zur Beicht gewesen, und heint muß ich zum Abendmahl gehen. – Da geleiteten sie ihn aus der Grube und nach der Kirche und holten den Pfarrer, der gab ihm das heilige Abendmahl, und wie er es empfangen hatte, stürzte er zusammen und war ein Häufchen Asche.

Ähnlich ging es in Benshausen zu mit einer Braut, welche gezwungen heiraten mußte. Vor der Trauung, als es zum zweiten Male läutete, war sie fertig angezogen, weinte sehr und sprach: Laßt mich nur erst noch einen Augenblick allein hinaus in den Garten, ich muß frische Luft schöpfen – denn das Herz war ihr gar zu sehr beklemmt. Im Garten weinte sie bitterlich über ihr Unglück, da trat ein fremder Mann, den sie nie gesehen, ihr nahe, der fragte sie um ihren Kummer, und sie klagte und vertraute ihm alles, er aber sprach ihr Trost zu mit milder Stimme und wandelte mit ihr und sprach allerhand, lobte auch ihren Garten und sagte, seiner sei auch recht schön, wenn sie ihn sehen wollte, gleich daneben, und da stand ein Pförtlein auf, und sie traten ein, gleichwohl hatte die Braut diesen Garten noch niemals gesehen, auch niemals einen so wunderschönen Garten, in dem so vielerlei zu sehen gewesen wäre. Die schönsten Blumen und Vögel, Springbrunnen, Baumgänge, Lauben, Gebüsche, Rasenplätze, Beeren und Früchte aller Art. Darüber freute sich die junge Braut und vergaß ihr Herzeleid, das sie drückte, und der Mann sprach gar angenehm mit ihr. Mit einem Male schlug es zusammen, da gedachte die Braut ihrer Pflicht, nahm höflich und züchtig Abschied von dem Mann und ging wieder in ihren Garten zurück und durch denselben vor in das Haus, um nun mit Bräutigam und Gästen in die Kirche zu ziehen. Aber da war alles verändert und ihr fremd, und fremde Menschen staunten sie an, ihren altväterischen Brautputz, und fragten sie, was sie wolle, und wo sie herkomme. – Da waren kein Bräutigam, kein Vater, keine Mutter, keine Hochzeitgäste – und da wurde nachgeforscht, und da fand sich, daß vor hundert Jahren eine Braut kurz vor dem Zusammenschlagen in den Garten gegangen und nicht wiedergekommen war, gleich jenem Brautpaar, das hinauf zum Kyffhäuser ging, Hochzeitgeräte zu leihen, und schwer daran zu tragen glaubte, als es herabschritt; es trug nur schwer an der Last seiner Jahre. Da hat sich die Braut wieder zurückgesehnt aus der ihr fremden Welt in den Garten des freundlichen Mannes, der kein anderer war als Christus, unser Herr und Heiland, und ist bald darauf eingegangen in den Garten des himmlischen Paradieses.

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